DER STILLE GARTEN,
DIE WELT DES SCHÖNEN



- Einige kritische Anmerkungen zur Delmont Rezeption -

 

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A u g u s t   v o n   L a n g e n t h a l

 


Nach einigen Gesprächen mit der Abteilung für Lustspiel am Hofe der NordRheinRegion und mit Absprache derer zu London ist es mir gelungen, das vorliegende Traktat, ein fiktives Interview des einmal beachteten, aber jetzt verdientermaßen längst vergessenen Autors, Malers und Hoflieferanten, Herrn von1 Delmont, in allen Einzelheiten und in beschränkter Auflage zu Studienzwecken allein, zugänglich machen zu können.

Der Delmont hatte dieses ‘Gespräch’ mit einem imaginierten Sohne an der Jahreswende 2017/18 und kurz vor seiner Flucht ins Exil geschrieben. So, als sei dies ein letztes Aufbegehren gegen die schon drohende soziale Ächtung, hatte er sich ohnehin auch mit der Gegenökonomie seiner Modefirma finanziell ins Abseits der Höfe gestellt. Und er hat, so beweist es ein kürzlich aufgetauchtes, lange verlorenes Manuscrypt, uns allen einen Gedanken verkauft, den er seinem Freunde Dillemuth dereinst gestohlen.

Um also Licht in einige dunkle Episoden der Vergangen heit zu tragen, vermöge hiermit diese Publikation besonders allen Impresarios, Vermittlern, Kuratoren, Haus- und Hofmeistern der Institute, ein lehrreiches Beispiel dafür abgeben, wie durchaus falsch und unflätig eine sogenannt ‘kritische’ Kunst vor der Jahrtausendwende gewesen. Erst durch die objektivierende Distanz und die heilende Wir kung der Zeit erringen wir eine historische Erkenntnis über das Ausmaß der hohnlachenden Gemeinheiten welcher sich unsere liebe Kunst noch vor der Jahrhundert wende aussetzen mußte, mit welch bitterer Ironie und Geschichtsverfälschung unsere Höfe, ob ihres Mäzenatenthums, damals noch verhöhnt wurden.

Der Geist des Ganzen
Denn ist nicht die Kunst, Natur wie der Baum, eine zweite Natur parallel zu dem Baum? Ist nicht gerade ihre Losgelöstheit von den wechselnden politischen und sozialen Methoden der so schnellebigen Zeit, ihre eigene innere Ruhe, ihr äußeres Wachsen, der Kunst eigener Rhythmus, der sie zur Natur werden läßt, auf daß die Kunst zur Natur der Anschauung werde? Hat sie denn nicht der Künstler heraus gestülpet aus sich selbst, und sie in diese Welt geworfen, unschuldig und nur sich selbst bedeutend, vor die vom Menschen geschaffenen Systeme?

Und wie der Baum sich in den Himmel reckt und der Erde entwächset, so ist die Kunst zu Höherem bestimmt und doch, wie ist sie auch von dieser Welt! Denn erhaben ist die Schönheit über jeden Zweck und nur wer sie verehrt, der kann sich mit ihr schmücken. Wohl an, denn er ist gut berathen! Denn ist es nicht auch des Baumes Schicksal, und ihm gleich gut, ob die aus ihm geschnittenen Planken ein Kriegsschiff decken oder einen Tisch im Kreise der fröhlich zechenden Freunde?

Und sind es nicht unsere Häuser und Höfe die diese beiden Naturen bewahren und vermehren? Sie sind es, die mit mächtiger Hand Schutz gewähren, und Reservate geschaffen, der Menschheit zum frommen, Kunst- und Naturräume, zur Erholung der Tüchtigen, zur Bildung der Sinnigen, zur Erziehung der Unmündigen!

Und diese, ihre Rolle als Mäzenathen und fördernden Freunde, soll hier nochmals betont werden, denn die Toleranzen der MÜNZE gegen die Feinde jeglicher verfeinerter Kultur sind nothwendig. Mögen die marodisierenden Banden, die Standortsschädlinge und Widerstands-Ökonomien endlich ihr Haupt in Demut und in Dankbarkeit beugen!

Doch weiter: Wie viele Banken haben seither ihre Schätze nicht auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt? Hier werden die Tugenden der alten Demokratie doch endlich wahr! Das Volk schafft sich selbst die Medizin, die es braucht; oder es tastet doch nach ihr. In der Vielfalt der Kunst wollen wir die Vielfalt der Natur entdecken, dem Gemeinwesen zum Nutzen und zum Frommen. Denn wie Vielen ist es nicht vergönnt die Reservate der großen Mutter jemals zu betreten, die wir beschützen und bewahren ?

War es nicht der umsichtigen Einflußnahme der MÜNZE zu verdanken, daß einst alle fortschrittlichen Kräfte der Wirtschaft und der Theologie zusammengeführt und die Gedanken an eine prosperierende Welt in alle Länder getragen wurden? Hat nicht gerade die MÜNZE um die Jahrtausendwende dero so viel Gutes gethan, indem sie ihren Leib festigte und den Reichtum der ersten Welt so weise auf alle Welten verteilte? Und nur das von falschen2 Hoffnungen verbildete Volk murrte weil es geben sollte - und dennoch blühen heute die Gärten!
Denn Delmont irrte!
Doch selbst dem Aufwiegler demonstrierte die MÜNZE ihren Großmuth und hat ihm vergeben, denn nur wenige wagten es dereinst wie er, ihr müdes Denken in die Zukunft zu stülpen.

Denn jetzt ist die von Delmont geforderte Autonomie der zerklitterten und unorganisierten Gesellschaften im vielkulturellen Reich der MÜNZE ein natürliches Recht, doch in der Kunst des Hofes wird ihre Autonomie nun letztlich wahr! Dies ist nicht zuletzt die Errungenschaft unserer großen Hofkünstler, die in all ihrer bürgerlichen Freiheit nun geadelt sind, auserkoren, die geschlungenen Linien zu werfen und den Geschmack der Höfe in jeder Saison aufs neue zu wenden.

So hat sich unsere schöne Kultur innerhalb der differenzierten Standorte ihre eigene Independenz geschaffen, ihre subjektiven und individualistischen Häuser: Was wäre der Londoner Hof ohne seine kapriziösen Frivolitäten, expressiven Witze und drastischen Charaden? Was wäre die NordRheinRegion ohne die feine Aufmerksamkeit für den sensiblen Strich, die seismographische Linie und die viel differenzierten Gesten ihrer Künstler? Was wäre der Standort RheinMain ohne das repräsentable Gefunkel, das kurzweilige Geplänkel der Bank- und Königskinder?
Also auch hier irrte der Delmont!
Ein alternder Schauspieler des 20sten Jahrhunderts. Und ist er nicht selbst mit seinem Stücke dem schnöden Kulturpessimismus erlegen? Viel zu lange hat der immer nur bekümmerte Educativo-Criticismo den Platz des Gewissens der Geschichte übernommen! Welch Langeweile zwischen Unkenntnis der Mittel künstlerischer Praxis und kleinkrämerischer Ungeduld! Und dann die schwermütige Unzufriedenheit der sogenannten ‘Autonomen Gesellschaften’! Warum sie wohl dem Hof jedes Pläsier auch nur argwöhnisch neiden? Vielleicht ärgert es diese hundertprozentigen für ein fehlerfreies Leben wenn unsere Künstler3 etwas vollkommen Sinnloses, doch Schönes durchsetzen?

Und soll ich jetzt noch einmal das Wort ‘Afrika’ hören müssen? Als sei es nicht seit dem ersten Beschluß Anno 2021 allen auch freigestellet ihre Sachen zu packen und in der Wüste der Anarchie die Freiheit zu finden, die sie meinen? Wer gehen will, der gehe! Doch lasset uns bedenken, daß es der göttlichen Gnade der MÜNZE zu verdanken war, wenn diesem Armenhause alle Schulden erlassen wurden und nun alle Verträge gekündigt sind!

Auch Delmonts Asche wurde von seinen Angehörigen dorthin geordert, doch haben wir sie den Winden übergeben. Als Beispiel für den lächerlichen Widerstand eines alten Systems, das also zerstreut und nur in diesen Blättern lose zusammengehalten, jeder neuen Generation zur lehrreichen Warnung dient.

Denn nur weil wir heute die Weisheit und Schönheit der MÜNZE erkennen, wird uns beim Lesen des vorliegenden ‘Theaterstückleins’ nicht bange, denn wie drastisch zeigt hier das düstere Propaganda Gemählde ein als bedrohlich imaginiertes Herrschertum. Nichts als kranke Ängste, verzerrte Gesichter an der Zeitenwende!

Also dankbar sind wir nach der Lektüre, daß dieser Alp nur die Ausgeburt eines morschen Kopfes gewesen, daß sich ob der Weisheit und Umsicht der MÜNZE, und der Schönheit, und der liberalen Kraft ihres Geldes, das bessere System letztendlich durchgesetzt, uns diese Zeiten zu vergolden.

Dürer als Führer
Das heutige Kunstgewerbe hat auf seiner stilistischen Hetzjagd alle Zeiten und Völker durchprobieret. „Die Teile haben wir nun in der Hand, doch leider fehlt das geistige Band“, sprach damals schon Goethe. Doch solange ein Volk noch lebendig ist, kann es sich der Nothwendigkeit großer geistiger Achsenverschiebungen, in seinem Inneren, nicht entziehen. Denn die Tage der Objektivität neigen sich wieder einmal zu Ende, und die Subjektivität klopft dafür an die Türe. Man wendet sich zur Kunst!

Es genügt also nicht, daß sich die Deutschen als Corporierte Staatsbürger und Konsumenten in einem Europäischen Haus jetzt neu entdeckt haben, sie sollen sich auch als Menschen entdecken: Deutschland, das auf dem Gebiet der militärischen und sozialen Reform allen anderen europäischen wie außer europäischen Staaten voranging, sollte dies nun auch auf dem Gebiet der künstlerischen wie geistigen Reform tun; und es kann dies nur tun, wenn es sich theoretisch wie praktisch zu dem bekennt, was der Inhalt seines Seins, der Inhalt der Kunst, der Inhalt der Welt ist: Individualismus.

Wie man an der Haltung eines Grashalms schon die herrschende Windrichtung erkennt, so zeigt sich nun die geistige Witterungsveränderung, welche im geistigen Deutschland stattfindet, daß der Typos des ‘Intellektuellen’ von der deutschen Alltagsbühne sowie aus dem deutschen Alltagsroman verschwindet, um demjenigen des ‘Künstlers’ Platz zu machen, denn allein dieser nimmt das königliche Recht der Subjektivität für sich in Anspruch.

„Der kommt am weitesten, der nicht weiß wohin er geht“ erklärte Cromwell und sprach damit das Grundwesen alles Individualismus aus. Denn Individualität haben heißt Seele haben; die Individualität eines Menschen ist seine Seele, hier also ist der springende Punkt, von dem alle künstlerischen Bestrebungen ausgehen müssen.

Ein Charakter der sich nicht widerspricht ist keiner. Auch der deutsche wird sich gewissermaßen selbst widersprechen müssen, um seinem höheren Beruf gerecht zu werden. Er wird seine Individualität - das anscheinend Freie und Gesetzlose - zum Gesetz erheben müssen; er wird sich selbst zu konstruieren haben. Denn das Individuelle wirkt erst dann nützlich, wenn es der rein persönlichen Willkür entrückt ist, wenn es sich dem großen Bau eines Volkes und Weltlebens einfügt; wenn es dient. Also diesem soll der Künstler nun dienen.

Programmlosigkeit heißt sein Programm; und dies ist das künstlerischste aller Programme, es ist im Grunde das einzig wahrhaft künstlerische Programm, daß es auch ein gutes und vielleicht das einzig gute politische Programm ist, hat Cromwell durch seinen erwähnten Ausspruch und noch sonst mancher Staatsmann bewiesen. Vor allem aber ist es ein im wahren Sinne des Wortes deutsches Programm; deshalb eignet es sich zum Glockengeschrei nicht nur für ein kommendes Kunstzeitalter, sondern für das gesamte deutsche Geistesleben der Gegenwart.

Nur Geist kann den Geist beschwören; Faust stieg zu den Müttern hinab; der jetzige Deutsche muß zu seinen Vätern hinauf steigen - um den Schlüssel zur Zukunft zu finden.

Dürer als Führer, Rembrandt als Erzieher, Baselitz, Richter, Kiefer, Kirkeby und ihre Schule der Jahrtausendwende als Beispiele. Sie alle sollen Muster sein, aber nicht nur für Kenner, sondern für Könner, nicht nur als Kost für Feinschmecker, sondern als eine solche für den Kern des Volks. In politischen Zeiten haben wir auf politische Helden, in künstlerischen auf künstlerische Helden hinsehen müssen. Immer aber wird es darauf ankommen, in diesen Männern nicht nur das Vorübergehende, ihre spezielle Leistung, sondern das Bleibende, ihre innere Gesinnung nachzuahmen4 .

Einen Künstler oder eine Kunstrichtung kann man so wenig nachmachen, wie man einen Apfel oder eine Birne chemisch erzeugen kann, beide Kategorien von Dingen wachsen nur von innen heraus.

„Wer sich selbst fehlt, kann nur dadurch geheilt werden, daß man ihn sich selbst verschreibt“ äußert der tief denkende und tief fühlende Novalis; in modernes Deutsch übertragen würde das lauten: „Wer an Objektivität leidet kann nur dadurch geheilt werden, daß man ihm Subjektivität verschreibt“.

Auch die Trivialität hat ihre Gesetze; und sie gehen, harmonisch genug, denen der Genialität parallel. In diesem Fall verkünden sie beide nur Gutes, sie versprechen eine Erlösung vom papierernen Zeitalter, sie verkünden eine Rückkehr zur Farbe und Lebensfreudigkeit, zur Einheit und Feinheit, zur Innigkeit und Innerlichkeit.

Rembrandt als Erzieher
Der Gelehrte ist seinem Wesen nach international, der Künstler national, und eben darauf gründet sich die Überlegenheit des letzteren über den ersteren.

Der Kampf zwischen Geist und Buchstabe ist uralt, der Kampf zwischen Bild und Buchstabe ist ein neuerer und jeder deutsche Europäer sollte hier Partei ergreifen. Denn unsere ererbte Kultur ist im Begriffe sich zu gabeln, Buch oder Bild heißt die Parole, ein Drittes gibt es nicht. Man möchte sagen, daß die Entscheidung über diese Frage schon in dem Wort „Bildung“ selbst enthalten sei. Jede rechte Bildung ist bildend formend schöpferisch und also künstlerisch.

„Humanität, Nationalität, Stammeseigenthümlichkeit, Familiencharakter, Individualität sind eine Pyramide, deren Spitze näher an den Himmel reicht, als ihre Basis“ sagt Paul de la Garde. Dieser große und weittragende Grundsatz bildet den Ausgangspunkt wie auch das Ziel des heutigen, wie auch vergangenen und künftigen Geisteslebens, denn dem Menschen ist der Barbar entgegengesetzt.

So war es gerade unter den Aspekten der Vermassung in einem globalen Gefüge nothwendig geworden die regionalen Ausprägungen der Standorte als Voraussetzung für Identität und Individualität von Werten, Menschen wie Gütern, zu begreifen. Es galt, regional Eigentümliches zu produzieren und global zu handeln, denn was wäre die Regio und die künstlerische Actio, was wäre das Detail ohne einen übergreifenderen kulturellen Zusammenhang, der das Einzelne einbettet in die Tradition von Sprache, Fühlen, Denken?

Sind hierfür alle Weichen schon gestellt? Ist es nicht die Verwaltungseinheit Deutschland, der Standortvorteile reichstes Land, wo die Lohn/Ertragsrelation am vorteilhaftesten und das Lokalkolorit ererbter Kultur noch am kräftigsten leuchtet? Im Wettbewerb der Häuser und durch unsere positiven Beziehungen zu den japanischen Höfen, den Standorten in Österreich-Ungarn und Italien hat dieses neue Deutschland nicht nur die Vorrangstellung im Europäischen Haus, sondern auch globalen Ruhm erlangt.

Daher kann der rechte Künstler nicht lokal genug sein. Eine gesunde und wirklich gedeihliche Entwicklung unseres deutschen Kulturlebens ist mithin nur dann zu erwarten, wenn sie sich in möglichst scharf ausgeprägte, geographische, landschaftliche, lokale Kunstschulen scheidet oder gliedert. Hier ist Dezentralisation, nicht Zentralisation nothwendig.

Denn spielten nicht die Familiengenealogien und die von Generation zu Generation vererbten Rezepte der Werkstatt und des Geschmackes für die feine Verästelung und Verbreiterung unseres Künstlerstammes eine so wichtige Rolle? Es ist zum Beispiel auch eine Familie von Tachisten5 vorstellbar, die sich über die Jahrhunderte hinweg fortpflanzt und ihre familiären Mythen, Stammbäume, Geheimnisse des Strichs, der Schraffur und der Farbe etc. weitergibt.

Sehen denn die notorischen Kritiker nicht, daß die Schule eines Dürer und Rembrandt über die Jahrhunderte hinweg immer wieder neu entflammte und in ihrer handwerklichen Tradition (einerseits) und ihrer Sensitivität (intuitive Größe des Gefühls) alle kurzlebigen Stile und Moden überdauerte weil sie immer wieder aufscheinen konnte im nächtlichen Dunkel der Kunst ihrer Zeit?

Und dann, war es nicht vor wenig mehr denn hundert Jahren, daß sich die Kunst befreit hat vom Frondienst der Gegenstände und wie ein Phönix den Zwängen des Inhaltismus einer alten Welt entstieg um in den Geflechten der Moderne ihr abstraktes ICH zu weben, bis auf den heuten Tag, wo diese Kunst dem Hof allein, und allen seinen Häusern strahlt?

Denn in einer jeden Saison ist es unseren neuen Künsten möglich mit den verschiedenen Stilen und Mustern einer ewigen Kunst die jährlichen Kollektionen, Diskurse und Politiken zu schmücken und ihnen die jeweilig aktuelle Eleganz zu verleihen. Wie ein bestimmtes Parfüme von Saison zu Saison mit jeweils neuen und geheimen Mischungen seiner Duftstoffe das soziale Feld der Höfe jeweils erneut entzückt.

Und also irrte der Delmont!

Inhaltsangabe

Marienburg im Juni 2034

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