IMPROVISATIONEN
A
UF  DEM  FAGOTT

- Proklamationen aus einer neuen Zeit -
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Werner von Delmont,
ein Gespräch mit seinem Sohn Hans-Dieter
im Jahre 2033
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Erster Akt

 


Delmont: Eine kleine Gesellschaft ist heimlich für das Fest gerichtet. Die Schausteller vergangener Zeiten haben ihre staubigen Perücken hastig übergeworfen, neugierig auf den letzten Akt. Die politischen Organe sind tot, alles andere vegetiert dahin. Der Faltenwurf, das Knie, das straffe, fein gesponnene Kleid, sind die Insignien einer neuen Ver-schwörung:
Die Erotik das letzte zu teilen, den Tod.

Seide raschelt zwischen den Geschlechtern, Fackeln brennen leise in der Gruft. In Ruinen unsere neuen Schlösser. Ein Konzert im Mondenschein.

Spinnennetze! Kerzenstummel! Tausend Motten flackern herzlich. Bleiche Bänder tändeln zierlich. Locken hüpfen. Locker knüpfen wir Gelächter in der Luft. Schamgeflüster, wie vertraute Düfte, hauchen wir ins stille Ohr. Das Rasiermesser, die Haarnadeln! Geruch von Freunden an den Fingern. Auf und ab des Atems, aufgeregt. Und in der Brust, im knappem Korsett, das strenge Regelwerk der Lyrik unserer Liebe. Scharf, wie die Klinge des Skalpells den Körper zerteilt.

Bruch der Etikette nur heimlich. Regeln und Bestrafungs-Systeme brav bei Fuß. Mit Hierarchien spielen, und stürzen und sterben. Bei Verstößen: Ausschluß aus der klandestinen Welt. Paukstunden am Florett nur für den Nachwuchs. Keine Innovationen: Inter-pre-tationen alter Musik! Geheimhaltung aller wichtigen Dinge, denn Agenten sind überall. Unser früheres Leben ist wie eine alte Liebe gestorben, nur wir sind frei. Wir leben das Jenseits...JETZT.

Hans-Dieter: ... (...hust, ...hust) ...

Delmont:
Bist Du es, Hans-Dieter?

Hans-Dieter:
Wer sonst?.... Hast Du denn heute schon Deine Tabletten genommen, Pa?

Delmont:
Ich hab sie im Garten vergraben, Junge.

Hans-Dieter:
Ach, Dad! So wird Deine Alzheimer doch nie besser...

Delmont:
Nee... im Ernst... ich hab ein paar gebunkert und heut’ ‘ne Überdosis genommen... Wie herrlich! Klar und wach, der müde Geist, Fischlein im Wasser...

Hans-Dieter:
Echt? Dann erzähl doch mal ein paar alte Schwarten! Das muß doch toll gewesen sein, damals, so kurz vor der Jahrtausendwende?

Delmont:
Aber ... bei allen Teufeln... nein! ...die 90er, ... das war, die Rückkehr der 70er, ... eine übermächtige eiserne Faust, die die Seele ergriff und zerschmetterte. Ach, da müßte ich auch bei Adam und Eva anfangen, um Dir das klar zu machen, und soo viel Stoff hab ich nu auch wieder nicht geschluckt.

Hans-Dieter:
Dann mach’s doch einfach mal kurz! Das mit der abermaligen Krise des Kapitalismus, Globalisierung, Deregulierung und so... das haben wir doch längst begriffen: Da seid ihr ja voll drauf reingefallen, das habt ihr doch alles unhinterfragt geglaubt... Die letzte Massenpsychose des 20sten Jahrhunderts!

Delmont: Sei nicht so vorlaut, Kerl! ...Der Dreck klebt nämlich auch an Deinen Schuhen.
Da sagten die Konzerne ganz bequem: ‘Den globalen Wettbewerb, den gibt es einfach, und deshalb müssen wir so billig wie möglich produzieren, sonst gehen wir pleite und ihr verliert euren Job.
Also... macht eure Arbeit gefälligst billiger, oder wir geben sie zu denen, die froh sind, wenn sie was zu beißen haben. Und Ihr, mit Eurem Sozialstaat, könnt dann stempeln gehen, solange der Vorrat reicht!’


Hans-Dieter:
Ein Erpressungsversuch, wenn ich mich nicht irre?

Delmont:
Das kann man wohl sagen! Aber das tollste ist, daß die Verwaltungsein-heiten -das waren ja früher einmal souveräne Staatsgebilde- hier nicht eingeschritten sind.

Über drei Jahrhunderte hinweg und mit blutigen Revolutionen, haben Arbeiter und Bürger alles versucht, um die Staatsgewalt aus den Händen von herrschenden Eliten zu winden, um sich demokratisch und selbstbestimmt zu organisieren.

Hans-Dieter:
Es war einmal... Demokratie, die Vorstellung einer gemeinsamen Sache!

Delmont:
Doch dann stürzt alles, und die Reste einer bürgerlichen Politik zappeln im Netz ihrer Versprechungen. Die Lüge heißt:

Mitbestimmung, Regulierung
und Kontrolle der Macht.

Es entsteht eine neue Religion, die von Banken, Managern und Unternehmensberatern in alle Länder getragen wird:

Die globale MÜNZE!

Eigentum, Produktivität, Einkommensverteilung sind heilig... ‘Stabilität und Wachstum’, ‘Stabilität und Wachstum’, der ewige Rosenkranz der Konsum-Demokratien.
Statt aber mit Regulierungen, bis hin zur Verstaatlichung, ...

Hans-Dieter: XXXXXXXXXX PssSst....! Vielleicht hätte man
die Konzerne zu Subunternehmern der Staaten machen können?

Delmont: Jetzt ist es gerade umgekehrt, die Verwaltungseinheiten arbeiten für die Konzerne! Aber wer merkt das?

Hans-Dieter:
...und in der Schule wurde der Religionsunterricht durch die Fächer ‘Unternehmens-Strategie’, ‘Teamfähigkeit’ und ‘Eigeninitiative’ ersetzt. Ich weiß noch, wie Du ausgerastet bist, als wir ausgerechnet in den Sommerferien unseren eigenen Betrieb gründen sollten, und Du wolltest mit der ganzen Familie nach Italien.

Delmont:
Ja, Urlaub vom Neo-Realismus... ah, Neo-Liberalismus schien gar nicht mehr möglich. Wie Käfer erstickten wir unter dem Teppich, den das globale Kapital über die ganze Welt ausrollte...

Hans-Dieter:
Das haben doch nur ein paar verrückte Spinner in der Kunstwelt geglaubt...

Delmont:
Der Banken-Hoch-Adel, der Bund-Deutscher-Industrie und die lüsternen Glücksritter der Nachwende-Gründerzeit ja wohl auch! Die hatten diese Standort-Parolen ja wohl ausgegeben! Und mit diesen Einschüchterungs-Gesten hatten sie einen Freibrief, um ihre Claims im Eldorado des Ostens abzustecken.
Das wirkte auch auf die Kunst zurück, denn die Investoren hatten ein natürliches Interesse, die oft kritisierte wirtschaftliche Erschließung des Ostens auch kulturell zu legitimieren.

Hans-Dieter:
Und aus dieser Zeit stammt unsere alte Obst- und Gemüsehalle vor den Toren Leipzigs?

Delmont:
Gebaut als Messe-Halle! Brandneu! ...expansiv gedacht und kühl aus der Stadt heraus, auf die grüne Wiese gerissen! Eine Bahnhofshalle dort, wo der Zug abgehen sollte und ein hübscher, neuer Flughafen gleich neben dran.

Hans-Dieter:
Schon im alten Rom schmückte man die Markthallen mit Bildern und Objekten, um die Götter des Handels günstig zu stimmen...

Delmont:
... gut aufgepaßt, Hans-Dieter! ... und eine scheinbar ortsspezifische, internationalistische Kunst versprach jetzt zusätzliche Eleganz!

Hans-Dieter:

Siemens Hoftheater!
Die Bühne des Kulturalismus!

Delmont: Die Verlängerung des Reichtums durch Reiche! Und an der Wand aufwendig gearbeitete Seelenteppiche, hübsch geknüpft, mit Ei- oder Blumenmuster.

Hans-Dieter:
Ein Promille in Kunst, da freun’ sich alle, voll von Prunk.

Delmont:
Oh, seht! Wie sie geduldig anrennen gegen die lachende Fassade des Geldes...

Hans-Dieter:
Und damals fühlten sich die Sponsor-Leutchen noch richtig angegriffen?

Delmont:
Dabei kam die Kritik ja seriös mit Zahlen, also ganz wissenschaftlich daher und bestätigte, was jeder schon weiß, nämlich daß Sponsoring eine versteckte, also die bessere Werbung sei. Und da jaulten sie auf... ‘Aber wir fördern auch junge Kunst...’, hieß es, ‘...wir lassen die Künstler auch in die Betriebe und mit den verselbständigten neuen Angestellten diskutieren’, hieß es... entschuldigend. Ja logisch! Das war doch ganz klar...

Hans-Dieter:
...und zur Bildung der Corporaten Höfe wohl auch notwendig!

Delmont:
Doch plötzlich gab es bald weniger kunstvolle, jedoch rentablere Standorte im nahen Osten und es bedurfte erst einiger subventionierter Pleiten, bis Eure Frucht-COOP die Halle vor etwa 20 Jahren kaufen konnte. Die Dekoration ist mittlerweile etwas verwelkt...

Hans-Dieter:
...aber das ist doch nicht der Punkt, auf den Du hinaus willst...

Delmont:
Nee, ich will versuchen, die Dinge zusammen zu sehen. Nämlich die Besetzung des Ostens, ‘AUFBAU OST’ genannt, vor allem mit westlichen Wirtschaftsgeldern, und im selben Zuge eine kulturelle Besetzung...

Hans-Dieter:
Der erste Kul-tu-ralisierungs-schub... eine Renovierung des Ostens...

Delmont:
Ja, ...die als Restaurierung alter kultureller Werte zu verstehen war.
Dafür sollte die einstige Reichs-Hauptstadt Berlin der wieder-verein-ten Nation eine kulturelle Mitte geben. Ganze Bahnhöfe wurden für die Repräsentationsgelüste reicher Spekulanten umbaut! Gezeigt wurden hauptsächlich Bleiflugzeuge, Bilder mit verbrannter Erde, oder Disko-Dekorationen...

Hans-Dieter:
Also, das Geld und der Geschmack des Sammlers bestimmte was Kunst ist... ?

Delmont:
Und dem Staat war das recht, denn er bekam eine Kultur gratis und es war ihm egal welche, solange sie XXXXXXXXXXXXXX die STANDORTE in Deutschland attraktiver machte.

Hans-Dieter:
Das offizielle Bild von Kultur zeigte also was bekömmlich war, was den reichen Bürgern schmeckte. Es zeigte also eine Wahrheit: eine reiche Oberschicht, die eine repräsentative Kunst für eine reiche Oberschicht schätzte...

Delmont:
...und die, mit all ihrer großbürgerlichen Geltungssucht, diese Kunst den staatlichen Institutionen zur Verfügung stellte.... Ha! Und wie nebenbei stieg dann auch ihr Wert.

Hans-Dieter:
Das ist bei den Zeremonienmeistern der Höfe nicht anders. Die Kunst gibt dem Geld einen guten Geschmack und das Geld finanziert diejenigen, die über den Kunst-Geschmack entscheiden.

Delmont: Dies ein geregelter Kreislauf, in den sich einzuschreiben die Lüsternheit bestimmt.

Hans-Dieter:
Für mich, wie die Salonkunst der Gründerzeit des neunzehnten Jahrhunderts: in beiden Fällen ein erstarkender Nationalismus, produziert das selbe Imponiergehabe des Bildungsbürgertums mit den ‘kulturellen Werten’, einmal, um die kolonialistische, später dann die globalistische, wirtschaftliche Mission zu verdecken.

Delmont:
Und in beiden Fällen derselbe Sozialdarwinismus! Denn das Terrorregime wütete weiter! Und die MÜNZE quälte die Erde, und plünderte die Länder, und folterte die Völker. Derweil heizten die Kritiker ihre Maisonette-Wohnungen mit ihrer Angst vorm Betroffenheitskitsch.

Hans-Dieter:
Warst Du auch einer von denen?

Delmont:
....?

Hans-Dieter:
‘Warst Du auch einer von denen?’ Hab ich gefragt!

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Zweiter Akt

 

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