"Die Freiheit der Kunst ist ein Grundrecht." (Aus der Werbung der Sparkassen-Finanzgruppe auf der Documenta11) Eben nicht. Im Oktober 2001 ergeht an mich eine Einladung, im Rahmen des 'Jahresprogramms
2002 der Galerie 1822-Forum' vom 17.09. bis 11.10.02 in den Raeumen Toengesgasse
40 der Sparkasse 1822 eine Ausstellung durchzufuehren. Ich schlage den Verantwortlichen daher vor, mit Hilfe von Material aus dem Archiv der Sparkasse, deren Geschichte - insbesondere die Zeit des NS-Faschismus - kritisch zu beleuchten. Dieser Vorschlag wird abgelehnt. Ich erhalte keinen Einblick in das Archiv mit den Unterlagen aus dieser Zeit. Begruendet wird dies von Seiten der "1822" mit ihrer Verantwortung fuer den 'Schutz der Kunden und des Bankgeheimnisses'. Auch mit meinem zweiten Vorschlag stosse ich zunaechst auf wenig Gegenliebe:
Ueber 160 Jahre dienten der Sparkasse Bienen und Bienenkorb als Firmenzeichen
und Logo. Symbole fuer Fleiss und Sparsamkeit. Ich moechte die Bienen
zurueckholen an diesen Ort, und zwar als lebende Wesen. In der Mitte des
Raumes soll ein Bienenstock so aufgestellt werden, dass die Bienen die
Moeglichkeit haben, durch eine Fensteroeffnung ins Freie zu fliegen. Parallel zu den praktischen Vorbereitungen der Installation arbeite ich
an Einladungskarte, Plakat und Katalog, die mit dieser Ausstellung einhergehen. Die "1822" besteht auf der Anerkennung und Pflege ihrer "bewaehrten
Traditionen", feiert - nicht ohne Stolz - ihre 150, 160, 175 jaehrigen
Jubilaeen - und rechnet dabei die 12 Jahre NS-Faschismus so lautlos wie
selbstverstaendlich mit ein.
Um dieser Verharmlosung der damaligen Ereignisse weitere Erkenntnisse hinzuzufügen und fuer eine andere Haltung einzutreten, plane ich, parallel zur Ausstellung Diskussions-Veranstaltungen zu organisieren: "Die Rolle der Banken im Zeitalter globalisierter Wirtschaft" (angedacht einzuladen sind ein Vertreter der Initiative "Ordensleuten fuer den Frieden" sowie von Attac und des Betriebsrats der "1822") bzw. "Banken im Dritten Reich - Arbeit an Geschichte - Wie und mit welchem Ziel?" (angedacht einzuladen sind Vertreter des Fritz-Bauer-Instituts und des Juedischen Museums). Noch bevor ich diese Idee vertiefen kann, werde ich von Seiten der "1822"
gestoppt. Daraufhin formuliere ich einen Kompromiss-Vorschlag: ich verzichte auf die angedachten Veranstaltungen und sichere zu, mich in meinem Katalog-Text auf die Recherche der Geschichte der "1822" zu konzentrieren - die Ausstellung / Installation soll unveraendert realisiert werden. Fast drei weitere Wochen dauert es: am 31. Juli wird mir telefonisch mitgeteilt, dass meine Ausstellung nicht genehmigt wird und ich hiermit ausgeladen bin. Eine schriftliche Begruendung gibt es nicht, es heisst lediglich "wir koennen das nicht machen". Eine Entscheidung des Vorstands. Mir war bewusst, dass mein Vorhaben, die einladende Institution kritisch zu beleuchten, zu gewissen Spannungen fuehren kann. Die Ausstellungs-Konditionen einhaltend, erwartete ich jedoch, dass die Verantwortlichen der Sparkasse die Freiheit der künstlerischen Arbeit respektieren. Das war ganz offensichtlich eine Fehleinschaetzung. Ebenso wie meine Hoffnung falsch war, dass mein Beitrag begruesst wird als Anlass zu einer weiteren Auseinandersetzung mit diesen Themen innerhalb oder ausserhalb der "1822". Diese Erfahrung erinnert mich an längst ueberwunden geglaubte Konflikte: Zum Thema 'Faschismus' gab es zwischen meinem Vater und mir immer wieder heftige Diskussionen. Dabei geriet ich in einen tiefen Widerspruch: einerseits wünschte ich mir, meinen Vater lieben zu koennen, andererseits musste ich sein Tun und einen wichtigen Teil seiner Person aber ablehnen, ja geradezu aechten. Je intensiver unsere Diskussionen ueber die Zeit des Faschismus und den Krieg wurden, desto weniger vermochte ich ihn nur als "Opfer" zu begreifen. Im Gegenteil. Ich musste ihn immer mehr auch als Soldat sehen, bewaffnet - auf der Seite der Aggressoren. Es war aufwuehlend, meinen Vater in diesen Gespraechen lange Zeit nahezu unfaehig zu Selbstkritik, jedoch mit der Neigung sich zu rechtfertigen, zu erleben. Heute wird von verschiedenen Seiten - nicht zuletzt auch von Kuenstlern
- der Versuch unternommen, einen Schlusstrich unter die Auseinandersetzung
um 'das dunkle Kapitel' der deutschen Geschichte zu ziehen, und sich von
der 'einseitigen Last der Schuld zu befreien' (Martin Walser). Nachdem mir Einblick in das Archiv verwehrt worden war, wurde es zu einem meiner Ziele, mit meiner Arbeit den Gedanken und die Aufforderung ins Spiel zu bringen, unabhaengigen Historikern die Archive (aus der NS-Zeit) der deutschen "Traditions"-Unternehmen - und so auch das der Sparkasse "1822" - zugaenglich zu machen. Dass der Vorstand der Frankfurter Sparkasse 1822 versucht, diese Auseinandersetzung zu verhindern ist bedauerlich und zeugt von außerordentlicher Kurzsichtigkeit im Umgang mit der eigenen Geschichte. Darüberhinaus widerspricht das Verhalten der "1822" jeglichem Anspruch an einen demokratischen und kritischen Diskurs. Dass das Verbands-Organ der Frankfurter Sparkasse, die Sparkassen-Finanzgruppe, die Documenta11 mit dem wohlklingendenen Slogan - "DIE FREIHEIT DER KUNST IST EIN GRUNDRECHT" - bewirbt, kann nach diesem Vorfall eigentlich nur noch bitter ironisch gelesen werden.
PS: Weiterverbreitung ausdruecklich erwuenscht -----------------------------------------
----------------------------------------- Anhang: Dadurch, dass mir kein Einblick in das Archivmaterial gewaehrt wurde, bleiben Fragen zwangslaeufig unbeantwortet. Ich konnte weder in Erfahrung bringen, ob die "1822" tatsaechlich Zwangsarbeiter-innen in ihrer Verwaltung einsetzte, wie mir zu Ohren kam. Noch konnte ich Material finden ueber die Frage ihrer Beteiligung bei der Abwicklung der Zwangsenteignungen der 33.000 juedischen Einwohnern (die aus Frankfurt in die KZ's deportiert und dort ermordet wurden). Genauso wenig konnte ich in Erfahrung bringen, ob sie Geschaeftsbeziehungen z.B. zu den IG-Farben - dem Zyklon B Hersteller mit Firmensitz in Frankfurt - oder zur NSDAP oder Gestapo unterhielt. Leicht und reibungslos konnte die "1822" nach der Machtuebernahme
auf NS-Linie gebracht werden. Sie hat von Anfang bis Ende alles mitgemacht.
Sie hat am NS-System partizipiert und vor allem gut verdient und konnte
erstaunlich expandieren. Die Teilnahme an den 1.Mai Aufmaerschen wurde 1934 fuer die Mitarbeiter zur Pflicht, alle Filialen und Abteilungen erhalten 1935 einen "Volksempfaenger". Der Krieg war zunaechst insofern alles andere als negativ, als die "1822" nun erreichte, was in den Jahren zuvor mehrfach scheiterte: der Kauf mehrerer Grundstuecke und Gebaeude, insbesondere jenes ihrer Hauptniederlassung, Neue Mainzer Strasse 47-51, wo sich noch heute ihre Zentrale befindet. Die Beziehungen zur NSDAP wurden trotz Judenverfolgung und Krieg immer besser. Am 1. Mai 1940 wurde die "1822" bei einer feierlichen Zeremonie im Palmengarten zum NS-Musterbetrieb und "Inhaber der goldenen Fahne der Deutschen Arbeitsfront" erklaert. 1941 wurde das "eiserne Sparen" gesetzlich / bei der "1822" eingefuehrt.
(aus einer Werbeanzeige der "1822")
Im Maerz 1933, zwei Monate nachdem die NSDAP an die Macht kam, stieg
Emil Emge zum stellvertetenden Direktor der "1822" auf. Er war
die gesamten 12 Jahre NS-Faschismus in der Geschaeftsleitung, ab 1936
als 2. Direktor und ab 1940 bis Kriegsende sogar als erster Direktor.
Nach zweijaehriger 'Schamfrist' wird Emge 1947 erneut zum 2. Direktor
in die Geschaeftsfuehrung der Bank berufen. Von 1950 bis zu seinem Tod
1965 war Emge wieder leitender Direktor der Bank. Im Verwaltungsrat waren
Dr. Alexander Mettenheimer von 1933-45 und dann erneut 1948-69 sowie Direktor
Otto Schneider (1933-44 und 1954-64) - Beispiele erschreckender personeller
Kontinuitaet an der Spitze eines deutschen Unternehmens waehrend und nach
dem Nazi-Faschismus. |