Utopisch trotz Vernunft?

von Denise Bergmann

 

 

 

1. Mai 1996, erinnern sie sich? Was haben sie an diesem Tag gemacht, wie sah die Welt denn damals aus?

Wir sehen Politiker, ein Kind will diese "Monstermänner" essen. Auf dem Potsdamer Platz wachsen Polizisten drei Meter hoch aus dem Boden. Eine junge Frau spaziert durch die Stadt und zündet Parkbänke an. Zur selben Zeit halten Gewerkschaftsführer stereotype Reden gegen den Sozialabbau, grillen Menschen behäbig in Parks, quellen Ohnmächtigen Spruchbanderolen aus dem Mund. In Island intrigieren pubertierende Schwestern gegen ihre Brüder, in Paris analysieren weiße Männer den Rap, in Moskau tobt ein Beziehungskrieg im Sperrbezirk, in Bad Tölz erzählt ein Pater von der wahren Bedeutung der Maiandacht für die frühlingserwachte Jugend. Die Weltkugel dreht sich, das Logo UTV schwebt heran, hinter dem Kürzel steht 'Unser Fernsehsender':

Unter diesem Label stellten Hans-Christian Dany, Stephan Dillemuth und Joseph Zehrer im Herbst 1995 das von ihnen entworfene Modell eines sich finanziell selbst tragenden, 'autonomen' Senders erstmals vor. Unterbrochen von Video-Beispielen skizzierten die drei Künstler auf der 'Messe2ok' diesen Fernsehsender für 'un- und semiprofessionelle Produzentinnen' und erläuterten seine Finanzierung mittels eines täglich zehn stündigen Programmes aus Video-Kleinanzeigen für Second-Hand-Transaktionen, Kontakt- Job- und Wohnungssuche. Optimistisch gehen die drei Tele-Flohmarkt-Propagandisten davon aus, daß sich eine Infrastruktur, wie sie schon Anzeigenblätter rentabel hergestellt haben, auf die momentan entstehenden lokalen TV-Projekte in Ballungsräumen übertragen läßt. Die Erschwinglichkeit der Werbung würde außerdem die Tele-Infrastruktur für die Benutzerinnen öffnen und eine Form der Verbindlichkeit zu dem Restprogramm des Senders bedeuten: Das Abend- und Nachtprogramm von UTV soll mit einer Mischung aus politisiertem Bürgerfernsehen, TV-Experimenten, Künstlervideos und linken Theorie Beiträgen bespielt werden.

Obwohl die Künstler das Wort 'Gegenöffentlichkeit' vermieden, erschien vieles ein aktuelles und notwendiges Recycling eingeschlafener Utopien. Zwar wurden die aktuellen Produktionsverhältnisse im Fernsehbereich mit einem marxistischem Repertoire zerlegten, doch hüllte sich die Vorstellung des vorläufig fiktiven Senders in ein Kostüm aus sozial motiviertem Unternehmertum und künstlerischer Flapsigkeit.

Erstaunlicherweise stand aber nicht die politische Bedeutung des vorgestellten Finanzierungsmodells im Mittelpunkt der sich anschließenden Diskussion. Verstrickt in die eigene Sponsoring Debatte interessierte sich das unter dem Banner der Ökonomiekritik versammelte Publikum hauptsächlich für möglichen Inhalte eines solchen Senders. Die nicht sonderlich geglückte Auswahl der Video-Beispiele und die von den Vortragenden immer wieder betonte Zugänglichkeit des Senders 'für Alle' warf die Frage auf, inwieweit sich in einem solchen Pluralismus überhaupt noch einen 'politische Haltung' formulieren ließe, und ob ein solcher Sender vielleicht im wesentlichen ein "bürgerliches Bedürfnis nach Trash befriedigen würde".

Bei ihrer Vorstellung schien es den Vertretern von UTV insbesondere darum zu gehen, von den Hoffnungen oder dem Einklagen staatlicher und privater Kunst-Förderung Abschied zu nehmen, um aktive Protagonisten einer pseudo-mittelständischen Medien-Ökonomie zu werden. Eine solche Behauptung des sich wandelnden Künstlerselbstverständnisses, kann in verschiedene Richtungen interpretiert werden. Einerseits ist es das Konstatieren einer schwindenden (ökonomischen) Aufmerksamkeit für die Kunst, aber auch das sarkastisches Betonen einer entgültigen Verkapitalisierung des Kulturproduzenten im Verlauf des gegenwärtig stattfindenden gesellschaftlichen Umbaus. Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit der Öffnung gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit zeichnete sich auch für UTV auf der Messe2ok ab, waren die selbstorganisierten Künstler doch wieder einmal relativ unter sich geblieben. In der deutlichen Willensbekundung diese Isolation zu überwinden und sich nicht weiterhin in Abgrenzungsgefechten aufzuhalten unterscheidet sich das Projekt UTV zumindest teilweise von der sonstigen Selbst-Genügsamkeit einer immer weniger selbstgewählten 'Dissidenz'.

Noch weit entfernt von einer Sendefrequenz wurde dieses Konzept im Mai dieses Jahres in einem ersten Pilotprojekt getest. Dabei bediente sich das UTV-Kollektiv einer vernetzenden Kollaborations - und Distributionsmethode nach dem Schneeballprinzip: Etwa 30 Videokooperativen, Künstlerinnen und 'Labels' aus 20 Städten waren eingeladen, einen maximal 3-minütigen Beitrag über die Woche des 1. Mai zu produzieren. Allen Beschwörungen einer Überwindung der Selbstbezüglichkeit zum Trotz blieb aber auch hier die junge Kunstfamilie wieder unter sich. Keine einzige Videokooperative, aber desto mehr KünstlerInnen und -Gruppen, schickten Beiträge nach Köln, wo das Material zu sechs halbstündigen Blöcken zusammengestellt wurde. Die beteiligten Produzentinnen aus siebzehn Städten sollten anschließend für diese Mammut-Wochenschau jeweils eine Öffentlichkeit herstellen, dabei sollte es um eine " Intensität der Auseinandersetzung und weniger um die Zahl der Zuschauer" gehen. Diese Methode des gemeinsamen und dezentralisierten Vertriebs in Offenen Kanälen, Kinos, Kneipen, Wohnzimmern, Eisdielen und Kunsträumen ersetzten dabei mit über siebzig Vorführungen innerhalb weniger Wochen die mangelnde Frequenz.

Wie vermutlich auch in anderen Städten ließ die Vorführung im ehemaligen FDJ Heim in Leipzig gewisse Probleme erkennen, bei drei Stunden Länge mit über fünfzig Kurz-Beiträgen ließ sich Ärger und Langeweile im Publikum nicht vermeiden. Die teils künstlerisch-metaphorischen Beiträge kreisten oft unbeholfen um privat Erlebtes, die Farbe Rot oder das Thema Arbeit im Allgemeinen. Mir schien, als ginge es manchen Beteiligten nur darum ihre Namen in das Projekt einzuschreiben. Andere Videos bemühten sich dagegen um thematisch aktuelle Berichtform, um kritische Nutzung ihrer künstlerischen Möglchkeiten. Oft macht sich auch der Wunsch eines Aufbegehrens bemerkbar, aber er fand selten zu einer kritischen Analyse oder einer überzeugend widerständischen Form.

Das Zuschauen fiel mir anfangs nicht leicht, doch läßt man sich auf den vorgegeben Rhythmus einmal ein, dann entdeckt man auch bald seine Lieblingsbeiträge und lernt die Unterschiedlichkeit der Ansätze eben doch schätzen. Schließlich sieht man das Konzept der Wochenschau als einen Rahmen um diese "Alexanderschlacht", in der Schwächen und Stärken der zeitgenössischen Kulturproduzentinnen ein Stimmungsbild des Mai 1996 ergeben. Als "Grunge im Vormärz" läßt sich auch der Versuch der UTV-ler befürworten, alle eingesendeten Beiträge erst mal, in Spannungsbögen aufbereitet, zu 'senden'. Doch wird eine wünschenswerte Weiterführung dieses Ansatzes nicht um die Arbeit herumkommen, das Konzept für die Produzentinnen verbindlicher zu machen und die Beiträge für die nächste Wochenschau gezielter zu koordinieren.

(Denise Bergmann ist Journalistin und lebt in Leipzig.)

* Die Cassette der Wochenschau mit über 3-stündiger Spielzeit und Beiträgen u.a. von: -Innen+, Posterstudio, Nummer, Vor der Information, Freies Kolloquium, Super Umbau, Neid, I.D.I., Ralf Kietz, Stefan Römer, Dany/ Wermers, Till Krause, Florian Hüttner, Thaddäus Hüppi, Susanne Loehr, Parkfiction, Microstudio Surplus, Zehrers Kaderschule, Klasse Zwei, JAAAA... ist für DM 40,- bei UTV zu bestellen.


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