Ein Gespräch über Video und Distribution mit Horst Gaukel.

 

 




Stephan Dillemuth: Um uns herum stehen tausende von Video-Cassetten, wann hast Du angefangen das alles zusammenzutragen?

Horst Gaukel: Wir haben angefangen zu sammeln, seit es Amateur-Videogeräte gibt. Damals wurden die Videobänder noch auf Spulen aufgewickelt. Wir haben alles aufgezeichnet was uns zugänglich war: zunächst Fernseh-Sendungen, um zu ergründen, wie dieses Medium funktioniert, was als Information gesetzt wird, wie auch sie eine ästhetische Komponente hat. Wir haben dann das Material in Collagetechnik verfremdet und verdichtet, und stellten es in neuen Zusammenhängen zur Diskussion; in unserer Galerie, in Kulturzentren oder in kleinen Kinos. Hin und wieder waren wir mit der Kamera unterwegs, ohne aber zu versuchen, eine fernsehmäßige Ästhetik hinzukriegen. Unsere Videos nahmen fast immer Bezug auf aktuelle Ereignisse: zum Beispiel Startbahn Frankfurt West oder die ganze RAF-Geschichte.

SD: Habt ihr das auch kommentiert?

HG: Nur durch die Art der Montage. Das bearbeitete Fernseh-Material sollte für sich sprechen und unsere Aussagen zu den Ereignissen ebenso unzweideutig hervorbringen, wie unsere Kritik an der Desinformationspraxis der Fernsehberichterstattung.

Schon während des Sammelns fängt man an zu strukturieren. Schwerpunkte werden gebildet. Man merkt, daß das Sammeln eine ganz eigene Geschichte ist.

Lustig wird es, wenn gelegentlich Fernsehleute in unserem Archiv recherchieren, und unsere TV-Collagen entdecken. Sie haben ja unwissentlich Material beigesteuert. Manchmal fielen unsere Videos in die Hände von Leuten, die ähnlich arbeiten wie wir. Die traktierten unser Material nun ihrerseits, und gaben es, sozusagen in zweiter Generation verfremdet, ins Archiv zurück. Unser Cassetten-Bestand hat mittlerweile gigantische Ausmaße angenommen.

SD: Das lagert alles hier?

HG: Ja. Mit dem Anwachsen der alternativen Video-Szene entstand eine Menge interessanter Produktionen, die uns überlassen wurden, im Ringtausch mit unseren Videos.

SD: Vielleicht könntest Du erzählen wie alles anfing?

HG: Ganz zu Anfang, 1974, hatten wir nur mit bildender Kunst zu tun. Wir betrieben eine Art Selbsthilfe-Galerie, wo alle Formen zeitgenössischer Kunst zur Diskussion gestellt werden sollten: und zwar so unterschiedliche Ansätze wie Raum-Inszenierungen, Performance, experimentelle Film-, Musik- und Lyrik-Aktionen.

Die Künstler organisierten die Galerie (B.O.A.) selbst. Finanzielle Unterstützung kam von Leuten, die man normalerweise gar nicht in Verbindung mit Kunst bringt. Da waren u.a. Naturwissenschaftler-Innen und Ingenieure dabei.

SD: Wie kamen denn die dazu?

HG: Als Nachwirkung der 68er Jahre war bei ihnen das Bedürfnis gewachsen, aus dem Alltagstrott auszubrechen. 1968 bis 1970 war ja einiges losgewesen, danach war erst einmal wieder Ruhe.

Wie ich nach München kam, schienen mir die Kontakte zu Studenten und Professoren der Kunstakademie am interessantesten und wir dachten es müsse wieder ein bißchen mehr geschehen. Wir haben dann Kellerräume gesucht und gefunden, in denen man experimentieren und lärmen konnte. Bald stießen auch Leute aus dem Umfeld der Filmhochschule und der Universität dazu. Aus allen Bereichen kamen Interessierte, die mit Neugierde verfolgten, was wir da trieben.

Schon bald begannen wir uns auch mit Video zu beschäftigen, und stellten fest wie gut sich dieses Medium i aus der Galerie heraus tragen läßt, in den öffentlichen Raum hinein. Daraus erwuchs unsere Video-Kooperative.

SD: Mitte der 70er Jahre entstanden in vielen Städten Medienoperativen. Haben denn damals Kluges und Negts Theorien einer "Gegenöffentlichkeit" eine so große Rolle gespielt, oder wie wart ihr motiviert?

HG: Daran orientierten wir uns nicht. Wir überlegten, auf der Grundlage der eigenen Praxis, wie unsere kulturellen und politischen Anschauungen mediengerecht vermittelt werden können, ohne daß Form und Inhalt zueinander in Widerspruch geraten.

Wichtig war es, die Beschränktheit des verwendeten Mediums immer mit aufzuzeigen, also das Medium Fernsehen auseinanderzunehmen, mit seinem eigenen Material. Politisch setzten wir uns mit Themen der sogenannten "sozialen Bewegungen" auseinander. Unsere Kamerateams waren immer mitten im Demonstrationsgeschehen, sie haben aber auch gezeigt, was dabei blöd läuft. Welche Illusionen da erzeugt werden und wie harmlos das doch eigentlich ist, wie fragwürdig. Wir haben also eine Kritik der Bewegung versucht. Das konnten wir uns leisten, weil wir dazu gehörten.

SD: Wo wurde das dann gezeigt, was ihr produziert habt?

HG: In den Jahren 1976 bis 1984 gab es viele Großveranstaltungen der Hausbesetzer-, Anti-AKW- oder Friedens- Bewegung, wo unsere Video-Pamphlete gezeigt wurden; gewissermaßen zur thematischen Einstimmung. Danach gab es Debatten.

Gleichzeitig haben wir das auch im kleinen Rahmen durchgeführt; in unserer Galerie, im Werkstatt-Kino oder im Maxim-Kino, anschliessend wurde immer lange diskutiert.

SD: Ins Fernsehen kam es aber nicht?

HG: Das wollten wir ja gar nicht! Wir sagten immer, daß das keinen Sinn macht. Das Fernsehen ist doch überhaupt nicht in der Lage, Bewußtseinsänderungen zustande zu bringen. Die Fernsehmacher verfügen über ein Medium, das sie in der Regel überhaupt nicht begreifen. Die machen eigentlich kein Fernsehen sondern schlechten Rundfunk.

SD: Also ihr habt nicht daran geglaubt, daß ihr mit euren Möglichkeiten auch Fernsehen und Sehgewohnheiten verändern könnt.

HG: Nein! Also Fernsehen, das wollten wir überhaupt nicht machen. Wir suchten mit den eigenen Mitteln die direkte Auseinandersetzung vor Ort. So haben wir beispielsweise auf dem Münchner Marienplatz Monitortürme aufgestellt, und konfrontierten Passanten mit den möglichen Folgen der atomaren Aufrüstung.

SD: Und was hältst Du vom offenen Kanal?

HG: Als wir merkten, daß kommerzielles Kabelfernsehen eingeführt werden sollte, lehnten wir das total ab. Wir sagten: Das arbeitet in die Hände derjenigen, die ohnehin schon die Macht über Information besitzen. Der offene Kanal war doch nur eine Zuweisung durch den Gesetzgeber, und ist so mit Vorschriften verengt, daß mit ihm nur sozial-psychiatrisches Geplätscher erzeugt werden kann. Ein offener Kanal muß anarchisch sein, also wirklich radikal und unberechenbar, sonst ist er nicht offen.

SD: Es gab ja dann so eine Idee von Vernetzung der Videokooperativen untereinander. Wer hat das denn angeleiert?

HG: Ach, das weiß ich nicht mehr so genau. Ich glaube es war Ende der siebziger Jahre, als erstmals ein fotokopiertes Monatsheft erschien, das dem Informationsaustausch der alternativen Video-Szene dienen sollte: das CUT-IN. Video-Aktivisten und Medienwerk-stätten beschrieben im CUT-IN ihre Produktionen und Projekte und diskutierten medienpolitische Vorstellungen. Letztendlich lief die gleiche Diskussion, wie sie vorher schon einmal von den Vertretern des "Jungen deutschen Films" geführt worden war. Das war wie Feuilleton und das war's dann auch.

Die Medienzentren nannten sich zwar "alternativ", tatsächlich aber wollten sie Fernsehen machen, um bekannt zu werden, um so an die großen Moneten ranzukommen.

SD: Sinn und Zweck von einem Netzwerk ist ja, daß man zusammenarbeitet. Ist denn da was passiert?

HG: Hin und wieder gab es eine gute Zusammenarbeit, zum Beispiel während des Streiks der Bergleute in England 1983/84.

Wir hatten damals eine unabhängige englische Medien-Kooperative kennengelernt, die mit Unterstützung des britischen Gewerkschafts-Dachverbandes Video-Clips über den Streik erstellten. Die synchronisierten wir und verteilten über hundert Kopien an die alternativen Video-Zentren. Diese 15 minütigen Videos waren verdammt gut geschnitten: agitatorisch wohl, aber inhaltlich unmißverständlich auf den Punkt gebracht und mit fetziger Rockmusik unterlegt. Die Clips wurden schnell zum Publikums-Renner, nicht nur bei Solidaritätskampagnen. Der Reinererlös kam den Bergarbeiter-Familien zu Gute.

Da war also was entstanden, mit Gewerkschaften und unabhängigen Gruppen zusammen, was zur Streikmobilisierung sehr gut beigetragen hat. Der Streik dauerte zwei Jahre.

SD: Videoarbeit war aber nicht immer so effektiv?

HG: Was die Video-Bewegung betrifft, hat sich das leider allzu schnell gelegt. Plötzlich bekam Video einen ganz schlechten Touch. Es kamen Videotheken auf, die hauptsächlich Kassetten anboten, die das Massenpublikum bedienen: Gewaltvideos, Pornos.

Sagten wir: "Wir machen Videos", dachten man nun zuallererst an Sexfilm.

SD: Wie hätte man mit dem Material einer sogenannten "Gegenöffentlichkeit" eine gewisse Öffentlichkeit erreichen können?

HG: In Videotheken ist ja nur das Material von großen Filmfirmen präsent. Die Alternative wäre, daß es Bibliotheken gäbe, die auch kämpferische, gesellschaftskritische Videos in ihren Bestand aufnehmen. Aber da herrscht wohl die Angst vor, Material im Regal stehen zu haben, das nur schwer zu kontrollieren ist.

Ich fände es auch gut, wenn man in Buchhandlungen oder Ausstellungsräumen kleine Video-Archive einrichten könnte; das braucht ja nicht viel Platz. Gleichzeitig sollten dort Texte, Schriften und Bücher ausliegen, die sich auf das beziehen, was auf den Video-Cassetten zu finden ist. Wo die Leute also reingeraten, Bücher kaufen wollen, nun aber auch mit dem Archiv konfrontiert werden und sich auf andere Weise informieren und das Material kopieren können.

SD: Also Video wird gehandhabt wie eine Fotokopie.

HG: Es ist doch ein zeitgemäßerer Umgang mit Information, wenn man etwa über Fernsehmaterial, das über den Äther empfangbar ist - das kommt ja frei daher - auch frei verfügt. Läßt sich ein Autor auf Fernsehen ein, muß er in Kauf nehmen, daß es ausgestrahlt, aufgenommen und kopiert wird, um weitergereicht zu werden. Hat jemand eine Botschaft und läßt sie in die Welt hinaus, nimmt er in Kauf, daß jemand die Botschaft nimmt und mit ihr etwas anstellt... - Natürlich ist die Gesetzeslage eindeutig und verbietet in der Regel einen solchen Umgang mit Fernsehware. Trotzdem bleibt vieles möglich, auch wenn man sich bezüglich Copy- und Leistungsschutzrechte häufig in Grauzonen bewegt. Natürlich ist klar, daß fremdes geistiges Eigentum nicht mißbraucht werden darf.

SD: Vertreibst du dann dein künstlerisches oder dokumentarisches Erzeugnis selber? Dann kriegst du den Erlös!

HG: Nein, das mach ich eben nicht mehr. Das führt genau in die Sackgasse, weil man dann Kaufmann ist.

In der Weise, wie wir arbeiten und mit diesen Inhalten funktioniert das nicht. Was für uns viel wichtiger ist, daß ein gesellschaftliches Klima erzeugt wird, mit der Neugierde über Inhalte zu diskutieren. Das scheint aber vorbei zu sein. Im Moment herrscht leider völlige Erstarrung.

SD: Ich dachte, ihr habt eure Videos deshalb gemacht um anzustacheln?

HG: Dazu braucht man ein Netzwerk von Personen, die ihrerseits aktiv werden. Es geht nicht mehr darum, irgendein Produkt zu machen, das man dann wie ein Konsumartikel vertreibt, oder darum, einen Fernsehsender professionell zu bedienen. Es braucht vor allem Leute, die ihren Schädel anstrengen. Also, wie können wir Inhalte mit den Medien die wir kennen am wirkungsvollsten rüberbringen? Wo finden wir einen Ort, wo wir das gut machen können? In welchem Rahmen soll das passieren? Vielleicht entsteht so ein Projekt, das nach eins, zwei Jahren Vorbereitung zum Abschluß gelangt, und dabei haben alle Beteiligten die notwendigen Erfahrungen gemacht, um zu wissen, was man das nächste Mal anders machen kann; an einem anderen Ort und in anderem Zusammenhang.

Es darf nicht gefragt werden, ob da viele Menschen hinströmen. Dann sollte man Fernsehen machen; da schauen viele zu. Nein - vielmehr geht es darum, daß man Themen möglichst kompromisslos darstellen kann.

SD: Und wie funktioniert diese Darstellung im Verhältnis zur Öffentlichkeit? Die Vertriebsidee, sagst du bringt's nicht, in die Ausstellungen gehen vielleicht 100 Leute ...

HG: Ja!

SD: ... aber die Frage ist, gibt es andere Wege?

HG: Nein, bleiben wir bei den 100 Leuten, denn es kommt nicht drauf an, daß man 2000 Leute unterhält; es sind ja immer die wenigen, die wirklich offen sind, um auch ungewöhnliches aufzunehmen. Die tauchen dann in andere Zusammenhänge ein, wo sie das Erfahrene auf ihre Art einbringen. So vernetzt sich's, ganz ohne dieses Mainstream-Brimborium, ohne diesen medialen Scheinglanz. Es vernetzt sich in den Köpfen.

SD: Gut, das hat schon in den 70er Jahren nicht so hingehauen.

HG: Das weiß man doch gar nicht! Natürlich spielt der kulturelle, politische und soziale Zustand der Gesellschaft eine ganz große Rolle, ob sich, und wie sich etwas durchzusetzen vermag. Die Geschichte kennt ja Phasen mit hundertjährigem Stillstand. Und trotzdem gab es Leute, die sich zusammenfanden und öffentlich unbemerkt Ideen und Utopien weiterentwickelten. Häufig lieferten dann diese Menschen das notwendige Ferment für gesellschaftliche Aufbrüche. Und da niemand weiß, wann die Zeit dafür reif ist, ist es wichtiger, unsere Projekte nicht den Bedingungen schnelllebiger Massenmedien zu unterwerfen, sondern die Kontinuität fortschrittlicher Ideen in den Köpfen zu pflegen, und zwar über allen gesellschaftlichen Stillstand hinweg.

Gestern Mittag sah ich mir im Archiv den Ausschnitt einer alten Bundestagsrede an. Da spricht Willi Brandt wie selbstverständlich über Grundfragen der Demokratie, und es wirkt alles total stimmig. Also was er da sagt, ist im Grunde so gut, so dicht, wie es kein heutiger Parlamentarier mehr hinkriegt. Ich war völlig überrascht, wie damals der Bewußtseinsstand gewesen sein muß, und daß man im Parlament noch über Grundfragen der Demokratie streiten konnte. Das schien so selbstverständlich und ist heut doch unmöglich.

SD: Siehst du die Sammlung historisch, also wie eine Weitergabe, Übermittlung eurer Ideen an eine jüngere Generation,

HG: Unser Archiv birgt eine gewisse Kontinuität. Von wem und wie sie wahrgenommen wird, und ob sie qualitativ und inhaltlich fortschrittlich ist, das weiß ich nicht. Ich merke nur, daß die Zusammenarbeit mit jungen Leuten sehr gut ist. In jüngster Zeit besteht wächst wieder das Interesse an unserer Arbeit. Die Archiv-Nutzung nimmt zu. Es geht dabei nicht ums Geld, sondern immer um die Inhalte. Das Finanzielle steht also nie dazwischen.

Etwa ab 1986 begann ein freundschaftlicher Erfahrungs- und Materialaustausch mit einigen der sogenannten "Info-Läden". Sie fungieren als Info-Netzwerk der militanten links-autonomen Szene (Punk-, Antiimp-und Antifa-Gruppen). Die Medienpraxis dieser Läden ist der unseren sehr ähnlich.

SD: Siehst du da neue Ideale von Gemeinschaft, das Produktionskollektiv, die Vernetzungsgedanken, ja , überhaupt dieses: "Gemeinsam sind wir stark". War das nicht alles schon einmal zerbrochen?

HG: Wir hatten keine Illusionen. Wenn man weiß, wie Menschen miteinander umgehen, dann ist der Glaube, man könne durch Kollektive alle ökonomischen und zwischenmenschlichen Probleme lösen, einfach nur großer Quatsch. Wir waren immer davon überzeugt, daß es die gemeinsame Sache ist, die uns bindet. Und weil jeder voll und ganz dahinter steht, ist jeder auch der Meinung, daß man das packen kann, und zwar ohne Hierarchie. Wir hatten uns eine Aufgabe gestellt, die war interessant und wir waren aufsässig, haben uns eingemischt. Jeder hat mitgemacht, soweit es ging; auch Leute, die überhaupt nicht zur Kooperative gehörten, die irgendwann einmal eine Veranstaltung von uns besucht hatten und danach immer dabei waren, wenn eine Aktion ablief. Im strengsten Sinne ist die Kooperative also nicht umgrenzbar.

Ich meine, das klingt jetzt alles recht gut. Natürlich gab es auch Krisensituationen, wo man dachte, es müßte uns finanziell besser gehen und wir müßten uns in die etablierte Szene integrieren. Aber auf lange Sicht haben wir den richtigen Weg beschritten: Wir müssen keine faulen Kompromisse machen, wir korumpieren uns nicht. Unser Projekt gäbe es längst nicht mehr - oder wäre bis zur Unkenntlichkeit verwässert- wenn wir es wie andere gemacht hätten.

SD: Was waren denn die Fehler der anderen?

HG: Fehler?... Ich bin nicht nachtragend, weil ich weiß wie schwierig es ist, unter den gegebenen Verhältnissen im kulturellen Alternativ-Bereich wirtschaftlich zu Rande zu kommen. Sehr schnell landet man bei ökonomischen Grundsatzdebatten. Selbstausbeutung und Hoffnung auf Geld aus irgendwelchen Sozialtöpfen trägt auf Dauer inhaltlich nicht, hieß es schon bald im "Cut-In", dem Organ der alternativen Video-Szene. Die Diskussion, wie gut oder schlecht Professionalisierung sei, wurde sehr heißblütig geführt, auch in unseren Reihen. Als erste produzierten die großen Medienwerkstätten mit professioneller Technik, weil man angeblich den Leuten, "schmutzige" -mit drop-outs und Farbzittern versetzte - Videos nicht mehr zumuten konnte. Sie erhofften sich damit besseren Zugang zu den etablierten Medienverwertungseinrichtungen, also Fernsehen etc..

Zwangsläufig stiegen nun die Produktionskosten. Kommerzielle Dienstleistungen mußten angeboten werden, damit genügend Geld hereinkam. Zunehmend konkurrierte man mit profitorientierten Videofirmen. Da die Auftraggeber sendefähige Produkte verlangten, mußten Geräte angeschafft werden, die nur mit Bankkrediten finanzierbar waren.

Jetzt gehören einem die Produktionsmittel nicht mehr, faktisch sind sie in den Besitz der Bank übergegangen. Man ist nicht mehr frei, ist Sklave der Technik und der Auftraggeber. Das verändert natürlich die Inhalte der Arbeit.

Der Drahtseilakt zwischen dem Versuch, emanzipatorischen Ansprüchen gerecht zu werden und der selbst geschaffenen Situation, fremdbestimmte Produktionsverhältnisse aushalten zu müssen, wird auf Dauer nicht gutgehen können. Zwangsläufig verliert man auch an Glaubwürdigkeit gegenüber gesellschaftskritischen Bewegungen, als deren Mitstreiter man sich einmal begriffen hatte.

Spiegel: Herr B.O.A., wir danken Ihnen für das Gespräch.




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