UNSER
FERNSEHSENDER
(Version 9/95 - Arbeitsprotokoll)
Wie lange siehst du eigentlich schon fern?
So seit dem Ende der sechziger Jahre, damals kaufte sich die erste Familie
bei uns im Dorf einen Fernseher. Da traf man sich zum gemeinsamen Fernseh-Gucken.
Das schwankte zwischen 5 bis 15 Leuten, die sich dort vor dem Apparat
versammelten. Teilweise aus Neid begannen sich dann schnell weitere Nachbarn
einen TV zu kaufen. Bevor es Fernsehen gab konntest du in den anderen
Häusern spazieren gehen. Niemand schloß seine Tür ab.
Plötzlich konnte man sehen was noch auf der Welt geschieht. Ab da
waren alle Türen verschlossen.
Gut erinnere ich mich noch wie mir ein Freund erzählte, daß
in der Kinderstunde 'Jim Knopf und die wilde 13' laufen würde. Da
machte ich vor Freude einen Kopfsprung in den Schnee und blieb stecken.
TV war bei uns pure Unterhaltung, bzw Unterstützung der Erziehung.
Als wir die Achtundsechziger auf der Straße brüllen sahen,
sagte mein Vater, wenn du mal studierst, dann gehst du nicht mit denen.
Bei mir begann es etwas später. Ich erinnere mich noch genau an einen
Abend bei meinen Großeltern. Eigentlich sollte es die "Meuterei
auf der Bounty" geben, die durfte ich sehen. Aber der Spielfilm wurde
immer unterbrochen, um die neuesten Informationen über die 'Watergate
Affäre', die an dem Abend ans Licht gekommen war, zu vermelden. Da
mußte ich immer aus dem Zimmer, weil das eine reale Meldung war.
Wenn der Spielfilm weiter ging, durfte ich wieder rein.
So war das damals, heute wollen selber Fernsehn machen.
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DIE BISHERIGEN SPIELREGELN
1. Offene Kanäle
Kann man denn überhaupt in einen Apparat hinein ohne gleichzeitig
dort zu verkümmern? Natürlich kann man jederzeit ganz unverbindlich
über den 'Offenen Kanal' senden, aber auf Dauer macht das nicht glücklich.
Die meisten OKs sind Musterhäuser der sozialstaatlichen Einebnung
der Unterschiede zwischen Krankenhaus, Schule oder Gefängnis. Ohne
Gitter und Betten können die Fertigteile auch einen Fernsehsender
verkörpern. Die Angestellten machen als Verwalter der Übertragung
ihre Arbeit und wirken total gleichgültig gegenüber dem gesendeten
Material. Wie überall genießen einige der (TV-)Sozialarbeiter
ihr bißchen Macht gegenüber den Betreuten, die sollen dankbar
sein für die Zuteilung der medialen Sozialhilfe. Eine Selbstausbeutung
der Benutzer wird prinzipiell vorausgesetzt, die Produzenten werden in
keiner Form honoriert.
Hast noch 'ne offene Rechnung mit denen?
Ja, aber die zahlen eben nicht.
Die Konstruktion der Offenen Kanäle verwässerte in den 80er
Jahren die 'linke Kritik' an der Verkabelung, die ein Übergewicht
des privatwirtschaftlichen Fernsehens befürchtete. Nach amerikanischen
Modell ließen die Landesregierungen einen Kanal übrig, in dem
jeder senden darf. Pro Jahr investiert der Hamburger Senat 1,3 Millionen
Mark in diesen, ausgesprochen billigen, Demokratie-Beweis. Erstmal bedeutet
das Offen-für-alles Prinzip, daß keine Zensur ausgeübt
wird. Jeder kann senden was er will, denn er haftet im Sinne des Mediengesetzes
dafür.
Dennoch behält sich der OK eine Art Aufsichtspflicht vor, denn inzwischen
ist seine Existenz nicht mehr rechtlich verankert. Es soll sie, muß
sie aber nicht geben. Gleichzeitig formieren politische Interessen, die
die OKs einzusparen wollen, die jede Chance für Angriffe auf deren
Existenz nutzen.
"Ich kann nur hoffen, daß meine Tochter nicht zufällig
diesen Unsinns-Kanal angezappt hat. Wozu gibt es eigentlich Fernsehkontrolleure,
wenn derartiges nicht endlich gestoppt wird?! Mir unbegreiflich."
(Redakteurin der Hamburger Morgenpost).
Die Angriffe in Hamburg richteten sich größtenteils gegen die
Beiträge homosexueller Männer: Kinderpornographie-Vorwurf gegen
das schwule Magazin "Blow up", unter Federführung von BILD
und NDR. Rechtlich nicht haltbarer Pornografie-Vorwurf gegen eine Sendung
über AIDS von ALLIED PRODUCTION. Ein Zuschauer behauptete, beim Anblick
zweier küssender Männer sei ihm das Abendbrot im Hals stecken
geblieben, woraufhin der OK Zensur-Maßnahmen einleitete ... Diese
offene Homphobie ist um so grotesker da das deutsche Fernsehbewußtsein
von Homosexuellen erheblich mitbestimmt wurde - Köpcke, Wieben, Biolek,
Faßbinder, Pumuckel etc.
Macht der Angst
Auf solche Presse-Angriffe gegen Beiträge im OK reagieren einige
der Mitarbeiter aus Angst vor Arbeitslosigkeit mit einer defensiven Position
und zensieren oder vergeben an bestimmte Personen schlicht keine Sendezeit
mehr. OK-intern gibt es zu dem ein informelles 'Strafsystem' für
'Vergehen', das sich von `Zeitsperren' bis zum 'lebenslänglichen'
Ausschluß staffelt.
Die OKs bieten fast keine ernstzunehmende Programmstruktur, an der sich
der Zuschauer orientieren könnte. Die X-Beliebigkeit läuft sich
auf die Dauer leer Und es guckt wieder mal keiner hin. Als Basis eines
demokratischen Pools sind die OKs selbstverständlich zu befürworten.
Für eine Veränderung der TV-Realität scheinen sie nur sehr
bedingt brauchbar, da stellen wir uns wesentlich mehr vor.
2. Die Kulturfensterkultur
bei RTL/VOX/PRO7 etc ist ein Deckmäntelchen zur Stabilität des
privatwirtschaftlichen Fernsehens, mehr nicht. Bei Vergabe der Sendelizenzen
wurden die Privatwirtschaftlichen Kanäle darauf verpflichtet bestimmte
Fenster für Kultur-Produzenten offen zu halten, denn von vorneherein
war klar, daß rein propagandistische/ wirtschaftliche Interessen
diese Sender dominieren würden.
3. Arte
könnte als konservative Antwort auf die Kritik an der Verkabelung/Ver-Schüsselung
gesehen werden. Man versucht die Niederungen der Fernseh-Wüste ein
wenig zu kultivieren und dabei entsteht gleichzeitig ein bestimmtes Bild
von Internationalität, das in der Festung Europa Standard werden
soll. Als Nebeneffekt wird aber vorgeführt, daß dieses 'gehobene
Niveau' fast niemand (2%) interessiert. Nur der Kulturproduzent freut
sich doppelt, denn er ist auserwählt und es gibt auch noch ca. 1500
Mark pro Minute.
Bei ARTE will ich nicht enden! Da bist du sofort wieder im Kunstknast
drin. Egal was du machst, es ist vorcodiert.
Du mußt da nicht enden, aber man kann Teile davon benutzen. Ich
bin froh, daß ich über ARTE bestimmte Dokumentarfilme überhaupt
sehen kann, die sonst nirgendwo laufen.
Wenn es darum geht, das ins Fernsehen zu bringen, was bisher vor der Tür
bleiben mußte, dann sind die Grenzen bei ARTE zu eng gesteckt. Die
wenigen aus dem Raster herausfallenden Beiträge dieser Art sind meist
verkürzt und als kuriose Kunststückchen verpackt.
Immer sieht es so aus als ginge es nur noch um die Bedienung neuer Sparten.
Dabei ist die Angelegenheit mit dem Spartenfernsehen längst verdreht,
jetzt gibt es schon eine Sparte für die weibliche Mehrheit.
Wie aber kann eine spezifische Vitalität und ein Zielpublikum erreicht
werden und trotzdem sehr Heterogenes gegeneinander stehen?
Agressiver Pluralismus?
1. Es ist wichtig, daß unsere Sparte auf keinen Fall 'Kunst' heißt
und wieder das gehabte Publikum bedient. Will man eine Konsumenten-Haltung
knacken, scheint die Kategorie Kunst denkbar ungünstig, da sie immer
noch mit einer extremen Hierarchie zwischen Produzent und Rezipient besetzt
ist. Um zu einer stärkeren Interaktion (bzw langfristigen Aufhebung
der Grenzen zwischen Konsument und Produzent) zu gelangen scheint es sinnvoller
das Terrain der Kunst zu verlassen.
2. Form und Inhalt werden durch die ökonomischen Bedingungen definiert.
In der Konsequenz bedeutet das, inhaltliches Anliegen und ökonomische
Tragfähigkeit möglichst adequat miteinander zu verknüpfen.
EIN SICH SELBST TRAGENDES FERNSEHMODELL
Wie könnte ein Sender aussehen der nicht mehr von staatlichen Subventionen,
Geldern der Industrie (Werbung, Sponsoring) oder Kulturnischen bei RTL,
bzw der Nischen-Kultur und Ghettoisierung bei ARTE abhängig ist?
Wie können innerhalb eines Sparten-TV Felder besetzt werden, ohne
daß es "Kunstfernsehen" heißt?
Für unabhängige, semiprofessionelle Produzenten wäre es
notwendig, im Bereich zwischen unbezahlter X-Beliebigkeit und gut bezahlten,
offiziellem Fernsehn, das ausgrenzt und entschärft, eine selbstverwaltete
Zwischenlösung zuerarbeiten. Kann eine bestimmte Öffentlichkeit
ihr eigenes Fernsehen finanzieren?
Ein kommerzialisierter Offener Kanal?
Aber nicht als milde Gabe sondern als reelles Angebot und getragen durch
die Zuschauer, die die Struktur benutzen. Will man von staatlicher Einflußnahme,
dessen Zuschüssen unabhängig sein, muß man versuchen eine
eigene Ökonomie zu entwickeln. Und das einzige was man zu verkaufen
hat, ist Zeit. Das ist zwar ähnlich wie bei RTL , nur daß dort
die Anforderung an Produktion und Konsumption und ihre Abhängigkeit
von der Wirtschaft ins Maßlose abgekippt und deshalb völlig
vom Zuschauer entfremdet ist.
Näher daran wäre ein Tante Emma TV ?
Es gibt eine immer größer werdende graue Zone außerhalb
der Überwachung durch Steuer und Marktforschung: Ankauf/ Verkauf/
Tausch.... Flohmärkte, Glücksspiel, Lotto, Schwarzarbeit...
Sei es aus Notwendigkeit oder Not, aus Glücks- oder Identitätssuche,
ich sehe das als eine Art Revanche durch der Affirmation des momentanen
Alterungs-und-Reife-Prozesses des Kapitalismus.
Die Struktur mit ihren eigenen Mitteln überholen?
So klassisch könnte es versucht werden. Langfristig geht es natürlich
darum, daß keine Spezialisten mehr nur-Fernsehen-machen, sondern
viele eben-auch-Fernsehn-machen.
Ein ökonomisch tragfähiges Modell dafür sind die Anzeigenblätter,
die zusätzlich eine eigene Subkultur in Texten und Kommunikationsstrukturen
entwickeln. Wenn man so etwas jetzt auf Fernsehen überträgt,
d.h. Sendezeit zu sehr niedrigen Preisen anbietet, könnten Privatleute
diese Zeit für Kleinanzeigen, aber auch für ganz andere Äußerungen,
erwerben. Das Dumping unterläuft aber die gängigen Standards
soweit, daß es in jeder Hinsicht für kommerzielle Anbieter
uninteressant wird, die bleiben also draußen. Aus dem Ertrag der
Kleinanzeigen kann zusätzlich ein redaktionell betreutes Low-Budget-Programm
am Abend finanziert werden. Die momentane Selbstausbeutung würde
abgefedert und eine relativ autonome Sendezone installiert.
Billig-TV wird mit seiner eignen Zuspitzung geschlagen. Würde die
Sekunde für 2 Mark verkauft, dann kostet eine Sendeminute die Privat-Kundin
120 Mark (Kleingewerbe zahlen entsprechend mehr), soviel wie eine Kleinanzeige
in der Tageszeitung. Der 10 Stunden-Betrieb eines solchen Programms würde
täglich 72.000 DM einspielen, rechnerisch bedeutet das einen Jahres-
Umsatz von 26 Millionen DM, sprich, den 20-fachen Etat des OK Hamburg.
Und damit kann der weitere Sendebetrieb, Redaktionen und Frequenz finanziert
werden.
Aber dafür mußt du ein paar Millionen Tapes wechseln!
Na und. Fast jeder könnte Sendezeit erwerben (siehe auch 25 %ige
Happy Hour und Jugend-Tarife) und das Konstrukt würde die Entfremdung
zwischen Zuschauer und Sender verkürzen. Das Geld läuft nicht
mehr über die Warenströme der großen Werbeanbieter und
diverse Zwischenhändler, sondern über den Zuschauer direkt,
der selber Waren, Arbeit oder Produkte anbietet, es wird weitgehend sein
Fernsehsender.
Das gibt praktisch schöne Bilder. Kleine Filme über das offerierte
Auto, in denen die Federung von der auf den Sitzen hüpfenden Familie
vorgeführt wird. Oder einer zeigt den Zustand des Bodenblechs mit
Taschenlampe und Hammer.
Für zehn Mark könnte ich schnell eine Freundin grüßen
oder verschlüsselte Botschaften an die KameradInnen vom Ufo-Fan-Club
verschicken. Garage-Bands machen auf sich aufmerksam, und da hätte
man vermutlich in der Rubrik 'Musik' ein besseres VIVA im Kasten. Die
schönsten Anzeigen des Tages werden in einem Gameshow-artigen Contest
im Vorabendprogramm wiederholt. Es ist gut denkbar, daß das Anzeigenprogramm
ästhetisch attraktiver wird als die Mühen der Redaktionen.
Die Bänder werden in einem Annahme-Büro eingereicht oder gegen
Vorkasse eingesandt. In den Ballungsräumen des Sendegebiets werden
zusätzlich öffentliche Kamera-Automaten installiert. Ähnlich
wie bei einem Fotoautomaten wirft man 10 Mark ein und bekommt dafür
5 Sekunden Sendezeit.
Damit ist es aber noch nicht getan. Die ganze Frage der Interaktion des
Zuschauers muß noch einmal aufgerollt werden, es gilt nicht eine
Benutzeroberfläche mit ein paar Knöpfchen oder Häppchen
zu liefern, sondern...
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INTERAKTION HEISST, SELBST ZUM PRODUZENTEN ZU WERDEN.
Da fängt der Spaß erst an,einen Versuch zu unternehmen ein
"Fernsehn von ..." zu entwickeln in dem die Redakteure eher
als Koordinatoren arbeiten und nicht als auswählende Elite, die einen
"Journalismus über ..." praktiziert. Die Verfügbarkeit
von Fernsehzeit für selbstproduzierte Kleinanzeigen sollte Motivation
sein, den Respekt vor Fernsehen zu verlieren und anfangen Kritik in Form
von eigener Produktion zu artikulieren.
Nachtprogramm
Beteiligungsfernsehn kann aber auch spielerisch stattfinden. In einer
LowTec-LowCost-Version, ist der Bildschirm nach Mitternacht eine Stunde
lang schwarz und nur die Stimmen von anrufenden Zuschauern sind in einer
nicht-moderierten Konfernzschaltung zu hören. Eine Mischung aus öffentlichem
Forum und Party-Line.
Überhaupt, Partybesuche per Handycam! Zu Gast bei den Extasen der
Gesellschaft!
Beim Nachtprogramm fällt mir der 'Pudel-OverNighter' ein, in dem
Rocko und Schorsch fünf Stunden lang in Berlin unterwegs waren und
die Kamera folgte ihnen in Realzeit, also fast ungeschnitten, durch Spielotheken,
Taxi- und Busfahrten, Kneipen, die Charité, bis zum Flohmarkt morgens
um 6 Uhr. Ähnlich könnte man Semiprominente durch die Metropolen
der Welt begleiten: mit Mark Dion unterwegs in New York, mit Yoko Ono
in Tokio.
Ambient-Fernsehen, Easy-Viewing oder Bildschirmschoner-TV sind wunderschöne
Genres. Wenn ich an Überwachungskameras denke und irgendwann dazwischen
passiert der Banküberfall.
Ich würde gern mal ein paar Nächte lang das Treiben in einem
Ameisenhaufen während des Sonnenaufgangs zeigen oder Operationen,
stundenlange Reisen durch fremde Körper...
Na, na, des geht zu weit.
Die Frühmorgen Abspielstelle.
Heute werden längere Filme meist nur noch als Videoaufzeichnung angeguckt.
Das Ende der Nacht, die Stunden zwischen 4 und 7 Uhr, könnten als
Abspiel-Raum für besondere Filme genutzt werden und das Programm
dafür, mit den VPS-Nummern bzw Anfangszeiten, etc könnte als
preisgünstiger Abo-Brief vertrieben werden. Die Filme fangen nachts
immer zu unterschiedlichen Zeiten an.
Alle schlafen, nur wer den Abo-Brief hat weis Autor, Titel und die Anfangszeit
und programmiert seinen Recorder richtig. Verschlüsselung funktioniert
sowieso nie, die Codes von PREMIERE und MTV sind längst geknackt
und PAY PER VIEW braucht eigentlich nicht bezahlt werden. Die Einnahmen
gehen nach Deckung der Kosten direkt an Filmemacher und Künstler.
Da wären viele Nutzer auch eher bereit zu abonnieren. Eine Art vermittelnder
Werbung für dieses Programm könnte ohne VPS-Code zwischen den
Kleinanzeigen und im Abendprogramm neugierig machen: Guess who.....
Wir dachten fürs erste an Filme von: Jack Smith, Elfe Brandenburger,
Kurt Kren, Yvonne Rainer, Cosima von Bonin, Nick Zedd, Valie Export, Andrea
Fraser, Judith Barry, General Idea, Raymond Pettibone, Adrian Piper, Simin
Farkhondeh, Dan Graham, Jason Simon, Antfarm, Peter Sempel, die Kuchar
Brothers und Underground-Trash wie Richard Kern, Eric Mitchell, Werner
Nekes oder Filmemacher des neuen deutschen Films die im Schatten von Kluge
verschwunden sind, wie Vlado Kristl zum Beispiel. Für Künstlervideos
in voller Länge gibt es bisher keinen wirklich adequaten und kontinuierlichen
Präsentationsrahmen. Mit der Früh-Morgen-Abspielstelle stünden
monatlich schon 120 Std zur Verfügung, ohne überhaupt das Hauptprogramm
zu belegen. Das ist so naheliegend, daß es nur noch gezeigt werden
muß. Archive auswerten, ungewohnte Zusammenstellungen erzeugen,
neue Formen der Moderation und Vermittlung finden. Das haben wir bisher
auch gemacht, sind aber immer an unsere Grenzen gestoßen, weil weder
den Filmemachern Honorare gezahlt werden konnte, noch finanzieller Spielraum
für die Recherche da war. Durch die Finanzierung wäre den Redaktionen
und anderen Gästen, Laien- und Fachfrauen aus anderen Metiers, eine
kontinuierliche, inhaltliche Arbeit möglich.
Mit dem Auswählen und Zusammenstellen von Filmen ist es aber nicht
getan. Fernsehn kann nicht nur Abspielstelle von Filmen sein, sondern
es muß sehr unterschiedliche Arbeits- und Denkformen, wie unsere
bisherigen Versuche, Fanzine, Magazin, Ausstellungs-Raum, Mailbox, Buch,
Video mit einander verknüpfen.
Aber ich sehe mich nicht als Künstler, wenn ich hier mitdenke, eher
als jemand der als Zuschauer auf die andere Seite treten möchte.
Da das Publikum den Sender direkt finanziert, muß es direkt Programm
machen können, es zählen also die Beteiligungsquoten. Und das
ist jetzt kein sozialdemokratischer Schmarrn!
SOAP
ist ein Genre das sich bestens umkehren läßt. Die Handlungsstränge
von Serien und Soaps so entwickeln wie die Surrealisten den 'Cadavre Equis',
die letzte Minute der vorhergehenden Folge wird von immer wechselnden
Autoren weitergeschrieben. Spannend finde ich brasilianische Seifenopern
in der Art wie sie eine "erste Welt" kopieren. Wenn man die
hier zeigt legt das manche Widersprüche offen ohne moralisch zu sein.
Vielleicht muß die Suche nach dem Glück in der Gemeinschaft
nur wesentlich schneller affirmiert werden, damit sie nicht in Stammheim
beendet wird?
Bambule-Soaps könnten Schüler- oder Jugendgruppen in ihren Freizeitheimen
machen! Einzelne dieser Energien werden im Moment von VIVA abgesaugt,
wenn man sie dort für angesagt hält. Der politischere Teil der
deutschen HipHop-Bewegung wäre sicherlich lieber zu einem Nicht-Industrie-Sender
gegangen.
Es muß immer wieder eine Gratwanderung zwischen politischen Aspekt
und unterhaltsamen Glamour beschritten werden.
IN DEN PAUSEN ZWISCHEN DEN SOAPS
1) Sachfilme, fein beobachtete Details die wir aus der "Sendung mit
der Maus" so lieben, das läßt sich als Sujet gut weiterspinnen.
Kurze Darstellungen der realen Welt, "Theorie Praxis, Glaube und
Wissenschaft in 5 Minuten".
2) Die CD, das Buch und die Shareware des Tages - Laienkritiker empfehlen.
3) Gesundheitstips
4) Film- Kritik
5) Veranstaltungsservice, eine Zusammenfassung der gängigen Events
aus Sport, Kultur und Nachtleben.
6) Eine Zusammenfassung außerordentlicher Veranstaltungen. z.B.
alle 14 Tage S/M-Termin-Service oder Roboter-Bastel-Treffen.
Eine besondere Rubrik sollten Leserbriefe, ...äh Videobriefe, bilden,
soweit sie nicht besser dort, wohin ihr Kommentar zielt, gesendet werden.
NACHRICHTEN - DO YOU KNOW WHERE YOUR BRAINS ARE?
Vorspiel: 10 Minuten laut vorgelesener Bildschirmtext aus den Nachrichtenbrettern
der alternativen Networks. Also Informationen aus Bionic, CL-Netz, Alt.
Gruppen im Internet oder The Thing.
Die Privaten haben die Allmacht der staatlichen Stimmen aufgeweicht und
unsere Kritik am Gestammel weiter aufgefächert. Das Ziel von Nachrichten
in einem Sender wie wir ihn entwerfen kann nicht sein, eine weitere beliebige
Auswahl an Tagesereignissen herzustellen und mit manipulativer Bedeutung
aufzuladen. Es geht darum diese Konstruktionen von Bedeutungen zu erschüttern.
Auch wenn die Gefahr besteht in eine reaktive Position zu rutschen, sollte
das Hauptanliegen in einem querlaufenden Subtext der offiziösen Nachrichtenschreibung
liegen und der grundsätzlichen Hinterfragung der Effekte die entstehen,
wenn Informationen über etwas außerhalb der direkten Wahrnehmung
des Zuschauers verbreitet werden.
Ist es nicht der Reiz des Fernsehens, daß die berichtete Realität
außerhalb der eigenen Erlebniswelt liegt?
Bei den Nachrichten wird aber Wahrheitsanspruch behauptet, den könnte
man auch durch Montage und Beschreibung der "offiziellen" Bilder
zerlegen .
Noch mal das Stichwort "Paper Tiger": Kritik dessen was als
Ereignis, weltweit-wichtige Information der Informationsträger verkauft
wird. Was also ist Information = Wahrheit? Warum sollte unsere subjektive
Wahrheitskritik nicht ebenso gelten wie die subjektive Auswahl der Scheininformationen?
Katastrophe hier, Hungersnot da, Krieg dort... Was sind die Zusammenhänge?
Was hat das mit mir zu tun, wie konfrontiert mich das mit der herrschenden
Politik? Wie können Informationen aussehen, die nicht lähmen,
sondern Handlungsspielräume eröffnen?
Gut, aber bis wir das geklärt haben könnten die sogenannten
'20 Uhr Nachrichten' mit kurzen Beiträgen von vielen verschiedenen
Videoaktivisten bestückt werden, und wie ein Trailer für später
stattfindende Berichte und Gespräche funktionieren.
Ich hatte mir vorgestellt, daß die Arbeit der Redaktion versuchen
sollte eine Mischung herzustellen aus Camcorder-Berichten von Beteiligten
und Interviews vor Ort: Stellungnahmen von inoffiziellen Sachverständigen
- da sollten wir schon vorhandene Zusammenhänge einbeziehen, wie
die 'Grauen Panther', 'Die Beute', 'Radikal', 'TzK', 'Chaos Computer Club',
Migranten-Initiativen, Aktivisten der 'Kritischen AIDS-Diskussion', 'Institute
für Sozialforschung'...
Oder das 'Zamir', ein Computernetzwerk im ehemaligen Jugoslawien, das
Nachrichten, Tagebücher und Korrespondenz aus dem Gebiet in andere
Netze einspeist und so ziemlich die einzige Kommunikationsmöglichkeit
zwischen serbischen, bosnischen und kroatischen Bevölkerungsgruppen
nach außen darstellt.
Bei all diesen Überlegungen macht es wenig Sinn bei der Raserei um
Aktualität mitzuhalten. Inzwischen gibt es Hobbyfilmer die fahren
an beliebte Unfallstellen und warten dort bis sie verbrannte Leichen filmen
können. Die Public Enemy-Idee der im "Fernsehn übertragen
Revolution" ist umfassend kapitalisiert worden.
Trotzdem ist es gut, daß bei all den Überwachungskameras ein
Heer von Camcordern zurückschießt! So etwas muß weiterhin
versucht werden..
Man könnte die 20 Uhr Nachrichten der ARD um 22 Uhr mit inoffiziellem
Sach- und Unverstand beantworten. User-gestützte Kommentare zu einem
bestimmten Ereignis oder zur Tagesschau von heute, gestern oder vor einem
halben Jahr, so ließe sich die permanente Wiederholung der offiziellen
Nachrichtenschreibung gut auf den Punkt bringen.
Ich möchte die heitere Seite der Welt nicht vernachlässigt wissen...
Es mag erstmal platt klingen, aber ich möchte positive Nachrichten
dazwischen sehen. Katastrophen-und-Desaster-Programme werden nicht allein
durch das Verschieben der Perspektive gut. Also Karl Heinz Roth statt
Kinkel, das macht den Kohl noch nicht fett. Im Moment klingt mir das alles
zu sehr nach einem Aufköcheln der guten alten linken Ideen. Da sind
wir schnell so asexuell und langweilig wie der Neo-Marxismus. Was für
mich nicht nur bedeutet unattraktiv, sondern weiterhin merkwürdig
perspektivelos. Zudem wird dabei das künstlerische Instrumentarium
vernachlässigt. Zwar wollen wir das herrschende Verständnis
von Kunst und Künstler los werden, aber das darf nicht heißen,
die Werkzeuge die wir gut finden nicht anzuwenden.
Ein Großteil der redaktionellen Arbeit wird darin liegen, in diese
verschiedenen Elemente einen dramaturgischen Spannungsbogen zu bekommen.
Also immer wieder die richtige Mischung zwischen völlig ungefilterten
Verdichtungen, unausgegorener Theorie, geplanter Unterhaltung und vergnügtem
Chaos hinzubekommen. Das ganze bleibt ein 24 Stunden Theater.
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ABENDPROGRAMM ALS DISKUSSIONSRAHMEN
Inzwischen ist halb neun, in New York im Offenen Kanal hat PAPERTIGER
die Frage gestellt "do you know where your brains are" und hier
sitzen Millionen glücklicher Zuschauer vor dem Fernseher und warten
auf die Unterhaltung zur besten Sendezeit...
Sollen wir jetzt so etwas wie ein Abendprogramm versuchen?
Das wird schwierig, weil wir in dieser Phase der Planung über Platzhalter
kaum hinaus kommen. Die Entscheidungen was, wann, wie läuft sind
inhaltliche, kollektive und aktuelle Entscheidungen, die wir allein und
jetzt nicht treffen können. Zu dem wird die Einmischung des Publikums
eine Hauptrolle spielen.
Schön demokratisch! Andererseits steht hier aber:
MONTAG, Künstlerabend und ich habe verstanden, daß man
hier einer Künstler-Person, oder einem Künstler-Kollektiv die
vollständige Gestaltung eines solchen Abends überläßt.
Ich sehe das als Widerspruch!
Wieso? Es geht um verschiedene Methoden, vor allem künstlerische,
die auf Inhalt und Struktur der Sendung angewendet werden. Im übrigen
ist das nicht schwer, weil von den existierenden Kanälen und Programmen
keines ein kontinuierliches Programm dafür bereit hält. Allein
'Aspekte' wirkt wie eine modernere Ausgabe der 'Munsters', die von bohémistisch
gestylten Mutanten moderiert wird.
Der Künstlerabend kann nur dann gut werden wenn es keinerlei Zugeständnisse
an feuilletonistische Allgemeinverträglichkeit gibt. Das heißt
aber, von oben herab wird verordnet, gewertet und exponierte Dilettanten
zu Genies erklärt.
Das ist doch auch anderweitig unsere Politik, daß so das Geniale
Allgemeingut wird! Demokratie ist nicht Programmstruktur, eher Anarchie.
Natürlich hat die Vergabe von TV-Zeit und Öffentlichkeit immer
mit Macht, Eitelkeit, Selektion und Sortiment zu tun, aber hier ist eben
wichtig an wen das vergeben wird, nämlich an die gesammelte Unterhaltsamkeit
der Nicht-Mächtigen. Damit dies Schillern der bisher Ausgegrenzten
langfristig erhalten bleibt ist es wichtig, wer die Guckkastenbühne
wie vergibt. Deshalb müssen die Strukturen, die auswählen und
verteilen offengelegt und kritisiert werden.
Also, wenn am DIENSTAG das Abendprogramm mit einem Tierfilm beginnt,
egal ob meine Nachbarin ein Portrait ihres Hundes zeigt oder ein Biologiestudent
über die Kellerassel berichtet, ist es wichtig, daß solche
Leute eine Präsenz kriegen und nicht Disney und nicht Grzimek. Danach,
das "Starter-Programm" geht noch weiter: Ein ca. anderhalbstündiger
Beitrag von einem Produzenten der noch nie in irgendeiner Form Fernsehen
gemacht hat.
Ist ja schrecklich!
Das glaube ich nicht. Aber es ist natürlich klar, daß wir Bezugssysteme
und Strukturen entwickeln müssen, die aus den Inhalten heraus wachsen.
Da haben wir auch "Das Weltdesaster", eine 20minütige Serie
dessen einzige Vorgabe der Titel ist, die von immer wechselnden Autoren
produziert wird. Anschließend das Fanzine- Fenster, deren MacherInnen
haben auch diesen unbezahlten Drang, sich öffentlich zu machen. Die
Serie vor Mitternacht (Di-Fr) heißt "Das avantgardistische
Viertelstündchen", eine Reise durch die Trauerspiele der Moderne,
Stars von gestern - moderiert von Stars von morgen. Euro-Trash am Ende
einer Epoche.
MITTWOCH von 20:30 Uhr bis 23:45 werden in einer anderen Sprache
Beiträge aus dem jeweiligen Land gestaltet (eingeleitet werden diese
Programme von derjenigen, die sie vorgeschlagen hat). Für den Anfang
sind Beiträge aus Russland, Schottland, Ungarn, Korea und Kurdistan
geplant.
DONNERSTAG -Talkshow-Tag, abwechselnd als "Absolutly Live"
mit schonungslosen Überlängen oder eingesandte Gesprächsaufzeichnungen
aus den Wohnungen dieser Welt.
Ab und zu ist es sicher lustig, den Gesprächen am Nebentisch zuzuhören,
das kippt aber leicht in Voyeurismus und Besserwisserei um. Es wird schwierig
das eingesandte Material zu sichten.
Prinzipiell muß die Frage geklärt werden, wem man denn eigentlich
gerne zuhört? Wie setzt sich Eloquenz, Meinung und Position gesellschaftlich
durch? Wie kann man diesen Prozess beeinflussen? Also Dekonstruktion einerseits,
aber eben auch Konstruktion von Haltungen, ja sogar von Personen, das
ist letztendlich politisch.
Im Talk sollte das mit dem schimmernden Schmelz von Entertainment glaciert
sein.
Doch am FREITAG in den politischen Magazinen soll es trocken, präzise,
subjektiv, informativ und auch bösartig zugehen. Es gibt viele hervorragende
Produktionen von AktivistInnen, die vom TV nie zugelassen wurden. Im Anschluß
stellen sie dann ihren persönlichen Lieblingsfilm vor (mit Begründung,
Anmoderation des Autors oder Diskussion mit ihm), ich denke, zu viele
Magazine entwerten sich gegenseitig.
SAMSTAG Morgen und SONNTAG Nachmittag gehören zu Vorzugspreisen
ausschließlich Kindern und Jugendlichen. Auch hier mit Flohmarkt
ähnlichen Eigenproduktionen, Skate-, Band-, Rollerblade-Filme, Schüler-Gameshows,
Lehrer-Ärgern.... oder was pubertäre Problematiken sonst noch
abgeben. Moderiert und ausgewählt wird das alles von Schüler-
und Vorschul- Redaktionen.
Samstag und Sonntag 18 bis 20 Uhr von Nutzern produzierte Sportberichte.
Mit der Handicam in der Südkurve, neues vom Poloclub, verkürzte
Kricket Berichte...
Sonntag 11 bis 12: Das Sozialistische-Patienten-Kollektiv übernimmt
die Nachfolge des internationalen Frühschoppens . Saftiger Patienten-Widerstand
in der Zeit vorm Sonntagsbraten und die Analyse der Bedingungen die krank
machen.
Samstag 12 bis Sonntag 11: Blue Hour für abgelehnte Beiträge
und Nachts Kontaktanzeigen.
Sonntag 20 Uhr... nicht schon wieder "Deutschland Privat", das
haben wir mit der Sportschau abgehakt. Wir brauchen etwas gegen die sonntägliche
Entspannungspolitik. "Aus der Arbeitswelt": Berufsgruppen, Lohnkampf,
soziale Sicherheit am Arbeitsplatz, Ökonomie-Kritik, Arbeitslosigkeit..
Für die, bei denen danach noch ein Bedürfnis nach Sinnsuche
besteht, gibt es Erklärungsversuche von Philosophen, Zukunftsforscher,
Sozial- und Kommunikationswissenschaftler zum Thema "Was ist die
Welt?"
ABSPANN
Als Zuschauer kann man sich vom Fernsehn unterhalten lassen und man kann
es ablehnen. Man kann es aber auch ernst nehmen und sieht das Machtverhältnis
dem wir alle ausgeliefert sind. Die Notwendigkeit das zu kippen besteht,
und es zu versuchen ist vielleicht mühsam, aber es bereitet hauptsächlich
Spaß.
Wir denken uns das hier nicht aus, weil wir mit dem Fernsehn wie es ist
unzufrieden sind. Auf 20-30 Sendern findet sich eigentlich immer etwas
unterhaltsames, aber wir haben den Eindruck, daß man dem Block dieser
Kurzweil ein stimmigeres, feineres und vielleicht utopisches Gebäude
gegenüber setzen muß, das nicht durch Kapital- und Machtinteressen
determiniert ist. Dann sind wir auch nicht mehr in der Situation derer,
die sich über etwas lustig machen oder es nur immer kritisieren,
sondern wir sehen es als etwas, das wir mit anderen weiter entwickeln
und verändern können.
"...ein großes Gewebe, das sich quer über die Galaxis
ausbreitet, so weit wie der Mensch. Das ist die Matrix, in der sich heute
die Geschichte vollzieht. Siehst du es nicht? Das ist es. Das ist meine
Theorie. Jedes Individuum ist ein Knoten in jenem Netz. Und die Fäden
dazwischen sich die kulturellen, die ökonomischen, die psychologischen
Fäden, die ein Individuum mit dem anderen verbinden. Und jedes historische
Ereignis ist ein Wogen im Netz.."
FORTSETZUNG FOLGT!!
- 1995 Hans-Christian Dany, Stephan Dillemuth, Joseph
Zehrer -
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