Corporate
Rokoko
und das Ende des Bürgerlichen Projektes
Öffentlichkeitsbildung
und politische Clubs.
Im Gespräch Prof.
Jürgen Fohrmann, Dr. Erhard Schüttpelz, Stephan Dillemuth.
________TEIL
3:
Corporierte Organisationsformen.
D:
Noch einmal die Frage: Wie hat sich politisches Bewußtsein einst
konstituiert, welche Strukturen sind dazu geschaffen worden um dann
die in einem Punkt kristallisierte Macht auf eine Art selbstorganisiertes
Staatswesen zu verteilen?
Ich denke, wir sind jetzt
an einem Punkt wo diese Idee einer bürgerlichen Demokratie nicht
mehr greift. Die Entscheidungsfindungsprozesse fallen wieder und
immer mehr in einem zentralen, aber diesmal virtuellen Punkt zusammen.
Wir bewegen uns meines Erachtens auf einen globalen und neuen Absolutismus
zu, den ich hier mal Corporierten Rokoko nenne. Zwar
gibt es die Nationalstaaten noch, die sich Bürger einst als strukturelle
Schale geschaffen haben, aber eigentlich sind sie nur noch Verwaltungseinheiten
der neuen globalistischen Machtstruktur und zerfallen zunehmend
in konkurrierende Standorte. Das sind Wirtschaftsregionen die sich
ausschließlich über den globalen Wettbewerb definieren. Der absolute
Herrscher, die zentrale Stelle der Repräsentanz, die der König einst
eingenommen hat, ist nun eine virtuelle Figur, nämlich die eines
globalen Monetarismus. Wie die verschiedenen Höfe gruppieren sich
jetzt die Corporations und ihr Anhang um diesen zentralen Punkt.
Wie kann sich denn da
noch ein Verantwortungsgefühl von Bürgern oder Intellektuellen für
eine gemeinsame Sache bilden?
S:
Genau. Es geht hier um diesen zentralen Punkt, der ja in dem französischen
Wort vom sujet gefaßt worden ist, Subjekt und Staatsbürger.
Es geht darum, daß sich das Subjekt, wie es sich im 18. Jahrhundert
herausbildet und als Staatsbürger im 19. Von den Nationalstaaten
vereinnahmt wird, an den Staat adressierte - ob als Dichter, Terrorist,
politischer Bürger. Und jetzt merken die Leute zunehmend, daß der
Staat als direkter Ansprechpartner für alle möglichen Proteste,
Demos usw. wegfällt, und daß dadurch ein bestimmtes Moment entfällt,
an das man sich gewöhnt hatte, eine bestimmte Adressierung.
D:
Insofern fühlt man sich für mögliche Veränderungen nicht mehr verantwortlich,
die Pflicht zur Revolution entfällt. Mittlerweile ist
ein Gedanke an die Revolutionierung der BRD ja unsinnig, da müßte
man schon mit Westeuropa anfangen und auch diese Schale ist ja schon
längst mit einer andern überdeckt.
F:
Aber warum ist das so? Das Problem scheint doch zu sein, daß die
Öffentlichkeit, die vorher als eine adressierbare da war, mittlerweile
zu einer absolut virtuellen Öffentlichkeit im globalen Maßstab geworden
ist.
Die Öffentlichkeit des
18. Jhds. denkt sich im Prinzip ja als endliche, und daß wir nach
einem demokratischen Modell alle Subjekte auch erreichen können,
die wir erreichen wollen und daß diese sich dann in ihrer Entscheidung
untereinander abstimmen können, um zu handeln.
Wenn aber die Kommunikation
wie im Internet so umfassend wird, daß man eigentlich gar nicht
mehr sehen kann mit wem man da kommuniziert, dann kann man auch
nicht erhoffen, daß daraus eine Handlungsfähigkeit resultiert.
D:
Andererseits merkt man aber, daß es viele kleine Öffentlichkeiten
gibt, die sich gleichsam subkulturell organisiert haben. Deren Kommunikation
ist sehr differenziert, aber von Außen uneinsichtig.
F:
Ich glaube, daß diese Art von Globalisierung einen absoluten Überfluß
an Information produziert, eine Entropie von Informationen. Und
wenn Corporationen dieses Feld hauptsächlich bestimmen und nur sehr
wenig als Information gefiltert werden kann, dann ist unklar, wie
man an die überhaupt rankommt, denn sie funktionieren in der Regel
nicht nach dem Prinzip von Öffentlichkeit.
D: Könnte man sich nicht
vorstellen, daß einige dieser kleinen Öffentlichkeiten, die ja nicht
lokal, an einem Ort versammelt sein müssen, sondern über den Globus
hinweg kommunizieren, so etwas wie kleine, quasi autonome Einheiten
in einem Globalstaat bilden? Also könnten sich gegen die regionalen
corporierten Königreiche der Standorte kleine Widerstandsnester
oder Räterepubliken oder Fürstentümer bilden?
Also Tribes, Genossinenschaften oder Clans? Oder rede ich jetzt
schon wie ein Kommunitarier daher?
S:
Das Problem wird ja wohl sein, daß keine dieser Interessens-Gruppen
über die andere bestimmen kann und zusammen werden sie es auch nicht
können. Das gilt für alle kulturellen und ideologischen Zusammenhänge.
Anfang der sechziger und siebziger Jahre hatten ja solche Gruppen
noch das unglaubliche Gefühl, daß durch eine gewisse Selbstkritik
und Selbstbestimmung noch etwas entstehen könnte und zwar genau
für die, mit denen man zusammen arbeitet. Trotzdem bleibt ja wahr,
daß alle Machtverhältnisse und alle Hierarchien auf ewigen Wiederholungen
beruhen, die Tag für Tag und Jahr für Jahr ausgeführt werden müssen,
damit die Verhältnisse sich erhalten. Es gilt also immer nur, den
Punkt zu finden, an dem die Wiederholung nicht mehr greift - und
den zu finden, oder mehrere solcher Punkte zu finden, kann ziemlich
lange dauern. Deswegen ist es besser, sich ein Projekt zu überlegen,
das Jahrzehnte trägt, auch wenn es zwischendurch wie Unsinn aussieht.
Und diesen langen Atem hatten einige Leute, die - nicht achtundsechzig,
sondern achtundfünfzig - früh genug damit angefangen haben.
Bohemistische Forschungseinrichtungen.
D:
Gehen wir statt dessen doch zurück zum Anfang des 20sten Jahrhunderts
und reden über die verschieden Ausbruchsversuche oder Versuche zur
Selbsttherapie, Monte Veritá[41] und die Gemeinschaft der Obstesser
z. B. , oder Ausdruckstanz. . .
F:
. . . grüne Kommunen, die es damals ja schon gegeben hat, oder die
Gartenstädte. . .
S:
. . . aber das wichtige ist, und das gilt bis zur AAO[42] oder den Psychokisten der späten 70er Jahre, daß das ja wie
eine Art der Forschung betrieben wurde. Da gibt es z. B. die Protokolle
der Kommune I[43],
um festzustellen Was passiert jetzt eigentlich mit uns?.
Das war ganz klar eine Form der Selbstanalyse, eine sehr individuelle
oder seltsame Forschung vielleicht, aber im Prinzip waren das Forschungseinrichtungen.
Das ist etwas anderes als Selbsterfahrungsgruppen, die sich nur
in einen bestimmten Groove bringen sollen. Auch die ganzen Beatnik
Geschichten der 60er Jahre hatten etwas Forschungsförmiges. Und
zur Forschung gehörte ja vor allem, daß man noch nicht weiß, was
dabei herauskommt. Das wirklich Lähmende welcher Diskurse auch immer
liegt ja darin, wenn man immer schon weiß, was rauskommt. Oder wenn
man für ein paar Wochen weiß was rauskommt, und dann wieder für
ein paar Wochen, und so weiter. Genau so lähmend. Da ist es besser,
sich dem Zufall zu überlassen, und der spielt ja auch eine Rolle
im 17. Jahrhundert, um Handlungen zu motivieren, im Picaro.
F:
Ab dem 18 Jh. ist das Subjekt nicht mehr von dem Stand, in dem es
sich befindet dominiert, sondern das Subjekt sucht sich seine Schnittmengen
selbst. Das wäre eine Seite, und dazu sehe ich auch eine Gegenbewegung,
denn diese Interessengruppen versuchen zumindest auf der Zeichenebene
einen totalen Lebenszusammenhang zu entwerfen, also Kleidung, Verhalten
usw. . Diese beiden Bewegungen laufen wahrscheinlich parallel ohne
als Konflikte thematisiert zu werden. Einerseits also die Unmöglichkeit,
sich von den betreffenden Zusammenhängen totalisieren zu lassen,
weil es noch so viele andere wichtige Dinge gibt, dagegen stehen
Bestrebungen, etwa durch Design und Outfit die Globalität des Lebenszusammenhanges
zu ostendieren.
Das hängt natürlich eng
mit der Veränderung der Kommunikationsverhältnisse unserer Gesellschaft
zusammen. Die Kommunikation in unserem Fach ist ja so ausdifferenziert,
daß es gar keine großen Bücher mehr gibt, denn es gibt keinen gemeinsamen
Kommunikationszusammenhang, der diese Bücher als große Bücher erscheinen
ließe. Das ist kein kulturkonservatives Argument, wohlgemerkt!
S:
Die Organisationsformen von Kunst und Wissenschaft scheinen aber
weiterhin noch zu funktionieren. Doch wie sieht das denn mit politischen
Ereignissen aus, wie sind die denn organisiert?
F:
Als einen gemeinsamen Politikzusammenhang gab es nach 45 eigentlich
nur das Projekt der Studentenbewegung. Hinterher ist diese Bewegung
in tausend unterschiedliche Politikinteressen ausgefasert. Die haben
sich zum Teil zwar wieder bündeln lassen, aber nicht mehr in dieser
einen Vorstellung eines gemeinsamen Kommunikationszusammenhangs.
Als einzig großen Referenzpunkt,
der in allen politischen Diskursen eine Rolle spielt, gibt es lediglich
die Shoah, den Holocaust. Der beschreibt als das Negativbild einer
großen Katastrophe ein Limit für unsere Nachkriegsgesellschaft und
das kann eindeutig als moralischer Punkt eingesetzt werden und bestimmte
Politikdiskurse zusammenschweißen.
ntdffrnzrte Utopien.
D:
Ich will jetzt noch mal zur Frage der Kondensationspunkte zurück.
Wichtig ist ja wohl, daß es sie überhaupt gibt und daß sich dort
gewisse gesellschaftliche Entwicklungen und Probleme niederschlagen,
daß sie dort aufbrechen, organisiert und ausgelebt werden können.
Die Decadence hat sich die verkrustete Situation im ausgehenden
19. Jh. erst einmal bewußt gemacht und in ein ästhetisches Konzept
übersetzt. Danach gab es verschiedene Versuche des Aufbruchs und
der Selbsttherapie. Diese Experimente, Untersuchungen und Seminare
innerhalb einer gewissen bohemistischen Klasse und an selbstgebastelten
Instituten wurden allerdings dann von den beiden Weltkriegen überdeckt
und unterdrückt. Der Nationalsozialismus hat sicher auch viel dieser
chaotischen Energie in seine pathologische Ordnung überführt.
S:
In der ersten Jahrhunderthälfte gab es vor allem in Rußland und
Deutschland sicher utopische Momente für die Diskussion einer Moderne,
in der verschiedenste Elemente zusammenlaufen konnten. Das hat sich
wieder zersprengt und so eine Situation existiert heute nicht mehr,
sie kann in dieser zweiten Hälfte des Jahrhunderts nur noch abgefeiert
werden.
D:
Auch das dritte Reich ist als große Utopie angelegt worden.
F:
Zwar gab es einen hohen Grad an technischer Differenzierung, doch
gleichzeitig diesen Versuch einer absoluten gesellschaftlichen Entdifferenzierung.
Die ganze Vereinskultur ist im dritten Reich ja weitgehend gleichgeschaltet
worden und durch eine straffe Organisationsstruktur ersetzt worden.
Diesen affektiven Haushalt müßte man mal auf ihre Homologie, ihre
Strukturähnlichkeit hin untersuchen. . . Also was bedeutet das affektiv,
wenn ich in einen Verein gehe, warum tue ich das und was hat die
faschistische Ideologie an diese Stelle zu setzen versucht? Die
Nazis haben da nur wenig erfunden, aber sie haben alle anderen Dinge
darum herum eingeebnet und gleichgeschaltet. Alles ist chorisch,
auch der Deutschunterricht ist chorisch geworden. Man steht auf
und redet gemeinsam und deklamiert gemeinsam. Und das hat zunächst
einmal nachhaltig politische Kultur in Deutschland zerstört.
S:
Bezogen auf Avantgarde muß man nach 45 sagen, daß all die
frühen Organisationsformen der ersten Hälfte des 20sten Jhds. nun
nicht mehr funktionieren konnten. Man konnte die vielleicht noch
parodieren und dadurch fortführen, wie es z. B. der Situationismus
gemacht hat, aber so was wie Bauhaus noch mal durch Ulm[44] oder die Gruppe
47[45] zu erneuern war nicht drin. Es gab
zwar noch Organisationen, aber die Organisationsformen waren eigentlich
schon zerrüttet. Was sich durchführen ließ waren lockere, bohemistische
Organisationsformen, die konnten sich noch behaupten, aber eben
als Teil der in sich zerbrochenen Moderne.
D:
Andererseits wurden die politischen Konzepte, die eher noch vor
dem Weltkrieg oder im 19ten Jh. entwickelt wurden, nun auf die dritte
Welt angewendet und dort in revolutionären Bewegungen nochmals erprobt.
Bei den Sandinistas, Zapatistas, bei Che Guevara, der PLO oder auch
in der Bürgerrechtsbewegung in den USA. In Deutschland sehe ich
als letzten Veränderungsversuch die Studentenbewegung und die RAF[46].
F:
Ja, die Studentenbewegung und die RAF würde ich als die letzte Bewegung
ansehen, die den Versuch gemacht hat, Politik gleichsam so zusammenzubringen,
daß es einen einheitlichen Kommunikationszusammenhang gab. Das ist
sicher so. Wobei dann bei der RAF die Sache nicht mehr so funktionierte.
Wenn man sich deren Texte nochmals ansieht, entdeckt man eigentlich
kein Kommunikationsinteresse darin, sondern eigentlich ein Aktionsinteresse.
Weil man das aber nicht mehr befragt hat, ist die Maschine einfach
losgelaufen, das hat etwas sehr stark mechanisches gekriegt.
S:
Aber es steht eigentlich immer noch da als eine ganz einseitige
Adressierung an den Staat.
F:
Der Staat ist ja eigentlich der einzige Kommunikationspartner der
RAF geworden.
D:
Was die RAF nicht schaffte, jetzt schafft sich der Staat selber
ab.
F:
Deswegen gibt es ja auch keine politischen Parteien mehr. Es ist
gar nicht mehr klar, wie man die Fronten verwalten soll, denn es
gibt gar keine Fronten mehr. Deswegen wird jede Politik ununterscheidbar
und deswegen ist es so schwierig, ein Politikkonzept zu entwickeln.
Und da setzen sich die Parteien hin und versuchen Begriffe zu erfinden,
die sie gegen einen anderen Begriff, den z. B. die Opposition erfunden
hat, ins Feld führen können. Das ist Rhetorik, und sie wird als
Designer-Rhetorik verkauft.
D:
Im Prinzip ahmt die Politik die Rhetorik der Corporations nach.
Das Design der Versprechungen ist immer vorrangig und neu, weil
die Produkte die Wünsche nicht befriedigen können.
F:
Die Ubiquität des Designs ist heute vielleicht ein universeller
Zusammenhang. Aber trotzdem könnte man fragen, warum keine intellektuelle
Gruppe oder Schicht versucht, die Stimme gegen diese Rhetorik des
Designs zu erheben.
D:
Weil sie damit beschäftigt sind, dem Verlust des Sozialstaates nachweinen.
So müssen sich auch einmal die Monarchisten gefühlt haben nachdem
die Köpfe schon ab waren.
Aber ich denke, daß sich
die Ornamente der Macht verändert haben und wir befinden uns schon
in einer anderen Struktur und mit einer anderen Ästhetik ohne es
eigentlich wahrnehmen zu wollen oder zu können.
F:
Das ist wohl richtig, aber nicht besonders tröstlich.
Ornamente der Macht.
D:
Im Barock und Rokoko hat die Form einer schief gewachsenen Muschel,
das Roccaille, die Ästhetik des Absolutismus über mehr als 200 Jahre
hinweg repräsentiert. Welches Ornament sich die Macht seither gegeben?
F:
Da könnten wir noch ein paar Aufsätze drüber schreiben. Die Ästhetik
der Macht ist ja immer an die Repräsentierbarkeit der Macht gebunden,
d. h. man braucht ein Emblem, einen Körper, oder einen Staat, der
sich gleichsam als ein mit Macht bedachter repräsentieren lassen
kann. Der Körper des Königs ist ein materieller Träger, ein Träger
der Machtbotschaft, er ist Medium.
Bis zu den Nationalsozialisten
ist die Ornamentik der Macht ja ablesbar. Gerade die Nazis versuchen
sie ganz bewußt einzuführen wie z. B. in den Rieffenstahl[47] Filmen. Aber nach dem Krieg ist es eigentlich schon die
Parodie. Das wurde ja auch damals schon als Parodie wahrgenommen,
wie z. B. Ludwig Erhardt[48] und das Wirtschaftswunder[49]. Heinrich Lübke[50] spricht für Deutschland, das war ja schon der unfreiwillige
Wilhelm Busch[51]
dieser Entwicklung.
S:
Oder der Polke[52], der Polke in sich, den uns dann Polke später gezeigt hat
F:
Dann gab es sicherlich noch die Politik der großen Gesten die eigentlich
schon die Inversion der Macht vorführen. Eine Demutsgeste wie Willy
Brandts [53] Kniefall gibt es heute auch
nicht mehr. Es gibt keine Repräsentation der politischen, mit dem
Staat verbundenen Macht mehr und es gibt auch keine Repräsentation
der großen Geste. . . Ich wüßte nicht, wie das funktionieren sollte.
D:
Heute sind die Corporations ja nicht die Zeichen der Macht, sondern
die Zeichen repräsentieren die Macht der Konzerne. Welche Zeichen
werden bevorzugt und wie sehen sie aus?
F:
Jede gute Werbung ist natürlich witzig. Das ist jedenfalls sehr
merkwürdig. Vielleicht ist die Macht in die Ubiquität des Witzes
hinein verschoben? Man könnte sicher einmal fragen, woher denn plötzlich
die absolute Karriere des Witzes herkommt.
Ist das nicht die absolute
Verfügbarkeit aller Gegenstände, gleichsam als Insignium aller Macht?
S:
Das wäre ja schon eine bestimmte Antwort, die Ornamentik die Macht
heute repräsentiert würde erst mal in Werbung übergehen. . .
D:
Advertising ist nicht nur Ausdruck sondern Affirmation der Verhältnisse,
und weil die Werbung die herrschende Ökonomie, also die Machtverhältnisse
nicht ändern will und kann, ist sie im eigentlichen Sinne konservativ
und eigentlich je konservativer je progressiver sie sich gibt.Zudem
dehnt sie sich durch die zunehmende Privatisierung auf alle Bereiche
der Öffentlichkeit aus. Zeitschriften-, Plakat- oder Fernsehwerbung
ist ja nur die älteste Form in der sie sich zeigt.
F:
Und diese Werbung selbst kann keine heroischen Gesten mehr produzieren,
sondern ironische. Das ist die Gleichzeitigkeit von Scherz und Ernst
und in dem Falle also der Ernst des Verkaufen-Müssens und der Scherz
der Präsentation, die soll nämlich einfach nur witzig sein. Es ist
demnach egal, was da präsentiert werden soll. Eine unheimliche Verfügbarkeit
aller Gegenstände, die in der witzigen Rede präsentiert sein sollen.
Das wäre zumindest der Versuch einer Antwort.
S:
Das würde das Ornamentale fortsetzen?
F:
Ja, aber ex negativo.
D:
Ist das Barock? Alles ist verfügbar und wird in Ornament, in gewisse
ironische und floskelhafte Erscheinungsbilder übersetzt. Und das
ist auch höfischen Kommunikation, der Esprit triumphiert über die
verhandelten Gegenstände und Inhalte.
F:
Ja, vielleicht ist es eine Inversion des Barock. Denn Barock würde
ja denken, daß alles was es gibt, alle items, in Bilder
übersetzbar sind. Alles ist kombinierbar, obwohl die barocke Semantik
nicht in dieser Weise witzig organisiert war.
D:
Aber allegorisch. Und die allegorischen Figuren haben wie die ironischen
Figuren der Werbung die herrschenden Verhältnisse illustriert und
stabilisiert.
F:
Es gibt ja auch meist keine Relation zwischen Produktname und Firma.
Bei den moderneren Konzernen ist die Relation von Zeichen und Bezeichnetem
völlig auseinander gegangen. Das Produkt wird ganz anders verkettet.
Denn die Verkettungsstruktur innerhalb der Produktwerbung will auf
etwas ganz anderes heraus als einen Referenzpunkt benennen, den
man mit diesem Konzern angeben könnte.
Eine neue Souveränität?
D:
Im Verlauf dieses Gespräches mußten wir immer wieder mit Widersprüchen
und Gegensatzpaare operieren: das Geheimnis versus ostendierte
Öffentlichkeit, Differenzierung - Entdifferenzierung etc.
. . Die ganze Fragilität des bürgerlichen Projektes scheint mir
aus seiner latenten Schizophrenie und den Double Binds zu resultieren,
die sich aus einer Problematik des ICH und seiner Abgrenzung vom
Anderen ergeben.
Individuelle Identität
wird in Systemen und Religionen die um einen zentralen Punkt oder
um einen Gott kreisen anders konstruiert. Die Widersprüche finden
dort auf einer höheren Ebene statt und die Subjekte fügen sich demütig
in das System.
Eine neue Ideologie oder
Staatsform fordert demnach einen neuen Subjektbegriff.
F:
Ja, das ist ja auch Luhmanns These: Sobald die Systeme komplexer
werden, ist auch von den Subjekten zu verlangen, daß sie komplexer
werden. Ganz einfach.
S:
Meint der damit auch die Einzelsubjekte?
F:
Die Leute sollen sich steigern. Und das gelingt wenn man zum einen
mehr aggregieren könnte, also ein quantitatives Argument, und zum
anderen, indem man mehr wählen könnte, ein qualitatives Argument.
Damit würde sich ein höherer Partizipationsgrad an ganz unterschiedlichen
Systemreferenzen und Weltzusammenhängen etablieren lassen.
Das ist seine große Hoffnung,
daß es diese Steigerung gibt. Und die Erfolgsgeschichte moderner
Subjektivität ist genau das: Nämlich aus dem Stand zu gehen und
herauszutreten und selbst zu wählen, welche Wirklichkeitsausschnitte
man in sein Leben hinein nehmen will. Die freie Wahl ist ja häufig
nicht möglich, aber es ist zumindest tentativ zu wählen und sein
eigenes Leben wie einen Baukasten aufzubauen.
D:
Das folgt aber weiterhin der Entwicklungslinie des bürgerlichen
Subjektbegriffes. Doch dort, wo wir das Gespräch angefangen haben,
ist eine größere Zäsur erfolgt. Wäre es denn denkbar, daß eine neue
Ideologie oder Religion mit diesem additiven Subjektbegriff Schluß
macht?
F:
Der ganze Subjektbegriff scheint mir ein Kommunikationsproblem zu
sein. Ich kann zwar immer weiter differenzieren, aber auf der anderen
Seite muß ich hinlänglich entdifferenzierte Verhältnisse haben,
in denen eine Kommunikationsmöglichkeit erst einmal eröffnet wird.
Immer weitergehende Differenzierung läßt keine allgemeinere Kommunikation
mehr zu, nur eine sehr spezialisierte und keine Rückkoppelungsschleifen.
Plötzlich habe ich dann mit keinem anderen Subjekt mehr zwei Felder
identisch.
Und das genau führt zur
Entdifferenzierung, dem Einfallstor für Versprechen: Also zu sagen
von einem Grund aus kann das Leben reformiert werden, die Christenheit
oder Europa, oder Mystizismus oder Sekte, egal, alles das selbe
Zeug.
Zwischen Differenzierung
und Entdifferenzierung sehe ich so eine Wellenbewegung hin und her.
D:
Auch wenn man weiß, daß eine Souveränität gar nicht möglich ist,
weil man immer ein Bestandteil von wie auch immer gearteten Systemen
ist, geht es meines Erachtens doch immer um den Versuch und die
Behauptung von Souveränität: Ein neues Selbstbewußtseins im Umgang
mit den politischen und ökonomischen Zwängen und Ideologien, gegen
den globalen, corporierten Rokoko. Alles andere wäre ja sonst Hilflosigkeit,
eigentlich Unterwürfigkeit im Glauben.
S:
Weil man dabei aber alleine nicht genügend durchsetzungsfähig ist
darf man das eigene Netzwerk nicht aufzugeben. Man muß versuchen
es zu erweitern, ohne daß es auseinander fällt, was ja auch ein
Paradox in sich ist.
Ein inhärentes Problem,
denn es soll ja expandieren und bis zu einem gewissen Punkt geht
das, aber genau dadurch löst sich das alte Netzwerk auf.
Alles was nach 45
einen gewissen Erfolg hatte basierte auf temporären Allianzen. Es
gab keine offiziell formierte Gruppe, die sich nun besonders durchgesetzt
hätte. Das ist ein Problem, das wir auch für die Zukunft klar sehen
müssen. Man kann sich nicht darauf verlassen, daß eine als Label
organisierte Gruppe dann als Subjekt besonders stabil wäre. Dieses
Problem bestand auch bei dieser Gruppe um 1800, daß alles nur temporäre
Allianzen sind.
D:
Kondensationspunkte wären eine besonders intensive Kommunikationssituation
und nur temporär, weil sie zerfällt, wohl zerfallen muß. Dennoch
wäre die Frage wie sich das dann fortsetzt. Beeinflußt es die umgebenden,
entdifferenzierten Kommunikationsverhältnisse, dient es weiterhin
als Beispiel oder Orientierungshilfe? Hat es schließlich gewirkt?
F:
Souveränität ist ja eigentlich nur eine Ideologie, eigentlich die
Hoffnung darauf, daß die Gruppe über ihre Stabilität entscheiden
kann, oder daß man die Zugehörigkeit selber wählen und frei in diesen
Netzwerken agieren kann. Aber das funktioniert nicht.
D:
Es wäre doch ein Verhalten denkbar, das auf die Zielsetzung des
jeweiligen Systems pfeift. Volkssouveränität hieß doch vor etwa
200 Jahren: dem zentralen Körper den Kopf wegzunehmen.
S:
Das kann man abschneiden wie ein Kohlhaupt.
F:
Das kann man so sagen, aber das sind die antiquierten Reste einer
vor-modernen Gesellschaft. Die Utopie des Monetarismus ist doch
die, daß die souveränen Subjekte ihre Souveränität dadurch zeigen,
daß sie sagen, ich bin gerne ein monetär denkendes Subjekt.
Und das wird uns in dieser
Designer-Rhetorik und -Ästhetik ja immer verkauft: Ich rauche gern.
Das ist genau die Formel für die moderne Subjektivität.
S:
Also wenn man denkt es müßte eine Askese geben... diese Modelle
gab es ja schon.
D:
Die Askese ist ja nur ein Spiegelbild von Ich rauche gern.
Eine neue Souveränität innerhalb des corporaten Rokoko müßte schon
anders aussehen.
F:
Ich rauche gern und ungern, das ist jetzt das Schlußwort,
lassen wir es dabei!
____________
FOOTNOTES:
>[41] Monte Veritá was between 1915 and 1925 an international
commune near Ascona. It was a test site for all kinds of escapist
tendencies: dadaists, expressionists, character dance, anthrosophy,
nudism, psychiatry, esoteria, eurhytmics , amongst them Werefkin,
Wigman, Jung, Steiner.
>[42] AAO (AKTIONS-ANALYTISCHE ORGANISATION) In the
first half of the 1970s, a commune was founded in Vienna around
the at the time almost 50-year-old artist Otto Mühl with free
sexuality and communal property. The aim was to fight the
nuclear family and sexually-crippling couple
relationships. Revulsion, hatred, depression and incestuous
desires were to be lived out and overcome on the path
to creating a new human being, father and mother therapeutically
murdered and raped.
By the end
of 1976, about 25 such communes existed in Germany, France, Scandinavia,
Switzerland, Holland and Austria with close to 500 members from
the leftist, alternative milieu.
Private property
was turned into communal property. Freedom to chose a profession
and education was abolished starting in 1984. All members of the
city communes had to work in commune-owned firms (selling life
and health insurance policies). From 1983 on, no new members were
recruited, the number of members was to be maintained in a natural
way via the production of children.
In 1991, Otto
Mühl was arrested and sentenced to several years in prison for,
among other things, sexually abusing youths and rape.
A former leading
member of the commune declared: We who at the beginning
protested against the authoritarian father-society ended up with
a fascistoid educational ideal. We thought we were a revolutionary
living and working community with communal property and free sexuality,
but it was in fact an experiment with authority and the principle
of obedience.
>[43] Kommune I, the first seriously funny and spontaneous,
free-living and free-loving late-1960s social experiment in Germany
(West Berlin) which became immediately the center of media attention.
Many of Kommune I's members were prominent student leaders in
the nearby Free University, including Fritz Teufel and ex-situationist
Dieter Kunzelmann, others were life-style advocates like the model
and actress Uschi Obermeier and Rainer Langhans.
Kommune I became
prominent for advocating and carrying out humorous praxis.
In allegiance to Marxist theory, where theory was
the discussion of how to best bring about the revolution, praxis
was direct action attempting to bring about the revolution, an
idea which prompted many leftist Germans to support the early
actions of the Baader-Meinhof Gang. For aspiring terrorists, the
primacy of praxis was absolute.
After Kommune
I fell apart many of its members participated in the low-level
terrorism of the West Berlin Tupamaros, and several went on to
form the urban terrorist group called Movement 2 June.
Teufel went
to prison after sending his judges to hell, in a set of incredibly
funny trials. Langhans ended up as a softheaded guru for Munichs
upper class.
>[44] Little Town in the southern part of Germany.
>[45] A loose association of authors founded in 1947.
The group had no political or social programme, but encouraged
criticism of political and social conditions.
>[46] Red Army Fraction, military organisation
of Germanys radical Left, using strategies of guerrilla
warfare against the capitalistic hegemony of the West and its
exponents. It was born with the liberation of Andreas Baader from
prison on 14 May 1970, an action in which Ulrike Meinhof and Horst
Mahler took part. Their struggle aims at destroying the imperialist
feudal system, politically, economically and military. It is being
conducted in the form of international action against the military
allies of the United States-NATO and, in particular, the Federal
German Armed Forces. Within West Germany, the struggle is being
conducted against the armed forces of the state, representing
the monopoly of power by the ruling class, embodied in the police,
the Federal frontier police, and the security services. The power
structure of the multinationals, that is, state and non-state
bureaucracies, political parties, corporate unions and the media
are also included. Some of the founding members allegedly committed
suicide in their cells in 1977.
The group announced
its disbandment in March 1998 after it had no political and aesthetical
support. But: despite lavish efforts of the security forces of
the COIN, the Last Generation of the RAF remained undetected.
Unlike any other guerilla it had learned from its predecessors.
>[47] Leni Rieffenstahl, born in 1902 and probably
still alive. Photographer and filmmaker. Allegedly concerned with
Just Beauty she was The Third Reichs most important
visual advertiser. See advertising as art, art as advertising.
>[48] Ludwig Erhardt, 1897-1977, minister for economic
affairs and Chancellor of the German Federal Republic. Father
of the Wirtschaftswunder (economy miracle), he led Germany after
war into the social market economy, a kind of Capitalism
Lite which combines the principle of competition with social
protection. Here competition should not proceed uncontrollably,
the state however ought to limit itself in its creation of a frame
of arrangements.
>[49] Wirtschaftswunder, miracle of economical upswing
in WEST Germany since 1948. The pride and the admiration which
adhered to the word at the beginning has since faded to a more
sceptical valuation and over the years into an ironic use. See
Wirtschaftswunderbauch, see Ludwig Erhardt.
>[50] Heinrich Lübke, 1894-1972. President of the
German Federal Republic 1959-69. Notorious for his clumsy appearances
and unintentional humour, funny speeches and corny jokes.
>[51] Wilhelm Busch, 1832-1908, German draftsman.
His encounter with Dutch paintings of the 17th Century turned
out to be a the key experience - they became models he never achieved.
He contributed drawings to various journals. The pitiless world
he depicts is at the borderline of comic, and funnily debunks
human malice. The graphic virtuosity however veils pessimistic
tendencies with often loving genre and detailed studies. As a
cheerful German House- and Court- Humorist, the crucial parts
of his work are played down by his extreme popularity and the
tendency to take humorous literature less seriously than it deserves.
>[52] Polke, German painter, born in 1942, studied
from1961 to 1967 at the Düsseldorf academy. After early works
in the style of Capitalist Realism he developed, free from any
group membership, an ironic visual language, which plays with
contradictions and stereotyped images and seems to lead to lampoon
or humorous bewilderment.
>[53] Willy Brandt, original name HERBERT ERNST KARL
FRAHM. He assumed the name Willy Brandt as a refugee from Nazi
Germany in Norwegian exile. Later German statesman of renown,
leader of the German Social Democratic Party of Germany (Sozialdemokratische
Partei Deutschlands, or SPD) from 1964 to 1987, and chancellor
of the Federal Republic of Germany from 1969 to 1974.
He concentrated on improving relations with East Germany, other
Communist nations in eastern Europe, and the Soviet Union, formulating
a policy known as Ostpolitik (eastern policy).
Right wing detractors claimed that this signaled West Germany's
acceptance of the permanent loss of those eastern lands whilst
some years the later the chancellor of ponderousness, Helmut Kohl
harvested the fruits of this politics reuniting West and East
Germany after Brandt had stabilized the relations with eastern
Europe.
Brandt received the Nobel Prize for Peace in 1971 and he resigned
in May 1974 after his close aide Gunther Guillaume was unmasked
as an East German spy.
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