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Appetitlicher EierschaumJörg Auf dem Hövel 18.01.2006 Auf einem Symposium zum 100. Geburtstag von Albert Hofmann suchte man den zukünftigen Platz von LSD in der Gesellschaft Der Titel der Veranstaltung "Sorgenkind oder Wunderdroge" konnte kaum besser gewählt sein. Noch heute, fast sieben Jahrzehnte nach der Synthese durch den Chemiker Albert Hofmann im Jahre 1938, steht die Substanz in einem zutieft ambivalenten Ruf. In allen Ländern der Erde ist sie verboten, auf der anderen Seite gibt es genauso lange währende Bemühungen, das potente Psychedelikum als Medikament oder sakralen Bewusstseinsfahrstuhl einsetzen zu dürfen. Drei Tage im Kongresszentrum Basel durchwebte die zentrale Frage: Welchen Platz kann und soll LSD in einer Gesellschaft einnehmen? Erstaunlich heterogen das Publikum: 20-jährige Chemiker im Anzug, 40-jährige Meditations-Freaks in Batik, 60-jährige Professoren in Strickjacken. In den Vorträgen und Diskussionen schälten sich Anwendungsbereiche mit unterschiedlichem Potential und Problemlagen heraus. Schon der erste Beipackzettel der Firma Sandoz (heute Novartis), bei der Hofmann in den Zeiten des 2. Weltkriegs forschte und die LSD (Lysergsäurediäthylamid) als Medikament auf den Markt brachte, empfahl Psychiatern dessen Einnahme um ihre Patienten besser verstehen zu können. Nicht nur diese "Modellpsychose" schien erfolgversprechend, auch die Behandlung von Alkoholsucht und Psychopathologien wurden erfolgreich durchgeführt. Es ist bis heute weitgehend unbekannt, dass es während der bis 1966 dauernden Phase der Legalität eine Reihe erfolgversprechender therapeutische orientierter Forschungen mit LSD in Europa gab. Fast 40.000 Menschen erhielten während therapeutischen Sitzungen LSD, von psychischen Schäden ist nichts bekannt. Die dazugehörigen Dokumente wurden jüngst eingescannt und stehen bei der Erowid-Organisation (http://www.erowid.org) bereit. In der damaligen CSSR entwickelte Stanislav Grof die "LSD-Psychotherapie", in Deutschland spülte die "Psycholytische Therapie" um den Göttinger Hanscarl Leuner schwer zugängliche innere Zustände an die Oberfläche, die, aus dieser Sicht, erst dadurch therapeutisch bearbeitbar wurden. Heute gibt es immer wieder Versuche LSD oder anderen Psychedelika in der Therapie einzusetzen. So führt Charles Grob, Professor für Psychiatrie an der Universität of California zur Zeit eine Studie mit Krebskranken durch, deren quälende Todesängste durch eine psilocybinunterstütze Psychotherapie gemildert werden sollen. Bei Alkoholsüchtigen, bei deren Heilung seit fünf Jahrzehnten kaum wissenschaftliche Fortschritte zu verzeichnen sind, scheint die Behandlung mit Ibogain, einer aus Afrika stammenden Droge, erfolgversprechend. In kanadischen Vancouver werden hierhin gehende Versuche unternommen. Per Überschalljet durch alle Pforten der Wahrnehmung brettern Ernst Jünger nahm einen der ersten kontrollierten LSD-Trips zusammen mit seinem Freund Albert Hofmann, die Frau von Jünger sprach von "pubertärem Gehabe". Die beeindruckende Wirkung stieß in den 50er Jahren auf großes Interesse bei Intellektuellen, Künstlern und spirituell Interessierten, deren Berichte eine breite Öffentlichkeit neugierig machten. Der Weg für LSD als Volksdroge der 60er Jahre war geebnet. Die transformatorischen Erfahrungen auf der persönlichen Ebene schrien geradezu nach einer Umgestaltung der als spießig, lustfeindlich und entspiritualisiert empfundenen "spätkapitalistischen" Gesellschaft. Das Hippie-Zeitalter begann. In den USA rief Timothy Leary zum "Turn On, Tune In, Drop Out" auf, Vietnam-Protest und LSD verwoben sich zu einer politischen Bewegung, die ein radikal neues Lebensgefühl propagierte. Durch das daraufhin folgende, später weltweit ausgedehnte Verbot wurden alle Ansätze zu einer professionelle Anwendung von LSD als Therapeutikum praktisch lahm gelegt. Albert Hofmann fordert seit Jahrzehnten die Wiederaufnahme der Forschung. Er bedauert die massenhafte Verbreitung seiner Erfindung. Ihm wie anderen ist klar: So sehr die Substanz seit fünfzig Jahren vielen Menschen zu einer tiefgreifend positiven Veränderung ihre Lebens brachte und bringt, so sehr ist auch nicht zu verleugnen, dass sie Tausende von verlorenen Seelen schuf, die in Hoffnung auf Bewusstseinserweiterung nur in den Abgründen ihrer Psyche landeten, aus deren dunklen Ecken sie kaum oder gar nicht wieder herausfanden. Und wer aufmerksam war, der spürte auch in Basel die seltenen Momente, wo die schmale Grenze zwischen der subjektiv und objektiven Erforschung des Bewusstseins und einer Esoterik, die sich in der nie endenden Suche nach dem Sinn im Leben verstrickt, unklar wurde. Fest steht: Pharmakologisch wirkt LSD schon homöopathisch. Bereits einige Tausendstel Gramm genügen, um das menschliche System in einen hocherregten Zustand zu bringen. Ab 100 Mikrogramm besteht die gute Chancen per Überschalljet durch alle Pforten der Wahrnehmung zu brettern. Die Trennung zwischen individuellem Bewusstsein und äußerer Welt wird durch eine hohe Dosis LSD aufgehoben. Wie das erlebt wird hängt von der Person ab: Die einen nennen das dann ein "ozeanisches Gefühl", die anderen ein "Gefühl des unumkehrbaren Wahnsinns". Dass trotz dieser Gefahren nicht nur LSD, sondern auch die anderen psychedelischen Drogen wie beispielsweise Psilocybin (der Hauptwirkstoff in halluzinogenen Pilzen) einen Platz in der Gesellschaft verdient haben, liegt aus Sicht der meisten Referenten und rund 2000 Besuchern neben dem therapeutischen Nutzen auch darin begründet, dass das Zusammenleben auf und mit der Erde in einem so jämmerlichen Zustand sei, dass nur eine Veränderung des Bewusstseins des Einzelnen aus der Krise führen könne. Von der kosmischen Therapie Über den Irrweg der unkontrollierten Abgabe von LSD an jedermann herrschte auf dem Kongress weitgehende Einigkeit. Offen diskutiert wurde allerdings, wie eine kontrollierte Einnahme auch abseits der Behandlung psychopathologischer Indikatoren aussehen könnte. Der Schweizer Therapeut Manuel Schoch beispielsweise sprach von drei Zuständen den Menschen: Krank, Normal, Gesund. Und gesund sei aus seiner Sicht nur derjenige, der auch Berührungen mit spirituellen Urgründen in seine Leben integrieren kann. An dieser Stelle wurde deutlich, dass LSD nach wie vor nicht nur als Therapeutikum, sondern eben auch als sakrale Substanz angesehen wird. Dies forderte schon immer die Ängste einer christlich-rationalen Gesellschaft heraus. Die klassischen "Psychedeliker" erhoffen sich seit den 60er, dass die durch eine hohe Dosis LSD katalysierte mögliche spirituelle Erfahrung heilende Auswirkungen auf das Leben des Menschen hat. Auch der nun über 100-jährige Jubilar stellte es in seinen Kongressbeiträgen immer wieder in die Reihe der "heiligen Drogen" wie mexikanische Pilze, deren Einnahme unbedingt einen sakralen Rahmen benötigen, um den Einzelnen nicht zu schädigen. Während dieser aber in indigenen Völkern durch den Einsatz von Schamanen gegeben ist, ringt die westliche Kultur nicht nur bei der Droge LSD mit der Integration in die Gesellschaft. Das schamanistische ist dem rationalen Weltbild der Industrienationen so diametral gegenübergestellt, dass auch auf dem Kongress nur in Ansätzen gezeigt werden konnte, wie die Vorteile dieses Systems auch hier genutzt werden könnten. Die psychedelische Forschung ist weiterhin darum bemüht zu beweisen, dass die hochaktiven Substanzen ihren Platz in der Gesellschaft nicht nur verdient haben, sondern die Gesellschaft sie sogar dringend braucht, um den kritischen Zustand des Planeten zu bessern. Seit den euphorischen 60ern verwischt an dieser Stelle gerade in den Alternativ-Szene der USA immer wieder die Grenze zu transzendenten Erlösungsphantasien. Viel neues, so muss man attestieren, wußten die US-Apologeten des klaren Lichts und des ewigen "break on through the other side" in Basel nicht zu berichten. Schlimmer noch, in einem der Seminare wurde der anwesende Hoflieferant von Timothy Leary für seine Verdienste gefeiert, die Szene über Jahre hinweg mit LSD versorgt zu haben. Die Literatur zu dem Thema (Martin Lee: "Acid Dreams") geht mittlerweile davon aus, dass er wie viele andere Dealer auch in erster Linie für seinen ökonomischen Vorteil gearbeitet und zudem STP (Straßenname für DOM, Dimethoxymethylamphetamin) an die Hell`s Angels verkauft hat, die das Halluzinogen weiter vertrieben. Die große, gesamtgesellschaftliche Acid-Revolution jedenfalls, das hat nicht nur dieser Teil der Veranstaltung wieder gezeigt, ist eine geplatzte Seifenblase, sie wurde zu einer weiteren Note der Kulturgeschichte. Wie weit kann und muss man den Missbrauch von psychoaktiven Substanzen einschränken, damit deren Vorteile überwiegen? Weil LSD wie andere Drogen auch immer eine Ware ist, so die Antwort des Sozialwissenschaftlers Günther Amendt in Basel, lässt sich das Drogenproblem nie vollständig lösen ( "Der Leistungssport wird seine 'Unschuld' nie wieder zurückgewinnen" (1)). Es seien aber keine gute Zeiten für einen Neuanfang der Drogenpolitik. Repression sei zur Zeit wieder en voque, der "War on Drugs" sei trotz der Einsicht, dass dieser in erste Linie "ein Mittel der us-amerikanischen Außenpolitik" ist, nach wie vor Modell für alle globalen Drogenpolitiken. Eine weitere offene Frage ist: Existieren nicht andere, sanftere Techniken des Eingriffs in das menschliche Bewusstsein, um diesem hehren Ziel näher zu kommen? Nicht umsonst hat sich aus dem Samen der frühen "psychedelischen Bewegung" ein weitverzweigter Baum entwickelt: Der ökologische Aufbruch, Sekten, Teile der Frauenbewegung, Meditation, der Einfluss von östlichen Weisheitslehren, Yoga - viele derjenigen, die gute Erfahrungen mit LSD machten, wandten sich später alternativen Methoden zu, die nicht immer am eigenen Bewusstsein ansetzten, sondern oft einfacher fassbare, aber deswegen nicht weniger wichtige Veränderungen in der äußeren Welt brachten. Schon der Anarcho-Hippie Alan Watts riet: "As soon as you get the message, hang up the phone." Albert Hofmann selbst lebt dies vor. Er hat sich bis heute zu einem Naturmystiker entwickelte, der in der den manifestierten Schöpfungsakt "Gottes" sieht. "Wenn die Pforten der Wahrnehmung einmal geöffnet sind, dann braucht man LSD nicht mehr." In den Medien wurde immer wieder gerätselt, ob Hofmann trotz oder weil er LSD ein paar Mal genommen hat so alt geworden ist. Seine eigene Antwort viel unterschiedlich aus: Mal wies er pragmatisch darauf hin, dass er ein Leben mit und eines ohne LSD führen müsste, um dann wissenschaftlich zu vergleichen. Ein anderes Mal weist er auf seine Lebensumstände hin: "Ich hatte die Gnade, offene Sinne zu behalten." Eine weitere schöne Antwort gab er auf dem LSD-Kongress. Er würde sich jeden Tag "ein rohes Ei zu einem leckeren Schaum aufschlagen und dieses dann mit Bircher-Müsli mischen". Sein größter Verdienst ist vielleicht gar nicht die Synthese des LSD, sondern die gelebte Verbindung von wissenschaftlichem und spirituellem Weltbild. Und eventuell wäre der nächste Schritt für alle Interessierten einzusehen, dass sich die Wahrheiten aus den beiden Weltbildern nicht aufeinandern reduzieren lassen. LINKS (1) http://www.telepolis.de/r4/artikel/18/18098/1.html Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21813/1.html |