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Oben: Mitglieder der ersten bayerischen Räteregierung in der Festungsanstalt stehend (v.l.n.r.): ?, Toni Waibl, Rudolf Hartig, Valentin Hartig, ? , sitzend (v.l.n.r.): August Hagemeister, Erich Mühsam, Olschewski , Photographie, um 1920
In München wird die bayerische Räterepublik ausgerufenVon Winfried Sträterhttp://www.dradio.de/dlr/sendungen/kalender/253817/ Vor 85 Jahren ging es in Deutschland "drunter und drüber", wie man salopp sagen könnte. Der Erste Weltkrieg war zu Ende, Deutschland hatte verloren, obwohl man allgemein mit einem Sieg gerechnet hatte, der Kaiser hatte sich aus dem Staube gemacht, der Novemberrevolution waren Unruhen und Aufstände gefolgt. In dieser Situation herrschte auch in Bayern großer Aufruhr. Am 7. April 1919 wurde in München die bayerische Räterepublik ausgerufen. '' Bewahren wir sein unversehrtes Bild! Solange er da war, hatte die Revolution einen Sammelpunkt, in dem sie einig und ihrer frohen Zukunft gewiss war. März 1919. Trauerrede von Heinrich Mann auf den Politiker, der die Novemberrevolution von 1918 in Bayern angeführt hatte und danach der überragende Kopf in der bayerischen Politik gewesen war: Kurt Eisner. Am 21. Februar 1919 war Kurt Eisner ermordet worden. Der Mord war der Wendepunkt in der bayerischen Revolutionsgeschichte 1918/19. Ein Drama begann, das ein tragisches Ende haben sollte. Räterepublik! Das war vom Tage des Todes Eisners an der Refrain aller Kundgebungen. Ein stürmisches Verlangen nach ihrer sofortigen Ausrufung machte sich im Proletariat geltend. Das schrieb der Anarchist Erich Mühsam, der im März/ April 1919 eine der zentralen politischen Figuren in München werden sollte. Ein kleiner Rückblick: Die Revolution, die seit November 1918 an den Grundfesten der alten Ordnung rüttelte, war in Bayern anders verlaufen als in Berlin. Und das hatte viel mit der Person Eisners zu tun. Er hatte im November 1918 dafür gesorgt, dass die Arbeiter- und Soldatenräte in München ohne Blutvergießen die Macht übernahmen. Er selbst war der Chef der Räteregierung. Er verstand es, zwischen der SPD und den radikalen Spartakisten zu vermitteln. Eisner hatte das seltene Talent, mit einer politischen Vision im Kopf pragmatische Politik zu betreiben: Um die Gesellschaft des deutschen Kaiserreiches tief greifend zu verändern, wollte er das parlamentarische System verbinden mit einem relativ starken Einfluss der Arbeiterräte. Jetzt aber darf es kein Zurück mehr geben. Jetzt gilt es, der Gegenrevolution den Hals zuzudrücken, daß sie nie wieder zu Atem kommen darf. Man proklamiere sofort die Räterepublik, die kein Paktieren mit dem bürgerlichen Parlamentarismus mehr kennt. Dass nach dem Mord an Eisner die Anhänger der Revolution die Räterepublik durchsetzen wollten, sollte sich verheerend auswirken. In München gab es eine Szene von Intellektuellen, Künstlern, Schriftstellern, die linken Utopien verschiedener Provenienz anhingen - Sozialisten, Kommunisten, Lebensreformer, Anarchisten. Als sie die Wut und Verzweiflung der Arbeiter nach Eisners Tod erlebten und ihre Rufe nach der Räterepublik hörten, bekamen sie das unwiderstehliche Gefühl, dass die Stunde gekommen sei. Als aber der Gedanke Anfang April zur Wirklichkeit drängte, geschah es dennoch wie aus heiterem Himmel. Erich Mühsam war am späten Nachmittag des 4. April auf dem Weg zu einer Sitzung des Revolutionären Arbeiterrates im hochherrschaftlichen Wittelsbacher Palais. In dem Augenblick, als ich das Gebäude betreten wollte, kamen mir im Vorgarten eine Anzahl von Genossen entgegen. Sie forderten mich auf, sofort umzukehren und mit ihnen zum Ministerium des Aeußeren zu gehen, da die Räterepublik in Bayern sofort proklamiert werden solle. Ich glaubte zuerst, man wolle mich mit einem Witz aufziehen, erkannte aber bald, daß die Sache ernst war. Die Versammlung machte sich wenig Gedanken darüber, ob sie praktisch in der Lage sein würde, eine Räterepublik auf die Beine zu stellen. Sie gab einer Stimmung nach. Zwei Wochen zuvor war in Ungarn die Räterepublik ausgerufen worden. Die Begeisterung des Proletariats war überschwenglich. Schrieb Erich Mühsam. Ungarn war ein solches Fanal, dass sogar Regierungsvertreter in Berlin Angst bekamen, die Revolution werde Deutschland nun von Süden her überrollen. Bayern schien als nächstes Land an der Reihe zu sein. Zwei Tage lang berieten die Münchner Arbeitervertreter, bis sie am Abend des 6. April 1919 im Wittelsbacher Palais, im Schlafzimmer der früheren Königin, den historischen Entschluss fassten: Baiern ist Räterepublik. Das werktätige Volk ist Herr seines Geschicks. Die revolutionäre Arbeiterschaft und Bauernschaft Baierns, darunter auch alle unsere Brüder, die Soldaten sind, durch keine Parteigegensätze mehr getrennt, sind sich einig, daß von nun an jegliche Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende haben muss. Das verkündeten die Revolutionäre anderntags, am 7. April 1919, auf Plakaten dem bayerischen Volk. Schon am ersten Tag allerdings wurden die zweifelhaften Regierungsqualitäten der Volksbeauftragten, wie sie sich nannten, deutlich. Mittags um 12 Uhr sollte auf allen wichtigen Plätzen in München ein Redner zu den Menschen sprechen. Auch Erich Mühsam. Meine eigene Begeisterung war schon durch den bisherigen Gang der Sache stark niedergedrückt worden. Als ich jetzt die Stimmung in der Münchner Bevölkerung beobachtete, ging sie in Pessimismus über. Wohl war das Leben bewegter als gewöhnlich, aber es lag eine gewisse Schwüle über der Atmosphäre, eine beängstigende Stille, die auf argwöhnisches Abwarten schließen ließ. Die Festrede, die ich halten sollte, verwandelte sich in eine Rechtfertigungsrede. Es traten Diskussionsredner gegen mich auf. Die ganze Situation war äußerst unerquicklich. An revolutionären Ideen mangelte es den Volksbeauftragten nicht. Gustav Landauer hatte konkrete Pläne, das bayerische Bildungswesen von Grund auf zu verändern. Er machte sich auch sofort an die Arbeit. Der Ökonom Silvio Gesell hatte Konzepte für eine neuartige Geldwirtschaft. Sozialisierungen sollten durchgeführt werden. Vor allem hatte die Räterepublik Anziehungskraft auf Lebensreformer. Ernst Toller notierte: Verkannte Lebensreformer bieten ihre Programme zur Sanierung der Menschheit an. Die einen sehen die Wurzel des Übels im Genuß gekochter Speisen, die anderen in der Goldwährung, die dritten im Tragen unporöser Unterwäsche, die vierten in der Maschinenarbeit, die fünften im Fehlen einer gesetzlich vorgeschriebenen Einheitssprache und Einheitskurzschrift, die sechsten machen Warenhäuser und sexuelle Aufklärung verantwortlich. Im Grunde war die bayerische Räterepublik nicht ernst zu nehmen. Doch in der aufgeheizten Stimmung jener Monate kannte die SPD-geführte Reichsregierung in Berlin keine Gnade. Sie wartete nicht ab, bis sich die Sache von selbst erledigte. Vielmehr nahm der berüchtigte Reichswehrminister Noske die Niederschlagung der Republik in die Hand. Er ließ die Reichswehr und Freikorps in Bayern einmarschieren, gegen die die hastig aufgestellte Rote Armee Münchens keine Chance hatte. Anfang Mai 1919 mussten die Rotarmisten die Waffen strecken. Was folgte, war ein furchtbares Blutbad nicht nur unter den Revolutionären. Auch unschuldige Arbeiter wurden von Freikorps-Soldaten niedergemetzelt. © Deutschland Radio 2004 Alle Rechte vorbehalten Im Morgengrauen Emanuel Bachrach-Barée 1919 Öl/Leinwand 42,8 x 52,8 cm DHM, Berlin 1987/204 |