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Unsere vielen Liebhaber

Die zahlreichen Affären und Liebschaften der Franziska zu Reventlow beschäftigen immer noch die Nachwelt. Auch deswegen, weil die postmoderne Liebe von heute so domestiziert erscheint?

 VON ELISABETH RAETHER

Im Dezember 1911 teilte der Albert Langen Verlag in München Franziska Gräfin zu Reventlow mit, dass ihr Briefroman ins Programm aufgenommen werde. Der Titel, "Teegespräche", allerdings gefalle dem Verleger nicht, schrieb Reventlow an ihren Freund Franz Hessel, er wolle "etwas mehr Sensation mit erotischem Hintergrund". Das Buch erschien schließlich unter dem Titel "Von Paul zu Pedro", Untertitel: "Amouresken".

Es erzählt die Geschichte einer Frau, für die Liebe eine nicht enden wollende Suche nach Sinnenreiz, nach Genuss ist. Und weil der Roman ein autobiografischer ist, gilt Reventlow heute als eine moderne Frau voller "Lebenslust", als eine Frau, die sich nimmt, was sie will, die sich nicht zu einer "Porzellanpuppe dressieren" lassen wollte, wie Gunna Wendt in der im Frühjahr erschienenen Biografie "Die anmutige Rebellin" schreibt.

Reventlow wurde 1871 geboren, ihr Vater, Ludwig Graf zu Reventlow, war preußischer Landrat in Husum. Fanny Gräfin zu Reventlow, wie sie eigentlich hieß, wuchs im Schloss vor Husum auf, dem Dienstsitz des Landrates. Der Rotklinkerbau mit dem massiven Mittelturm, dem damals der Turmhelm fehlte, sah wohl eher wie eine Burg aus. Theodor Storm, der Husum die "graue Stadt am Meer" nannte, war ein Freund der Familie. Das junge Mädchen überredete ihre Eltern, in einem Lübecker Institut eine Ausbildung zur Privatlehrerin machen zu dürfen. Sie heiratete einen Hamburger Richter, ging nach München, wo sie Zeichenstunden nahm (die ihr Ehemann finanzierte). In München gehörte sie bald dem Kreis der Schwabinger Boheme an, einer losen Gruppe von Künstlern, Franz Hessel und Ludwig Klages gehörten dazu. Franziska zu Reventlow schreibt später einen Schlüsselroman über den Stadtteil und seine Bewohner, "Herrn Dames Aufzeichnungen". Ihre Ehe zerbrach nach zwei Jahren. Sie blieb in München, wo sie schrieb und malte und Gelegenheitsjobs nachging, um sich über Wasser zu halten. 1918 starb sie an den Folgen eines Fahrradunfalls in Ascona.

Der Manesse Verlag hat ihren Roman "Von Paul zu Pedro" jetzt neu herausgegeben. Die Gräfin, heißt es in der biografischen Notiz, beging mehrfach "Ehebruch" und "hatte zahlreiche Affären und Liebschaften". In der Biografie schreibt Gunna Wendt gleich auf der ersten Seite, Reventlow habe ein Leben "in Freiheit" geführt: "ungebundene Liebe, erotische Abenteuer".

Vielleicht weist man auf Reventlows Liebesleben so ausdrücklich hin, weil man die Schriftstellerin mit den Protagonistinnen ihrer Romane verwechselt. Die Erzählerin des Briefromans "Von Paul zu Pedro" schreibt ihrem Freund, den sie manchmal mit "Herr Doktor" anspricht, von ihren zahlreichen Liebschaften. Sie lebt in München, sie lebt allein und begegnet ziemlich vielen Männern.

Aber Reventlow hat mit der Erzählerin eine Figur geschaffen, und literarische Figuren sind Konstruktionen, auch wenn sie "ich" sagen. Sie sind keine Personen, sie verkörpern eher Ideen. Reventlows Erzählerin bereut nichts, sie ist ungebunden und kompromisslos. Sie plaudert. Sie scheint keinen Preis zu zahlen für das selbstbestimmte Leben, das sie führt.

Reventlow selbst hatte zu dem Zeitpunkt, zu dem das Buch erschien, einen 15 Jahre alten Sohn, Rolf. Sie zog das uneheliche Kind allein groß, den Namen des Vaters behielt sie für sich, weshalb sie sich mehrmals vor Gericht verantworten musste. Sie hatte Geldsorgen. Immer wieder gab es erbitterten Streit mit der Familie, die Reventlows Entscheidungen nicht verstand. Reventlow kannte den Preis, den sie für ihr selbstbestimmtes Leben zahlte.

Über die erste Nacht, die sie mit ihrem gerade geborenen Kind zu Hause verbringt, schreibt sie in ihr Tagebuch: "Ich war noch fast hilfloser wie das kleine Geschöpf, das immer schrie. Schließlich saß ich auf dem Bettrand und weinte auch und kam mir vor, als ob wir beide so verlassen wären und zu Grund gehen müssten."

Der Tonfall der Erzählerin ist anders. Sie entwirft gut gelaunt eine kleine Männer-Typologie. Es gibt zum Beispiel Typ "Paul": "Paul ist eine Begebenheit, die immer von Zeit zu Zeit wiederkehrt. Paul ist immer etwas Lustiges, Belangloses, ohne Bedenken und Konsequenzen. Paul wird in der Regel bald langweilig, und man entflieht in den tea room." Es gibt auch den Typus "elegante Begleitdogge": "zum Verzagen langweilig, aber unwiderstehlich, absolut unwiderstehlich elegant".

"Es muss etwas dasein", sagt sie über den Mann, den sie vielleicht einmal dauerhaft lieben soll, "was für mich persönlich Wert hat, mir erfreulich, wohltuend, unentbehrlich erscheint oder mir imponiert, kurz, was ich haben möchte."

Diese Frau, die so unbekümmert plappert, ist ein Ideal: Liebe ist für sie kein Zwang und auch keine tragische Verstrickung, sondern ein Amüsement, ein Impuls, dem man nachgibt. Dass man im Leben Spaß haben kann, war im Kaiserreich ja eine ziemlich subversive Idee, und für Reventlow muss die federleichte hedonistische Liebe noch ein Freiheitsversprechen gewesen sein.

Natürlich ist es unverfänglicher und deshalb angenehmer, dabei zuzusehen, wie gegen die Konventionen anderer Gesellschaften verstoßen wird und nicht gegen die eigenen, gegen unsere, die heutigen. Ich frage mich aber, warum der Versuch einer Frau, der Gesellschaftsordnung des Kaiserreichs zu entkommen, als "erfrischend" bezeichnet wird (Klappentext Manesse), als wäre jenes System nicht repressiv gewesen. Und warum die Biografin Gunna Wendt Reventlows Geschichte in einem so verträumten Ton erzählt, als "kompromisslose Suche nach Freiheit und Glück".

Überhaupt ist die Lage heute doch eine andere.

Ich, bald 30 Jahre alt, unverheiratet, keine Kinder, habe nicht die Sorge, dass ich zu viele Kompromisse mache, wenn es um mein persönliches Glück oder um mein Liebesleben geht.

Ich muss niemanden heiraten, um ein Auskommen zu haben oder ein Kind auf die Welt zu bringen. Ich kann mir so viele "Liebhaber" nehmen, wie ich will oder wie ich eben finde. Wenn ich mich mit einem besser verstehe, bleiben wir länger zusammen, vielleicht heiraten wir. Vielleicht auch nicht, auf jeden Fall trennen wir uns, wenn es nicht mehr geht, was wahrscheinlich schlimm wäre, aber nur für uns persönlich. Niemand würde sich wundern oder beschweren.

Jedes dritte Kind in Deutschland wird "unehelich" geboren, und die bundesweiten Scheidungszahlen legen nahe, dass kaum einer sich gezwungen sieht, eine Ehe zu führen, die aus irgendwelchen Gründen nicht mehr funktioniert.

Die häufigen Partnerwechsel, die "zahlreichen Affären", die man Reventlow in den Klappentext schreibt, sind heute Normalität, so dass uns, zumindest in einigen Milieus, jeder andere Lebensentwurf irgendwie seltsam erscheint.

Der Bruder eines Freundes hat kürzlich, mit 21 Jahren, seine gleichaltrige Freundin geheiratet, die er aus der Schule kennt. Die Eltern, Psychiaterin in Hamburg und Professor für Mathematik in Basel, seit über 15 Jahren geschieden, jeweils neu verheiratet, wieder geschieden, waren entsetzt. Vielleicht ist das ja eine Art Hilferuf, sagte die Mutter leise und senkte besorgt den Blick, als wir draußen in Brandenburg unter einer Eiche an der weiß gedeckten Hochzeitstafel saßen.

Die Frage, die mich jedenfalls in Wirklichkeit beschäftigt, ist nicht die, wie ich den Verbindlichkeiten meines Lebens entkomme, sondern die, wie ich welche schaffen kann. Bisher haben sich nämlich noch keine ergeben. Das ist wahrscheinlich eine andere Geschichte. Franziska zu Reventlow wusste natürlich nicht, dass die Verhältnisse einmal so sein würden. Ihre Bücher aber werden heute auch deshalb gelesen, weil sie nostalgisch stimmen und man sich bei der Lektüre in eine vergangene Zeit träumen kann, in der es noch "richtige" Tabus gab. Echte Hindernisse auf dem Weg zum persönlichen Glück.

Reventlows Leben wird in unserer Vorstellung zu einem Roman, der von Leidenschaft und Tapferkeit handelt. Gedankenversunken klappen wir das Büchlein zu und fragen uns, ob es nicht auch ein bisschen aufregend wäre, wenn die Affäre, die wir gerade begonnen haben, nicht einfach nur eine weitere Geschichte ist, aus der wieder nichts wird, sondern ein Aufbegehren gegen die "bürgerliche Moral". Unsere postmoderne Liebe erscheint so domestiziert, so harmlos, die Gegenwart kommt uns banal vor.

Jedoch: "Die Gesellschaftsordnung erkennt die Forderungen nach Freiheit, Selbstverwirklichung und Gleichheit, wie sie in der utopischen Vision von Liebe enthalten ist, inzwischen an", schreibt die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch "Konsum der Romantik" über unsere heutigen Vorstellungen von Liebe.

"Wer die Bedeutung dieser Neuerung bestreitet, läuft Gefahr, den vormodernen Liebesmärtyrer - vor allem Frauen - zu verklären und ihre Geschichten von Kampf und Leid nostalgisch und neidvoll zu betrachten."

Franziska zu Reventlow: "Von Paul zu Pedro". Manesse, Zürich 2008, 107 Seiten, 12,90 € Zusammen mit Jana Hensel schrieb Elisabeth Raether das Buch "Neue deutsche Mädchen" (Rowohlt Berlin)

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