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DER GERECHTIGKEIT EINEN BEISTAND TUN

Überlegungen zu den Bauernruhen im deutschen Südwesten 1475-1525

 Dr. Thomas Holub

 Die Niklashauser Fahrt
 Der Aufstand des Armen Konrad
 Bäuerliche Unruhen um Aalen

Über den bäuerlichen Widerstand am Scheitel des Spätmittelalters zur Neuzeit ist schon viel geschrieben und gesagt worden. Und auch dieses Jahr, da der sogenannte große deutsche Bauernkrieg sein 475. Jubiläum feiert, wird es wohl eine ganze Flut neuer Schriften, Vorträge und Exkursionen geben. Soweit ich die angekündigte Fülle übersehen kann, darf ich heute hier in Aalen den Anfang machen. Natürlich kann ich in meinem Vortrag nicht die ganze Bandbreite des Themas behandeln. Selbst ein Überblick ist angesichts der Fülle der berichtenswerten Ereignisse in dem mir vorgegebenen zeitlichen Rahmen nicht zu bewältigen. Ich muss mich also auf einige Überlegungen beschränken, die beispielhaft das Thema selbst, vor allem aber die Behandlung dieses Themas durch die zeitgenössischen Chronisten, die romantischen Geschichtsschreiber und modernen Wissenschaftler zum Inhalt haben.

Eigentlich ist es kein Problem. Ein jeder Historiker, der sich mit dem Thema Bauernkrieg beschäftigt und damit die bäuerlichen Unruhen im 15. und 16. Jahrhundert meint, kennt es und weist in seiner Abhandlung auch darauf hin. Die Quellenlage ist nämlich sehr einseitig. Von den beiden Parteien, die sich im Bauernkrieg gegenüberstanden, hatte die eine nur einen bedingten Zugang zur Schriftlichkeit. Die Bauern konnten nicht schreiben, hielten es in der Regel auch nicht für nötig. Ihre Meinung gaben sie in Spottliedern und Reimen weiter, die kaum erhalten geblieben sind. Selten schrieben sie ihre Wünsche und Forderungen auf, noch seltener fassten sie Berichte über die selbst erlebten und erlittenen Geschehnisse ab. Die Gegenseite war da eifriger und rühriger. Die Herren - die Grafen, Herzöge, Bischöfe und Äbte unterhielten eine rege Korrespondenz, ließen die Ereignisse niederschreiben, um ihr oft überzogenes Handeln vor den Zeitgenossen und der Nachwelt zu rechtfertigen, sorgten aber auch dafür, dass die Spottlieder der Bauern verboten wurden und somit verschwanden.

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1. Die Niklashauser Fahrt

Der Bischof von Würzburg machte es 1476 vor. Im bis dahin unbedeutenden Wallfahrtsort Niklashausen im Taubertal zwischen Tauberbischofsheim und Wertheim kamen plötzlich die Wallfahrer zu Tausenden zusammen. Ende Mai, Anfang Juni 1476 informierte der Graf von Wertheim den Mainzer Erzbischof Dieter von Isenburg darüber und drückte dabei seine Sorge aus, dass die Wallfahrt leicht zu einem Aufruhr führen könnte. Die Frage drängt sich natürlich auf: welchen Grund hatte der Graf anzunehmen, dass aus der Wallfahrt ein Aufruhr entstehen könnte?

Seit der Verbrennung des Reformators Jan Hus in Konstanz, seit den darauf folgenden Hussitenkriegen traten in Franken immer wieder Eremiten und Wanderprediger auf.

Es war noch nicht lange her, dass der Wanderprediger Friedrich Reiser aus Böhmen kommend in den Dörfern um Würzburg gegen Ablass, Reliquien und Heiligenkult predigte, der franziskanische Bußprediger Johannes von Capistrano in den Städten Nürnberg, Bamberg, Aschaffenburg und Würzburg die Menschen wider Wucher, Kleiderluxus und Spiel ermahnte und zu Buße und Einkehr aufforderte, der Eremit Antonius Zipfer, der in einer Klause bei Eichstätt lebte, den Reichstag in Regensburg ersuchte, endlich etwas gegen Spiel, Wucher und Kleiderluxus zu unternehmen. Solche Prediger zogen die Bevölkerung in Scharen an. Was sie zu sagen hatten, behagte den Grafen und Herzogen, den Äbten und Bischöfen natürlich nicht. Entsprechend nervös reagierten sie daher, wenn die Menschen zu Tausenden zusammenliefen. Nervös war also Graf Johann von Wertheim, als er von dem Anschwellen der Wallfahrer in Niklashausen, unmittelbar vor den Toren seiner Stadt hörte. Vielleicht war er sogar in Niklashausen und hat die Menschenmassen selbst gesehen. Jedenfalls war er so beunruhigt, dass er unverzüglich den für Niklashausen zuständigen Mainzer Erzbischof über die Wallfahrt informierte.

Der Erzbischof teilte offenbar die Sorgen des Wertheimer. Am 13. Juni beauftragte er seinen Kollegen, den Würzburger Bischof Rudolf von Scherenberg mit der weiteren Verfolgung der Niklashauser Angelegenheit, weil Würzburg erstens näher als Mainz am Wallfahrtsort liege und zweitens ein Untertan des Würzburgers, ein gewisser Hans Behem, für den plötzlichen Zulauf in Niklashausen verantwortlich sei. Einen Alleingang wagte der Würzburger Bischof allerdings nicht. Die Sache war auch heikel genug. Seit 1344 besaß die Kirche nämlich eine der Jungfrau Maria geweihte Kapelle, für welche 1353 in Avignon zwei Erzbischöfe und elf Bischöfe einen Ablassbrief ausgestellt hatten. Dieser Ablass war dann am 12. April 1360 vom Mainzer Erzbischof Gerlach von Nassau bestätigt worden. 40 Tage Ablass von allen Sünden versprach dieser Brief jedem Menschen, der nach Niklashausen wallfahrte. An der Wallfahrt selbst war also nichts auszusetzen. Solange sie auch in einem bestimmten Rahmen geblieben war, war sie auch nie beanstandet worden.

Der Bischof von Würzburg suchte zunächst den Schulterschluss mit dem Erzbischof von Mainz. Er schickte Ende Juni seine Räte in die erzbischöfliche Sommerresidenz nach Aschaffenburg. Gemeinsam mit den mainzischen Räten berieten diese über die Sache und fassten auch Entschlüsse:

erstens sollten die Urheber der Niklashauser Ereignisse, ein gewisser Johann Behem und ein namentlich nicht genannter Predigermönch gefangengenommen werden, zweitens wurde die Weiterverbreitung der Artikel verboten, die Behem den Wallfahrern vorgetragen hatte, drittens wurden die Messe in Niklashausen und die Laienpredigt untersagt, viertens wurde der Gebrauch der Gedichte und Lieder über die Wallfahrt sowie deren Verbreitung verboten, fünftens sollte das Geld und die Opfer, die in Niklashausen gespendet worden waren, konfisziert werden und sechstens sollten notarien und testes nach Niklashausen geschickt werden, die über die dortigen Vorgänge auch berichten konnten.

Der letzte Punkt lässt aufhorchen. Offenbar wussten die Räte nicht einmal genau, was in Niklashausen vorging. Und dennoch veranlassten sie weitreichende Maßnahmen, welche die Wallfahrt eindämmen mussten. Den notarien und testes, den Spitzeln, wie sie wohl zutreffender bezeichnet werden müssen, kam also die Aufgabe zu, die Maßnahmen nachträglich zu begründen. Die Spitzel brachten am 2. Juli tatsächlich eine Begründung für das bereits beschlossene massive Vorgehen gegen die Wallfahrt und besonders gegen den vermeintlichen Anführer Hans Behem. Den Namen Behem erwähnten sie allerdings nicht. Vielleicht kannten sie ihn auch gar nicht. In Niklashausen, so legten die Spitzel schriftlich nieder, predige ein Laie, der sogar behaupte, die Mutter Gottes sei ihm erschienen und habe ihm gesagt, dass Gott den Menschen und besonders den Priestern zürne und deswegen am 3. Mai Reben und Korn erfrieren habe lassen.

Dieser Laie sage auch, dass in Niklashausen größere Gnade als in Rom zu erwarten sei, dass der Kaiser ein Bösewicht sei, weil er den Fürsten, Grafen und Rittern Zoll und Beschwerungen für das gemeine Volk gegeben habe. Er behaupte weiterhin, dass der Papst nicht viel besser sei, weil alle Geistlichen zu viele Pfründen hätten. Bald würde es daher dazu kommen, dass die Priester erschlagen würden. Der Laie predige auch, dass die Fürsten, Grafen und Ritter gleich viel wie das gemeine Volk haben sollten und Fische, Wasser und Wild allen Menschen gehören mögen. Es ständen die Tage bevor, an denen Fürsten und Herrn um einen Taglohn arbeiten müssten. Der Prediger habe aber nicht nur aufrührerische Reden gehalten, sondern sogar die Absolution erteilt.

Diesen Spitzelbericht nahm der Bischof von Würzburg dann als Grundlage für seinen Propagandafeldzug. Sofort unterrichtete er die benachbarten Fürsten und Städte über die Vorgänge in Niklashausen und bat sie, ihren Untertanen die Teilnahme an der Wallfahrt zu verbieten. Tatsächlich erließen am 4. Juli der Rat der Stadt Nürnberg und am 5. Juli 1476 Herzog Ludwig von Bayern ein solches Verbot. Der Herzog begründete sein Verbot jetzt sogar mit den etlichen Wundern, die sich in Niklashausen zugetragen haben sollen und doch nur Betrug gewesen seien. Noch zehn Tage später ließ Erzbischof Diether von Mainz einen Bericht anfertigen, in dem behauptet wurde, dass in Niklashausen Wunder geschehen seien. Lahme hätten wieder gehen, Stumme wieder sprechen und Blinde wieder sehen können. Der Niklashauser Pfarrer, so der erzbischöfliche Bericht weiter, habe aber zugegeben, dass alles Betrug gewesen sei. Im Spitzelbericht stand allerdings nichts von solchen Wundern. Wahrscheinlich hatte der Bischof in seinem Ausschreiben an die Nachbarfürsten übertrieben, um die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns besonders dringlich erscheinen zu lassen.

Der Spitzelbericht diente also in erster Linie der Propaganda, vor allem dazu, die Nachbarfürsten zum gemeinsamen Vorgehen gegen die Wallfahrt zu veranlassen. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf diesen Bericht. Dennoch wurde er für bare Münze genommen - nicht nur von den Zeitgenossen des Bischofs, sondern auch von der modernen Geschichtsschreibung.

Wilhelm ZIMMERMANN, der schwäbische Pfarrer und erste Historiker des Bauernkriegs, der seine große Geschichte des Bauernkriegs mit eben jener Niklashauser Wallfahrt begann, sah jedenfalls keine Veranlassung dem Spitzelbericht zu misstrauen:

Die chiliastischen Ideen, so schrieb er 1841, waren Zaubertöne für den gemeinen Mann.

Fünfzig Jahre später erklärte Georg WINTER den Laienprediger Hans Behem zum christlich-socialen Agitator. Hugo HANTSCH zog 1925 sogar eine Verbindung zur reformatio Sigismundi. Günther FRANZ, der zweite, große Bauernkriegsforscher, sah in den Forderungen, welche im Spitzelbericht festgehalten wurden, sogar ein kommunistisches Programm. In den Quellenband, welcher der Darstellung folgte, nahm Franz den Spitzelbericht, der doch dieses kommunistische Programm dokumentierte, allerdings nicht auf. Im Jubiläumsjahr 1976 machte Elmar WEIß Hans Behem schließlich zum großen fränkischen Sozialrevolutionär des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Der Spitzelbericht avancierte so zum sozialpolitischen Programm und niemand ging der Frage nach, inwieweit der Bericht überhaupt die Predigten Behems richtig wiedergab. Mit keinem Wort nämlich erwähnen die Spitzel, ob sie die Predigten selbst gehört oder nur durch Dritte davon erfahren hatten. Stattdessen wurde gerätselt, ob Behem tatsächlich der Urheber dieses Programms war oder ob nicht irgendwelche Hintermänner ihn zu solchen Reden verleitet hatten. Die Frage scheint auch den Bischof und seine Räte beschäftigt zu haben. In allen Quellen wird Behem nämlich als Hirte und Pauker bezeichnet. Er gehörte also zur niedrigsten sozialen Schicht des Dorfes. Eine Bildung hat er gewiss nicht genossen. Die Frage lag also auf der Hand: Wie konnte ein ungelehrter Mensch solche Reden überhaupt führen? Schon auf ihrer Zusammenkunft in Aschaffenburg hatten die bischöflichen Räte eine Erklärung parat. Ein Predigermönch sei in Niklashausen anwesend.

Der bischöfliche Rat Kilian von Bibra wusste in seinem Bericht an den Rat der Stadt Nürnberg vom 13. Juli 1476, dass dieser Predigermönch bärtig sei, in einer Höhle bei Niklashausen lebe und aus Böhmen stamme. Damit war die Verbindung zwischen den hussitischen Lehren und den im Spitzelbericht niedergeschriebenen Ideen Hans Behems gezogen. Merkwürdig war allerdings, dass niemand den Namen dieses Mönchs kannte. Merkwürdig war auch sein weiteres Schicksal. Am 12. Juli 1476 ritten nämlich bischöfliche Reiter nach Niklashausen, um die Aschaffenburger Beschlüsse zu vollziehen. Nach dem Bericht Bibras nahmen sie dort Behem, den böhmischen Prediger und den Niklashauser Pfarrer gefangen. Dass der Pfarrer gleichfalls aufgegriffen wurde, ist eine weitere Merkwürdigkeit. Die Aschaffenburger Beschlüsse hatten dies jedenfalls nicht vorgesehen.

Der Verdacht, dass es diesen böhmischen Mönch gar nicht gegeben hat, dass der Pfarrer statt seiner gefangengenommen und nach Würzburg gebracht wurde, um die Behauptung von den gelehrten Hintermännern des ungelehrten Hirten wenigstens einigermaßen aufrechtzuerhalten, ist nicht von der Hand zu weisen. Dieser Verdacht wird vor allem dadurch genährt, dass der Mönch nicht wie Behem und der Pfarrer nach Würzburg, sondern nach Aschaffenburg gebracht worden sei, wie Bibra behauptete. In Aschaffenburg verliert sich nämlich die Spur des Mönchs. Nicht ein einziger Bericht erwähnt den Mönch fortan. Nichts erfahren wir über sein weiteres Schicksal. Und dies ist äußerst doch höchst ungewöhnlich.

Von den Wanderpredigern, die im 15. Jahrhundert durch Franken zogen, ergriffen und der Ketzerei überführt wurden, sind nämlich Berichte über die Hinrichtungen vorhanden. Und auch Hans Behem endete auf dem Scheiterhaufen. Der Niklashauser Mönch verschwindet dagegen sang- und klanglos, ganz so, als hätte es ihn nie gegeben. Die Frage drängt sich daher förmlich auf: Diente er vielleicht nur dazu, eine hussitische Gefahr vorzutäuschen, die es gar nicht gegeben hat? Sicherlich waren die Nachbarfürsten des Würzburger Bischofs eher zu gemeinsamen Maßnahmen bereit, wenn hussitische Umtriebe drohten.

Mit der Gefangennahme Hans Behems eskalierte die Sache jedoch vollends. Die Wallfahrer zogen nach Würzburg vor die Feste Frauenberg, in der sich der Bischof mit seinem Gefangenen verschanzt hatte, und forderten die Herausgabe Behems. Bibra behauptete, dass 8000 Wallfahrer vor der Burg gewesen seien. Bischof Rudolf sprach am gleichen Tag von 12000. Nach Verhandlungen und der Androhung von Gewalt durch die bischöflichen Gesandten zogen die Wallfahrer erfolglos wieder ab. Der Bischof ließ nun seine Reiter los. Was sie anrichteten, wurde hernach von bischöflicher Seite heruntergespielt. Der bischöfliche Rat Kilian von Bibra berichtete am 15. Juli nach Nürnberg, dass 108 Wallfahrer gefangengenommen, einige auch verletzt oder getötet worden seien. Der bischöfliche Domherr Georg von Giech behauptete zwei Tage später, dass sich die Wallfahrer zur Wehr gesetzt hätten und daher ein gute zale, wie es wörtlich in seinem Bericht heißt, an irem leben schaden empfangen hätten. Er rechtfertigte dieses brutale Vorgehen damit, dass die Sage umgegangen sei, die Schweizer kämen nach Niklashausen.

Im Frühjahr 1476 hatten die Schweizer Eidgenossen bei Grandson und Murten ihre Freiheit gegen den Burgunderherzog Karl den Kühnen erfolgreich verteidigt. In mehreren siegreichen, oftmals für den Gegner vernichtenden Schlachten hatten die Eidgenossen sich gegen fürstliche Ansprüche behauptet und galten mittlerweile so gut als unbesiegbar. Die freiheitsliebenden Schweizer Bauern und Bürger waren daher so etwas wie der Schrecken der Fürsten. Darauf zielte Giechs Bemerkung. Die bischöflichen Reiter hätten nämlich nur ein Zusammengehen der Schweizer mit den nach Niklashausen zurück eilenden Wallfahrern zu verhindern versucht. Da hätten sie in ihren Mitteln eben nicht sonderlich wählerisch sein dürfen. Die Schweizer kamen allerdings nicht. Sie waren nicht einmal aufgebrochen. Das Argument der bischöflichen Partei ließ sich also nicht mehr aufrecht erhalten. Schon gar nicht konnte sie zugegeben, dass sie einem Gerücht aufgesessen war, infolge dieses Gerüchts sogar Menschen umgekommen waren.

Über einen Monat später folgte daher ein anderes Argument. In einem Schreiben an Herzog Wilhelm von Sachsen behauptete am 30. August 1476 der Würzburger Bischof, Hans Behem habe in einer seiner Predigten, die Männer zu den Waffen gerufen und sie aufgefordert gegen Würzburg zu ziehen, was auch nach der Verhaftung Behems geschehen sei. Der Bischof berichtet dann weiter, dass nach dem Abzug der Wallfahrer aus Würzburg sich einige im Kirchhof zu Büttelbronn verschanzt und mit Steinen auf die bischöflichen Reiter geworfen hätten. Eine Notwehrsituation also! Jedenfalls wollte der Bischof dies Herzog Wilhelm weismachen. Zweifel sind allerdings angebracht. Mit keinem Wort erwähnt nämlich der Spitzelbericht, dass Behem die Männer zu den Waffen gerufen habe. Auch wusste keiner der bischöflichen Räte davon. Giech hätte nicht mit den Schweizern gedroht, wenn er von einem solchen Aufruf gewusst hätte. Den Widerspruch, dass die Bauern in Büttelbronn mit Steinen auf die Verfolger warfen und nicht ihre Waffen gebrauchten, übersahen allerdings alle.

Der Angriff auf die Wallfahrer war offenbar so problematisch, dass er gerechtfertigt werden musste. Zuerst mit der Behauptung, die Schweizer Eidgenossen rückten an, und dann, als dies sich als Unwahrheit erwiesen hatte, mit der Konstruktion einer Notwehrsituation. Merkwürdigerweise ging die Geschichtsschreibung mit dieser Behauptung kritischer um als mit dem Spitzelbericht. Der bischöfliche Chronist Lorenz FRIES musste im 16. Jahrhundert diese Behauptung des Bischofs natürlich vertreten. ZIMMERMANN und HANTSCH folgten ihm darin uneingeschränkt. Die modernen Historiker Günther FRANZ, vor allem der DDR-Geschichtswissenschafter Siegfried HOYER, aber auch der Hohenloher Carlheinz GRÄTER bezweifelten dagegen, dass Behem die Wallfahrer zu den Waffen gerufen habe. Merkwürdig ist dies deshalb, weil zwei Quellen aus der gleichen Feder unterschiedlich bewertet wurden. Dabei beinhalten beide eine nachgeschobene Rechtfertigung für bereits beschlossene oder vollzogene Handlungen.

Was ist aber damals tatsächlich geschehen? Auf Grund der einseitigen und parteiischen Quellenlage ist eine Rekonstruktion der Ereignisse nicht ganz einfach, aber auch nicht gänzlich unmöglich. Fest steht, dass in Niklashausen Tausende von Wallfahrern zusammengekommen waren. Fest steht auch, dass der Erzbischof von Mainz und der Bischof von Würzburg diese Wallfahrt unterbinden wollten. Die in Aschaffenburg beschlossenen Maßnahmen belegen dies eindeutig. Welche Motive, muss weiter gefragt werden, trieben die beiden kirchlichen Würdenträger um? Der Frankfurter Bürger Johann Heise und der Nürnberger Ratschronist wussten, dass mit den konfiszierten Opfergeldern das Mainzer Schloss gebaut worden sei. Ein interessanter Hinweis!

Der Oberhirte der Niklashauser Kirche, der Erzbischof von Mainz, konnte, wenn er bei dieser Wallfahrt ketzerische Umtriebe nachwies, die Wallfahrt verbieten und hatte dann auch das Recht, die Opfergaben zu konfiszieren. Und der Würzburger konnte mit der Eindämmung der Niklashauser eine unliebsame Konkurrenz seiner eigenen Wallfahrtskapelle beseitigen. Die Unterbindung der Wallfahrt war also ein lukratives Geschäft. Das einzige Motiv war dies aber nicht.

Die Wallfahrt könnte zu einem Aufruhr führen, so hat es der Wertheimer Graf ausgedrückt und damit die beiden kirchlichen Würdenträger in Mainz und Würzburg in Angst und Schrecken versetzt. In völliger Unkenntnis der tatsächlichen Ereignisse fassten diese dann die entscheidenden Beschlüsse, die sie durch einen zweifelhaften, weil nachgeschobenen Spitzelbericht absicherten. Übereifrig setzten sie ihre Entschlüsse auch in die Tat um - bis hin zu jenem Gemetzel im Büttelbronner Kirchhof. Spätestens mit dieser grausigen Tat wurden jetzt offenbar Stimmen laut, die von der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nicht überzeugt waren. Der Brief des Bischofs an Herzog Wilhelm von Sachsen belegt dies nachdrücklich. Auch einen Monat nach der brutalen Niederschlagung der Wallfahrt stand der Würzburger Bischof noch gehörig unter Druck und suchte nach immer neuen Rechtfertigungen für das überzogene, gewalttätige Vorgehen der eigenen Reiter.

Etliches nach den Ereignissen erschien das Lied Die nicklas hausser fart - dem Inhalt nach ein weiterer Versuch, das bischöfliche Vorgehen in Niklashausen und vor Würzburg zu rechtfertigen. Diesmal aber offenbar von Mainzer Seite aus! Die Handschrift, in der das Lied niedergeschrieben wurde, ist die gleiche wie die auf zwei Briefen des Mainzer Erzbischofs an den Würzburger Bischof in der Niklashauser Angelegenheit. Aus einem ganz bestimmten Grund erwähne ich dieses Lied. 1490 druckte es nämlich der Nürnberger Buchdrucker Hans Hofmann. Beinahe 15 Jahre später besaßen die Ereignisse von Niklashausen also immer noch eine Aktualität, welche die Neuauflage der Rechtfertigungsschrift notwendig machte.

Interessant ist bei diesem Druck aber vor allem der Titelholzschnitt. Er zeigt Hans Behem als Hirt und Pauker, umgeben von Schafen und mit einer Pauke. Das entspräche auch den Quellen, die Behem immer nur als Hirt und Pauker bezeichnen. Der Holzschnitt hat ihm zusätzlich aber noch eine Pfeife beigegeben. Und das sieht dann auffallend komisch aus: mit der linken Hand schlägt Behem seine Trommel, mit der rechten spielt er die Flöte. Ob beide Musikinstrumente gleichzeitig zu spielen sind, überlasse ich den Musikwissenschaftlern und Artisten und frage statt dessen, warum Behem, der in allen Quellen nur als Pauker, nie als Pfeifer bezeichnet wurde, nun eine Flöte erhalten hat.

Die Flöte ist natürlich ein Synonym. Sie galt immer schon als ein Musikinstrument, dem lockende Zaubergewalt, wie das Handbuch des deutschen Aberglaubens weiß, innewohnt. Wir kennen dies auch vom Rattenfänger von Hameln. Als Pfeifer ist Behem deutlich als Bauernfänger und Verführer charakterisiert - oder besser gesagt diskriminiert. Und das war die Absicht. Es ging aber noch weiter. Vier Jahre später erschien dann Sebastian Brants Narrenschiff. Die Sackpfeif ist des Narren Spiel, sagt Brant in seinem Werk und kann auch einen Narren nennen: Den Sackpfeifer von Nickelshusen. Hans Behem, der Narr und Verführer. Und die Pfeife ist das Synonym für seine Eigenschaften.

Als Pfeifer von Niklashausen - nicht als Pauker, der er tatsächlich auch war - fand Behem dann auch Eingang in die moderne Geschichtsschreibung. Wilhelm ZIMMERMANN verwendete diesen Begriff zum ersten Mal - für die Geschichtsschreibung. Ganz sicher hat er Brants Narrenschiff gekannt - und gewiss auch Wilhelm Hauffs Liechtenstein, in dem eine geheimnisumwitterte, romantische Gestalt ebenso charakterisiert wurde: der Pfeifer von Hardt. In der Darstellung der Niklashauser Ereignisse hielt sich Zimmermann aber wieder an die Quellen. Von einer Flöte oder Pfeife ist darin nichts mehr zu lesen.

Von Zimmermann scheinen dann die meisten Historiker abgeschrieben zu haben - nicht nur Friedrich Engels. Günther FRANZ nennt Behem ebenfalls den Pfeifer von Niklashausen, auch HANTSCH, GRÄTER und WEIß. So hält denn die Diskriminierung Behems als Verführer auch weiterhin an.

Natürlich muss man spätestens jetzt fragen, was die Niklashauser Wallfahrt überhaupt mit dem Bauernkrieg zu tun hat. Mehr als ein Anfangsverdacht kann aus den parteiischen Quellen allerdings nicht entnommen werden. Der Verdacht genügte aber den aufgeregten Fürsten, um nicht nur übereilt zu handeln, sondern ihn auch zu beweisen. So wurde - unwidersprochen, weil die andere Seite, die Wallfahrer nichts schriftlich festhielten - aus fanatischer Volksfrömmigkeit bäuerlicher Widerstand, aus der schwärmerischer Wallfahrt ein bewaffneter Bauernaufstand. hier mehr zur Niklashauser Fart und zur Rezeption der Niklashauser Fahrt in Literatur und Film: Die Sackpfeif ist des Narren Spiel

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2. Der Aufstand des Armen Konrad

Nicht ganz so einseitig wie bei den Ereignissen um die Niklashauser Wallfahrt ist die Quellenlage zum Thema Armer Konrad in Württemberg im Jahre 1514.

Verschwendung und Misswirtschaft der Grafen und Herzöge hatten eine katastrophalen Finanzlage im Lande hinterlassen, aus der sich der junge Herzog Ulrich mit einer neuen Steuer manövrieren wollte. Er führte ein Umgeld, also eine Verbrauchssteuer ein - und zwar auf folgende Art und Weise: er verringerte die Maße und Gewichte bei gleichbleibendem Preis. Die Bäuerin, die in der Metzgerei ein Pfund Fleisch verlangte, erhielt weniger als ein Pfund, musste aber ein Pfund bezahlen. Die Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert des Fleisches und dem entrichteten Preis sollte an den herzoglichen Fiskus abgeliefert werden. Um diese Steuer in die Praxis umsetzen zu können, mussten Gewichtssteine anfertigt werden, die geringer im Gewicht waren, aber das alte Etikett trugen. Als nun die neuen Gewichtssteine über die einzelnen Städte und Dörfer des Landes verteilt wurden, zeigte sich sofort der Unmut der Bauern - als erstes in Beutelsbach im Remstal. Dort entwendete der Taglöhner Peter Geyser die neuen Gewichtssteine aus der Metzgerei und tat sie ab, wie es in den Quellen heißt. Er warf sie in die Wasser der Rems.

Nun ist das so eine Sache mit dem Wasser. Im Wasser wurden Hexen festgestellt. Der Sachsenspiegel kannte gleichfalls die Wasserprobe um Schuld oder Unschuld eines Angeklagten festzustellen. Ob Peter Geyser solches im Hinterkopf hatte, lässt sich allerdings nicht mehr feststellen. Die Quellen, die darüber berichten, sind wie bei der Niklashauser Wallfahrt sehr einseitig. Natürlich versuchten sie den Eindruck zu vermeiden, dass die Gewichtssteine im Wasser erprobt und des Betrugs überführt wurden. Das Abtun der Steine hatte dennoch eine ungeheure Wirkung. Offenbar verstanden viele, die dabei waren oder davon gehört hatten, die ganze Aktion als Wiegen der Steine auf ihre Gerechtigkeit. Noch heute heißt das Gewann, an dem sich diese Aktion zugetragen hat, Waage. Und noch heute kennt der Volksmund die Worte, welche der Geispeter bei seiner Aktion angeblich gesprochen haben soll:

Wenn der Herzog Recht hat, schwimmt oben, wenn wir die Bauern Recht haben, geht unter.

Wie dem auch gewesen sein mag: das Abtun der Steine war der Anlass für landesweiten Protest der Bauern nicht nur gegen die neue Verbrauchssteuer, sondern auch gegen so manche schon seit längerem bestehende Ein- und Übergriffe der Herrschaft in den bäuerlichen Lebensbereich. Die neue Verbrauchssteuer, die neuen Gewichtssteine brachten das Fass zum Überlaufen, um es einmal bildlich auszudrücken.

Der Ausbau der Landesherrschaft hatte seit der Erhebung der Grafschaft zum Herzogtum 1495 an Intensität zugenommen. Zunehmend wurden einzelne herrschaftliche Rechte angeglichen oder erweitert. Dagegen richtete sich nun der Protest der Bauern vor allem gegen die Einschränkung der Wald- und Weidenutzung, die Wildschäden auf der eigenen landwirtschaftlichen Fläche, die Ausweitung der Frondienste, die Eingriffe in die gemeindliche Selbstverwaltung, die Eigenmächtigkeiten der Dorfobrigkeit, vornehmlich der Schultheißen und Richter, und die Ausweitung der herrschaftlichen Gerichtsbarkeit. Dieser Protest hat konkret und unmittelbar in den Quellen seinen Niederschlag gefunden.

Unter dem Druck einer geplanten Zusammenkunft der württembergischen Bauern auf der Untertürkheimer Kirchweih und der dadurch möglichen landesweiten Formierung des Widerstands versuchte Herzog Ulrich dem bäuerlichen Protest ein Ventil zugeben. Auf den 26. Juni 1514 berief er einen Landtag ein, auf dem auch die Bauern Gelegenheit erhalten sollten, ihre Beschwerden vorzutragen. Zum Landtag ist es dann tatsächlich auch gekommen - allerdings ohne die Bauern. Immerhin gestand Herzog Ulrich ihnen zu, ihre Beschwerden schriftlich niederzulegen und dann einzureichen. Tenor aller dieser Beschwerden war der Protest gegen die Neuerungen, welche durch die Landesherren eingeführt wurden. Die Bauern wandten sich also gegen das Neue und forderten die Wiederherstellung des alten Rechtszustands. Sie blieben damit innerhalb des mittelalterlichen Rechtssystems, das einem älteren gegenüber einem jüngeren Recht immer den Vorzug gegeben hat. Und sie blieben innerhalb der bestehenden Herrschaftsstruktur. Sie schrieben auf Veranlassung des Landesherrn ihre Beschwerden nieder und richteten diese auch an ihn. Auf eine höhere, göttliche Instanz beriefen sie sich nicht.

Herzog Ulrich schaffte also unter dem Druck des bäuerlichen Widerstands kurzfristig ein Ventil für den Unmut. Daraus aber eine ständige Einrichtung zur Lösung von Konflikten zwischen dem gemeinen Mann und der Herrschaft zu machen, gedachte er nicht. Als er mit dem Tübinger Vertrag die Bürger seines Landes auf seine Seite gebracht und ein militärisches Gegengewicht aufgebaut hatte, ging er gegen die Bauern vor. Zu einer kriegerischen Auseinandersetzung ist allerdings nicht gekommen. Die meisten Bauernhaufen lösten sich beim Herannahen des Herzogs auf. Die vom Herzog geforderte Huldigung wurde nur in Einzelfällen verweigert. Nur die auch heute noch starrköpfigen Remstäler zogen dem Herzog entgegen und gingen dann doch nach drei untätigen Tagen auseinander.

Herzog Ulrich konnte ungehindert in die Amtsstadt Schorndorf einmarschieren. Seine Truppen begannen auch sogleich mit der Verhaftung von mutmaßlichen Anführern, die verhört, gefoltert, verurteilt und vor versammeltem Amt enthauptet wurden. Viele Bauern, die eine führende Rolle gespielt hatten oder einfach nur Angst vor dem herzoglichen Strafgericht hatten, flohen in die Wälder oder Reichsstädte und weiter in die Schweiz.

Nach dem Zusammenbruch des Armen Konrads informierte Herzog Ulrich in einem Ausschreiben mit dem Titel Wahrhafftig Underrichtung der Uffrührn und Handlungen so sich im Fürstenthumb Wirtemperg begeben 60 Reichsstände in Südwestdeutschland über die embörung, uffrürn und mißhandlung - darunter befand sich sicherlich auch Aalen. Dabei verschleierte er seine Rolle in diesem Konflikt. Er erwähnte zwar die neue Verbrauchssteuer, erklärte aber, dass sie unbedingt notwendig gewesen und für die Bauern erträglich angesetzt gewesen sei. Er folgerte daraus, dass die fürnemlich ursach sollicher embörung der aigen will und das falschlich gemiet gewesen sei. Hochmut und Falschheit der Bauern also war für den Aufruhr verantwortlich. Die Falschheit untermauerte er dann mit dem Hinweis, dass sich 2000 geschworene Untertanen gegen ihn gerüstet hätten, als er gerade außer Landes gewesen sei.

Das ganze Schreiben diente natürlich dazu, den Nachbarfürsten mitzuteilen, dass er wieder Herr im Lande war. Auch erwartete er, dass sie mithalfen, die flüchtigen Anführer des Aufruhrs aufzuspüren und zu ergreifen. Dem Schreiben folgte alsbald eine von der Herrschaft veranlasste Reimchronik, welche die Ereignisse aus der Sicht der Herrschaft beschrieb.

Die Parallelen zur bischöflich-würzburgischen Propaganda sind überdeutlich: zuerst ein Ausschreiben an die Fürsten, dann eine Reimchronik für die lesekundigen Bürger. Wie die würzburgische folgte auch die württembergische Historiographie diesen Vorgaben. Der herzogliche Hofchronist Martin CRUSIUS nannte in seiner Schwäbischen Chronik aus dem Jahre 1596 den bäuerlichen Protest eine unrechtmäßige Rebellion und Aufruhr, auch eine toll-kühne Raserey und Unsinnigkeit.

Der gleiche Tenor findet sich auch bei Oswald GABELKOVER, Johann Ulrich STEINHOFER oder Christian Friedrich SATTLER. Sie sahen in den aufständischen Bauern ohnverstaendig Poebelvolck und boese Leute, die raubten und plünderten, sogar die Prälate und Edelleute und andere wackere Männer zu massacriren suchten. Im 19. Jahrhundert rückten die Historiker von diesem einseitigen Blickwinkel jedoch ab und betonten vor allem den konservativen Charakter des bäuerlichen Widerstands - mit Ausnahme Christoph Friedrich von STÄLI Ns?, der in seiner Wirtembergischen Geschichte aus dem Jahre 1873 bäuerliche Widerstandsgruppen in Geheimbünden zur Beseitigung der bestehenden Herrschaft sah.

Der Schorndorfer Stadtarchivar Heinrich Öhler folgte ihm 1932 in dieser Einschätzung. Er teilte den bäuerlichen Widerstand in zwei Gruppen: erstens in eine gemäßigte Gruppe, die nach der Wiederherstellung des alten Herkommens trachtete, zweitens in eine radikale Gruppe, den Armen Konrad, welcher die Beseitigung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse anstrebte. Dieser Teilung folgte neuerdings Andreas SCHMAUDER mit seiner umfassenden Monographie über den Armen Konrad, die vor zwei Jahren erschien. Er stützte seine These von der Radikalität des Armen Konrad auf Berichte der Vögte und auf Verhörprotokolle - beides Quellengattungen, die mit Vorsicht zu genießen sind. Für letztere gibt Schmauder dies auch unumwunden zu, ohne daraus Konsequenzen für die eigene Darstellung zu ziehen.

Die Berichte der Vögte wurden auf Veranlassung des Herzogs angefertigt. In ihnen sollte über die Träger und Ziele des Armen Konrad Auskunft gegeben werden. Vielfach beschränkte sich das Wissen der Vögte aber auf Gerüchte und Verleumdungen. Und sicher übertrieben sie auch, um den Armen Konrad als besonders gefährlich erscheinen zu lassen. Damit ließ sich auch leicht vom eigenen Fehlverhalten ableiten.

Noch kritischer müssen die Verhörprotokolle bewertet werden. Nach dem Zusammenbruch des Widerstands wurden Aussagen von Gefangenen sogar unter der Folter erpresst. Und so mancher Angeklagte wird sich die Folter - möglicherweise auch eine harte Bestrafung - dadurch erspart haben, dass er bereitwillig andere denunzierte. Das Mittelalter hat an derlei Praktiken freilich keinen Anstand genommen. Die Folter war ein zulässiges Instrument zur Rechtsfindung. Der Wahrheitsfindung diente sie aber ebenso wenig wie die Verleumdung. In einem von Verleumdungen, Gerüchten und Folter bestimmten Klima gedeiht allerdings keine historische Wahrheit. Und dennoch wurde neuerdings mit eben diesen Quellen zu beweisen versucht, dass der Arme Konrad ein konspirativer Geheimbund zur Beseitigung der bestehenden Herrschaft gewesen sei. Da wird dann die Behauptung herangezogen, dass der Winnender Jörg Yttelbös gefordert habe, dass die Obrigkeit zum Rathausfenster hinaus geworfen werden sollte, oder die von Conrad aus Weiler, der Herzog Ulrich wie seinen Vater in Ketten legen wollte. Solche Behauptung hat es mehrere gegeben. Selbst wenn sie alle der Wahrheit entsprächen, was nicht unbedingt erwiesen ist, kann aus ihnen lediglich zorniger Unmut und Unzufriedenheit über die bestehende Herrschaftsform herausgelesen werden. Ein Programm zur Beseitigung der seitherigen Herrschaft ist darin nicht erkennbar.

Der Aufstand des Armen Konrad war eine konservative Bewegung, welche auf die Wiederherstellung des alten Herkommens ausgerichtet war. Zu einer Revolution hat ihn nur die herzogliche Propaganda und die fehlende Quellenkritik mancher Historiker gemacht. Bei der Erforschung der bäuerlichen Unruhen an der Wende des 15. zum 16. Jahrhundert, an der Wende vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit ist eine entschiedene Quellenkritik unbedingt notwendig. Wenn von der einen Konfliktpartei gar keine, oder nur einige, von der anderen beinahe alle Quellen stammen und dies nicht berücksichtigt wird, dann führt dies zu den eben beschriebenen Fehlschlüssen - bis hin zu einer gänzlich falschen Einordnung einer Wallfahrt in das Bauernkriegsgeschehen.

Daher erscheint es mir auch angebracht, zu Beginn des Jubiläumsjahrs, zu Beginn weiterer Beschäftigung mit dem Thema Bauernkrieg darauf aufmerksam zu machen.

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3. Bäuerliche Unruhen um Aalen

Meine Überlegungen will ich aber nicht schließen, bevor ich nicht auch noch auf die Ereignisse um Aalen eingegangen bin. Ich sage bewusst: um Aalen. Die Reichsstadt selbst blieb nämlich von größeren Unruhen verschont. Hermann BAUER konnte in seiner Geschichte und Beschreibung der ehemaligen freien Reichsstadt Aalen aus dem Jahr 1852 lediglich berichten, dass einige Bauern aus dem Gebiet der Stadt dem gemeinen hellen Haufen zugelaufen seien. Truppen des Schwäbischen Bundes seien Mitte Mai 1525 durch die Stadt gezogen und hätten die Gegend zur Ruhe gebracht. Ebenso erging es Karlheinz BAUER. In seiner Aalener Geschichte aus dem Jahre 1983 ging er zwar auch auf den Bauernkrieg ein. Mehr als über die allgemeine Haltung der Reichsstädte konnte auch er nichts weiteres berichten. In den großen Monographien über den Bauernkrieg erscheint die Stadt Aalen überhaupt nicht - weder bei ZIMMERMANN noch bei FRANZ. Die Reichsstadt Aalen also eine heile Welt? Oder lag sie, was den Bauernkrieg angeht, am Ende der Welt?

Letzteres muss eindeutig verneint werden. Rundherum liefen die Bauern zusammen und zogen in größeren und kleineren Haufen durch die Lande. In Gmünd bildete sich am 26. März 1525 ein Haufe, der sich vor allem aus Bauern der Reichsstadt, der benachbarten Klöster und württembergischen Untertanen rekrutierte. Die erhoffte Unterstützung durch die Bürger der Stadt blieb allerdings aus. Und so liefen die Bauern wieder auseinander, als die beiden Schenken von Limpurg ihnen die Überprüfung ihrer Beschwerden zugesagt hatten. In Hall wurden die Bauer schon drei Tage nach dem Zusammenlaufen mit Gewalt auseinandergejagt. Dabei zeigte sich deutlich ein militärisch-technisches Übergewicht des städtischen Bürgertums. Rund 500 Haller wohlbewaffnete Bürger zersprengten den auf 3000-4000 Bauern geschätzten Haufen.

Zur gleichen Zeit, am 27. März 1525 liefen die Riesbauern zusammen und bildeten mit heimkehrenden Landsknechten, die bei Pavia für Kaiser Karl V. gegen König Franz von Frankreich einen Sieg erfochten hatten, einen Haufen. Eigentlich hätte man von diesem Haufen mit kriegserfahrenen Männern einiges erwarten dürfen. Bis auf eine streng militärische Ordnung kam allerdings nichts zustande. Dem ganzen Unternehmen fehlte die Legitimation. Warum und wozu man eigentlich zusammengetreten war, schien niemand so recht zu wissen. Man habe sich des Evangeliums wegen erhoben, wurde ein kursierendes Schlagwort wiedergegeben. Konkrete Vorstellungen, die auch in Forderungen mündeten, konnten daraus nicht gezogen werden.

Ganz anders dagegen die Bauern der Reichsstadt Bopfingen. Auf ihrer Versammlung auf der Langen Wies an der Straße nach Kirchheim stellten sie ihre Forderungen in einzelnen Artikeln auf, die im Kern nichts anderes bedeuteten als die Durchführung der Reformation in Bopfingen, die daneben aber auch für mehr Mitwirkung der gemeinen Leute im Stadtregiment eintraten - also ganz konkrete auf die Bopfinger Verhältnisse abgestimmte Forderungen. Ende März vereinigten sich die Bopfinger mit den Riesbauern und nahmen damit ihrer Sache den Schwung. Als die vier Grafen von Oettingen nach der vernichtenden Niederlage der Bauern bei Leipheim am 12. April 1525 nämlich mit Gewalt drohten, lösten sich die rund 3000 Riesbauern auf. Die Mehrheit der Bopfinger suchte nun Anschluss an einen anderen Bauernhaufen.

Von anderem Kaliber war dagegen der Gaildorfer helle Haufe, der sich nach der Weinsberger Bluttat aus vornehmlich limpurgischen Bauern am 17. April bildete. Die Gaildorfer beriefen sich auf die göttliche Gerechtigkeit und forderten von den Herren die Annahme der 12 Artikel. Dadurch ermuntert rotteten sich jetzt in Ellwangen die Bauern zusammen, vereinigten sich mit dem Bopfinger Haufen und zogen, nachdem Stadt und Schloss in ihren Händen waren, nach Dinkelsbühl, das ihnen die Tore öffnete und die 12 Artikel anerkannte. Jetzt formierten sich auch wieder die Riesbauern Aber schon am 8. Mai stießen die Bauern bei Ostheim auf die Vorhut des markgräflich-ansbachischen Heeres und wurden vernichtend geschlagen.

Der Ellwanger und Bopfinger Haufen versuchte zwei Tage später die Burg Baldern und die Kapfenburg zu stürmen. Nach der Schlacht bei Böblingen wurden die Haufen bei Lauchheim allerdings auseinandergejagt. Ein letzter Rest ergab sich am 17. Mai 1525 in Ellwangen. Wohl kurz zuvor wurden die Bauern aus Unterkochen in einem kleinen Scharmützel vor den Toren Aalens von einer Abteilung der Truppen des Schwäbischen Bundes unter Führung des Ulmer Bürgers Sigmund Berger auf dem Weg nach Lauchheim auseinandergetrieben.

Rund um Aalen rotteten sich also die Bauern zusammen - in Aalen selbst allerdings nicht. Und Aalen war auch nie Zielpunkt bäuerlicher Aktivitäten. Die Ellwanger zogen nach Dinkelsbühl, die Riesbauern und Bopfinger nach Nördlingen. Und selbst die Unterkochener erschienen vor Aalen nur deshalb, weil sie entweder den Anschluss an andere Haufen suchten oder von den Ulmer Truppen des Schwäbischen Bundes dorthin gedrängt wurden. Also doch eine heile Welt in Aalen? Eine Antwort auf diese Frage kann ich Ihnen allerdings nicht geben. Sie würde meinen Vortrag sprengen, auch vom eigentlichen Thema abschweifen. Nur soviel: Ganz offensichtlich gab es in Aalen nicht wie etwa in der Fürstpropstei Ellwangen, zu der Unterkochen zählte, in den Reichsstädten Bopfingen, Gmünd und Hall kein Konfliktpotential. Dies könnte erstens an der sozialen Struktur liegen. In Aalen hat es das typische, reichsstädtische Handwerkerbürgertum nicht gegeben. Die Bürger lebten aus landwirtschaftlichen Erträgen, waren wirtschaftlich also auch Bauern. Diese Vermengung aus wirtschaftlichem Bauerntum und sozialem, wie politischem Bürgertum ließ Konflikte gar nicht erst entstehen. Die wenigen, rein bäuerlichen Untertanen Aalens waren zahlenmäßig zu gering, als sich selbst zu formieren. Sie suchten daher Anschluss an die großen Bauernhaufen in der Umgebung.

Vielleicht gab es zweitens auch schon Institutionen, die entstehende Konflikten zwischen Bauern, Bürgern und der Obrigkeit ein Ventil boten und auf politischem Wege gelöst werden konnten. In einem Vertrag von 1514, den Hermann Bauer erwähnt, wurden innerhalb der Stadt Misshelligkeiten ausgeräumt. Man war ganz offensichtlich in der Lage Konflikte vertraglich zu regeln.

Das Jahr 1514 müsste uns aufhorchen lassen. Es ist das Jahr, in welchem sich die Bauern in Württemberg gegen ihre Herrschaft erhoben. Boten die württembergischen Ereignisse vielleicht erst das Vorbild für Bauern und Bürger, ihren Protest gegen wirtschaftliche oder soziale Benachteiligung auch zu formulieren? Und förderten die erschreckenden Berichte aus Württemberg die Bereitschaft des Rates, Konflikte durch einen langfristigen Vertrag zu lösen? Der Vertrag selbst könnte darüber Auskunft geben. Leider ist sein Aufbewahrungsort bisher unbekannt. Sicher liegt eine Abschrift für den Kaiser im Reichsarchiv in Wien. Aber auch die vermittelnden Städte Ulm und Hall könnten damals Abschriften erhalten haben. Es wäre ganz sicher eine lohnende Aufgabe, dieses frühe Dokument der Stadtverfassung aufzustöbern und einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen.

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Vortrag anlässlich der Hauptversammlung des Geschichts- und Altertumsvereins Aalen gehalten am 20. Januar 2000 im Casino der Volksbank

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