Gräsers Leben nacherzählt
von http://home.t-online.de/home/hascheid/Gusto_Graser/gusto_graser.html
Der Kunstschüler aus Siebenbürgen, aus gutem Hause - Bischöfe, Geschichtsschreiber, Landräte – wirft seine Bilder aus dem Fenster, schickt sein Geld nach Hause, wandert los, nackt oder fast nackt. Ein mitleidiger Bauer schenkt ihm ein Kalbfell, seine Blöße zu bedecken. Er findet Kameraden, zieht mit ihnen über die Alpen, barfuß, langbärtig, einen Hirtenstab in der Hand. Die Kinder knien vor ihm nieder, die Hirten bekreuzigen sich, murmeln: a venit Christos! Im sonnigen Tessin, an einem Alpensee, Lago Maggiore, lassen sie sich nieder, bauen eine Siedlung. Der verlassene Weinberg blüht wieder auf. Sie nennen ihn Monte Verità, Berg der Wahrheit. Dieser Berg soll eine Republik des freien Geistes sein, ohne Zwang, ohne Staat, ohne Geld, ohne Herren und Knechte, eine Liebeskommune. Doch der Besitzteufel spuckt ihnen in die Suppe. Einer der Mitgründer, ein Millionärssohn, schwingt sich kraft seines Geldes zum Alleinherrscher auf, wirft Gusto hinaus. Der wandert kreuz und quer durch Mitteleuropa, verweigert in seiner Heimat den Militärdienst, kommt ins Gefängnis. Zurückgekehrt nach Ascona bezieht er eine Höhle im Gebirge, einen klaffenden Felsspalt. Einen Schüler hat er mitgebracht, einen jungen, schon berühmten Schriftsteller, Hermann Hesse sein Name. Der übt sich im Fasten, im Nacktlaufen und Meditieren, gräbt sich bis zum Hals in die Erde ein, um die Heilkraft der Natur zu erproben. Nach einigen Wochen hat er genug, will heim, will bei einer Flasche Wein und einer guten Zigarre wieder unter der Leselampe sitzen, träumt von warmen Bädern und Mozartmusik. Er wird bald Legenden schreiben aus seiner "Wüste Thebais", in denen viel von Einsiedlern und meditierenden Heiligen die Rede ist. Indes zieht Gräser in die Städte, rezitiert seine Gedichte in Künstlerkneipen, tanzt seinen Feuertanz auf Theaterbühnen. Er sucht und findet eine Frau, eine, die ihn übernacht zum Vater von fünf Kindern macht. Sie stammen aus ihrer ersten Ehe. Der Wanderer trägt sie, ernährt sie auf der Straße mit seinen Gedichten, die er unterwegs und in Gaststätten von Tisch zu Tisch verkauft. Seine Familie begleitet ihn im grünen Zigeunerwagen. Er hält "Öffentliche Gespräche" ab, stellt sich vor als den Freund, der die Menschen zu sich selbst führen will. "Ein Freund ist da – mach auf!" Er streut seine Flugblätter unters Volk, redet in den Heimen und auf den Tagungen der Wandervögel. Verbote und Verhaftungen, Ausweisungen und Ab-schiebungen folgen Schlag auf Schlag. Von Kampf und Not sprechen seine Gedichte. Die Not feiert er als seine Glückmutter. Er umarmt sie als seine Braut. Hermann Hesse kann indes seinen Meister nicht vergessen. Er flieht vor ihm in die Kneipen, in die Sanatorien und bis nach Hinterindien. Umsonst. Er kämpft mit ihm, ermordet ihn, wird von ihm ermordet. Am Ende, 1916, bricht er zusammen. Will zurück zum Freund, sucht ihn in Ascona. Der ist eben aus Siebenbürgen zurückgekehrt, wo er wiederum den Kriegsdienst verweigert hat. Man hat ihm seine Erschießung angekündigt, lässt ihn drei Tage in der Zelle auf seine Hinrichtung warten. Er widerruft nicht. Man steckt ihn ins Irrenhaus. Daraus entlassen kommt er als Sieger nach Ascona zurück in der Nacht, da ihm seine Frau eine zweite Tochter zur Welt bringt. Zwei Tage später trifft er sich mit Hesse, der in ihm nun seinen Seelenführer findet, sein Daimonion, seinen "Demian". Frau Elisabeth mit ihren sieben Kindern wird ihm zum Abbild der Großen Eva-Mutter. Zu ihrer Gesprächsrunde stößt ein junger, noch unbekannter Philosoph: Ernst Bloch. Emigranten, Kriegsgegner, die Dada-Künstler von Zürich schließen sich ihnen an. Hesse fühlt sich aufgenommen in die Gemeinschaft derer mit dem Zeichen, dem Bund vom Monte Verità, einem Bund von Zukünftigen. "Unsere Aufgabe war, in der Welt eine Insel darzustellen, vielleicht ein Vorbild, jedenfalls aber die Ankündigung einer anderen Möglichkeit zu leben."In 'Demian' und 'Zarathustras Wiederkehr', dann in 'Siddharta' und anderen Dichtungen versucht Hesse die Botschaft Gräsers zu vermitteln, bekennt sich aber nicht offen zu seinem Freund. Nach Kriegsende zieht er sich ins Tessin zurück. Zur gleichen Zeit begibt sich Gräser ins München der Revolution, predigt Gewaltlosigkeit und Kommunismus des Herzens. Wird von den Linken niedergeschrieen, von den Rechten ins Gefängnis geworfen, dann aus Bayern ausgewiesen. Aber die Jugend wartet auf ihn, hebt ihn auf ihren Schild. In Freiburg spricht er monatelang vor vollbesetzten Sälen, wird zum Stadtgespräch. Unter seinen Hörern ein noch unbekannter Dozent: Martin Heidegger. Einer seiner Freunde, Muck Lamberty, zieht mit fünfundzwanzig jungen Männern und Frauen tanzend, spielend und singend durch Bayern und Thüringen. Sie predigen in blumengeschmückten Kirchen, in ihren Tänzen reißen sie Tausende mit sich. An ihren Lagerfeuern spricht Gusto Gräser. Hesse wandert nicht mit, aber er erhebt diesen "Kinderkreuzug", diesen "Kreuzzug der Liebe" zehn Jahre später ins dichterisch-legendäre Symbol: als "Morgenlandfahrt" nach der Heimat der Seele. Er selbst hatte sich von Gräser zurückgezogen, sieht sich jetzt als Fahnenflüchtigen, als Verräter, als Abgefallenen vom Bund, dem er auf dem Wahrheitsberg sich angeschlossen hatte. Reuig will er zurückkehren zum Meister, als "Knecht" ihm dienen in den Lebensläufen des 'Glasperlenspiels'. Der Zug der Fünfundzwanzig wird aufgelöst, Gräser soll aus dem ganzen Deutschen Reich verwiesen werden. Thomas Mann setzt sich für ihn ein: "Dieser Mann ist reinen Herzens" – und erreicht, dass Gräser in Deutschland bleiben darf. Der tritt nun in Berlin mit "Öffentlichen Gesprächen" wieder unter die Menschen, kämpft gegen das Waldsterben, das er kommen sieht, ruft nach den Menschen der "Erdsternzeit", die die Natur wieder ehren können. Seine Freunde begründen Siedlungen, suchen als "Christ-Revolutionäre", "Christ-Sozialisten" oder "deutsche Gandhibewegung" einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, einen grünen Weg. Mit Fidel und Flöte ziehen sie barfuß überland, ziehen ein Handwägelchen mit Druckpresse hinter sich her, werfen ihre Flugblätter ins Volk. Sie nennen sich nach Gandhi und Jesus, meinen aber Gräser, seine "Heimkehr zur Wirklichkeit", seine "Menschenheimat", sein "Erdstern-reich". Mit einer Versöhnungsarmee wollen sie nach Frankreich ziehen, dem einstigen "Erbfeind" beim Wiederaufbau Sühne leisten. Das Hitler-Regime zerschlägt ihre kleine Schar, SA besetzt und zerstört das 'Antikriegsmuseum' in Berlin, in dem Gräser gearbeitet hatte. Er wird als "Asozialer" abgestempelt, ist mit KZ-Einweisung bedroht. Nach mehreren Verhaftungen und Schreibverbot flüchtet er sich nach München, wo er in den Dachkammern von Freunden die Jahre des Terrors halbverhungert übersteht.Nach dem Krieg arbeitet er wieder in der Staatsbibliothek, füllt Buch um Buch mit seinen prophetisch mahnenden Briefen und Gedichten. Nichts davon kommt zum Druck. Im Englischen Garten verteilt er seine Flugblätter, lässt sie vom Rathausturm auf den Marienplatz flattern. Wie seit Jahrzehnten spricht er die Menschen auf den Straßen und in Lokalen an, zieht sie ins Gespräch, versetzt ihnen Stöße in die Rippen und Schläge ins Gewissen, die sie aufwecken sollen. Er tut dies durch sein Beispiel, durch sein bloßes Dasein, aber auch mit seinen Worten, mit seinen Gedichten, in denen vom Weltenbaum, vom Hochzeitstanz, vom Heiligen Mahl, von der Großen Mutter Not und vom Jahrkreis die Rede ist. Er läutet sein BAUMBINIMBAUN, er singt sein HIAH-NAIN, den "Allwelt-vermählungssang", die "Urmusik". Ursymbole der Menschheit weckt er wieder auf, schafft neue Rätselworte, stößt damit freilich auf taube Ohren. Unbemerkt stirbt er in einer Dachkammer, wird verscharrt in einem Armengrab. Zwanzig Jahre später versammeln sich mehr als tausend junge Menschen um seine Einsiedelei in den Südalpen, tanzen und singen und reden auf den Felsen, in den Wäldern. Seine Gedichte tönen vom Berg, sein TAO-Buch kreist an den Lagerfeuern. OM-Töne durchsummen den Wald. Die neuen Morgenlandfahrer umkreisen den Weltenbaum. Heute reisen Schulklassen und Touristen an diesen Ort, lesen Hesses Legenden in der Berghöhle seines Freundes. Die Botschaft aus den Felsen hat sich über die ganze Welt verbreitet. Was aus zweiter Hand darüber verbreitet wurde, stellt freilich nur einen dünnen Abguss dar. Das eigene und eigentliche Werk von Gusto Gräser ist noch unerschlossen, tritt erst jetzt nach und nach ans Licht. Eine Schau tut sich auf, die unsere Welt als gewaltigen Energiewirbel zeigt, als "Flammenflut", als "Wirweltwirbel", als "Hochzeitstanz" der Geister und Atome. Der Kosmos erscheint im Bild eines Weltenbaums, "der zweiget, dreiet, wirbeldreht, hah, trilliont, sich trennt, sich paart" und der am Ende "zusammenwandelwohnt im Sam, Allhochzeitsam", in der "Paarheiterkeit" des schauend wieder mit sich selbst geeinten Menschen. Mit "Weisheit-milch" will der "Weltwunderbaum" uns tränken, "Allweltvermählungs-sang" geht von ihm aus, in seinen "Wirweltreigen" will er uns hineinziehen. Er lockt und ruft die Menschen, sich einzureihen, mitzutanzen, die aus den Fugen geratene Menschenwelt "indiereihzutanzen", sie und sich zu heilen durch Eingehen ins Ganze, Aufgehen im Ganzen. Gerufen und gefeiert wird der mit Gärtnerhand waltende, mit Mütterlichkeit hegende, mit Freundlichkeit schonende Mensch einer kommenden "Weltgartenzeit".
GräserVita, Bilder aus seinem Leben, ein paar seiner Gedichte.
Gusto Gräser ist auf Besuch in München und es ist Revolution dort...