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Edition Friedrichshagen I Fidus - Hugo Höppener, Tagebuch Januar bis Juli 1945 März27. Dienstag: Gartentisch geschliffen u. gestrichen. Endlich wieder am Sonnenfenster angezogen. Gegen Abend von Rüdf. Werner S.: sehr pessimistisch, Oderfront durchbrochen, herbe Kritik an "unserer Politik". Ich warte ab im Sinne des Spruches: "An den Früchten soll man erkennen". Ich hatte nicht geglaubt, daß das deutsche Volk eine Groteske von "Aufstieg" und "Niedergang" erleben solle. Taktlosen Krampf finde ich, daß "man" kürzlich im Film noch Hitlers Einzug in Berlin 1933 zeigte: Berlin im Siegesglanz und heil! Es passt alles zum Größenwahn seiner Bauten, zumal in Nürnberg. Elsbet hat die Bilanz mit Edwin gefertigt und giebt sie Werner für Berlinpost mit. Mittags Einzelflieger mit Bordwaffen-Schießen nahe Friedrichshagen. Alarm hinterher! Ich komme nur noch zum Tagebuch an den Schreibtisch. Elsbet lädt die ausgebomte Mia Fellmann für die Ostertage her, will sie aber um des "Elfriedens" Willen nicht als Dauergast. Abendalarm. 28. Mittwoch: Noch immer Sonne. Ich putze den Küchenherd noch nach u. bastele bis Nachm. "Verlobung" gestern die Wolken von oben kaltes Licht, heute von unten warmes. So sehen sie nun nicht mehr so finster aus, und der dazu- kommende Maler Schwefel findet sogar den Himmel großartiger als auf dem Entwurf: das beruhigt mich. Er liest mir einen Brief seiner Schwester vor, die auf einem Gute von Russen (Infanterie!) überflutet wurden, die ihnen alle Wertsachen raubten, Häuser und Treckwagen verbrannten, ihnen aber am Leibe nichts taten. Nur den Gutsherren ließ der Leutnant erschießen, weil die polnischen Arbeiter ihn verklagten, daß er sie nicht gut behandelt hätte. Also nicht alle Russensoldaten foltern Menschen und vergewaltigen Frauen! Dagegen wußte Schw. von eigenen Soldaten, daß sie sich gerühmt hätten, polnische u. russische Mädels vergewaltigt zu haben! Für Menschen- und Völkerkenner ist dies nicht verwunderlich, und die einseitige Beschuldigung der Gegner selbstverständlich! Schw. kaufte noch im Verlage. So kam ich nicht zum Lackieren des Gartentisches. Elsbet ging mit Elfriede zum Reinigen der Grabstätte. Elfriede hat sich Georgs längst "verfallenes Grab" gekauft, also hofft sie doch in Woltersdorf zu sterben. "Wagners Leben" zu Ende: leider geht seine Cosima diktierte Geschichte nur bis 1864, wo er die Einladung vom König Ludwig II. erhielt und wo zwar seine Schicksale nicht ruhiger wurden, aber doch die stetige Geldnot ein Ende hatte. So vernehmen wir gerade nichts über seine erfolgreichen Tage u. Unternehmungen und seine glückliche Zeit mit Cosima! 29. Donnerstag: Es wird kühler u. ich heize im Malzimmer wieder etwas. "Verlobung": Kiefernwald-Hänge fertig, in so duftigem Mattgrün, wie nur die "Romantiker" es wagten, ohne "herzhafte Kontraste", wie Schultze sagen würde. Er ist lange nicht mehr schauen gekommen, obgleich ich doch "das Eis brach". Gegen Abend kommt wieder Maler Schwefel u. bringt eine feine Frau Keitel mit, die sehr verstehend ist, auch im politischen. Ihr hat die Gestapo sogar Kunstwerke weggenommen, weil sie "nicht mehr richtig" seien. Nur Kunst nach 1933 sei richtig!!! Büttelzensur! Land der Dichter und Denker! So banaus war ja nicht mal die Metternich-Zensur. Umso eifriger lesen wir in Elfriedens Buch von Eugen Georg: Das Menschheitserlebnis, eine umfassende Kulturentwicklung auch mit Kenntnis u. Würdigung aller geheimwissenschaftlichen Erkenntnisse in Begriffe. Darin werden auch die ungeheueren Zerstörungen und Grausamkeiten aufgezählt, die sich große Machthaber zu schulden kommen ließen und die unsere jetzigen Kriegszerstörungen vorwegnehmen. Vorm. u. Abendalarm. APRIL 11. Mittwoch: Vorm. sonnig. Einsame Tempel: Fenster weiß gelichtet. Bauglieder zu modeln begonnen. Nachm. Maler Frdr. Schwefel mit Fr. Ritter. Sie sind eingenommen von dem Tempel; sie kauft für 20 RM Karten, besonders tempelhafte, was man ihrem dicken Gesichte gar nicht ansieht! Elsbet immer im Garten tätig und abends zum Grabe. Jenes sieht schon recht frühlingsgrün aus. Elfriede brachte uns Steiner-Vorträge von Neblungs 1918! die füglich politisch waren und starke Kritik sogar an Ludendorff u. Hindenburg nahmen. Er nannte sie keine "großen Männer" und irrende. Damals im stärksten Umsturze, war es kein Wagnis mehr das zu sagen; wurden doch beide sogar als Kriegsverbrecher vor ein "Volksgericht" geladen, wenn auch nicht verurteilt, jedenfalls nicht bestraft! Im übrigen erklärte er hier wenigstens den Sinn "seiner Dreigliederung", nämlich gesonderter Selbstverwaltung der Nährenden, Wehrenden und Lehrenden, nicht als von "Ständen" und Klassen, die ja bisher, wenn auch nicht unentrinnbar, den indischen "Kasten" entsprachen, wobei deren Paria unserem Gossen-Proletariat entspräche. Über dies hatte unser Willi Pastor einst aus eigenem Verkehrs-Studium die erste Aufklärungsschrift geschrieben. Im Sozialen beschreibt Steiner die z.T. irrtümlichen Grundsätze des Bolschewismus, und stellt ihm den freien, auf gegenseitiger Achtung und Menschenliebe fussenden Sozialismus entgegen, in welchem die Sozialdemokraten auch noch irrende Theoretiker gewesen wären, abgesehen von ihrer Verführbarkeit durch Juda. Sein positives Denken deckt sich mit dem meinen von jeher! Ich trachtete schon als Jüngling die Last, die ich den Mitmenschen verursachte, durch Leistung wettzumachen, die bei mir natur- und schicksalsgemäß geistig- künstlerisch sein mußte. Deshalb trachtete ich nach gemeinbeseligendem Schaffen, und gründete auch den Selbstverlag zu seiner Verbreitung, da gerade das meinige in keinem der 3 politischen "Reiche" öffentlich, wenigstens offiziell genehmigt, also erlaubt wurde. Aber Steiner selbst lehnte mich ja als Künstler und Mitwirkenden ab! Theorie und Praxis: oder: "wenn zwei 'dasselbe' wollen, so bleibt es stets dasselbe." 12. Donnerstag: Vorm. sonnig. Eins. Tempel: untere schmale Hochfenster grüngelb grundiert und Ringbanksockel hellbraun. Heine bringt die Restzahlung der 600 RM für das Feierabendlicht am Moldefjord und nimmt das Bild, noch ohne Rahmen, mit. Er ist immer noch zuversichtlich für den Kriegsausgang, obgleich schon Göttingen genommen ist u. um Hannover gekämpft wird u.Würzburg u. Creilsheim. Königsberg wurde von dem General [Auslassung im Text, Hrsg.] übergeben, aber dieser dafür von der Führung gehängt! was ja zum ersten male für Generäle, bei ihr, üblich wurde! Wir können das nicht mehr gutheißen und als deutsch- u. kriegsrechtlich erkennen! Es ist Gewaltpolitik und Krampf wie all ihr Tun von jeher; zumal die riesigen Kriegs-Zweckbauten in Nürnberg und am Atlantikwall, aber doch von den unterschätzten Westfeinden so überrannt wurde wie - wir die verhöhnte Maginotlinie der Franzosen überrannten! Unser "Vordringen" in Rußland bis an den Kaukasus war geradeso in eine Falle, wie einst Napoleons "Vordringen" bis Moskau. Wenn nicht ein Wunder geschieht, unterliegen wir! Wir glauben aber an das Wunder im Schicksal! 14. Sonnabend: Kühler, aber noch dauernd sonnig. Fast den ganzen Tag das Buchenhecken-Reisig geschichtet u. das zumeist beknospete in Vasen verteilt, auch für Elfriede u. Schultzes. Nachm. diese mit Elsbet zum Lesekreis bei sich. Währenddem kommt Grete Sachsze mit Rad, ziemlich "verklärt" durch die schweren Tage in Frdhgn. Ich gebe ihr Marmelade zu ihrem Trockenbrod u. auch Buchenzweige. Dazwischen kam unvermutet auch Karl Gruß auf Fahrdienst als Volkssturm. Sie schlafen nicht daheim, sondern in der alten Schule auf Stroh, alarmbereit. Er erhofft nicht viel Umschwung für den Krieg durch Rosevelts Tod, der längst erwartet wurde, weil er spinale Lähmung hatte. Dasselbe meinte auch Klaus Wieben, der abends kam, um uns 3 Ztr. Kartoffeln aus Holstein frei Haus! anzubieten! Diesmal geht er ausweichend auf Bezahlung ein. Mir kommt es etwas "asozial" vor, falls wir nicht Freunden abgeben. Im übrigen ist er auf ganz demnächtige Überflutung durch die Westfeinde gefasst, vor denen auch fliehen keinen Sinn mehr habe, weil die 2 Feindfronten bald zusammenträfen! Er hält das auch für weniger gefährlich, als unsere "Propaganda" es unkt. Er weiß als Geschäftsbevollmächtigter ziemlich Bescheid über diese Verläufe. Er kauft wieder viele Kohlefotos u. will keine Gegenrechnung annehmen. Nun brauchen wir wenigstens mit Kartoffeln nicht zu knapsen! - Nachtalarm von 10-12 zu dem Elsbet zu Elsa bunkert, weil diese heute allein ist. Es gab 2 sehr heftige Wellen mit ziemlich nahen Donnern, es soll besonders über Potsdam zum ersten Male! gekommen sein. Bis gegen 2 noch aus Steiner vorgelesen, der über die Sozialpolitik 1918 Gescheites, über das Geld als bloßes Machtmittel aber Dummes sagt, als habe er von "Silvio Gesell" nichts gewußt, obgleich er dessen "Schwundgeld" vorschlägt! natürlich hat er vor 1900 von ihm gewußt, als er noch Sozialist und "Anarchist" war! - Theosof wurde er ja erst 1902 durch Hübbe-Schleiden! – 20. Freitag: Hitlers Geburtstag und schon deshalb von früh an Bombardement der Fronten u. Nachm. ein besonders schwerer Tiefflugangriff. Gestern malte ich noch am Einsamen Tempel, heute nur Ausräumen und Verdunkelungen ausbessern. Gleich morgens Befehl: wer hoch wohnt, soll in den Keller ziehen. So helfen wir Schultzes, in Georgs Zimmer (Mangelkamin nach Süden) sich einzurichten. Da Artur Pioch im Krankenhause u. Hella immer bei Kowalskys ist, so sorgen wir noch nicht für diese unten. Im Badezimmer konnte sie ja auch schlafen. Ohne eigentliche Ruhezeit, war Abends noch ein Daueralarm, der uns bis ½ 3 wachhielt. Nach der Grünheider Seite war hoher Feuerschein. Auch ich blieb nicht oben, sondern schlug mein Nachtlager auf dem Sofa in der Wohnküche auf und schlief trotzt fernem Grollen bis 7 Uhr. Edwin brachte Emly, Inge und Ute mit vollbepackten Rädern nach Berlin zu D[...] und H[...]. 21. Sonnabend: Bertholds 35*. Begann mit eigenem Bombardement, der bei aller Heftigkeit doch beruhigend war. Ich richtete auch die Schaudiele "empfangsbereit" her. Dann übertünchte ich Schultzes Hitler-Bildnis u. er tarnte es mit einer Pastell-Landschaft. Einmarsch der Russen. Nachm. wurde die Kleinwaffen- Schießerei reger und russsiche Soldaten kamen längs dem Waldwege. Schultze hielt sie anfangs für getarnte deutsche. Aber bald drangen sie rückläufig in die Grundstücke und untersuchten. Bei Elsa R. benamen sie sich ganz sachlich u. sogar kinderlieb. Vorher aber kam Fr. Fränze Brandt aufgeregt mit den 3 Kindern und wollte sie erschießen, ehe sie ihr "verschleppt" würden. Wir mußten sie gewaltsam davon abhalten. Mit solchen Beruhigungen hatte ich noch lange zu tun. Aber die 5 Insassen des Hauses Rentsch blieben doch die Nacht bei uns. Schließlich kam auch noch Smolinsky und klagte, daß Russen ihn mißhandelt hätten, weil er seiner Frau und 2 Töchtern zur Flucht (in den Wald) verholfen. 2 davon wollten bei ihm übernachten u. um 3 geweckt werden, da sie um 4 weiter müßten. Dies konnte er den Frauen noch sagen, so daß sie nach 4 reine Luft fänden. Aber auch er schlief die kurzen 3 Stunden bei uns, in Elsbets Bett. Ich schlief im Schauraume bis 8 Uhr sorglos, trotz beständiger Schießereien. 22. Sonntag: Ich lag lange schon wach u. genoß meinen holzausgerüsteten Raum. Dann richtete ich ihn völlig her "zum Empfang der Feinde". Zunächst geschah außer Durchzug u. Schießerei von Russen nichts in Häusern. Aber eine Tochter von Staabs kam Gefährlichkeiten zu klagen, sie wollten als Töchter fliehen. Danach kam Bildhauer Richter, um uns zu beruhigen und tat es auch, soweit er sachlich war, aber mit Fr. Elsa kam er doch wegen veralteter Mißverständnisse in Streit, und sogar mir hatte er Irrtümer von Hörensagen nachgetragen. Die Streiterei ging später unter Elsa u. Schultzes weiter und heftiger, so daß ich eingreifen mußte und dadurch Schultze zur Absicht erregte, uns zu verlassen - wohin? Er aber hatte gefragt, warum Menschen nur Krieg führen "müssen"! und können doch in enger Freundschaft nicht Frieden halten! "Der Irrtum ist der Vater alles Streites"!! Allmählich kommen Russen in Gruppen durchs Haus u. wir können sie immer mit Humor empfangen u. hinausleiten. Nur meine kleine, von Karina geschenkte Taschenuhr mußte ich drangeben, sowie die übrigen Rauchsachen, von deren der so ethische Schultze "legal" für seine Marken ein ganzes Kistchen voll gesammelt hatte, aber schon befremdet war, daß ich verwundert war. Nur ein Halbkommissar (etwa) blieb 2 ½ Stunden lang, weil er halbtrunken war, aber die 3 Kinder herzte, als selbst Vater von Zweien. Gefährlich ward es erst, als er nach deren Mutter fragte, die sich trotz unseres Abratens unter Elsbets Bettstelle versteckt hatte. Da ich beteuert hatte, daß ich nicht wüßte, wo sie wäre, war ich seiner Pistole ausgesetzt, als er alles Bettzeug herausriß u. schließlich unter das Bett schoß. Hätte er Fr. Fränze getroffen, so hätte er sie auch überfallen und jeden der es ihm wehren wollte er- oder angeschossen! - Als er endlich wegging, hat er in der Nachbarschaft Frauen geschändet. Elsa und Fränze besorgten immer, daß er wiederkommen um sie zu belästigen und Fränze wollte sich immer wieder verstecken. Jedenfalls fühlten sie sich auch im Rentschhause nicht mehr sicher und siedelten zum Schlafen ganz zu uns, sodaß sogar Elsbet mit mir im Schauraume übernachtete. Dazu kamen noch 3 Russen, die zunächst bei Schultzens landeten, der ihnen vorklampfte. Dann leuchteten sie noch heran bis zu Elsbets Lager, der Führer aber war respektvoll (nannte sich Kommissar). Er nahm aber Schultzes Handleuchte mit! Dann war die Nacht "ruhig", wenn auch voll Kanonendonner. 23. Montag: Am Morgen kam ein junger Wehrmachts-Komissar, der in angenehmen Deutsch uns zu beruhigen suchte, indem er sagte, Stalin hätte verboten, Zivilisten zu behelligen oder gar zu berauben, er führe nur Kampf gegen Hitler und seine Wehrmacht, und in 3-4 Tagen sei der Krieg durch die Eroberung Berlins beendet und alles ginge wieder nach hause. Eine Friedensverwaltung käme durch russ. Komissare und Wasser, Licht und Lebensmittel würden wieder in Betrieb gesetzt. Wenn wir jetzt Hunger hätten, könnten wir von der nahen Feldküche Essen holen. Da wir dies in einer fetten Reissuppe bestätigt fanden und viel Brot, die er selbst brachte u. den Kindern einen Klumpen Butter gab, erfahren wir, daß offenbar die Bolschewisten nicht so schlimm wollten, als unsere Propaganda sie schilderte. Er sagte, daß alle Belästigungen der Kommandantur (in der Nähe) gemeldet werden sollten, daß sie bestraft würden, und daß wir Belästiger hinausjagen dürften. Mag zu dürfen sein - aber jene haben Pistolen und flüchten! Von da ab hatte ich schon Friedensstimmung, denn ich kämpfe ja für geistige Freiheit, die wir unter Hitler nicht hatten und war nur besorgt um eine unblutige Wende; hoffte sogar rasche Übergabe von Berlin, das ja wahrlich genug gelitten hatte vom wahnsinnigen Kriege. Es kamen noch einige frühe Jungen, selbst ein "mongolischer" hatte ein liebes Gesicht, wenn wir ihm nichts geben konnten. So gingen sie lächeln weiter. Aber im Rentschhause zerrten sie alles durcheinander, weil es eben verlassen war. So auch in anderen verlassenen Häusern. Aber wir hörten, daß Smolinsky erschossen wurde, weil er ihnen seine Frau u. Töchter vorenthalten hatte. Deshalb sagte mir Elsbet, sie wolle schlimmstenfalls die Vergewaltigung über sich ergehen lassen, um nicht mein gemeinbeseligendem Werk geweihtes Leben zu gefährden. Ich sagte, ich glaube, daß es nicht nötig werden würde. In der Tat verlief der Tag ohne weitere Belästigung und die hinter uns am Waldwege laufenden Soldaten und die Fahrzeuge auf der Straße verzogen sich bis zur Nacht gänzlich. Man hörte nur noch Flieger-Feuerkampf. Da die Frauen in Elsbets Zimmer zogen, konnten wir beide in der Wohnküche schlafen. Ich hatte nur einen heftigen Hustenanfall. Da wir seit Tagen ohne Strom und Wasser sind, konnte ich auch kein Kopf-Dampfbad nehmen. Bald aber kam, als ich schlaflos lag, Fr. Elsa, die schon immer gläubiger zu mir geworden war, zu mir geflüchtet, nicht etwa von Russen verfolgt, sondern bloß gequält durch die Bosheit der Volksgenossen, die ihr alles schlechte zutrauten und sie auch politisch verleumden könnten. Abgesehen von üblen Nachbarinnen, fürchtete sie besonders Richter und Schultze. Mit Elsbets Hilfe beruhigte sie sich langsam an meiner Brust u. ging dann wieder hinauf, wiederum um Fr. Fränze besorgt, die sich auch immer noch nicht ganz beruhigen kann - begreiflicher, weil ihr Hellmut in größter Gefahr als kämpfender Treuwalter der Partei in Berlin wirkt. Auch über Artur Lahns Ergehen als Ortsgruppenleiter sind wir im Dunkeln. Sogar über die Rückkehr von Edwin. Neben nötigen Hilfsarbeiten suche ich am Tempel zu malen (das Palmengezweige in der helllila Kuppel); zunächst reinigte ich meinen Werkraum von den Spuren der Bomben-Erschütterung, heizte aber zum letzten Malen im Wohnzimmer. - Die Nacht blieb ruhig und die Sorge um Fliegeralarm ist nun vorbei!! eine Vorfreude des Friedens! 26. Donnerstag: Wir hören, daß ein gestriges Gerücht, daß Hitler sich erschossen, Göring u. Goebbels in München seien, widerrufen werde. Hitler sei in Berlin u. leite die Verteidigungen; wahrscheinlich, weil sonst der Krieg aus wäre. Wir nehmen es mit gemischten Gefühlen. Die Frauenschaftsleiterin F. Schäfer soll sich mit ihrer Tochter getötet haben. Am Vorm. kam eine weinende Unbekannte, die sie geschlagen und vergewaltigt haben, ihre Tochter 3 mal! Sie zeigte ihre blauen Flecke an den Beinen. Gestern war Ulla Wrasmann da, die ganz froh war, wie alles von ihr Voraussagte eingetroffen sei. Man hatte sie stets in Hosen, als Wehrfrau festnehmen wollen, aber dann laufen lassen. An sie selbst wagte sich wohl keiner heran. Um Mittag kam Forch ziemlich abgemagert u. vernachlässigt: Sein Haus hätte er durch Wachsamkeit und den Warnungsruf "Kommandantur" völlig bewahrt. Im Übrigen habe er längst "seine Sache auf Nichts gestellt" und sähe dem Kommenden gelassen entgegen. Er zeigte uns Droh- und Schimpf- briefe von Unentwegten gegen ihn. Gerade letztere erweisen die Unwürdigkeit der Schreiber in ihrem mangelnden Tatmut. Nunmehr mache ich im Wohnzimmer Neuordnung und mißte "Papier" aus. Ich will am langen Tische Bauzeichnungen machen können, da ich nur noch im Westraum male. Abends kommt Erika Knoch um bei uns zu schlafen; sie ist ja von Russen mehr gefährdet als die 2 alten Tanten. Sie ist ja immer etwas ängstlich gewesen, aber die Nacht blieb für uns ruhig, nur starker Luftkrieg in der Ferne. Ich las noch im Novalis. 27. Freitag: Da gestern Abend Fr. Erna sich ein K. Lichtgebet zu Georgs morgigen Geburtstag ausbat, begrüßten wir Beide ihn heute morgen mit einer Flasche Saft und einer Mappe Tempeltanz. Aber wir mußten ihm - natürlich mühsam - aufklären, daß der Geburtstag erst morgen sei, da sie sich vorausgeirrt hatten. Wir luden ihn zum Vorlesen auf den Abend ein, aber er machte wegen Müdigkeit sein Kommen ungewiß. Ich beseitige letzte Abzüge von A.H.-Foto. Ich höre ein Trommeln, wie die Landknechtstrommel der Hitlerjugend, aber alle meinen, daß so ähnlich auch die Russen trommelten. Sonst wäre ja Bürgerkrieg die Folge. Nachm. kamen noch 2 Russen mit einem Pferd ins Grundstück. Nur einer nahm Kaffee an, sie wünschten "Schnaps", den wir nicht geben konnten, und gingen mit Zigaretten von Schultze freundlich weiter. Ich reinigte das Wohnzimmer fertig; Elsbet hatte Fr. Hirschfelder getroffen, deren Mann man abgeführt hatte, gewiß nur, um ihn zu verhören, weil er N.S. Amtswalter war! Hier blieb alles still, aber von Berlin her hörte man Luft- und Kanonenkampf. Ein Gewitterregen versah uns wieder mit Wasch- und Closetwasser, Trinkwasser holen wir beim Schuster Marohn. Abends beim Kerzenstummel noch etwas Böcklin von Henri Mendelsohn! Ruhige Nacht. 28. Sonnabend: Endlich wieder an den Einsamen Tempel. Die obersten Fenster mit goldweißen Aureolen gelichtet, so daß ein märchenhafter Schimmer entsteht! Die Anschläge verlangten Waffen, Fotoapparate u. Rundfunkgeräte, sowie Schreibmaschinen abzuliefern. Fr. Elsbet bringt Alles hin; Elsbet hatte bisher Angst um die Schachtel mit meinem alten Damen-Revolver u. eine Kinderpistole. Das war grundlos, weil wir sie einem Kommissar sofort entgegengebracht hatten. Wasser u. einige Lebensmittel müssen von weither geholt werden. Der Anschlag sagt auch, daß alle verlassenen Häuser und Wohnungen von der Kommune für Flüchtlinge oder Soldaten beschlagnahmt würden. Deshalb siedeln Brandts u. Fr. Elsa wieder in ihre Häuser und unser gemeinsames Wirtschaften verteilt sich räumlich. Nur gegen Abend kamen 3 russ. Soldaten und verlangten "Wasser"; sie meinten wohl Frauen. Denn besonders der größte, offizierhafte wendete sich verlegen ab, als wir ihm nur Wasser anboten. Vorher waren sie bei Fr. Elsa gewesen, die schon die Kette vorgelegt hatte. Sie hatte sie durch energische Worte und Haltung fortgescheucht. Also immer wieder zeigen sich die Russen als passiver als sie gefürchtet, d. h. verleumdet wurden. Abends hatten wir Schultzes zum Vorlesen u. Plaudern geladen, aber die Frauen konnten nun nicht mehr dabei sein. - Die Nacht blieb für Woltersdorf ruhig. MAI 6. Sonntag: Erst ¾ 9 auf. Endlich mal wieder die Straße gekehrt auch für Fr. Elsa. Ein helläugiger älterer Kommunist mit Amtsbinde fragt mich, ob schon ein Kommissar wegen Personenstandsaufnahme bei uns war. Ich verneinte; wir konnten uns gesinnungsmäßig gut verständigen. Auch er ließ Hitler den redlichsten der NS Partei? sein (nach Hess fragte ich ihn noch nicht). Er hätte im Freundfunk gehört, daß Hitler durch Gehirnblutung gestorben und so Rosevelt darin nachgefolgt sei. Himmler soll den Waffenstillstand angeboten haben. An diesem ließ er aber kein gutes Haar. Ich bastelte am völlig zerrissenen Blasebalg, dessen halbneues Leder Elsbet näht. Die "Königin Tamara" las ich gestern zu Ende: eine recht naive aber verwikkelte Liebespsychologie mit unmöglicher Kriegs- politik. Eben ein fin de siecle-Werk eines Skandinaviers! Heute versuchte ich Carl Hauptmanns Drama "Krieg" von 1914: eine noch läppischere Groteske, gerade wie Gerhart Hs. Drama zur Jahrhundertfeier 1913. Keine Lust zum Weitermalen, aber doch die oberen Fenster ausgekratzt u. mit einer Sternaura begonnen. 15. Dienstag: Erst um 8 auf. Bei Brandts soll schon Leitungswasser sein. Ich gehe mit Wägelchen holen; aber es ist auch dort schon wieder vorbei, und Fr. Fränze will mit den Kindern "bei Bauern am Eichendamm" holen. So gehe ich dorthin mit und - werde vom Bauer als von einem alten Verehrer und ehemaligen athletischen Artisten empfangen, der mir auch seine Bildnisse und Gemälde zeigt. Dann pumpt er uns vor der ganzen "Wasserschlange" zuerst, selbst ein. Ich lade ihn zum Schauen ein. Rinnen am Vorderhause von Nadeln gesäubert, eine schwere Arbeit. Wirtschaftsverwalter Block u. Amtsgenosse fragt nach Viehhaltung. Sie versprechen, daß wir nächster Tage mehr Brot bekämen, das uns schon recht knapp wurde: Schaffende bekämen 500 gr. täglich, Leichtarbeitende 300 (auch Frauen) und alte oder Nichtstuer nur 200. Ich würde als Künstler wohl zu den "Schaffenden" gerechnet, und er scherzte anfangs, er solle mich verhaften - "wegen unnatürlicher Malerei". Zu Elsbet, vorher hatte er gemeint, ich müsse jetzt auch "umlernen", aber sie hatte gesagt, daß ich das nicht und niemals nötig gehabt, weil meine Art immer volksverbunden und gemeinsinnig sei. Das sah er dann auch angesicht meiner "Spatenwacht" und meines "Tempels der großen Eintracht" ein! Ab mittag gab es auch bei uns Leitungswasser und ich konnte bei Fr. Elsa die Sämereien begießen. Nachm. mit Elsb. u. Frau Fränze Kartoffeln holen, wo wir auch Erna in der 150 zählenden Schlange trafen. Deshalb umsonst, zurück über Gärtner Garn über den Friedhof. Aber später bekam Elsbet doch noch für uns und Fr. Elsa je 4 Pfd. 8.(...) 21. Pfingstmontag: Um 8, nach einem Kaffee, zum Gemeindeamte, gleich mit der Grabschrift für Karl Gruß, um sie danach Helene zu bringen und das abzuliefern, das rote Fahnentuch. Aber ich wurde trotz der 77 Jahre doch gleich mitgenommen zum Arbeiten! Ein feiner, freundlicher Russe führte uns zum "Seeschlößchen", unterwegs mit mir plaudernd. Wir mußten Bücher, ich besonders wissenschaftliche Zeitschriften ordnen und bündeln; das ganze Haus war voll Bücher, offenbar aus den großen Bibliotheken die nach Moskau sollen. Ein zweiter Bibliothekar in Uniform, ein schöner und freundlicher Jude, scherzte mit mir, als ich ihm von den Anordnungen seines arischen Vorgesetzten sprach. Beide konnten gebrochen deutsch. Junge russ. Soldaten schleppten fleißig immer neue Bücher herbei. Nach 10 hieß es "Zum Essen", und sogar mit Händewaschen! Das war aber erst "zweites Frühstück", kräftiges Butter-Vollkornbrot in Kaffee, in der Küche, das eine freundliche Woltersdorferin bereitete. Im Hofe traf ich auch Fr. Dr. Kräutlein, Kartoffel mitschälend. Sie fragte nach Sachszes, von denen wir ja nichts mehr wissen. Ich vergaß nach ihrem Manne zu fragen. Wenn ihm Schlimmes geschehen wäre, würde sie es wohl gesagt haben. Gegen 3 Uhr hieß es wieder "Zum Essen"; ich antwortete scherzend "Schon wieder?". Nun gab es dicke Grützsuppe mit grünen Bohnen und fetten Rindfleischbrocken - soviel man haben wollte! Und ein Soldat, dem ich die "Spatenwacht"- Karte schenkte, gab mir noch ein großes Stück Brot mit, sodaß ich den Anderen die Teilung eines Überbrotes allein überlassen konnte. Eine Stunde Mittagspause war gewährt, den Rest im Garten zugebracht. Beim Arbeitsschluß um 5 zeigte ich beiden Bibliothekaren einige "passende" Bildkarten, leider war die "Spatenwacht" als "Svento kollektiva bolschaja" nicht dabei. Aber man freute sich bewundernd, auch 2 Offiziere, und ich versprach morgen mehr zu bringen. Einer der Letzteren plauderte noch länger mit mir, vorwiegend englisch; "Was deutsche Soldaten, sogar Offiziere in Russland verübt haben, möchte ich nicht an deutschen Soldaten, oder gar an Zivilisten vergelten; das erlaubt mein Herz nicht" - und dann bekannte er sich als Jude! - Mein Päckchen mit Fahnentuch und der Grabinschrift, wurden mir im ersten Trubel des Bücherhauses allerdings gestohlen. Vielleicht findet es sich als "wertlos" im Gemeindehause wieder an. Als ich endlich heimkam, kam mir Elsbet schon besorgt entgegen, und dann fanden wir 2 russ. Soldaten besseren Aussehens im Garten, die schwer abzuwimmeln waren. Selbst nicht, als Fr. Elsa sie "übernahm". Schließlich konnte ich sie zum Hintergarten hinauslassen. Der Ältere wollte Fr. Elsa zur Nacht einladen! Na, das haben schon manche, trotz ihrer grauen Haare getan, und natürlich vergeblich. - Dies aufgeschrieben und Bildkarten für morgen ausgesucht. Tagebuch und noch weiter im "Ecke Steen". 22. Dienstag: Nach 5 wachte ich auf und hörte, wie vor der Haustür, ein brabbelndes Dauerreden, wie von Russen. Ich stand auf und ging aufs Closet, wo es aber selbst beim geöffneten Fenster leiser war. Im Bette hörte ich es wieder lauter, aber als wenn Wasser sprudelte. Ich stand wieder auf und sah, daß alle Wasserhähne still waren. Von da ab schlief ich nicht mehr und hörte das Geräusch nur allmählich leiser werden und verstummen. Gerade deshalb bleibt es mir rätselhaft. Um 7 stand ich auf um vor 8 zum Arbeitsdienst zu gehen, diesmal mit Closetpapier und eigenem Messer, um die neuen Packschnüre leichter zu schneiden. So ging die Arbeit flotter als gestern. Die Beköstigung war ähnlich gut. Heute zeigte ich mehr Karten u. der größte Mitarbeiter betrachtete sie als vom "Schüler Diefenbachs". Der Chef, den sie Leutnant titulierten u. der ein russ. Hydro-Geologe war, freute sich über meine reiche Gabe. Meine große Freude aber war, daß mein Päckchen nicht gestohlen war, sondern nur ahnungslos im Wirrwarr verschoben, und daß es mir heute wiedergegeben wurde. So konnte ich doch damit zu Helene Gruß gehen und die Kreuzschrift auf das hohe aber vorläufig rohe Kreuz nageln. Sie gab mir Kaffe u. für Elsbeth 5 Päckchen Süßstoff! Als der Chef uns Feierabend aufsagte, gab er uns, jedenfalls mich für einstweilen frei, da die Abholungen andere Kräfte brauchten. Diesmal, da ich den gestrigen Küchensoldaten nicht traf, konnte ich nur von meinem Frühstücksbutterbrote etwas mit heimbringen. Unsere freundliche Kochfrau, die die mir schon bekannt vorkam, entpuppte sich als die ehemalige Nachbarin u. Frau des Sergeanten Richter. Wo ihr Mann jetzt sei, wußte sie auch nicht, obgleich er leidend sei. Erst viertel nach 7 heim; kein neuer Fluchtgast war gekommen. Elsbet hatte, um von Fr. Elsas Herd unabhängig zu sein, in der Veranda eine Feuerstelle gebaut! aber noch wäre sie wegen Rauchqualms untunlich. Vielleicht kann ich sie durch einen alten Rost brauchbarer machen. Da es in der Nacht u. auch Vorm. etwas geregnet hatte, brauchten wir nicht zu begießen. Tagebuch und noch etwas "Steen u. seine Föbe". JUNI 2. Sonnabend: Morgens das Traufenrohr fertig befestigt. Als wir in Sonne bei Elsa zum Essen gehen, kommen 5-6 russische "Offiziere" u. ein kleiner 20jähr. Soldat. Alle Beteuerungen, daß gestern schon genügend Haussuchung gewesen sei half nichts, wir mußten aufschließen. Es schien, sie wollten Bilder rauben. Als sie aber in den Schauraum kamen, nahm der feinste seine Mütze ab u. behielt sie hier in der Hand (Fr. Elsa will vorher ihm gesagt haben, daß es eine Kapelle sei? Immerhin keine bolschewistische Haltung gegenüber "Heiligen"). Natürlich gefielen ihnen nur die naturalen Bilder und oben kämpfte ich mit ihnen um die Schultzeschen. Als sie bedrohlich wurden, mußte ich ihnen Schultzes dunkelblaue eigentümlichste Landschaft lassen. Inzwischen hatten Einige unten schon Martha Bernoullys "Abendpark" u. den großen Steindruck des "Eifeltals" von "Strich-Chapell" weggeschleppt trotz Elsbets Abwehr. Letzteren werden sie gewiß irgend liegen lassen, wenn sie bemerken, daß es nur ein Druck sei. Beim Rausgehen schloß Elsbet noch den andächtigsten, der sich verzögert hatte, ein, was er u. alle mit Lachen hinnahmen. - Erst dann konnten wir das "Erkaltete" essen, und ich dann den Notherd in der Veranda fertig machen. In der Abendsonne kam Forch dazu u. erzählte, daß er mal wieder seinen "Garten" betreut habe u. gesehen, wie sie überall seine Wandbilder herumgeworfen hätten, aber das große "Maiabendspiel" war nicht dabei. Vielleicht hatten sie das wegen der Nacktheiten "requiriert"? Er muß von 8-2 "rigolen", ungeachtet seiner gelähmten Linken. Und seine Kleider schlottern, weil er seine Rundung verloren. Vorher kam schon Bungart schauen, aber ich "führte" ihn nicht. Der Heerd machte viel Mühe durch die Anbringung des Abzugsrohres in Steinpackung mit Zement, und die "Verschlußtüren" aus Eternit. Noch Kompost gesiebt, u. Plaudern im Dämmern. "Oedipus". 22. Freitag: (...)Etwas begossen, dann letzte Hand an Stalin und fixiert. Gegen 12 kam Budschkowitsch mit seiner Frau. Sie brachten wieder ein Brot, herrliche Marmelade und 8 Pfd. Kartoffeln! Demnächst will er auch für Fett sorgen, das sie z. Zt. selbst nicht haben. Er ist sehr zufrieden mit dem Stalinbilde und nahm es samt der Vorlage an sich, zur Feier - nicht bei Behle am See, wie Frau Bungardt meinte, wo nur die russ. Soldaten feiern - sondern zum nahen "Alten Krug" u. lud uns alle ein., ½ 6 hinzukommen - Wir aßen uns alle ordentlich satt und nahmen auch einen Tee mit Marmeladenbrot. Ich hatte nur ein bischen an meinem Erzengel schattiert und dann Siesta mit Hans Thoma gemacht. Der "Alte Krug"-Saal war gestopft voll, obgleich es nicht öffentlich bekannt gegeben war. So dachten wir auch, als Geladene Schultzens nichts sagen zu sollen - zumal er trotz meiner 2maligen Einladung durch Fr. Erna meinen Stalin anzusehen, meines Wissens es nicht getan hat. Unterwegs sahen wir sie beide an der andern Seite der Straße heimgehen, aber wir sagten nicht, wohin wir gingen. Vielleicht nehmen sie auch dies übel, wenn sie davon erfahren. Das "Fest" gab zunächst Orchestermusik volksmäßiger Art. Wir sahen fast lauter Gesichter, die wir früher, ob bei Kulturoder politischen Versammlungen, nicht gesehen hatten; aber keine unangenehmen, etwa hochfahrenden, aber auch kein russisches Militär. Der "Kommandant" soll in Zivil dagewesen sein?; da ich keine Uniform sah, kam ich auch nicht auf den Gedanken, mich zu ihm führen zu lassen, oder zum Bürgermeister Block, nur seinen Bruder, den komm. Kommissar begrüßte ich. Ebenso die 2 Hauptredner, mit meinen Drucksachen. Sie "wußten" von mir. Natürlich waren auch die Reden dieser Versammlung einseitig "antifaschistisch" und man erwartet, daß man dieser so sich nennenden Partei beitrete. Ich werde es nur tun, wenn sie keine Parteien sich spalten lassen. Zunächst wurden die "Opfer der Hitler-Verbrechen" gefeiert, die politisch "fielen" oder gelitten hatten, auch Frauen. Kein Wort für die gutgläubig oder gezwungen im Felde Gefallenen oder Zerschundenen, nur ein allgemeines Bedauern der vielen Opfer und Zerstörungen durch "unsern verbrecherischen Krieg". Die "rote Armee" wurde als Befreierin Deutschlands, ja Europas gefeiert - von den andern Alliierten schwieg man - einstweilen, bis auch die etwa in diese Gegend kommen? In der Aussprache - da man betont hatte, daß kein Maulkorb mehr herrschen sollte - sprachen natürlich nur restlos Einverstandene; deshalb meldete auch ich mich (noch) nicht zum Worte. Eine Jungfrau ("von der Kommandantur") rief kurz das Bekenntnis für die Rote Armee. Aber im Wesentlichen gab mir doch dieser Umsturz die Hoffnung auf freiere Zeit und Kultur, wenn auch viel noch zu ertragen sein wird. Unsere "Befreier" berauben uns ja wie Barbaren und wie es von jeher in der Kriegsgeschichte war. Hier- von sollen nur die deutschen Sieger von 1870/71 eine Ausnahme gemacht haben - nach unserer Lügen- Propaganda auch die "Deutschen" dieses Weltkrieges. In beiden Weltkriegen konnten wir ja nicht endgiltig beweisen, wie wir es machen würden! aber von Augenzeugen wissen wir Schlimmes genug auf unserer Seite bisher. Die Heutigen wollen menschlicher, redlicher, gütiger sein! Das klingt wenigstens besser als Haß- und Vergeltungs- Befehl! Und "c’est le ton qui fait la musique". Jedenfalls war das schlimmste Schimpfen bei den "Nazis" gewesen. - Infolge meiner "Verdienste" ein üppiges Abendessen. Und Emly schlief zum ersten Male, auch ohne Pulver, ich wie immer nur mit Unterbrechungen. http://www.friedrichshagener-dichterkreis.de/fidustagebuch.htm KHV - Veröffentlichungen - Fidus Tagebuch |