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InhaltZeigt die Geschichte des revolutionären Bauernpredigers Hans Böhm im 15. Jahrhundert im Fränkischen Niklashausen in Möbeln, die "den ganzen Kulturschutt aus den letzten 500 Jahren" repräsentieren: "Wir wollen keinen historischen Film machen, sondern wir wollen zeigen, wie und warum eine Revolution scheitert" Am Sonntag laetare, dem 24. März 1476, dem Tag, an dem der Winter ausgetrieben wurde und der Sommer eingeholt wird, tritt im fränkischen Niklashausen der Pauker Hans Böhm auf den Plan - ein Hirte, der schon öfter zu derart festlichen Anlässen Musik und Lieder vorgetragen hat. An diesem Tag verbrennt Hans Böhm seine Pauke vor den versammelten Bauern und spricht zu ihnen von einer Offenbarung, die er gehabt habe. Die Mutter Gottes, sagt er, sei ihm erschienen und habe ihm aufgetragen, dem Volk zu predigen. Aber die religiöse Ansprache wird bald zu einer politischen, aus christlichen Motiven werden sozialrevolutionäre Konsequenzen gezogen. Hier und jetzt, nicht erst im himmlischen Jenseits, so predigt Hans Böhm, soll das Reich Christi verwirklicht werden. Konkret fordert Böhm die Abschaffung der Pfründen und der geistlichen Gerichtsbarkeit. Kaiser, Fürsten, Grafen, Ritter und Bürger sollen ihrer Privilegien beraubt werden und dem gemeinen Mann gleichgestellt werden, jeder soll den gleichen Lohn bekommen, Weide und Wald, Fische und Wild sollen Gemeineigentum werden. Böhms Predigten hatten zunächst großen Erfolg. Aus Bayern, Schwaben, Hessen, aus Thüringen und Sachsen, zogen die Bauern zu Tausenden nach Niklashausen. Bald lagerten über 30.000 Menschen auf den Feldern. Aber in gleichem Maße, wie seine Anhängerschaft wuchs, musste Böhm auch seine eigene Mission verraten. Die Bauern waren getrieben von einer unartikulierten, dumpfen Unzufriedenheit, das politische Programm Böhms jedoch war ihnen unvorstellbar - unter dem Zwang ihrer schlechten Verhältnisse war ihnen auch die Fantasie ausgetrieben worden, sich bessere überhaupt denken zu können. So konnten sie eine Änderung ihrer Lage sich nicht anders als durch ein Wunder vorstellen, Böhm konnten sie bald nicht als Revolutionär, sondern nur als Messias verstehen. Diese Dialektik auszutragen, den Unaufgeklärten die Aufklärung zu vermitteln, war Böhm nicht imstande. Als Soldaten des Bischofs ihn festnahmen, blieben die Bauern apathisch zurück; sie hofften auf ein Wunder, das Böhm befreien würde. Dass nur die eigene Tat die Zustände ändern könnte, hatte Böhm nicht vermocht, sie zu lehren. Am 15. Juli 1476 wurde Böhm auf dem Richtplatz von Würzburg verbrannt. (Quelle: Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Zweites Halbjahr 1970, herausgegeben von der Pressestelle des WDR) Was wichtig istRainer Werner Fassbinder und Michael Fengler über Die Niklashauser Fart Aus einem Gespräch während der Dreharbeiten Die Geschichte des Films ist einfach. Da kommt einer und möchte gerne, dass die Leute ihre miesen Verhältnisse ändern. Dazu will er die Leute aufrufen. Aber zunächst einmal aber muss er sie dazu bringen, ihm überhaupt zuzuhören und ihm zu glauben. Er ist also gezwungen, mit Mitteln zu arbeiten, die den Leuten vertraut sind. Schließlich hat er sie auf seine Seite gebracht, aber mit den Mitteln von gestern. Und mit dem, was er ihnen jetzt über die schöne Zukunft von morgen sagt, können sie nichts anfangen. Es ist Teil ihrer miesen Lage, dass sie sich eine andere gar nicht mehr vorstellen können. Hans Böhm scheitert daran, dass er die Aufklärung herzustellen versucht mit Techniken der Gegenaufklärung. Aber wie hätte er seine Arbeit sonst tun sollen? Wir wollen keinen historischen Film machen, sondern wir wollen zeigen, wie und warum eine Revolution scheitert. Dazu müssen wir jede historische Begrenzung, die uns dabei beengen würde, bewusst vernichten. Der Zuschauer darf nicht auf den Gedanken kommen: Ach ja, das geschah 1476. So ein Gedanke würde ihn beruhigen, aber er soll ja beunruhigt werden beim Zuschauen. Er soll sich ganz darauf konzentrieren, was die Leute in dem Film tun, nicht darauf, was sie dabei anhaben. Die Äußerlichkeiten in dem Film dürfen überhaupt keinen Eigenwert bekommen. Wir müssen von vornherein klarstellen, dass es völlig egal ist, welche Möbel da beispielsweise rumstehen. Im Haus der Margarete gibt es Möbel aus allen möglichen Stilrichtungen, halt den ganzen Kulturschutt aus den letzten 500 Jahren. Das ist nicht, weil sie sich etwas dabei gedacht hat, sondern weil der Zuschauer denken soll, dass sie zu den Herrschenden gehört. Der Film hat ja mit Bauern zu tun und mit ihren Problemen, von denen sich als wichtigstes herausstellt, dass sie derart dumm gemacht worden sind, dass sie ihre Probleme gar nicht erst erkennen können. Jetzt stellen wir uns dauernd Bauern im Anzug vor und mit einem 190er Diesel. Man muss irgendwie klarmachen, dass das Grundproblem immer noch das gleiche ist: mit einem alten Bewusstsein neue Zustände schaffen. Als wir uns den Film ausgedacht haben, war das eine schöne gradlinige Geschichte, die fing vorne an und hörte hinten auf. Mittlerweile überlegen wir, ob man dieses Verfahren, eine Geschichte zu erzählen, nicht gerade kaputt machen müsste. Man müsste eigentlich etwas erzählen, das mit uns zu tun hat - ist das nicht viel wichtiger als diese Geschichte von diesem Hans Böhm? Wenn man sich die Pachtverhältnisse in Argentinien oder in Brasilien anschaut, die sind nahezu identisch mit den Zuständen im 15. Jahrhundert. Deshalb arbeiten manche Guerillas im Amazonasgebiet ja auch mit schwarzer Magie und solchen Tricks. Hans Böhm kann in unserem Film deshalb ebensogut die Reden von Camillo Torres verwenden, weil er von ähnlichen Schwierigkeiten stand. Wir sind heute über einiges an dem Film nicht mehr so sicher, wie wir es am Anfang einmal waren, und das wird man in dem Film auch spüren. Wir wollen nicht mehr nur die historischen Ereignisse zeigen, sondern auch das, was uns dazu heute einfällt und was heute daran für uns wichtig ist. Filme werden manchmal von ihrer eigenen Ästhetik aufgefressen. Bisher konnten wir uns Filme ohne ihre notwendige Ästhetik gar nicht vorstellen. Jetzt fragen wir uns, ob wir diese Ästhetik nicht zerschlagen müssen. Aber da kann man sich Mühe geben soviel man will, letzten Endes sieht doch alles wieder schön aus, weil es so schwer ist, etwas Richtiges zu machen, das dann nicht auch schön aussieht. Wir haben lange Zeit darüber nachgedacht, wie wir den Film machen sollen. Jetzt denken wir darüber nach, warum wir den Film machen: weil es ein Film über unsere eigene Situation ist. (Quelle: Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Zweites Halbjahr 1970, herausgegeben von der Pressestelle des WDR) |