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Ikarier in der neuen Welt


Die Ikarier

Etienne Cabet, Sohn eines Böttchers, wurde nach der französischen Revolution Jurist. Er war ein Anhänger einer aufgeklärten Monarchie und schlug eine politische Laufbahn ein. An seinen revolutionären Grundsätzen festhaltend wurde er immer mehr der äußersten Linken zugetrieben, die zu dem Zeitpunkt von Bounarotti, einem Waffenkameraden Babeufs repräsentiert wurde. Unter Louis Philippe derart unbequem geworden, erhielt er einen Posten in der Provinz,als Großprokurator von Korsika. Durch einen Artikel in seiner Zeitschrift "de Populaires" fiel er in Ungnade wegen Majestätsbeleidigung und wurde vor der Wahl zwischen Gefängnis oder Exil gestellt.

Er entschied sich für fünf Jahre Exil in England. Er sprach kein Englisch und hielt sich viel im Britischen Museum auf. Während seines Exils verfasste er den utopischen Roman Voyage en Icarie. Als Vorlage dazu dienten ihm die Theorien Owens, mit dem er sich auch persönlich traf, Buonarottis "Babeuf und die Verschwörung für die Gleichheit" von 1828, Morus’s "Utopia" u.a. Voyage en Icarie ,geschrieben 1839, erscheint 1840.

Das Buch war ein großer Erfolg bei den unzufriedenen Massen in Frankreich. Manche Arbeiter legten sogar zusammen, um sich ein Buch zu kaufen. Es wurde ihr "Evangelium", 1840-48 kamen 5 Auflagen heraus.

Das Buch ist in Romanform geschrieben und erzählt die Reise eines jungen Lords zu einer abgelegenen Insel, deren Bewohner gerade die Revolution zum Kommunismus hinter sich haben. Der junge Lord kann seine Begeistung für die Segnungen der Demokratie nicht verbergen. Dass ein Adliger dermaßen Partei ergreift, begeisterte offenbar die proletarischen Leser. Voyage en Icarie beschreibt einen komplett durchorganisiertern Arbeiterstaat, dessen oberstes Gebot die vollkommene Gleichheit und Gütergemeinschaft ist. Das Volk ist in 1000 Gemeinden aufteilt, die Hauptstadt heißt Ikaria .

Seine Volksvertreter werden demokratisch gewählt. Es werden Komitees gebildet, die bis ins Detail zum Wohle aller entscheiden. Alle Ikarier werden z.B. zentral mit wechselnden Menues bekocht. Sie speisen gemeinsam in prachtvoll ausgestatteten Speisesälen. Es gibt ein ikarisches Kochbuch, das die besten und gesündesten Nahrungsmittel aufführt. Ein Komitee von Experten entscheidet über die Kleidung der Ikarier. Zu jedem Anlass werden Uniformen hergestellt, deren Stoffe elastisch sind, damit sie für verschiedene Größen passen. Die Farbe kann nach Geschmack gewählt werden.

Die Städten und Gemeinden sind architektonisch komplett symmetrisch angelegt. Im Zentrum die Hauptstadt Ikaria, der eine Kreisform zugrunde liegt. Die Bewohner Ikariens kommen in den Genuß der neusten technischen Errungenschaften (z.B. einer frühen Straßenbahn und Ampelanlagen) . Hier nutzt Cabet die Gelegenheit, viele Erfindungen seiner Zeit zu beschreiben.

Alle Mittel werden nach dem Maßstab "zuerst das Nötige, dann das Nützliche, zuletzt das Angenehme" aus dem Gesellschaftskapital bestritten, von Kleidung über Nahrung bis hin zu den Werkzeugen etc.. Das Einkommen wird progressiv besteuert, das Erbrecht wurde abgeschafft, der Staat regelt die Löhne bzw. schafft sie ganz ab. So garantiert die Arbeit keinen höheren Lebensstandard mehr, es entwickelt sich keine Oberschicht und alle werden gleich geachtet. Besondere Leistungen werden allein durch öffentliche Auszeichnungen belobigt. Auch die Aristokraten sind allen gleichgestellt, zufrieden üben sie handwerkliche Berufe aus.

Ikarien verfügt über nationale Werkstätten und Ackerbaukolonien. In Ikarien gibt es keinen Bedarf für "ungesunde" Berufe, wie z.B. Wirte und Waffenschmiede. Der Gründer, Ikar wird an jeder Strassenecke mit Denkmälern, Inschriften und Plakaten verehrt. Eine freiwillige Selbstzensur der Ikarier ersetzt die Polizei. Versammlungs- und/ Pressefreiheit ist nicht nötig, da alle sich alle einig sind. Eine Nationalzeitung, die allen zugeschickt wird, veröffentlicht das Geschehen in dem Staat. Das Erziehungssystem besteht aus einer Grundausbildung und 12 Jahren moralischer Erziehung. Frauen verlassen mit 17 die Schule, Männer mit 18. Im Alter von 50 Jahren dann, gehen die Frauen in Ruhestand und die Männer mit 65. Von Kindheit an lernen die Bewohner die Mehrheit zu respektieren und ordnen sich ohne Murren unter. Künstler und Dichter schaffen ihre Werke nur zum Wohle des Staates (z.B. besingen sie technische Errungenschaften).

In Cabets Entwurf sind alle Menschen zufrieden, ein Ikarier spricht es aus: "Der Mensch gehorcht gerne einer Ordnung, die er selbst gemacht hat". Ein Bedürfnis nach Platz für Spontanität und mögliche Konflikte zwischen dem Interesse des Staates und der Individuen werden ausgeklammert.

1847 hatte Cabet ca. 400000 Anhänger in Frankreich.

Sie drängten bald nach einen praktischen Beweis für die Theorie, sie wollten das Experiment. Für die Umsetzung wurde Geld gesammelt, ebenso alle möglichen Gebrauchsgegenstände, Kunstwerke, und Erfindungen, die erprobt werden sollten.

Cabet war der Auffassung, das die Umbildung einer Nation zu einer gütergemeinschaftlichen nicht plötzlich, sondern nur durch Überzeugen und Einwilligung von Statten gehen kann. Das gute Beispiel sollte überzeugen. Er hatte die Vision, dass seine zahlreichen Anhänger Millionen von Teilnehmer mit sich ziehen. Es würden ikarische Städte gebaut werden mit Industrien, Schulen, Theatern etc.. Cabet reist nach England und berät sich mit Owen wegen des zukünftigen Standorts. Texas soll es werden. Cabet kauft sofort Land von Amerikanern, die sich gerade in London aufhalten. 1848 erfolgt der große Aufruf:

"Allons en Icarie!"

Inzwischen hatte jedoch die 48ger Revolution der Bewegung den Wind aus den Segeln genommen, die Situation für die Arbeiter in Frankreich war entschärft worden.

So segelten nur 69 Personen nach Amerika. Das gekaufte Land erwieß sich als pfadlose Wildnis, die nicht einmal ein Fluss durchquerte, wie versprochen. Außerdem hatte es nur ein 10tel der erworbenen Fläche und war nicht einmal an einem Stück. Eine Klausel legte fest, dass auf jeder Parzelle ein Blockhaus zu bauen sei. Die Pioniere schafften es nicht, das Land zu sichern. Nach der beschwerlichen Anreise waren die Leute fieberkrank geworden und der Arzt wahnsinnig. Krank verließen sie Texas, 20 der Pioniere starben an Cholera. 1849 treffen sie in New Orleans zu den anderen. Weitere 280 Ikarier sind in der neuen Welt angekommen, unter ihnen Cabet persönlich. Sie kaufen den Mormonen die Siedlung Nauvoo ab. Nauvoo war bis 1845 noch eine blühende Stadt. Um Verfolgungen zu entgehen, waren die Mormonen jedoch gezwungen nach Utah umzusiedeln. Nauvoo verfügt bereits über einige Häuser, Land, einer Mühle und einer Brennerei. Cabet übernimmt die Leitung.

Ikarien gedieh in den nächsten 6-7 Jahren langsam. Es gab Schulen, Theater, Musik, etc. Ein Präsident und Direktoren von 5 Abteilungen der Generalversammlung (der alle Männer über 20 angehörten) regierten die Stadt. Cabet war immer Präsident (so hatte sich selbst zum Diktator gemacht, anders als er es in seinem Roman vorgesehen hatte.)

Das neue Ikarien litt umter den fortwährenden Schulden. Die Ikarier waren abhängig von der finanziellen Unterstützung aus Frankreich, die nach der 1848er Revolution noch weiter abnahm. Sie lernten lange kein Englisch und hielten an der französischen Sprache fest. 1853 musste Cabet nach Paris, es kam zu Streitigkeiten während seiner Abwesenheit.

Wilson bezeichnet Cabet als bürgerlichsten aller kommunistischen Führer, der keine wahren Vorstellungen von der Möglichkeit der Landwirtschaft und Industrie hatte und das Gemeinwesen nahe den kleinlichen Maßstäben französischer Haushalte führte. Er untersagte Whisky und Tabak , mischte sich in private Angelegenheiten ein und hielt zum Bespitzeln an. Die Mitglieder fühlten sich unfrei, manche sangen unter seinem Fenster sogar schon wieder die Marseillaise. Feindseligkeiten zwischen Cabet und Mitgliedern der Verwaltung und der Generalversammlung führten 1856 zum Bruch. Drei der neuen Direktoren waren Gegner Cabets, der seinerseits diese auch erst gar nicht anerkennen wollte. Es kam zu offenen Auseinandersetzungen. Die Zivilbehörde musste einschreiten. Cabet verlangte die Auflösung Ikariens, wurde aber stattdessen ausgeschlossen. Mit 180 Anhängern verließ er die Siedlung und starb bald darauf in St. Louis.

Die treuen Anhänger gründeten eine neue Kolonie in Cheltenham. Sie bauten es trotz Widrigkeiten auf. 1859 schien alles in Ordnung zu sein, dann brach ein Streit um die Regierungsform aus: wollte man einen Führer oder Demokratie? Es war eine Auseinandersetzung Alt gegen Jung. 42 junge Leute traten daraufhin aus, was die Siedlung nicht verkraftete. 1869 wurde Cheltenham aufgelöst.

Die in Nauvoo verbliebenen Ikarier zogen um nach Iowa. Sie siedelten dort in der Wüste, was hohe Transportkosten verursachte. Ausserdem drückten die Schulden von den Hypotheken. Der Ausbruch des Bürgerkrieges "half" den Ikarien in gewisser Weise. Die Hypotheken verfielen und landwirtschliche Produkte waren sehr gefragt. Die Iowa-Ikarier hielten durch, sie arbeiteten unter den schlechten Verhältnissen weiter an ihrer Idee. 1868 war die Mitgliedszahl verdoppelt, sie hatten es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Daraus entwickelte sich jedoch ein Widerspruch mit den ursprünglichen Idealen.

Unter Einfluss des modernen Sozialismus von Marx , der Arbeiterinternationalen und dem aktiven Klassenkampf in Europa (Pariser Kommune) bestanden die jungen Ikarier auf Reformen, sie wollten z.B. das Frauenwahlrecht. Die alten Ikarier waren allen Neuerungen gegenüber mißtrauisch, Sie hatten schon die Lebensart gewöhnlicher amerikanischer Farmer angenommen. 1877 forderten die Jungen vorm Zivilgericht die Trennung. 1878 wurde das Gemeinwesen in Iowa formal aufgelöst. Eine Treuhand übernahm die Verwaltung. Die Siedlung bestand noch bis 1895, hatte jedoch keinen Zuwachs mehr.

Die jungen Ikarier unternahmen einen letzten Versuch. 1881 gründeten sie in Kalifornien die Siedlung Speranza nach den Gesichtspunkten einer sozialen Anarchie. Sie hatten keinen Präsidenten und keine höheren Beamten. Ihre Basis war das Gefühl der Pflicht und Verantwortung der Einzelnen. Speranza scheiterte ebenfalls.


Quellen:

  • Edmund Wilson, Auf dem Weg zum Finnischen Bahnhof
  • Gelebte Utopien, alternative Lebensentwürfe, Insel Verlag
  • Utopische Kommunen in USA
  • www.utopie1.de
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