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Elsa von Freytag-Loringhovenmehr über die Dada Dame:
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/belletristik/?cnt=363952& Unbeeinträchtigt von geistiger Gesundheit An den Biographien der Elsa von Freytag-Loringhoven, Tilly Wedekinds und ihrer Töchter lassen sich Kunst, Konvention und Wahnsinn im 20. Jahrhundert exemplarisch studieren VON KATHARINA RUTSCHKY Einen Platz in der Geschichte der New Yorker Avantgarde zwischen 1913 und 1923 hat Elsa von Freytag-Loringhoven (1874 bis 1927), geb. Plötz, geschiedene Endell und geschiedene Greve, auf jeden Fall verdient. Irene Gammel, eine deutschstämmige Literaturwissenschaftlerin, die seit langem in Kanada lehrt, hat mit einer Begeisterung, die dem wunderbaren Wahnsinn der "Baroness" kongenial ist, das ganze Leben, Lieben, Dichten & Trachten dieser Volkskünstlerin erforscht, so weit überhaupt möglich dokumentiert und, vielleicht allzu großzügig, nach dem Muster der verkannten weiblichen Künstlerin in einer Männerwelt gedeutet. Ausdrücklich hervorgehoben werden muss in diesen harten Zeiten der Knickrigkeit und der Risikovermeidung auch das Engagement derVerlegerin Brigitte Ebersbach, die das Buch nicht bloß übersetzen ließ, sondern ihm darüber hinaus auch eine so luxuriöse Ausstattung genehmigte, dass es zu einem Schmuckstück jeder Büchersammlung taugt. Irene Gammels Leidenschaft für die verrückte Bürgerstochter aus Swinemünde, die lebenslang Kunstglauben, Größenwahn und sexuelle Energie in einer aberwitzigen Bohèmeexistenz auslebte, hat ein interessantes Buch hervorgebracht, aber eines, das doch sehr gegen den Strich gelesen werden muss. Hat Elsa Plötz im Kreis der Münchner Kosmiker, ja sogar des George-Kreises als Modell und Hetäre eine Rolle gespielt? Oder hat sie später in New York tatsächlich die Performance erfunden und darüber hinaus dem männlichen Maschinendada von Duchamp und Man Ray mit ihren Kostümierungen und Körperbemalungen eine weibliche Variante an die Seite gestellt? Eine, die außerdem den Vorzug hatte, lebendig zu sein und die Grenze zwischen Atelierkunst und Straße einzureißen? Die Quellen zur Biographie sind dürftig und bestehen für die frühen Jahre vor allem aus zwei Romanen, die ihr zeitweiliger Ehemann Felix Greve verfasst hat. Dann gibt es Briefe der "Baroness" an Djuna Barnes, die sich lange mit dem Gedanken trug, ein Buch über sie zu schreiben. Der Enthusiasmus, eine lässliche Sünde, wenn überhaupt, verführt Gammel dazu, die kindliche Egozentrik ihrer Heldin zu verkennen, ihre Selbststilisierung als verkannte Künstlerin samt der biographischen Legendenbildung zu übernehmen und durch Kontextualisierung noch zu steigern. Damit geschieht der nonkonformistischen, zeitweise aber auch verrückten Baroness Unrecht, wenn auch gut gemeintes. Von der Obsession zur Volkskunst Die Gaben von Elsa Plötz waren beträchtlich; sie bestanden in einem schönen, schlanken Körper (wenn überhaupt je, verdiente sie Geld mit Modellstehen), einer für die Zeit ganz ungewöhnlichen Hemmungs- und Vorurteilslosigkeit im Hinblick auf soziale und sexuelle Unternehmungen und einem durch Hunger, Elend und Armut nicht zu erschütternden Selbstbewusstsein. Sie schrieb (ungeschickte) Erpresserbriefe, sogar einmal einen an Stefan George, und wenn sie bettelte, dann nicht demütig, sondern so aggressiv, dass ihre vielen Wohltäter irgendwann die Geduld verloren. Ein ungenannter Zeuge in der großen Duchamp-Biographie von Calvin Tomkins fand für sie die wunderbare Formel: "Unbeeinträchtigt von geistiger Gesundheit". Darin stecken Bewunderung und Angst, Reaktionen, die die Baroness gewöhnlich hervorrief. In Anlehnung an ein Konzept der Berliner Künstler Andreas Seltzer und Dieter Hacker aus den siebziger Jahren halte ich Elsa Plötz nicht für eine bisher verkannte Beiträgerin der New Yorker Avantgarde - unbekannt war sie nie -, sondern für eine Volkskünstlerin. Das sind Leute, die ihre Obsessionen, ja Störungen und Krankheiten mit so viel Energie verfolgen und in ein Quasi-Werk umsetzen, dass moderne Künstler sie als Schattenbilder ihres eigenen Tuns und als Anreger durchaus schätzen können. Man war speziell in dadaistischen und surrealistischen Kreisen auch immer nett zu Außenseitern aller Art und nutzte sie zur Provokation moralischer und ästhetischer Konventionen. So filmten Man Ray und Marcel Duchamp die Baroness einmal nackt, "ihr Schamhaar rasierend". Ihre Gedichte erschienen in der Little Review von Jane Heap und Margaret Anderson kurzfristig neben denen von Ezra Pound und William Carlos Williams - aber, was Gammel verkennt, ganz dezidiert als "Wahnsinnskunst" platziert, besonders gut geeignet, die Konfusion der Kunsturteile zu befördern, an der der Avantgarde damals so viel gelegen war. Das Motto der Zeitschrift lautete schließlich: "Keine Konzessionen an den guten Geschmack". Nach einem abenteuerlichen Leben, das sie auch schlimmstes Elend hat kennen lernen lassen, starb Elsa Plötz aus Swinemünde 1927 in Paris, gewissermaßen standesgemäß in der Heimat aller Bohémiens - an einer Gasvergiftung, wie sie damals häufiger vorkam. War sie trotz einiger unter dem Einfluss von Duchamp entstandener Objekte und origineller Kostümierungen keine Künstlerin, dann doch verrückt genug, um dem trüben Leben einer kleinbürgerlichen Ehefrau zu entkommen. Zwischen zwei Buchdeckel gepresst, erweitert die Baroness unsere Vorstellungen im Hinblick auf weibliche Selbstverwirklichung in historischer Zeit, vor allem auf die Schnittmengen, die zwischen dieser, der Bohème und der Avantgarde im 20. Jahrhundert anfallen. Nach allem, was Gammel recherchiert hat, hätte man auf eine persönliche Bekanntschaft mit Elsa Plötz aber jederzeit lieber verzichtet. Lieben und experimentieren Dass die Ehe zwischen Tilly Newes, einer jungen Schauspielerin aus Graz, mit dem doppelt so alten Frank Wedekind mehr Ähnlichkeit mit einem Experiment als mit einer Liebesbeziehung zu tun hatte, ahnte schon der Leser von Tilly Wedekinds Memoiren aus dem Jahr 1969. Ihr Enkel Anatol Regnier konnte nun beim Schreiben über sie, ihre Töchter Pamela und Kadidja (erstere seine Mutter) nicht nur aus persönlicher Vertrautheit mit den drei Wedekindfrauen, sondern auch aus den im Münchner Stadtarchiv gesammelten Papieren schöpfen. Mit Deutungen hält er sich diskret zurück, zitiert stattdessen ausgiebig und überlässt die Meinungsbildung über diese Familiengeschichte aus dem Milieu der Hochkultur dem Leser. Die Theaterleidenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und das Prestige, das die Bühne versprach, können wir uns heute nur noch durch eine Analogie zur Karriere in der Popmusik oder dem Fernsehen klar machen. Auf Einladung von Karl Kraus wirkte das schöne junge Mädchen aus bürgerlicher Familie, das sich in Graz in Dutzenden von Rollen geübt und bewährt hatte, bei der Privataufführung von Wedekinds Büchse der Pandora in Wien mit. Ein Jahr später war Tilly mit Wedekind nicht bloß verheiratet, sondern gefangen in einem undurchdringlichen Gespinst von Anbetung, Eifersuchtsparanoia und intelligenter Manipulation von Schuldgefühlen, welche die zur Depression neigende Tilly reichlich mitbrachte.Wedekind starb 1918, da war seine Frau 32 und hatte noch ein langes, von Affären und Liebesgeschichten erfülltes Leben vor sich, was den Bedeutungsverlust einer nicht gar so großen Schauspielerin, die immer die Witwe Wedekinds blieb, erträglich gemacht haben dürfte. Als Töchter von Wedekind gingen auch Pamela und Kadidja durchs Leben. Pamela, die Freundin von Klaus und Erika Mann, Schauspielerin und Übersetzerin, Ehefrau von Charles Regnier und Mutter dreier Kinder, arbeitete ihren übermächtigen Vaterkomplex in der sonderbaren Ehe mit Carl Sternheim ab. Sie unterbrach ihre Karriere und heiratete den Jahrzehnte älteren Mann, der überdies in den folgenden Jahren an Wahnzuständen litt, bedingt durch eine syphilitische Infektion. Aber dann wurde sie vernünftig und ließ sich scheiden. Kadidja, die erst sieben war, als Wedekind starb, kam im Unterschied zu Pamela überhaupt nicht aus derm Schatten des Familiennamens, also des Vaters heraus. Die begabte junge Frau agierte ziellos und verfahren bis ans Ende ihres langen Lebens. Ja, sie schaffte es sogar, die große Wedekind-Ausgabe der Mainzer Akademie zu verhindern, und natürlich ist auch ihre lange projektierte Wedekind-Biographie nie erschienen. Im Unterschied zu Tilly und Pamela, die sich im Nazideutschland so durchmogelten, verschlug es Kadidja durch Zufall in die Vereinigten Staaten. Stoff für weitere Erbitterungen im Kreis der Wedekindfrauen. Regniers Buch zehrt von dem Widerspruch, der auch das Leben der drei bestimmte. Wedekind als Person und sein Nachruhm haben sie geprägt und bedrückt und verformt. Vom süßen Gift des Ruhms, der mit dem Namen verbunden war, mochten und konnten sie nicht wirklich lassen. Für jeden, der bei Wedekind an einen Bohémien und seine herrlich grellen Moritaten und Bänkellieder, auch an seine Verfolgung durch die kaiserliche Zensur denkt, außerdem den offenen Umgang mit Sexualität und seine spezielle Version des Geschlechterkampfs bis heute aktuell findet, kurzum für jeden, der Wedekind zumindest einen Mittelplatz in der deutschen Literaturgeschichte konzedieren würde, bietet Regniers Buch Stoff zur Revision des Urteils. Tillys verzweifelte, schuldlos-schuldbewusste Briefe an den Eheherrn zeigen Wedekind nicht als einen Avantgardisten und Aufklärer, sondern als einen bürgerlichen Mann, der in einer Perversion gefangen war. Sein Verhalten als Ehemann und als Vater, von dem auch seine Stücke und Schriften neu beleuchtet werden, erklären sich im Kern so schlicht wie schrecklich aus der Obsession mit dem Phantasma der unendlichen weiblichen Potenz und der männlichen Impotenz. Wedekind verfügte gewiss über mehr soziokulturelles Kapital als Elsa Plötz aus Swinemünde, um aus seiner Obsession etwas zu machen - dass er ein Mann war, war damals auch ein Vorteil. Trotzdem gehören die beiden zusammen in das Bild der Avantgarde. Es zeigt einen überschätzten und in gewisser Weise eben auch verkannten Schriftsteller hier, und dort eine Frau, deren bloß gelebten Verrücktheiten man heute ebenfalls Werkcharakter zusprechen möchte. Irene Gammel: "Die Dada Baroness. Das wilde Leben der Elsa von Freytag-Loringhoven." Aus dem Amerikanischen von Claudia Kotte. edition ebersbach, Berlin 2003, 256 Seiten, 34 Euro. Anatol Regnier: "Du auf deinem höchsten Dach. Tilly Wedekind und ihre Töchter. Eine Familienbiographie." Albrecht Knaus Verlag, München 2003, 380 Seiten, 22,90 Euro. |