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Cross Gender / Cross GenreMike Kelley In den folgenden Ausführungen möchte ich etwas zu der Ästhetik der Zeit von Mitte der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre sagen, und zwar im Hinblick auf Bilder der Vertauschung des Geschlechts. In dieser Zeit, die ich in Ermangelung eines besseren Ausdrucks mit dem Begriff „psychedelisch“ bezeichnen werde, wimmelt es von solchen Bildern. Ich will versuchen zu erklären, warum dies meiner Ansicht nach so ist, und einige der zahlreichen in dieser Zeit auftretenden Strömungen beschreiben. Es ist wohl am besten, wenn ich zunächst ein Wort zu meiner Herkunft sage und warum mir das alles etwas bedeutet. Ich wurde 1954 geboren und gehöre damit zu den letzten Vertretern der Sechziger-Generation. Im Jahr 1968 war ich vierzehn Jahre alt, alt genug, um an dem allgemeinen gesellschaftlichen Aufruhr teilzunehmen, und einer der letzten dieser Generation, die für die Einberufung in den Vietnam-Krieg in Frage kamen. Um ein Hippie zu sein, war ich im Grunde zu jung, doch meine Weltanschauung war zu einem Großteil ein Nebenprodukt dieser Widerstandsbewegung. Die sechziger Jahre waren in Amerika eine Zeit eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels und großer Unruhe. Infolgedessen hatte ich mit meinen Geschwistern, die acht Jahre älter waren, wenig gemein. Sie gehörten zur Nachkriegsgeneration; ich war von den Medien beein-flusst, gehörte zur Fernseh- und Popgeneration. Ich hatte nicht das Gefühl, zu meiner Familie zu gehören oder zu meinem Land; ich hatte keinerlei historisches Bewusstsein: Die Welt erschien mir als eine Medienfassade, eine Fiktion und als ein Sack voll Lügen. Man nennt das heute, glaube ich, den Zustand des postmodernen Menschen. Es handelt sich dabei um eine ganz andere Form von Entfremdung als die des Existentialismus der Nachkriegszeit, da ihr jede historische Grundlage fehlt - es gibt keine Vorstellung von einer Wahrheit, die verlorengegangen wäre. Es gibt einfach -nichts. Dennoch war ich noch weit genug in den sechziger Jahren beheimatet, um zumindest als Zuschauer an radikalen politischen Bestrebungen teilzunehmen. In der Stadt, in der ich aufwuchs, in Detroit im Bundesstaat Michigan, war deren lokale Version die White Panther Party - angeblich ein weißer Ableger der revolutionären Black Panther Party. In Wirklichkeit waren die White Panthers eher ein Zweig der Yippies: eine vorwiegend weiße Gruppe von Hedonisten und Anarchisten. Die politische Tätigkeit dieser Gruppe bestand vor allem darin, dass man „seinen Überzeugungen gemäß lebte“ - dass man sein Leben in eine Art radikales Straßentheater verwandelte. Der Zweck dieser Übung war, einen untauglich zu machen für das Funktionieren in der normalen Gesellschaft und so zu verhindern, dass man an dieser teilnahm und zu ihrer Erhaltung beitrug. Der Grundgedanke war: Wenn man genügend Drogen nahm, war man einfach nicht fähig, in dem militärischen Industrieapparat mitzuarbeiten. Die White Panthers hatten ihren Hauptsitz in der Universitätsstadt Ann Arbor, und mein Interesse für ihre Aktivitäten ließ mich entsprechende Veranstaltungen in den Bereichen Avant-garde-Musik, Theater, Film und Politik besuchen. Auf diesem Weg bin ich zum Künstler geworden, was erstaunlich ist, denn ich stamme aus dem Arbeitermilieu und wurde als Kind kaum oder gar nicht mit Kunst konfrontiert. Die psychedelische Kultur hat meine Sicht der Welt von Grund auf verändert. Als ich zum ersten Mal psychedelische Musik hörte, war das, als hätte ich mich selbst entdeckt. Bis dahin hatte Musik mich wenig interessiert. Ich hörte Gruppen wie die MC 5?, die Stooges, die Mothers of Invention und Jimi Hendrix. Der zersplitterte Charakter dieser Musik hatte für mich etwas Einleuchtendes - er spiegelte die Welt, so wie ich sie sah, und meine eigene Psyche. Im Hinblick auf die Moderne war das, wie jeder gebildete Mensch weiß, natürlich ein alter Hut. Ich meine, der Kubismus war schon um die Jahrhundertwende erfunden worden, aber ich rede hier von der Massenkultur - nicht von der akademischen Welt. Das Interessante an dieser Zeit war, dass in ihr die Avantgarde-Kunst des 20. Jahrhunderts aufgegriffen und unter dem Deckmantel einer radikalen Jugendkultur in die Populärkultur integriert wurde. Mit einem Schlag wurde der Surrealismus zur Teeny-Kultur. Möglich wurde dies dadurch, dass die Künstler, die in dieser Zeit des Crossover aktiv waren, sich immer noch als Avantgardisten betrachteten - eine Haltung, die zu jener Zeit noch denkbar war. Psychedelische Musik war „progressive“ Musik, sie bewegte sich in formaler Hinsicht weiter, im Einklang mit der Vorstellung eines pro-gressiven gesellschaftlichen Wandels. Diese Fassade bröckelte bald ab, schon in den Anfängen, wie in der Ironie der Camp-Ästhetik deutlich wird, doch man konnte noch mit ihr arbeiten. Innerhalb dieser allgemeinenprogressiven Ästhetik gibt es verschiedene Spielarten, aber fast alle haben etwas mit der Vorstellung des Weiblichen zu tun. In Amerika war die Popularität der radikalen Jugendkultur der sechziger Jahre weitgehend ein Nebenprodukt der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung. Die Gefahr, zum Militärdienst eingezogen zu werden, weckte bei vielen selbstzufriedenen weißen Jugendlichen erstmals ein Interesse für Politik. Das Modell für den gesellschaftlichen Protest bildete damals die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen. Die pazifistische Haltung Martin Luther Kings passte gut zu einer Antikriegsbotschaft. Es war das zufällige Zusammentreffen dieser beiden sehr verschiedenen Fraktionen, das, glaube ich, zu einer umfassenden Einfühlung der weißen Jugendlichen in das „Andere“ im allgemeinen geführt hat. Doch das „Andere“ war vor allem die Frau. Wenn Amerikas Problem darin bestand, dass es militaristisch, patriarchalisch und männlich war, dann würde das Gegenmittel darin liegen, das prototypisch Weibliche aufzunehmen. Die radi- kale Kultur dieser Zeit wird von einer demonstrativen Weiblichkeit als Symbol des Widerstands dominiert. Weiblichkeit- und männliche Homosexualität, denn im Geist des Volkes ist bei des miteinander verschmolzen. Wenn die Frau das Andere ist, dann ist der Homosexuelle in zweifacher Hinsicht das Andere, denn er ist „wider die Natur“. Man könnte behaupten, dass der Vietnamkrieg diese Pose selbst gefördert hat, denn eine Möglichkeit, der Einberufung zu entgehen, bestand darin, den Schwulen zu spielen. Vielleicht liegt hier die Ursache für die Popularität der homosexuellen Pose in den darauffolgenden zehn Jahren, die ihren Höhepunkt im Glam Rock findet. Die Hippie- und Blumenkind-Kultur ist die „natürliche“ Version dieser Dyade des Weiblichen und des Homosexuellen, und Camp ist ihr unnatürlicher Vetter. Ober-flächlich weisen sie zwar viele Ähnlichkeiten auf, doch von der Ästhetik her bilden sie einen Gegensatz, auch wenn sie beide in einem allgemeinen Sinne „progressiv“ und „links“ sind. Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang Jack Smith. Smith ist der Pate der avantgardistischen New Yorker Theater- und Filmszene der sechziger Jahre. Er hatte maßgeblichen Einfluss auf diverse New Yorker Strömungen - und erstaunlicher-weise sowohl auf das Lager der Minimalisten als auch auf das der Maximalisten. Warhols Filme und das Theater von Robert Wilson wären ohne ihn fast undenkbar. Doch berühmt ist er vor allem dafür, dass er den ersten avantgardistischen Transvestitenfilm gedreht hat: „Flaming Creatures“ - eine Art strukturalistische Parodie auf die orientalistischen Hollywood-Filme der vierziger Jahre. Smith schwelgt regelrecht in dem Scheincharakter dieser Filme. Dieses begeisterte Aufgreifen des falschen Scheins macht das Wesen - und die politische Haltung - der Camp-Ästhetik aus. Es handelt sich um eine Ästhetik, die prinzipiell verdächtig ist, denn man weiß nie genau, ob ihre Freuden echt sind oder ironisch. Camp ist eine Geheimästhetik. Auch die Hippie-Kultur griff nicht-westliche Kulturen auf und mischte sie, genau wie Smith, zu einer allgemeinen psychedelischen Mixtur zusammen. Doch die Hippie-Ästhetik ist an der Wahrheit interessiert; die Wahrheit liegt im Anderen, das unser Retter ist. In dieser Haltung ist für Ironie kein Platz. Aber auch diese essentialistische Haltung ist prinzipiell verdächtig, denn das Andere wird in der Hippie-Kultur meist durch klischeehafte Bilder des Exotischen dargestellt. Daher erscheint uns die Hippie-Ästhetik heute als Kitsch, auch wenn das keineswegs ihrer Absicht entsprach. Die Hippie-Kultur ist qua Unterlassung zu Camp geworden. Die Pastiche-Ästhetik ist das wichtigste Signifikat der psychedelischen Kultur. Es ist eines, das die Verwirrung fördert und dabei Gleichheit postuliert - im Chaos sind alle Teile gleich. Diese Haltung kann entweder als sehr demokratisch oder aber als nihilistisch aufgefasst werden. Man könnte den Unterschied als den zwischen der „utopischen“ und der „schwarzen“ Version von Camp beschreiben. Die Cockettes und die Filme von Steven Arnold bilden einen guten Ausgangspunkt für eine nähere Untersuchung dieses Unterschieds. Die Cockettes waren eine in San Francisco beheimatete Theatergruppe, die ein parodistisches Transvestitentheater im Camp-Stil produzierten. Doch im Gegensatz zu traditionellen Transvestitenshows, schwelgten die Cockettes in der Zurschaustellung der unvollständigen Pose. Sie trugen zwar extravagante Kostüme, die Hollywoodsche Vorstellungen von Glamour imitierten, doch sie taten dies auf eine bewusst armselige, unvollkommene Weise. So hatten die „Queens“ oft Bärte - ein absolutes Unding in Transvestitennummern, deren Qualität sich daran bemisst, ob die Beteiligten als Frauen „durchgehen“ würden. Zum Ensemble der Cockettes gehörten nicht nur Männer, sondern auch Frauen, doch traten diese nur selten in Männerkleidern auf. Insgesamt schien die Ästhetik der Gruppe auf eine Neudefinition von Glamour abzuzielen, auf einen, wenn man so will, „fremdartigen“ Glamour, der jedoch nach wie vor auf einer weiblichen Pose basierte. Darin zeigt sich die Gruppe der Hippie-Kultur verbunden. Sie stellen eine echte Kreuzung zwischen dem Kommunalismus der Hippies und einer späteren, unverhohlener definierten Ästhetik dar, die als „queer“ bezeichnet wird. Im Gegensatz dazu ist in John Waters' Filmen von der Hippie-Kultur keine Spur mehr übrig. Dabei gibt es hier durchaus ein ähnliches Spiel mit dem geschlechtlichen Rollentausch: in der Gestalt der grotesken „Drag Queen“ Divine, die man nie für eine Frau halten würde. Hier wird „Queerness“ gefeiert, weil sie in der amerikanischen Gesellschaft als niedrig und verworfen gilt. Es gibt hier keine Suche nach einer außerhalb liegenden Ästhetik, denn „du“, der vermeintlich einfühlsame Zuschauer, re-präsentierst bereits das Andere. In Waters' Filmen werden die negativen Konnotationen von „Kunst“ - im Sinne des Pathologischen - auf völlig unsublimierte Weise präsentiert. Es handelt sich um billige Komödien ohne irgendwelche höheren Ambitionen und ohne einen ausgleichenden gesellschaftlichen Wert - sie sind post-avantgardistisch und Proto-Punk. Die Mothers of Invention vertreten zwar eine Ästhetik des Verworfenen, die in vielerlei Hinsicht derjenigen von Waters gleicht, sind jedoch in einem traditionelleren Sinn avantgardistisch. Die Mothers waren eine Rockband, die Mitte der sechziger Jahre von dem weissen Rhythm-and-Blues-Musiker Frank Zappa gegründet wurde. Unter dem Einfluß von Edgard Varese, einem Komponisten neuer Musik, verband Zappa Dissonanz mit seinen Rhythm-and-Blues-Wurzeln. Mit ihrem Einsatz von Strukturen des Pastiches exemplifiziert die Musik dieser Gruppe die psychedelische Ästhetik: Sie verbindet Elemente von Pop, Rock, Free Jazz, neuer Musik, elektronischer Musik und Komödie. Der Effekt ähnelt einer Live-Aufführung einer Tonband-Collage von John Cage. Zudem pflegten die Musiker der Gruppe ein unverhohlen theatralisches Element, indem sie sich der provokativen Auftrittsformen bedienten, die in solch modernen, Post-Brechtschen Theaterformen wie dem Happening zum Einsatz kamen. Das Quälen des Publikums und häufige Unterbrechungen sind Beispiele fürihren provokativen Auftrittsstil. Ihre visuelle Ästhetik entsprach einem Neo-Dadaismus - eine Junk-Ästhetik des Verworfenen und Hässlichen. Die Mothers waren Teil einer größeren Gruppe von Musikern und Künstlern in Los Angeles und Umgebung, die sich vor allem um Zappa bildete, der sogenannten „Freak Scene“, die sich offen in Gegensatz zu der Hippie-Ästhetik des Natürlichen stellte. Zu dieser Szene gehörten auch die Rockgruppen Captain Beefheart, Alice Cooper und die GT Os? - eine aus Groupies bestehende Frauenband. Sie alle setzten hinund wieder Transvestismus-Elemente ein. Wie die Cockettes arbeiteten auch die Mothers mit einer unvollständigen Form von Transvestismus. Dennoch gibt es zwischen beiden Unterschiede. Die Cockettes haben trotz ihres lächerlichen Images etwas Spielerisches, Positives, das den Mothers fehlt. Bei den Mothers ähnelt der Einsatz des Transvestismus eher der Verwendung von Frauenkleidern in der traditionellen Komödie, und in diesem Sinne handelt es sich um eine niedere Form des Gebrauchs. In der westlichen Kultur gelten Männer, die sich wie Frauen kleiden, als komisch, was im allgemeinen nicht für das Gegenteil gilt. Eine Frau in Männerkleidern hat kaum einen komödiantischen Wert. Der Sexismus, der dieser Differenz zugrunde liegt, ist offensichtlich, denn warum sollte die Übernahme weiblicher Charakteristika durch einen Mann sonst etwas Verworfenes sein. Das soll nicht heißen, dass die Mothers kein politisches Bewusstsein hatten - ganz im Gegenteil: Sie gehörten in jener Zeit zu den Musikgruppen mit dem ausgeprägtesten politischen Bewusstsein. Doch sie waren in gewissem Sinne eine realistische Band, die sich über den romantischen Utopismus und Exotismus der psychedelischen Hippie-Kultur lustig machte. Ihre satirische Hässlichkeit war als ein verzerrtes Spiegelbild der Werte der herrschenden Kultur gedacht. Die Musik von Alice Cooper ist ähnlich, geht jedoch mehr in Richtung Pop, das heißt, ihre Ästhetik ist platter; die Gruppe ist von ihrer Intention her weniger offen. Ihre frühen Platten sind ähnlich wie diejenigen Zappas eine von der Avantgarde-Musik beeinflusste Mischung aus Rock and Roll und Noise-Elementen. Auch hier gibt es ein gegen die Hippies gerichtetes Schwelgen in der Ästhetik des Hässlichen - in diesem Fall mittels einer Vermengung von Transvestismus und billigen Horrorfilm-Effekten. Diese „Dekadenz“, diese Mischung aus Signifikaten des Schrecklichen und des Homosexuellen, war für ein sehr viel breiteres Publikum bestimmt als Zappas Musik. Ähnlich wie John Waters griff auch Alice Cooper das Niedrige ohne jede Rechtfertigung auf. Man könnte sagen, dass sie die erste wirklich populäre Camp-Band waren, mit zwei verschiedenen Gruppen von Anhängern. Alice Cooper war eine wirklich erfolg-reiche Pop-Band, die eine Reihe von Top-Ten-Hits landete, unter anderem mit einigen ironischen zuckersüßen Balladen, die von einem Teil ihrer Hörer als Parodien erkannt und von anderen als ernsthaft emotional geschätzt wurden. In einem ähnlichen Sinne identifizierte sich ein Teil ihres Publikums mit den ausgeflippten „dekadenten“ Figuren, während andere diese Rollen schlicht als komödiantisch verstanden. Insofern - wegen seines Einsatzes von Camp-Strategien - könnte man sagen, dass Alice Cooper die theatralischen Aspekte der Popmusik „geoutet“ hat. Die amerikanische Popmusik hat das „Glamouröse“ - anders gesagt, das „Homosexuelle“ - auf versteckte Weise schon früh in sich aufgenommen. Über die camp-artige Bühnenshow von Liberace wurde niemals offen in Bezug auf seine Homosexualität gesprochen. Er hat dies selbst verhindert. Liberace gewann einen Prozess gegen einen britischen Klatschkolumnisten, der bloß angedeutet hatte, Liberace sei homosexuell. Diese Art der Sublimierung setzt sich im Rock and Roll fort, was in Anbetracht des „sexuellen“ Charakters dieser Musikform nicht der Ironie entbehrt. So erregte Elvis zunächst den Widerwillen seines hauptsächlich aus Country-Hörern bestehenden Publikums, weil er Make-up benutzte, doch mit seiner wachsenden Popularität wurde dieser Aspekt seiner Bühnenshow unsichtbar - natura-lisiert. Die sogenannten British-Invasion-Bands der Mitte der sechziger Jahre, wie etwa die Rolling Stones, griffen diese „glamouröse“ Selbstinszenierung auf und filterten sie durch die englischen visuellen Tropen einer geckenhaften „Dekadenz“. Mick Jaggers Bewegungen auf der Bühne waren „schwarz“ und „schwul“ zugleich, womit er doppelt zum Bösen und in den Augen der Teeny-Fans sexualisiert wurde. Diese Selbstinszenierung zeigt eine entscheidende Wende in der Arena der Popmusik an, denn dieses offene Spiel mit dem „Bösen“ ist etwas, was Elvis in seinem Bestreben, ein Mainstream-Star zu sein, nie in Erwägung gezogen hätte. Erst im Rahmen derGegenkultur der sechziger Jahre konnte eine solche Ästhetik der „Übertretung“ als „Pop“-Musik akzeptiert werden. Nach Jagger gab es eine ganze Reihe von Figuren, die diese Mischung aus „Dekadenz“ und Gefahr auf die Spitze trieben. Die beiden wichtigsten davon sind wohl Jim Morrison von den Doors und Iggy Pop von den Stooges. Von Morrison heißt es, er habe seinen Leatherboy-Look von den „Rough Trade“-Posen der Warhol-Szene geklaut und seine auf Konfrontation angelegte Bühnenshow von den Verfahrensweisen des Living Theatre. Iggy Pops gemeine und selbstzerstörerische Bühnengestalt wurde zum Vorbild für die Auftritte der Punkrocker der siebziger Jahre. Diese Ästhetik des .homosexuellen Bösem geht, zumindest was die amerikanische Kultur betrifft, in vielen Punkten auf die Werke des Filmemachers Kenneth Anger zurück. Angers Buch „Hollywood Babylon“, das sich mit der dunklen und verderbten Subgeschichte des Hollywoodschen Glamours befasst, ist die Bibel des Camp. Und seine Filme, in denen verschiedene amerika-nische Subkulturen detailliert und aus einem homosexuellen Blickwinkel gezeigt werden, setzten den Maßstab für viele Werke der Pop-art, die in der Tradition Warhols entstanden. Durch Kenneth Anger haben der in Leder gekleidete jugendliche Straftäter der fünfziger Jahre und seine emotionsgeladenen Songs Eingang in das Camp-Pantheon gefunden, Aufnahme in The Velvet Underground und seine letzte Ruhe in der Lederuniform des Punkers. Durch ihn werden die Macho-Posen des Motorrad-Rowdys zum Symbol des entfremdeten und sensiblen Künstlers. Man denke etwa an das Image von Patti Smith, diese Mischung aus Leatherboy und romantischer Dichterin. Und durch Anger, den sein Interesse für subkulturelle Rituale dazu gebracht hat, sich für rituelle Magie zu interessieren, findet auch der Satanismus als ein weiteres Zeichen von Dekadenz in die Welt der Popmusik Eingang - vor allem durch die Rolling Stones, die in ihrer psychedelischen Phase seinen Look mit allem Drum und Dran übernahmen. Was ist aus diesem „outing“ der nach allgemeiner kultureller Übereinkunft als verworfen geltenden Natur des Weiblichen geworden? Als diese gegenkulturelle „Trans- vestismus“-Strömung den Utopismus der sechziger Jahre hinter sich ließ und in das ökonomisch härtere soziale Klima der siebziger Jahre eintrat, bildeten sich zwei Hauptrichtungen heraus: Feminismus und Punk. Angesichts dieses allgemeinen Aufgreifens weiblicher Posen erscheint es nur logisch, dass die Künstlerinnen schließlich ein Mitspracherecht forderten. Wie schon erwähnt, gab es in solchen „am Transvestismus orientierten“ Gruppen wie den Cockettes oder den verschiedenen Formen des Ridiculous Theater in New York zwar durchaus auch Frauen, doch die Kostümierung war von den äußerlichen Zeichen her weiblichen Geschlechts. Wenn man mit diesen Künstlerinnen spricht, so beschreiben sie ihre Erfahrungen in diesen Theatergruppen als eine der Selbsterforschung im Hinblick auf ihr eigenes Verhältnis zum Glamour. Sie waren an dem antipatriarchalischen Vorstoß jener Zeit beteiligt und interessierten sich demgemäß wenig dafür, mit der Übernahme von männlichen Rollen-Stereotypen zu spielen. Eine Ausnahme bildet Mary Woronov mit ihren Auftritten als peitschende S&M-Figur zusammen mit The Velvet Underground, ihren „Mannweib“-Rollen in Warhols Filmen und ihren Männerdarstellungen in John Vaccaros Theaterstücken. Doch gewöhnlich setzten sich diese Frauen eher mit ihrem eigenen Verhältnis zu weiblichen Stereotypen auseinander. So erfanden etwa die GT Os? einen Look, der in einer Trash-Version der weiblichen Hollywood-Stars der zwanziger und dreißiger Jahre bestand. Dies war, ähnlich wie Warhols „Star System“, als eine neue Verwendung und Definition jener Schönheit gedacht, die mit dieser jedoch durch die für den Camp-Stil charakteristische Umkehrung weiterhin verbunden war. Anfang der siebziger Jahre begannen verschiedene Künstlerinnen mit wechselnden Rollen und Identitäten im Rahmen des Themenkreises Glamour und Geschlecht zu spielen. So saß etwa Eleanor Antin in ihrer Performance „Representational Painting“ vor einem Spiegel und schminkte sich, schminkte sich ab und schminkte sich dann erneut in einem beständigen Zustand „pikturaler“ Selbstdefinition. Später schlüpfte sie in eine Reihe unverhohlen theatralischer Rollen, darunter die eines Königs, einer Krankenschwester und einer Ballerina. Diese Art von Spiel erreichte ihren Höhepunkt in den feministischen Workshops, die Judy Chicago Anfang der siebziger Jahre im Großraum Los Angeles abhielt. Hier erforschten Künstlerinnen in einem sehr viel kriti-scheren Umfeld und mit einem sehr viel höheren Maß an politischem Bewusstsein, als das bis dahin der Fall gewesen war, gemeinsam ihr Verhältnis zu verschiedenen weiblichen Stereotypen. Es entstanden Performances, die mit Stereotypen wie dem weiblichen Cheerleader, der Braut, der Kellnerin, der Schönheitskönigin und der Drag Queen arbeiteten, um sie zu erforschen und mit ihnen zu ringen. Parallel zu dieser Bewegung setzte sich der Glam Rock durch. Meiner Ansicht nach stellt, zumindest in Amerika, Alice Cooper hier die Überleitung dar. Er bildete die Gestalt, die das Psychedelische hinter sich ließ und den Pop-Rahmen vollständig übernahm - wobei er bemüht war, das Gleichgewicht zu halten zwischen Ironie und allgemeiner Popularität. Glam Rock war ein Musikstil, der die Welt der kommerziellen Musik vollkommen durchschaute und sie als eine Arena der Fassade und der Leere akzeptierte. Als Symbol für diesen Status benutzte er das Image der Drag Queen. David Bowie ist das berühmte Beispiel dafür. Bei ihm wechseln die Rollen wie die Jahreszeiten, er erfindet sich für den Markt immer wieder neu. Er ist darin ein Spiegel unserer auf künstliches Veralten angelegten Kultur. Es ist behauptet worden, dass das ständige, chamäleonartige Wechseln der Rolle im Hinblick auf die Konsumentenkultur einen emanzipatorischen Machtantritt bedeutet. In bestimmten feministischen Kontexten ist Madonnas Vorgehen in dieser Weise diskutiert worden, auch wenn mir persönlich bei dieser Deutung ihrer Methode sehr unwohl ist, wie übrigens auch bei Bowie. Madonna wird zum Symbol eines spektakulären weiblichen Produzenten im Gegensatz zu dem traditionellen Bild des passiven weiblichen Konsumenten. Man könnte hinzufügen, dass die GT Os? sich genau so gesehen haben - als Konsumenten, als Groupies, die selbst zu Rockstars, zu Produzenten wurden. Man packt das Spektakuläre bei den Hörnern. Punk war die prompte Antwort auf diese Fixierung auf die Konsumentenkultur des Spektakels; er ersetzte das Spektakuläre durch das Erbärmliche. Punk war der letzte Atemzug des Avantgardismus im Pop, der mit den extremsten Zeichen eines dekadenten Nihilismus inszeniert wurde. Als ein Sinnbild dieses „Endzustands“ wurde die bis dahin geltende geschlechtliche Konnotierung der Avantgarde umgedreht: Das Männliche wurde zum allgemeinen Referenten. Die Punk-Uniform entspricht dem Macho- und „Rough Trade“-Look von Kenneth Angers Leatherboy - für Männer wie für Frauen. Das Androgyne spielt hier weiterhin ein Rolle. Man mag darüber streiten, ob in diesem „unisexuellen“ Ansatz noch eine rudimentäre Verbindung zu dem Utopismus des Weiblich-Androgynen der psychedelischen Epoche aufscheint oder ob er einfach nur dem kapitalistischen Kult der Jugendkultur entspricht. Doch das ist eine andere Geschichte. Dieser Aufsatz entstand ursprünglich als Beitrag zu einer Podiumsdiskussion. die am 26 September 1999 in der Diskussionsreihe „Re-Make/Re-Model Secret Histories of Art, Pop, Life, and the Avantgarde“ im Rahmen des Steirischen Herbstes in Graz stattfand (mit Unterstützung der Berliner Gruppe und des Steirischen Herbstes). Übersetzung: Karen Lauer |