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Nachdem der revolutionäre Elan der Jugend nach den napoleonischen Befreiungskriegen verflogen ist, und sich der Adel beim Wiener Kongress seine Herrschaft abgesichert hat, zieht sich das Bürgertum zurück in die gute Stube. Es duftet nach Kaffee und Bratäpfeln, man schmaucht seine lange Pfeife im Ohrensessel und lauscht den wohligen Klängen der Hausmusik. Man arrangiert sich mit den gegebenen Verhältnissen und hofft darauf die Aufmerksamkeit der Polizeispitzel nicht zu erregen. Verbummelte Sommertage im Schlafrock vor dem Haus; die schlaffen Lippen kleben am Weinglas. Der Fortschrittsoptimismus der Aufklärung und der Esprit der Romantik sind zerfallen, und weichen einer lähmenden Resignation, welche zu einem nie ganz verhüllten Grundzug des Biedermeier werden sollte. <br>
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Während die Romantik sich nach einer ekstatischen Unendlichkeit sehnt, um sich dann in einem Exil der Illusionen zu verlieren, so strebt das Biedermeier das genaue Gegenteil an. Rückzug ins überschaubare Privatgemach, in welchem man die Spiegelungen auf dem Silbergeschirr studieren kann. Der österreichische Schriftsteller Adalbert Stifter beschreibt diese Intention im Vorwort zu seinem Erzählband „Bunte Steine“ :<br>
<i> „... wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen, wodurch das menschliche Geschlecht geleitet wird.“</i> <br>
Dieses „sanfte Gesetz“ wendet sich dem Kleinen, Messbaren, menschlich Überschaubaren zu und drängt die Leidenschaft und den Willen zurück. <br>
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<h3>Sanfte Gewitter in der weissen Finsternis. </h3>
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Schimmerndes Nussbaumfurnier. Messingknäufe. Kommoden in der Form von Grabsteinen. Von Draussen strömt milchiges Licht durch die Vorhänge. Das Mobiliar lehnt sich an die Wände und drückt die Beine durch. Die Gegenstände scheinen ein Eigenleben zu führen. Die Zeit bleibt stehen. Heimelig -Unheimlich. Glänzende Oberflächen, auf denen sich Räume und Gesichter verzerren. Schimmernde Goldränder und polierte Fingernägel. <br>
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Eine Malerei ganz der Natur nach ... <br>
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Die Bildende Kunst wendet sich langsam vom Historismus ab, der noch immer die Akademien beherrscht. Es wird streng nach Gipsmodellen gezeichnet und gemalt. Die Maler wetteifern um die perfekteste Wiedergabe. <br>
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Ist eine objektive Darstellung <br>
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der Wirklichkeit möglich? Oder wenn es revolutionär sein soll... weshalb dann dieser <br>
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Realismus? <br>
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Ein Blick durch die Brille auf die anmutige Umgebung von Rom... <br>
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„Habe heute Nachmittag nach einem reichlichen Mahl einige Pappeln und Pinien auf das genaueste abgezeichnet. Ich saß mit ein paar Hamburger und Berliner Kommilitonen in den lieblichen Hügeln vor unseren Zeichenmappen, die Griffel scharf gespitzt. Wir stritten darüber wer wohl die getreueste Darstellung der Landschaft wiedergeben könnte. Nach einer gewissen Zeit fielen mir seltsame Schatten in den Hügeln auf, und ich dachte zuerst dies würde vom Wein herrühren. Diese rechteckigen Schatten bewegten sich schwankend einen schmalen Pfad nach oben, so als wären es Türen. Ich machte die anderen darauf aufmerksam, und wir gingen hinüber, um diese Erscheinung aufzuklären. Diese Türen waren jedoch in Wahrheit die gewaltigen Malkästen und Paletten einiger französischer Maler, welche diese von den jungen Burschen des Dorfes nach oben tragen liessen, um dort oben unter dem blauen Firmament malen zu können...“ <br>
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Das innere Leuchten der Köpfe, kristalline rosige Pausbacken unter einem Lindenbaum. Auf den Stilleben schimmern die Trauben ... Seltsamer Widerspruch zwischen den dümmlich- schrulligen Personen und dem schumrig - metaphysischen Licht bei Spitzweg. <br>
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Malt morgens minutiös eine Blumenstilleben mit Vergißmeinnicht und einer glitzernden kühlen Aureole - am Abend nimmt er dann einen Karabiner zur Hand und schiesst vom Atelierfenster aus einen Constabler über den Haufen. Wie politisch sein, wenn es nur als lächerliche Geste von der Hand gewiesen wird ... <br>
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Der burleske Hanswurst, der als Taugenichts aus seiner Oblomowerei die Welt grüsst. Immer weiter an der Schraube drehen- und dabei bedenken, daß es ein Spiel ist, bei dem man das Rauschen des deutschen Waldes durch Pfeifen übertönen muss. <br>
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<h3>Anheimelnde Gewitter - rumorende Schönheit </h3>
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<i> „Es herrschten die Almanache mit ihren goldrändigen Entsagungsnovellen, die Stunden der Andacht mit ihrem in Zucker kandierten, nachsichtigen Christentume, die Tränenfisteln der schriftstellernden Damenwelt, der Pedantismus der Schulen, die sterile Arroganz der Katheder, die Prüderie der Strickstrumpftugenden und die Geistreichigkeit der Teetische.“ </i> Karl Gutzkow , Kopf des liberalen „Jungen Deutschland“<br>
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<i> „Dieser Geist zuckt, dröhnt, zieht, wirbelt, hambachert in mir, er pfeift in mir, hell wie eine Wachtel, spielt die Kriegstrompete auf mir, singt die Marseillaise in all meinen Eingeweiden und donnert mir in Lunge und Leber mit der Pauke des Aufruhrs herum.“ </i> Theodor Mundt <br>
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Julirevolution 1830 in Paris; Ende der Herrschaft der Bourbonen Unruhen in Göttingen, München, Braunschweig, Sachsen und Kurhessen. Zum erhofften Umsturz kommt es jedoch nicht, da durch die Kleinstaaterei und die Zollgrenzen ein Übergreifen auf andere Länder verhindert wird. <br>
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„Der Feind steht im eigenen Lager !“<br>
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Installation eines Kontrollsystems, indem man widersprüchliche Informationen streut und ein Klima der Verunsicherung schafft. Oder wichtiges Wissen geht einfach unter, weil man es nicht mehr wahrnimmt. Die Wirklichkeit ist die Geschichte, welche am überzeugendsten vorgetragen wird; deren Symbole im Kopf hängenbleiben ... <br>
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Am 23. März 1819 wird der als Spion verdächtigte Lustspielautor und russische Staatsrat August von Kotzebue durch den fanatischen Burschenschafter Karl Ludwig Sand ermordet. Darauf trommelt Metternich die Fürsten Europas zusammen, um die „Karlsbader Beschlüsse“ durchzusetzen. Sand wird geköpft und zum Märtyrer stilisiert, der fortan auf den Pfeifenköpfen verewigt wird. Ein System der Zensur und des Terrors wird über weite Teile Europas gezogen, welches erst 1848 mit der Vertreibung Metternichs aus Wien aufgehoben wird. Besonders streng wird dieses System in Österreich angewandt, um die alten Verhältnisse bewahren zu können. <br>
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<i> „In Deutschland ist das Spießbürgertum Frucht einer gescheiterten Revolution, einer ununterbrochenen, zurückgedrängten Entwicklung, und hat seinen eigentümlichen, abnorm ausgebildeten Charakter der Feigheit, Borniertheit, Hilflosigkeit und Unfähigkeit zu jeder Initiative erhalten durch den Dreißigjährigen Krieg und die ihm folgende Zeit- wo grad fast alle andren Völker sich rasch emporschwangen. Dieser Charakter ist ihm geblieben, auch als die historische Bewegung Deutschland wieder ergriff ...“ </i>Friedrich Engels <br>
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<h3>Bohemien vs. Biedermann </h3>
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... wie soll man es anstellen, daß man nicht vereinahmt wird? <br>
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Ein Blick über den Rhein: <br>
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Im Gegensatz zu Deutschland hatte sich in Frankreich schon früh ein liberales Bewußtsein entwickelt, was auch am französischen Zentralismus liegt. Die revolutionären Strömungen gehen von Paris aus und greifen auf das Umland über. Die „Kinder von Saint Simon“ des Prosper Enfantin waren eine Kommune unverheirateter Männer und Frauen, Ende Zwanzig, Anfang Dreißig, viele davon examinierte Absolventen der „Ecole Polytechnique“. Sie gaben ihre Karriere auf, um ihr Ideal einer sozialen Harmonie und universellen Liebe umzusetzen, was bedeutete, daß sie faktisch ihre Jugend verlängerten. Von 1830- 32 lebten sie in einer mönchischen Askese. Novizen wurden in einem komplexen Zeremoniell in die Gemeinschaft eingeführt; Beichten wurden öffentlich gehört und man unterstützte sich in einem Geist selbstloser Zusammenarbeit. Dies als Versuch einer Antwort auf die Konkurrenz und Klassenspaltung erzeugende kapitalistische Wirtschaftsweise. Das Hinausschieben des Erwachsenwerdens als notwendiger Selbstschutz. Später verliessen sie die Kommune, um sich in das Berufsleben zu integrieren. Souveräne Subjekte oder gescheiterte Revoluzzer? <br>
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Für den romantischen Utopisten Charles Fourier lagen die Ursachen der Konflikte in der bestehenden Familienform. Die Kinder sollten ihren Eltern weggenommen werden, um damit die psychologischen und ökonomischen Konflikte durch Abhängigkeit abzuschaffen. Er dachte an mehrere sich selbst regulierender Jugendgruppen, welche ihr Leben frei bestimmen sollten. Die Kommunen in England und den USA, welche in den 1830er Jahren seine Ideen aufgriffen,verschwanden schnell wieder in der Versenkung. <br>
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Nach der Julirevolution 1830 wandte sich die Mehrzahl der Jugendlichen enttäuscht von den radikalen Parteien ab, um sich einem anarchistischen und amoralischen Lebensstil zuzuwenden. Nach Paris strömten Tausende aus den Provinzen, getrennt von den Eltern. Die Zeit verbringt man mit dem Lesen von Journalen in den Cafes, und debattiert über Politik und den dernier cri. <br>
<i>„ ... einige reich, andere arm, alle gleich faul ... die sich, ohne Ventil für ihre Energien, nicht nur auf Journalismus und Verschwörungen, Literatur und Kunst warfen, sondern auch in die ausgefallendsten Zerstreuungen und Ausschweifungen.“ </i>Balzac <br>
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„Bohemien“ - Lehnwort aus dem französischen für „Zigeuner“ ; Nebenbedeutung von Herumvagabundieren, dem Selbstverständnis der „jeunes gens des Paris“ entsprechend. Sie versammeln sich im toleranten Quartier Latin; sozial deklassiert, politisch desillusioniert. „La jeune France ist noch eine jener kabbalistischen Sprachformen, die bei jedem die Erwartung wachrufen, es handle sich um etwas Großes, Vulkanisches und Sublimes.“ Man begeistert sich für extravagante Moden, ist fasziniert von einer gekünstelten Wortwahl und benimmt sich unmöglich. Verbummelte Tage in den Passagen und Boulevards, ohne einer geregelten Arbeit hinterherzugehen, und keine Gedanken an ein deprimierendes Gestern oder ein beängstigendes Morgen zu verschwenden. Fernöstliche Religionen mit ihrem den Verstand auslöschenden Mystizismus werden ausprobiert. Das Okkulte, die Alchimie, der Satanismus; als Absage an die Erwachsenenwelt, deren Ansprüche in Nichts aufgelöst werden. Ewiges Moratorium der Jugend. Es wird mit Initiationsriten gespielt, welche man in den Romanen von Scott und Cooper aufgeschnappt hat. Im Jahre 1846 gründeten Studenten an der Sorbonne einen „Club der Selbstmörder“, mit dem Ziel der bürgerlichen Moral durch einen letzten verzweifelten Akt zu trotzen - dem der Selbstzerstörung. ( Nur ein Student hat diese Vorstellungen in die Tat umgesetzt.) Währendessen kaufte die Mittelklasse Bilder wie „Junger Venezianer nach einer Orgie“, welche einen Reiz verströmten, wie man ihn von den Maskenbällen her kannte, der eine Möglichkeit bot aus den engen Reglements des Alltags auszubrechen. <br>
<i>„Junge Leute fanden heraus, wie man ungenützte Kräfte in den Dienst einer übertriebenen Vorliebe für Verzweiflung stellen konnte.“ </i> Alfred de Musset <br>
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In Deutschland jedoch schlugen die liberalen Ideen der Studentenbewegung um in die snobistische Kumpelhaftigkeit der ultrakonservativen schlagenden Verbindungen. Die revolutionären Anläufe verlieren sich immer wieder ... und Vater stand mit dem Rohrstock hinter der Haustür und wartete darauf mir eine Tracht Prügel zu versetzen. <br>
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Wenn die Wirklichkeit unerträglich wird, wie soll man sich dann zu ihr verhalten - oder wie wird man sie am Besten los ... <br>
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<i>„ ... die Seelenhaltung, verwaschen, wehleidig und affektiert und auf den Kultus von Privatgefühlen konzentriert, erinnert an die Ära der Empindsamkeit. Das Symbol des Zeitalters ist der Nachtwächter, die Bildungsquelle der Lesezirkel und das Theater.“ </i> Egon Friedell <br>
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Einfügen in das Gegebene; naive Erwartungen auf Veränderungen, indem man einfach ein Medium wechselt, und dabei jegliche Kontrolle abgibt; schlaffer Versuch einen Diskurs zu beginnen, bei dem jeder nur auf sich selbst verweist; Aufgabe des demokratischen öffentlichen Raumes an das höfische Repräsentiergehabe der corporate identity; jedem seine eigene Polizei; Renaissance der Restauration im Eispalast der Republik; küss die Hand schöne Frau, das Gefängnis bin ich ... <br>
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Biedermeiers Traum vom steten Glück, welches sich ausbreitet in der rostigen Gartenlaube. Müde bin ich geh zur Ruh ... <br>
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<i> „Man übte Entsagung und Bescheidenheit, man beugte sich vor dem Unsichtbaren, haschte nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagte und flennte.“ </i> H.H. <br>
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Daniel Megerle<br>
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zuerst erschienen in den Volgau Blättern im Juli 2003<br>
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Volgau Blaetter?:seznam.cz<br>
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