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Bayerns Bauern während der Novemberrevolution 1918/1919: Ursachen und Grenzender Revolutionierung einer bäuerlichen Bevölkerung Ulrich Linse Die von der politischen Reaktion nach 1918 gebildete Legende, die bayerische Revolution 1918/1919 sei ursächlich das Werk «landfremder Elemente» gewesen, gehört geschichtswissenschaftlich gesehen der Vergangenheit an. Zu deutlich konnte vom ehemaligen Ordinarius für bayerische Geschichte an der Universität München, Karl Bosl, und seinen Schülern durch Quellen belegt werden, daß die Voraussetzungen dieser Revolution bis in die Ära des Prinzregenten Luitpold (1886-1912) als der eigentlichen gesellschaftlichen Umbruchphase zurückreichen. Dies gilt auch für die politische Mobilisierung der bäuerlichen Mittel- und Unterschicht im Gefolge der großen Agrarkrise am Ende des 19. Jahrhunderts -über die agrarischen Interessenverbände vollzog sich der «Eintritt des Landvolkes in das politische Leben» (Axel Schnorbus). Es traten nun diejenigen agrarischen Interessenverbände in den Vordergrund, welche auch noch für die Haltung der Bauernschaft in der Revolution von Bedeutsamkeit wurden: Der Bayerische Christliche Bauernverein (1898) unter der agitatorischen Führung des «Bauerndoktors» Georg Heim (1865-1938), eines Realschullehrers, welcher den linken Flügel der Zentrumspartei repräsentierte und in Zusammenarbeit mit niederem Klerus, katholischer Arbeiterbewegung, Sozialdemokraten und Bauernbund die soziale Besserstellung wirtschaftlich bedrohter Volksschichten anstrebte; und der vom Zentrum abgesplitterte radikal-bäuerliche Flügel, der seine Organisation im Bayerischen Bauernbund (1895) als einer parlamentarischen Interessenvertretung der Bauern fand, in Gegnerschaft zu Adel, hohem Klerus und Großbauerntum stand und in seinem Programm radikaldemokratische, antiklerikale, sozialistische und antisemitische Parolen vertrat; sein linker Flügel gewann vor Kriegsanfang an Gewicht -1913 erhält sein Exponent Karl Gandorfer (1875-1932), Guts-und Ziegeleibesitzer, ein Landtagsmandat. Nicht zufällig war es auch, daß der blutige Zusammenstoß der kleinbäuerlichen Einwohner des oberpfälzischen Ortes Fuchsmühl mit der Staatsgewalt 1894 zum Katalysator kommender politischer Entwicklungen wurde und Auswirkungen bis in die Revolutionszeit hatte: Hier begann der Einfluß Heims in bäuerlichen Kreisen und damit sein politischer Aufstieg; hier auch die politische Zusammenarbeit zwischen der Sozialdemokratie und dem Bayerischen Bauernbund, die beide seit 1893 neu im Landtag vertreten waren. Es ist bekannt, wie sich der Weltkrieg auf die bereits politisierte ländliche Mittel- und Unterschicht auswirkte: Die ungelöste Volksernährungsfrage ließ den Schleier des Burgfriedens zerreißen, polarisierte Produzenten und Konsumenten, ließ allgemein in Deutschland «eine gewisse Tendenz zur schärferen Durchzeichnung klassengesellschaftlicher Strukturen auch im ländlichen Bereich» (Jürgen Kocka) hervortreten, und entfremdete dabei die bayerische Landbevölkerung, insbesondere das Mittel- und Kleinbauerntum, der Reichs- und Landesregierung: «Die Lebensbedingungen der Landbevölkerung waren weniger durch den Hunger, als von den indirekten Folgen des Krieges, wie unmäßige Arbeitslast und Mangel an Dienstboten, Fehlen von Kunstdünger und Maschinentreibstoffen und von der Überschwemmung des Landes mit Bettlern und Hamsterern bestimmt. Daneben beeinträchtigte der Krieg auf dem Lande mehr als anderswo die alten Gepflogenheiten und Geschäftsverbindungen.» (Karl-Ludwig Ay) Dem fügt eine andere Untersuchung einige generelle Anmerkungen zur staatsfernen Mentalität der bayerischen Bauernschaft hinzu: «Dem bayerischen Bauern, der es gewohnt ist, auf eigenem Grund als freier Herr nach seinem Gutdünken zu schalten und zu walten, sind staatliche Eingriffe wie Bebauungsvorschriften und Schlachtbeschränkungen, sind Viehkommissare und Milchkontrolleure höchst zuwider. Die zentrale, von Preußen aus gelenkte Kriegswirtschaft, der Ablieferungszwang und die Festsetzung von Höchstpreisen führen zu einer weitgehenden Verbitterung bäuerlicher Kreise.» (Heinrich Hillmayr) Eine Analyse der Volksstimmung in Bayern kommt deshalb zum Schluß: «Wir können also feststellen, daß sich die Landbevölkerung spätestens seit 1916 vom Kriege und von dem Staate, der ihn führte, zurückzuziehen begann, daß man bereit war, sein Teil zu tun, um den Staat zu zwingen, den Krieg zu beenden (...) Im Sommer 1917 war der Staatsglaube auf dem Lande weithin erloschen.» (Ay) Daran hatte natürlich der mobilisierende Effekt der Politik des Bayerischen Bauernbundes wie des Christlichen Bauernvereins einen Anteil. Heim schilderte im Krieg aufgrund eigener statistischer Erhebungen die aus dem Mangel an Arbeitskräften resultierende Gefährdung der landwirtschaftlichen Produktion («Landwirtschaft und Volksernährung im Frühjahr 1915», 1915; «Ein Hilferuf der deutschen Landwirtschaft. Eine Vorstellung an den Reichskanzler und den Deutschen Reichstag», 1916) und vertrat in zahlreichen Presseartikeln und Versammlungen insbesondere die Interessen des bayerischen Kleinbauerntums gegen die falsche Handhabung der Höchstpreispolitik durch die Reichsregierung, welche durch nachträgliche Erhöhung der Preise für Agrarprodukte die Kleinbauern schädigte, weil diese nicht über große Lagermöglichkeiten verfügten und deshalb Teile ihrer Ernteerträge früher abliefern mußten als die Großgrundbesitzer, die größere Mengen einlagern und damit im Gefolge des Preisanstiegs höhere Einnahmen erzielen konnten. Bei einer Unterredung im bayerischen Kriegsministerium im Januar 1916 wurde Heim wegen dieser «staatsgefährdenden» Kritik bereits gefragt, ob er beabsichtige, Revolution zu machen und sich als neuer «Schmied von Kochel» (eine legendenhafte Führerfigur im bayerischen Bauernaufstand von 1705!)an die Spitze der Bauern zu stellen - in Wirklichkeit waren es dann freilich die Brüder Karl und Ludwig Gandorfer (?-1918), Großbauern und Führer des linken Flügels des Bauernbundes, welche durch das Bündnis mit Kurt Eisner (1867-1919) die bayerische Revolution überhaupt erst ermöglichten: «Es ist bezeichnend (für die passive bis aktive Zustimmung der bayerischen Bauern zur Revolution), daß die entscheidenden vorbereitenden Gespräche zum Umsturz von 1918 nicht in irgendwelchen Lokalen Schwabings, sondern bei Karl Gandorfers Bruder stattfinden, der ebenfalls in Pfaffenberg seinen Besitz hat. . . Noch am Tage vor der Revolution sagt Eisner: <Wenn die Bauern nicht mittun, ist die Revolution unmöglich.») (Hillmayr) Ludwig Gandorfer war es denn, der am Tag des Umsturzes, am 7,November, die Unterstützung der Revolution durch die Bauern mittels Lebensmittellieferungen versprach, was für den Bestand der Revolution in der Stadt ausschlaggebend war. Die Ziele der Münchner Revolution deckten sich zunächst mit den Wünschen der ländlichen Bevölkerung nach einer raschen Beendigung des Krieges, bei Aufrechterhaltung der äußeren und inneren Sicherheit, als deren Garant das Räteregime erschien. Diese Identität der städtischen und ländlichen revolutionären Ziele kommt in einem vom Kurt Eisner und Ludwig Gandorfer gemeinsam unterzeichneten Aufruf vom 8. November 1918 zum Ausdruck: <center> An die ländliche Bevölkerung Bayerns!Die schweren Schicksalsschläge,die unser Vaterland seit Kriegsausbruch getroffen, haben zu gewaltigen Umwälzungen in der Hauptstadt des Vaterlandes geführt. Unter dem Drucke der drohenden Invasion habt Ihr selbst nach dem Zustandekommen einesbaldigen Friedens unter allen Umständen und mit allen Mitteln verlangt. Diesem Verlangen haben wir Rechnung getragen. In der Nacht zum 8. November hat sich ein provisorischer Arbeiter-,Soldaten- und Bauernrat im Landtage konstituiert. Eine Volksregierung, die das Vertrauen der Massen genießt, soll unverzüglich eingesetzt werden. Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so rasch wie möglich einberufen werden. Der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat betrachtet es als die erste und größte Aufgabe, dem Volke den heißersehnten Frieden zu bringen und ist zum Zwecke der Einleitung von Friedensverhandlungen mit den Ententemächten in Verhandlungen getreten. Noch ist aber die Gefahr nicht vorüber. Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat lehnt es zwar ab, die nationale Verteidigung durchzuführen,er wird aber unter allen Umständen den Grenzschutz aufrecht erhalten, damit Leben und Eigentum der bayerischen Bevölkerung geschützt und erhalten bleibt. Zu diesem Zwecke werden alle notwendigen militärischen Maßnahmen durchgeführt werden und ihr könnt mit Ruhe und Sicherheit der weiteren Entwicklung der Dinge entgegensehen. Der Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern wird alles tun, die Selbstauflösung der Heeresverbände zu verhindern, damit Zustände wie in Österreich und Tirol, wo heimkehrende Soldaten plündern und Kulturwerte zerstören,unmöglich werden. Bauern! Die Lebensmittel in den Städten sind durch verkehrte Maßnahmen der bisherigen Militär- und Zivilverwaltung knapp. Wir fordern auch auf, die neue Regierung sofort durch rege Lebensmittelbelieferung in die Städte zu unterstützen, denn nur dadurch ist diese in der Lage, die Massen zu beherrschen und Hungerkrawalle mit unausbleiblichen unseligen Folgen für das flache Land hintenan zuhalten. Beamte,Bürgermeister und Gendarmen! An euch ergeht die Aufforderung für Ruhe,Ordnung und Sicherheit im Lande zu sorgen und die Amtsgeschäfte in der bisherigen Form auszuführen. Nicht zerstören wollen wir, sondern wiederaufbauen und wir wollen allen Volksgenossen ohne Unterschied des Standes eine sichere Existenzschaffen,eine Existenz, die es jedem möglich macht, ein menschenwürdiges Dasein zuführen! Es lebe die soziale Republik! Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat </center>
(Aus: Münchner Neueste Nachrichten Nr. 565 v.8.11.1918, Titelseite) Karl Gandorfer war es dann, der nach dem Unfalltod seines Bruders Ludwig dessen politische Stellung einnahm und seine Partei, den Bayerischen Bauernbund, geschlossen ins Lager der Revolution führte. Das oberste Vertretungsorgan der spontan entstandenen lokalen Bauernräte, der Zentralbauernrat, wurde so im wesentlichen zu einer Parteiorganisation des Bauernverbundes. Damit kommt Bayern innerhalb der deutschen Revolution eine Sonderrolle zu: Denn nur hier «findet sich . . . die anderwärts nicht klar erkennbare Verbindung der Bauernräte zur sozialistischen Bewegung» (Heinrich Muth). Freilich ließ sich das revolutionäre Bündnis zwischen Stadt und Land, das Eisner und die Brüder Gandorfer vollzogen hatten, nicht auf die Dauer halten: «Mit dem Fortschreiten der Revolution bildet sich immer augenscheinlicher ein Gegensatz zwischen Stadt und Land heraus, der seine Ursache darin hat, daß der Bauer die für ihn wichtigen Forderungen durch den Umsturz verwirklicht sieht bzw. deren Erfüllung für ihn in greifbare Nähe gerückt ist. Mit dem Abschluß des Waffenstillstandes, der Rückführung der Truppen, der Beseitigung der Monarchie, der immer geringer werdenden Gefahr eines Krieges im eigenen Lande und dem bevorstehenden Abbau der von Preußen gesteuerten Zwangswirtschaft ist er größtenteils zufriedengestellt. Jetzt wünscht er sich eine Regierung, die Ruhe und Ordnung im Lande aufrechterhält. Nur ein geringer Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung, der es ja auch weitgehend an theoretischer und praktischer Schulung fehlt, ist bereit, am Aufbau neuer staatsrechtlicher Verhältnisse mitzuarbeiten . . . Für eine immer mehr anwachsende radikale (städtische!) Minderheit sollte aber der politische Wechsel vom November nur der Auftakt sein für einen grundlegenden sozialen Umbruch, sollte es zu einer wirklichen Revolution kommen. Solchen Gedanken stehen die Bauern ablehnend gegenüber . . . Was (der Bauer) jetzt braucht, ist Ruhe und Ordnung, um ungestört arbeiten zu können und keine politischen und wirtschaftlichen Experimente. Einer Regierung, die ihm das nicht garantieren kann, muß er die Anhängerschaft versagen. Mit dem Bekanntwerden von Sozialisierungsplänen, der steigenden Erregung über die chaotischen Zustände in München und den Übergriffen von plündernden Soldaten aus München beginnt dessen Isolierung und Abschnürung. München aber ist, wie kaum eine andere Stadt, mit dem Umland verbunden und auf es angewiesen, die wachsende Entfremdung von seinem Einflußbereich birgt den Keim des Untergangs für das in München agierende politische System in sich.» (Hillmayr) Mit dem Erfolg der politischen Revolution und der Angst vor einer sozioökonomischen Revolution verblaßt das revolutionäre Motiv der Bauernschaft; tritt das «staatserhaltende» Motiv von Ruhe und Ordnung in den Vordergrund. Heim und der Christliche Bauernverein hatten bereits im Dezember 1918 zum Boykott des Rätesystems aufgerufen, nachdem es sich zeigte, daß sie zu keiner Einflußnahme auf die Räte in der Lage waren. Der Bauernbund vermochte zwar bei den Landtagswahlen vom Januar 1919 mit der Erringung von 15 (aus 156) Mandaten einige beachtliche Erfolge zu erzielen (Niederbayern 30,8%, Schwaben 22,4%, Oberbayern 12,3%, Oberpfalz 4,9%, fränkische Kreise je rund 1% der abgegebenen Stimmen); doch konnte sein linker revolutionärer Flügel sich nur solange als Vertreter der ober- und niederbayerischen Bauernschaft behaupten, als er die Eigentumsrechte der Bauernschaft und des ländlichen Gewerbes, Handels und der Kleinindustrie schützte. Denn in Bayern hatte der Großgrundbesitz nie eine bedeutende Rolle gespielt; «im Gegensatz zu Ostelbien, wo die Gutsherrschaft das Bild des flachen Landes bestimmte, herrschte in Bayern der mittelgroße bäuerliche Familienbetrieb (5-20 ha) vor, wie er sich unter der bayerisch-südostdeutschen Grundherrschaft entwickelt hatte» (Pankraz Fried). Das Wort «Sozialisierung» war deshalb nicht Fanal, sondern Schreckgespenst für die bauernbündische Landbevölkerung. Die Ausrufung der 1. Räterepublik am 7. April 1919 (nachdem die gesetzmäßige Regierung des Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann nach Bamberg ausgewichen war) konnte der Landbevölkerung auch durch folgendes abwiegelndes Flugblatt Karl Gandorfers nicht mehr schmackhaft gemacht werden: <center> An die ländliche Bevölkerung!(Kundgebung des Landesbauernrats) Unsinnige Gerüchte, die in den letzten Tagen aus den Städten aufs Land getragen wurden, haben dort Ansichten gebildet und Befürchtungen erregt, die keineswegs begründet sind. Die unselige Verschleppungspolitik der Weimarer Nationalversammlung hat den Überdruß der Massen des arbeitenden Volkes am Parlamentarismus gesteigert. Das Wiedererwachen des preußischen Militarismus unter Noske und seiner Freikorpsführer haben die anfänglichen Erfolge der Revolution zunichte gemacht. Die zentralistischen Bestrebungen Weimars, die darauf hinzielten BAYERN JEDER SELBSTÄNDIGKEIT ZU BERAUBEN und dem Berliner großkapitalistischen Schiebertum neue Quellen zuerschließen, mußten naturnotwendig zu einer Unzufriedenheit führen, die nicht mehr einzudämmen war. Dieser drohenden Aufsaugung Bayerns konnte nur durch eine energische Selbständigmachung Bayerns begegnet werden. Der Landtag bot nicht die Gewähr jener Rückgratfestigkeit, welche die neupreußische Unersättlichkeit als Gegengewicht erfordert. Deshalb griffen die Massen durch die Proklamierung der Räterepublik zur Selbsthilfe. BAYERN REGIERT SICH SELBST Mit überraschender Schnelligkeit hat sich diese Wandlung vollzogen. Der Bauernrat hat sich entschlossen, sie mitzumachen. Dabei leitet ihn seine übernommene Verpflichtung,die Interessen des Landes in jeder Situation, auch der gefährlichsten, zu wahren. Die wichtigste Aufgabe, die sich die Räteregierung gestellt hat,heißt Sozialisierung. Die Sozialisierung des Großgrundbesitzes, der Großindustrie und des anhäufenden Besitzes ausbeutender Großkapitalisten duldet keinen Aufschub mehr. DIE SCHAMLOSEN KRIEGSGEWINNLER MÜSSEN ENDLICH ERFASST WERDEN! Unter Ablehnung jener extremen Sozialisierungspläne, wie sie gewisse Wirrköpfe in vollkommener Verkennung der bayerischen Verhältnisse hegen, hat der Bauernrat strikte Bedingungen gestellt, von denen seine Mitarbeit abhängt. Der Bauernrat kann eine Sozialisierung nicht gutheißen, die sich auf die kleinen und mittleren Betriebe der Landwirtschaft, des Handwerks und des Gewerbes, sowie auf die Kleinindustrie erstreckt. Den Bauernrat leitet vor allem das Gesetz: Die Sozialisierung darf nicht zu einer Störung der Volksernährung führen. Nie wird sich der Bauernrat von seiner Verpflichtung abtrennen lassen, die Rechte der Bauern und der gesamten mittelständischen Berufe zu wahren! Habt daher Vertrauen zu uns! Bedenkt, daß ein hartes Stück Arbeit vor uns steht, daß es gilt, Berge von Schwierigkeiten abzutragen. Vom ersten Tag der Revolution an ist es der Mitarbeit des Bauernrats gelungen, die Rechte der Bauern, der Handwerker, Gewerbetreibenden, überhaupt des ganzen werktätigen Volkes zu schützen. Dieselbe Arbeit wollen wir auch in dieser Stunde im Interesse aller unserer in harter Arbeit fronenden Volksgenossen im Vertrauen auf deren Einsicht und Unterstützung leisten. Unterscheidet zwischen der Ruhe Eurer Dörfer und der Aufgeregtheit, die heute die Großstädte beherrscht; Euch soll diese Ruhe gesichert bleiben! Ihr aber müßt den Städten helfen, Ihr müßt Geduld haben mit einer ausgehungerten, tausendfältig enttäuschten Bevölkerung. Ihr dürft nicht grollend bei Seite stehen, Euch nicht durch feige Hetzer aufwiegeln und betören lassen. VOLKS- UND STANDESGENOSSEN ! Ihr müßt die neue Zeit verstehen lernen! Sie arbeitet nicht gegen Euch! Und bringt Euch nur Gutes! Quält Euch nicht in Sorge um Euren schwer erarbeiteten Besitz, um Eure Sparpfennige, um Eure Scholle! Die neue Räteregierung wird Euch schützen! Vertraut uns auch weiterhin! Die allernächste Zukunft wird zeigen, daß wir nur in Eurem Interesse gehandelt haben. Der Zentralrat hat auf Antrag des Landesbauernrates einstimmig beschlossen, die Sozialisierung der Land- und Forstwirtschaft, des Handwerks und Gewerbes vom Zentralwirtschaftsamt, welches dem Ministerium für Handel und Industrie zugeteilt ist, abzutrennen und in vollem Umfange dem Ministerium für Land- und Forstwirtschaft zu unterstellen. Landwirtschaftliche Betriebe bis zu 1000 Tagwerk, Gewerbe und Handwerk werden nicht sozialisiert. BAUERN, KLEINGEWERBETREIBENDE UND HANDWERKER! Jeder Grund zur Angst ist behoben! Ihr seid dem Einfluß radikaler Reformer, denen bayerische Eigenart fremd ist, entrückt. Über Euer Schicksal bestimmen nur noch Eure bewährten Standesgenossen, denen Euer Wohl und Wehe am Herzen liegt und die Eure Lebensbedürfnisse kennen und verstehen und selbst um den Preis von Existenz und Leben für die Wahrung Eurer Rechte eintreten. </center>
(Flugblatt, um den 12. 4.1919, Original im Internationalen Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam) Die Mitglieder des Zentralbauernrats mußten aber bereits vor der Ausrufung der Räterepublik erkennen, daß die Landbevölkerung nicht bereit war, die Räteregierung zu unterstützen, sondern weiter hinter der Regierung Hoffmann stand: «Damit sind die Würfel über die Räterepublik schon gefallen, noch ehe sie ausgerufen wird. In der Woche vom 6. bis 13. April (= der 1. Räterepublik) verlassen die meisten Mitglieder des Zentralbauernrates München und kehren nicht mehr auf ihren Posten zurück. Bis auf die Bezirksbauernräte von Regensburg und Moosburg sagen sich die Räte und die Anhänger im Bauernbund von Gandorfer und seiner Richtung los.» (Hillmayr) Am 25. April brach die Milchversorgung der Hauptstadt zusammen. Das revolutionäre Bündnis zwischen Stadt und Land war umgeschlagen in Widerstand gegen das Rätesystem und den Sozialismus. Doch das Nachzittern des revolutionären Aufbruches des bayerischen Landes ist auch über die Niederschlagung der 2. Münchner Räterepublik in den ersten Maitagen des Jahres 1919 hinaus zu verspüren: Als Max Weber (1864-1920), seit 1919 Professor für Nationalökonomie an der Universität München, am 4. 9. 1919 eine Eingabe an das Bayerische Ministerium des Inneren machte, mit der Bitte, amtliches Material für eine wissenschaftliche Bearbeitung der bayerischen Bauernräte zur Verfügung zu stellen (es handelte sich um die Dissertation von W. Mattes), wollte zwar das Kultusministerium davon absehen, dieses Vorgehen Webers «dienstaufsichtlich (zu) würdigen», lehnte aber jede amtliche Hilfe ab, damit «nicht neuerdings Beunruhigung in die Bevölkerung getragen wird»! Literatur
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