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Propaganda der Tat und Direkte AktionZwei Formen anarchistischer GewaltanwendungZusammenfassung und Kommentar der Publikation von Ulrich Linse in „Texte zur Theorie und Praxis des Anarchismus und Syndikalismus, Band" 6 Anarchismus eine Kulturbewegung:Der Anarchismus des 19. und 20 Jahrhunderts war zutiefst von der aktivistischen Maxime beherrscht, dass es die Welt nicht nur zu erklären, sondern auch zu verändern gelte. Die anarchistischen Mittel zur Transformation der Gesellschaft waren vielfältig. Sie reichten von der Bombe bis zur „freien Liebe“, vom Generalstreik bis zur ländlichen Ansiedlung. Es ist legitim, sich die Anarchisten als Kulturrevolutionäre vorzustellen, die mit der Waffe des Wortes und der Schrift –also durch „Aufklärung“ kämpfen, auch wenn es unter den Anarchisten manchmal kriminelle Gewalttäter gab. Es gilt, den Aspekt des Anarchismus als einer „Kulturbewegung“ im Auge zu behalten und ihn im Kontext mit der antiautoritären (gewaltfreien) Pädagogik, dem libertären Pazifismus, dem militanten anarchistischen Antimilitarismus und den heutigen Autonomiebewegungen zu sehen. <center>=== /up\ ===</center> Die Propaganda der Tat:Der Begriff wurde Mitte der 1870er Jahre durch Malatesta und Cafiero geprägt, im Auge hatte man aber die Insurrektion, den Aufstand und nicht das politische Attentat: Es galt.... „die Arbeiter für unsere Sache zu gewinnen und zu beachten, dass eine gegen die bestehenden Institutionen gerichtete Tat die Massen mehr anspricht als Tausende von Flugblättern oder ein Strom von Worten“. (Londoner Anarchistenkongress 1881) Allerdings schrieb Kropotkin schon im Jahr zuvor: „Unsere Aktion muss die permanente Revolte sein, mündlich, schriftlich, mit der Faust, mit dem Gewehr, mit Sprengkörpern... Wir sind konsequent und bedienen uns jeder Waffe, wenn es darum geht in Aufständen zuzuschlagen. Alle Mittel die nichts mit der Legalität zu tun haben sind uns recht.“ (...) „Wie beginnt man eine Aktion? ... Sucht nur nach einer Gelegenheit uns sie wird sich Euch bald bieten. Überall wo es nach Aufruhr und Pulver riecht müssen wir dabei sein.“ Ein wesentlicher Auslöser für die Welle der Attentate war nach der Niederschlagung der Pariser Kommune die harte Reaktion der europäischen Mächte. Bereits 1871 kam es durch eine Initiative Bismarcks zu einer europäischen Allianz gegen die Internationale. Aber erst das erfolgreiche Attentat der nihilistischen Bewegung auf den Zaren Alexander II gab dem Attentatismus eine ungeahnte Popularität. Der Teufelskreis zwischen Attentat, polizeilicher Repression und erneutem Attentat drehte sich bis die anarchistische Bewegung an den Rand der Selbstzerstörung getrieben war. Jeder folgende Attentäter rächte gleichzeitig seinen exekutierten Vorgänger. Das politische Ziel der Sozialrevolutionäre war ein „punktartiger Umsturz“, die Idee, dass der individuelle heroische Akt des Terrorismus die vorausgesetzte revolutionäre Stimmung der Massen bis zu diesem Punkt verschärfen könne. „Die ewigen Verfolgungen denen jeder von uns ausgesetzt war, die unerhörten Opfer, welche die Bewegung täglich zu bringen hatte, erzeugten bei uns einen ganz abnormalen Zustand der sich nur schwer beschreiben lässt. Das sonderbare aber war, dass uns die Verfolgungen keineswegs unangenehm waren: Viele von uns sehnten sie förmlich herbei, da wir fest davon überzeugt waren, dass gerade durch die Entscheidung, die unserer damaligen Auffassung nach unmittelbar vor der Tür stand, am besten gefördert würde.... Wir sahen die Welt sozusagen durch gefärbte Gläser und erblickten überall Zeichen und Wunder, die nur wir richtig zu deuten verstanden. Unser Hass gegen das bestehende System entwickelte sich zu einer Art Privathass gegen jeden Träger desselben.“ (Rocker, Most, S 189 Anm) Diese Stimmung wurde durch die Hinrichtung überführter Attentäter noch angeheizt, welche neue Racheakte nach sich zogen und durch die Polizei selbst stimuliert wurden, die durch eingeschleuste Agent Provokateurs Attentate oft nicht vereitelten sondern noch mit vorbereiteten. Die „Propaganda der Tat“ liegt historisch an der Nahtstelle vom älteren Anarchismus, dem Handwerker- und Agrar-Anarchismus, und dem neuen Anarchismus, dem organisierten Syndikalismus der Industriearbeiter. Im Handwerker-Anarchismus artikulierte sich eine soziale Krise in der Übergangsphase von vorkapitalistischer zu kapitalistischer Wirtschaftsweise. Genau hier bildet sich auch zwischen 1880 und 1900 der europäische Intelligenz- und Künstleranarchismus heraus. Dieser Boheme Anarchismus feierte die heroischen Opfergänge der Attentäter, da diese, ebenso wie die Künstler und die Intelligenz selbst, einem a-sozialen ICH-Kult zu frönen schienen. Die politische Rebellion schien mit der ästhetischen zusammenzufallen. Die jugendbewegte Empörung der Bürgersöhne des bohemistischen Anarchismus mündete so in einen messianischen Übermenschenkult. „Die Subjektivierung eines Absoluten in der Aggressivität der Terroristen imponierte als extremer Gegensatz zum Juste-Milieu.“ (H. Kreuzer in „Die Boheme“ Stuttgart 1968, S. 309) Während aber Erich Mühsam den Terror bejubelte distanzierte sich sein väterlicher Freund Gustav Landauer und bestand darauf dass nur in einer geistigen Erneuerung des Menschen die Voraussetzung der gesellschaftlichen Regeneration bestehen könne: „Nicht darum handelt es sich Menschen zu töten, sondern es handelt sich im Gegenteil um die Wiedergeburt des Menschengeistes...“ <center>=== /up\ ===</center> Die Geburt der Lebensreform aus dem Verderb des Dynamit-Anarchismus?Die Propaganda der Tat zeigte das Ende des älteren Anarchismus an, der in der Stunde seines Verlöschens noch vom neuen Boheme Anarchismus gerade seiner destruktiven Gewalttätigkeit wegen begrüßt wurde. Dabei richtete der Terrorismus vollends die alte anarchistische Bewegung zugrunde, da er sie der rücksichtslosen staatlichen Verfolgung aussetzte und der Mehrheit der Arbeiter entfremdete. Nachdem sich die revolutionäre Abschaffung des Staates als unmöglich erwiesen hatte blies man zum Rückzug aus der Gesellschaft und Politik. An die Stelle der revolutionären Umgestaltung der politischen wie sozioökonomischen Wirklichkeit traten als Resignationsphänomens kultur- und bewusstseinsrevolutionäre Zielsetzungen, welche über rurale Siedlungen oder antiautoritäre Schulen Ansätze zur Schaffung einer Alternativbewegung in einem Subkulturellen Milieu boten. <center>=== /up\ ===</center> Der politische Terrorismus kann auch als ein verzweifelter Versuch der anarchistischen Bewegung gesehen werden um aus der Isolierung in die sie durch den parlamentarischen Sozialismus getrieben wurde auszubrechen. Gleichzeitig aber bekräftigte der Terror die Ghetto-Position in welche die erfolgreiche Kooperation von Staat und Arbeiterschaft die anarchistische Bewegung getrieben hatte. Die anarchistische Staatsverneinung bewegte sich in eine Sackgasse hinein während die Arbeiterschaft zunehmend auf Einflussnahme auf den Staat setzte. <center>=== /up\ ===</center> Die Direkte AktionAn die Stelle der Propaganda der Tat in Gestalt des politischen Mordes , einem Ausdruck des extremen Individualismus, trat die Propaganda der Direkten Aktion als Beschwörung der solidarischen Verbundenheit der Massen zur Erreichung eines revolutionären Zieles. „Der revolutionäre Syndikalismus steht auf dem Boden der direkten Aktion und ist bereit, an allen Kämpfen des Volkes, die seinen Zielen der Abschaffung der Wirtschaftsmonopole und der Gewaltherrschaft des Staates nicht entgegengesetzt sind, teilzunehmen. Als Kampfmittel anerkennt er den Streik, den Boykott, die Sabotage usw. Ihren höchsten Ausdruck findet die direkte Aktion im sozialen Generalstreik..." (II Kongress der internationalen Arbeiter Assoziation, Amsterdam 1925) Das wichtigste Instrument der direkten Aktion ist der Generalstreik oder Revolutionsstreik. Er ist keine friedliche Bewegung, er muss dadurch siegen dass die Streikenden zerstreut bleiben und dadurch auch die Armee zur Zersplitterung zwingt. Er ist eine Revolution von überall und nirgends. Die Streikenden bleiben in ihren Stadtvierteln, die Besitzergreifung der Produktionsmittel findet Stadtviertelweise, Straßenweise, von Haus zu Haus statt. Kleine Gruppen von streikenden Arbeitern nehmen die kleineren Werkstätten jeder Straße in Besitz, etwa die Bäckereien, dann die größeren Werkstätten und erst nach dem Sieg der Streikbewegung die Großindustrie. So beginnt die freie Produktion ohne Zwischenschaltung einer Revolutionsregierung oder proletarischer Diktatur. Eine weitere Form der Direkten Aktion ist die Sabotage. Es ist die Beschädigung des Eigentums, des Materials und der Produktionsmittel der Unternehmer, gerade dann wenn ein Streik nicht in Frage kommt. Mittel sind: Materialvergeudung, Materialverschleuderung, die absichtliche Lieferung schlechter oder unbrauchbarer Arbeit und schließlich die fortdauernde kleine Beschädigung bzw. Zerstörung der Werkzeuge, Maschinen. und des Materials der Unternehmer. Weiterhin praktiziert man Go-Canny, ein absichtlich langsames Arbeiten vor allem wenn die Bezahlung auf Tag- oder Stundenlohn erfolgt und / oder der Obstruktionismus, eine Art Dienst nach Vorschrift, wenn gewisse Arbeiten genau bis zu einem bestimmten Termin fertig gestellt sein sollen. Go-Canny und Obstruktionismus haben den Vorteil, dass die Arbeiter weiterhin in Lohn bleiben und durch die Maßnahmen nicht wirtschaftlich geschädigt werden. <center>=== /up\ ===</center> Reform oder Gesellschaftstransformation?Die Gefahr dieser Aktionen bestünde darin wenn sich die Arbeiter lediglich mit Lohnerhöhungen oder Arbeitszeitverkürzungen befriedigen ließen und nicht auf ein gesellschafts-transformierendes Resultat zielten: „Die Direkte Aktion als Betätigung des Proletariates beschränkt sich nicht nur auf die Erzielung von Verbesserungen in der Gegenwart, sondern ihr weiteres Ziel ist die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt und die Neuorganisation einer freien Gesellschaft... So ist der soziale Generalstreik mit Expropriation der höchste Ausdruck, die Krönung der direkten Aktion des Proletariats.“(Roller) Dies allerdings bringt den Gedanken einer revolutionären Elite wieder ins Spiel. Die Arbeiterbewegung wird verstanden als ein Berührungspunkt zwischen den Massen und „uns“. „Die Anarchisten betrachten die Gewerkschaftsbewegung und den Generalstreik als die wirksamsten Mittel der Revolution, jedoch nicht als Ersatz für die Revolution“ (Oberländer) Die Gewerkschaft darf keine Futterkrippe für Aktionäre sein, sie muss den revolutionären Geist und den heroischen Aktivismus propagieren. Der Legalismus, der Geist des Gehorsams und der Gesetzlichkeit ist gerade eine der Hauptursachen für den Niedergang der Arbeiterbewegung: „Diese friedlichen Streiks töten auch die Energien der Streikenden; ihr Selbstvertrauen, ihr persönlicher Mut und die Initiative sind ausgeschaltet, man verlässt sich auf den obersten Führer, Vermittler und Parlamente und vor allem auf die Geldunterstützung“ Die direkte Aktion selbst betont schon im Begriff selbst, dass hier die beabsichtigte Aktion ohne die Einschaltung von Zwischeninstanzen geschehen sollte: „Direktes Durchsetzen von Arbeiterforderungen, auch ohne Einverständnis des Unternehmers oder der Behörde, vor allem unter Ausschaltung der Stimmen des Wählens. Dem Reformsozialismus und seinem revisionistischen Glauben an die Macht des Stimmzettels und der Sozialgesetzgebung wurde hier der Kampf angesagt. Im Herbst 1920 schufen die Arbeiter der großen Mailänder Metallbetriebe eine neue Form der Direkten Aktion: „Der aktuelle Anlass jenes Geschehens war ein Beschluss des Unternehmens über die Arbeiterschaft die Aussperrung zu verhängen um Errungenschaften rückgängig zu machen die die Arbeiter erkämpft hatten... Doch die Arbeiter kehrten den Spieß um und besetzten die Betriebe um die Arbeit ohne die Unternehmer auf eigene Rechnung zu betreiben.“ Die Fabriken wurden mit Laufgräben und Maschinengewehren gesichert, die Methode der Fabrikbesetzung fand lebhaften Widerhall in anderen Ländern. In Italien war dies der erste Ansatz zu Selbstverwaltung. Schon 1907 hatte Malatesta gefordert: „Es geht nicht so sehr darum die Arbeiter aufzufordern die Arbeit einzustellen, als vielmehr darum, dass sie die Arbeit zu ihrem eigenen Nutzen fortsetzen.“ Es ist wichtig zu sehen dass die Direkte Aktion in Form der unmittelbaren Selbsthilfe ohne syndikalistische und rätekommunistische Konzepte auskam, denn diese entfalteten sich erst auf dem Nährboden des anti-bürokratischen und anti-zentralistischen Spontanismus. Der Jugendsyndikalismus der Weimarer Jahre („Wir sind die junge Garde des Proletariats“... „Mit uns zieht die neue Zeit“) nimmt diesen Anti-Bürokratismus und Anti-Zentralismus wieder auf und wendet sich gegen die Strukturen der Alten. Später wird dann vor bewaffneten Aktionen gewarnt: „Die Zeit der politischen Revolutionen im alten Stile, wo bewaffnete Zivilisten dem Militär entgegen traten, ist beim heutigen Stand der Kriegstechnik ein für allemal vorbei“ meint Rocker. Er sieht den deutschen Syndikalismus nicht so sehr als einen politischen Kampfbund sondern eher als eine große Kulturbewegung im Geiste Landauers, bei der es auf die „geistige Erkenntnis der Massen“ ankomme. <center>=== /up\ ===</center> Ein deutscher Terrorist in den USA
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