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Staats TragendFeuilleton junge welt 20.02.2004 Timo Berger Alles in ButterVon Hub zu Hub: Auf der 3. Berlin Biennale soll Kunst politisch werden – und wirkt doch nur staatstragend Eine ehemalige Margarinefabrik im zweiten Stock. Eine Frau mit einem schwarzen Kunstwerke-T-Shirt lächelt, kommt auf mich zu und fragt: »You want to try this perfume? It is the smell of the Southeast.« Ich nicke, schnuppere an dem Pappstreifen, den sie mir entgegenhält, sage »aha« und denke »igitt«. »This is the perfume of Neukölln« sagt sie dann. Ich erkenne sie wieder: »You are a dancer. I have seen you in the …« – »Yes, Schaubühne«, sagt sie, weicht meinem Blick aus und dreht sich einem anderen Besucher zu. Sie ist jetzt in einer neuen Rolle, nicht mehr bei Waltz, sondern Teil eines Werks der norwegischen Künstlerin Sissel Tolaas, die aus den verschiedenen Gerüchen Berlins vier Grundessenzen destilliert und in schnieke Flakons abgefüllt hat. Google offenbart mir nachts um halb drei schließlich die Herkunft der Tänzerin: Venezuela. Migration heißt dann auch treffend der erste Hub der Berlin Biennale. Hubs sind jene Dinge, von denen eigentlich keiner weiß, wozu sie gut sind, aber deren Fehlen Computernetze nahezu unmöglich macht. Die Berliner Ausstellung hat fünf Hubs – viel zuwenig für ein komplexes Netz: »Migration«, »Urbane Konditionen«, »Sonische Landschaften«, »Moden und Szenen« und »Anderes Kino«. An drei Orten, den Kunstwerken, dem Martin-Gropius-Bau und dem Kino Arsenal, hat die künstlerische Leiterin Ute Meta Bauer ihre Vision einer Biennale zeitgenössischer Kunst aus, über und auf Berlin bezogen in Szene gesetzt. Es ist die dritte Auflage und endlich hat die Veranstaltung das erreicht, was sie immer schon angestrebt hat: eine dauerhafte Finanzierung. Ab der nächsten garantiert der Hauptstadtkulturfonds, der jetzt schon kräftig zum 1,7-Millionen-Euro-Etat zugeschossen hat, eine dauerhafte »Strukturförderung« zu übernehmen. Alles in Butter, möchte man nicht nur in bezug auf die ehemalige Margarinefabrik, meinen. Oder auch nicht: Ausstellungen zeitgenössischer Kunst widmen sich seit ein paar Jahren wieder dezidiert politischen Themen. Die Berlin Biennale macht da keine Ausnahme. Die heutzutage international gefragte Kunst ist aber nicht im strengen Sinne »engagiert«, beispielsweise einer grenzen- und staatensprengenden Weltrevolution verpflichtet, sondern in ihren globalisierungskritischen Ansätzen erstaunlich ortsfixiert und staatstragend. Entsprechend hat sich auf den Ausstellungsparcours ein Verweissystem herausgebildet, das an geopolitischen Rastern orientiert ist und das durch die Medien vorstrukturierte Erwartungshaltungen der Betrachter bestätigt und festschreibt: Künstler und ihre Werke werden gemäß ihrer Provenienz, ihrem Aufenthalts- und Arbeitsort mit lokalen soziopolitischen Konflikten kurzgeschlossen. Größere Zusammenhänge fallen dabei meist unter den Tisch. Das funktioniert dann so: Südafrika – Apartheid, Brasilien – Favelas, Israel/Palästina – Israel/Palästina, Australien – Aborigines, usw. Auch die dritte Ausgabe der Berlin Biennale ist mit diesen Identifizierungen gespickt: Bosnien steht in der Videoinstallation von Hito Steyerl für das bürgerkriegszerstörte Land, Shanghai für die hypermoderne Wirtschaftsmetropole. Die globalisierungskritischen Ansätze sind programmatisch an den Anfang des Rundgangs durch den Martin-Gropius-Bau gesetzt. In der Videoinstallation »Euroscape« von Steyerl wird von verschiedenen Orten Europas »berichtet«. Auf einem Bildschirm flimmern Kinder vor einer zerbombten Industrielandschaft im Stadtteil Sangaj von Novi Sad, auf einem weiteren sieht man die futuristischen Modelle Shanghais, die auf der Expo in Hannover gezeigt wurden, auf einem dritten Bildschirm fährt die Kamera durch den abgeriegelten Stadtteil von Brüssel, in dem das Europäische Parlament untergebracht ist und zu dem kein Normalsterblicher Zutritt hat. Die Sicherheitsfirma, die das Viertel bewacht, betreibt laut Steyerl auch private Gefängnisse und Abschiebeknäste für Flüchtlinge. Die Filmemacherin schwingt sich dennoch nicht zu einer Kritik der imperialistischen Ansprüche supranationaler Staatenblöcke wie der Europäischen Union auf, sondern verliert sich in der Beschäftigung mit sekundären Phänomenen, wie dem auf dem Schengener Abkommen gegründeten Grenzregime der Europäer. Überhaupt scheint das Thema Grenze das Lieblingsbeschäftigungsfeld poststrukturalistisch inspirierter Künstler zu sein. Womit wir bei einem weiteren Problem der zeitgenössischen »Politkunst« angelangt wären: Begriffe wie »Biopolitik« und »Deterritorialisierung«. Die Sprache, der sich Künstler und Ausstellungsmachern bedienen, ist eine Sprache, die den politischen Impuls der Werke in die Watte eines von Deleuze/Guattari, Foucault und Toni Negri geprägten Vokabulars packt. Mit ihr werden zum Teil völlig unterschiedliche Phänomene in ein analoges Begriffskorsett gezwängt. Beispielhaft mag der im Katalog zur Ausstellung vorgeführte Vergleich des EU-Gipfels in Thessaloniki und der Gegenproteste sein. Sowohl den Politikern »drinnen«, als auch denen da »draußen« wird unterstellt, sie seien an der Produktion des »Spektakels Europa« beteiligt. Zu fragen bleibt, wie »authentisch« der Impuls der Künstler sein mag, sich statt mit Medium und Form, mit politischen Themen auseinanderzusetzen? Ohne den Künstlern, die vor ein paar Jahren noch neoexpressionistische Fetische ins frisch geschlagene Holz kettensägten, eine politisch Bewußtwerdung angesichts der Bilder aus Seattle absprechen zu wollen, ist es unübersehbar, welchen Erfolg derartig »anpolitisierte« Werke mittlerweile international feiern. Man denke nur an die vergangene Biennale in Venedig. Bei Stiftungen und Kulturfonds stehen diese Werke hoch im Kurs. In dem Maße, wie echte politische Debatten aus dem Politikteil der Zeitungen verschwinden und in den Feuilletons in Form von Ausstellungsrezensionen wieder auftauchen, wird die Austragung gesellschaftlicher Konflikte zunehmend auf symbolische Spielwiesen verbannt. Kunst, die wie im Hub »Urbane Konditionen« sich in Form von gebastelten 3D-Modellen an einer Visualisierung von offiziellen Statistiken über Problemkieze, Hotelübernachtungen, 1.-Mai-Demorouten und den permanenten Umzug illegaler, halblegaler und legaler Clubs in Berlin versucht, ist von einer ästhetischen Warte aus gesehen belanglos. Überzeugen kann auf der Berlin Biennale nur der Teil, der sich mit der Verquickung bislang ungehörter Sounds und Transgender-Perspektiven beschäftigt. Chicks on Speed und Le Tigre machen es vor: Neue Klänge revolutionieren die Sichtweisen auf Geschlechterrollen. Warum haben viele Künstler den Glauben an eine Veränderung der Welt durch eine Veränderung der Form verloren? Sie sollten sich erinnern: Das Thema ist nicht das Thema.
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