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Pop Komm 2Popkomm: Wo Clement ist, da ist kein Underground Man grenzt jetzt wiederVon Andreas Rosenfelder 03. Oktober 2004 Was waren das noch für Zeiten, als Popmusik verknöcherten Behörden Angst einjagte. In Halle 15.1 der ersten Berliner Popkomm erinnerte eine hübsche Ausstellung über zensierte Plattencover daran, daß die Begrenzungen der auf Überschreitung ausgerichteten Branche einmal in der Außenwelt lagen. Sei es der Zombie auf dem Album "Blood Thirst" von "Cannibal Corpse", sei es die Zigarette in der Hand von Paul Mc Cartney? auf "Abbey Road" von den "Beatles" - irgend etwas fanden Berufserwachsene immer auszusetzen. Das Veto der Kontrolleure lieferte den besten Beweis dafür, daß ein Produkt trotz Warenform zur Popkultur gehörte. Ein Präsentkorb mit "geistigem Eigentum" Doch die Doppelstrategie aus Reichwerden und Anderssein, aus apollinischem Geldzählen und dionysischem Hotelzimmerverwüsten scheint Vergangenheit. Mit dem Umzug der Popkomm von Köln nach Berlin verlagerten sich die Tagesparolen ganz aufs Geschäft, während der Ausdruck "Party" den Beiklang des Zeitdiebstahls bekam. Selbst Angela Merkels sympathischer Versuch, beim CDU-Empfang auf dem Messegelände Nietzsche zu zitieren, täuschte über das Ende aller Entgrenzung nicht hinweg: "Ich mag Musik", erklärte die Parteivorsitzende. "Musik ist einfach schön. Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." Als Dank überreichte ihr der Chef des Phonoverbands, Gerd Gebhardt, einen Präsentkorb mit "geistigem Eigentum" - so heißen C Ds? in der Sprache der Lobbyisten. In den Messehallen wie auf diplomatischem Parkett Während die Kölner Popkomm bis zum bitteren Ende den Geist einer verschworenen Gemeinschaft verströmte, diente die Berliner Messe der Branche hauptsächlich dazu, die Territorien nach dem Zusammenbruch neu abzustecken. "Wie die Messe aufgebaut ist, wie sie strukturiert ist", dozierte SPD-Generalsekretär Benneter auf einem Podium, "all das ist Politik." Die Verlegenheitsbemerkung bezeichnete das neue Konzept gut: War die Musikwirtschaft in Köln auf der Tanzfläche zur trügerischen Einheit des Partyvolks verschmolzen, so bewegten sich die fünfzehntausend Fachbesucher in den Berliner Messehallen wie auf diplomatischem Parkett. Und dieser Eindruck rührte nicht nur von der Überpräsenz nationaler, regionaler und landschaftlicher Verbände bis hin zum baskischen Musikexportbüro "Euskadiko Soinuak". Feudalistische Hoheit über die Gästelisten Tatsächlich herrschte auf der Popkomm eine Aura der Geheimdiplomatie. Ständig fanden in Botschaften oder Nobelhotels unangekündigte Kurzauftritte für geladene Sondergäste statt - ob "Daft Punk" in der Französischen Botschaft auftraten oder die "Toten Hosen" in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens. Doch auch das offizielle Festivalprogramm, auf dreißig Spielorte verteilt, zerfiel in Einzelereignisse. Einerseits trieben die Entfernungen die Taxikosten schon bei zwei oder drei Konzerten pro Abend in astronomische Höhen - vorausgesetzt, man wollte nicht wegen endloser S-Bahn-Fahrten erst bei der letzten Zugabe im Publikum stehen. Andererseits betrachteten sich die jeweiligen Veranstalter keineswegs als Teile eines pulsierenden Netzwerks und beanspruchten die feudalistische Hoheit über ihre Gästelisten. Immerhin paßten die von den Organisatoren eingebauten Hürden zur freiwilligen Selbstbeschränkung der Branche. Schließlich wurde auch der Publikumstag in Berlin als Störfaktor gestrichen. Einen Ersatz für die soziologische Einbettung lieferte das Berliner Milieu, das die "Kulturbrauerei" am Prenzlauer Berg als Festivalzentrum verkörperte. Kopfsteinpflaster, Backsteingemäuer und Beschriftungen aus gußeisernen Plastiklettern - vor dem Hintergrund dieser urigen Berliner Ökonomie, welche die als "Gratis Shuttle" bereitstehenden Fahrrad-Droschken in ihrer modernen Form präsentierten, erhellte auch die Sehnsucht, mit der die deutsche Szene zum glamourösen Popkomm-Partnerland Frankreich schaut. "Wir machen nicht wirklich Geschäft hier” Wer aber wickelte in Berlin die harten Geschäfte ab? Die major labels, Inbegriff des "Business", übten sich in einer Ästhetik des Verschwindens. Sony verschanzte sich hinter schweren Vorhängen, wo ausgewählte Jugendliche auf Knautschkissen saßen. Keine Spur von Aktenkoffern aus Aluminium oder unterschriftsreifen Verträgen. "Wir wollen mit unseren Produkten protzen", erklärt eine Promoterin. Auch sie weiß nicht, ob der eben erst mit BMG verschmolzene Konzern, der seinen Hauptsitz wohl nach München verlagert, nächstes Jahr wieder anreist. Noch unsichtbarer wirkte Universal, obwohl die Firma neben Viva als Triebkraft hinter dem Umzug der Messe nach Berlin gilt. Eine Kubenlandschaft in Schneeweiß sollte das Musiklabel stellvertreten. Doch im überbelichteten Nirwana traf der Besucher bloß auf Hochglanzprospekte, Hostessen und Bernd-das-Brot-CD-Hüllen. Nur am Stand von Warner saß Geschäftsführer Alexander Maurus in Bomberjacke auf einem Sitzwürfel: "Wir machen nicht wirklich Geschäft hier. Aber wir wollen der Popkomm in Berlin eine Chance geben. Da hängen Existenzen dran." Unverzichtbar nur für die Opfer der Strukturkrise Unverzichtbar ist die Popkomm, wie Maurus betonte, nur für die in die Selbständigkeit entlassenen Opfer der Strukturkrise, denen kein Reisebudget zur Verfügung steht. Kein Wunder, daß ausgerechnet der ehemalige Universal-Chef Tim Renner der allgegenwärtigste Kopf auf dieser Popkomm war. Im "Palast der Republik" feierte er das zehnjährige Jubiläum des von ihm gegründeten Labels "Motor Music" - da die Musiker noch bei der Mutterfirma Universal unter Vertrag stehen, zur Zeit eine Marke ohne Künstler. Auf der Bühne stand Phillip Boa mit seinem "Voodoo Club" und sang den zornigen Refrain von "Kill Your Idols". Die Grenzen der Popkultur Dieter Gorny sprach übrigens in seiner üblichen Rede auf dem Kongreß - die ohne wirklich neue Themen um digitale Plattformen und die Radioquote, um die Künstlersozialkasse und den erwarteten "Turnaround" im Jahr 2005/2006 kreiste - von der Machtlosigkeit aller "Großen Brüder" und stellte dem als Käufergruppe unberechenbaren "Konglomerat juveniler Subkulturen" im Gönnertonfall des Pop-Onkels ein demokratisches Reifezeugnis aus. Die hoffnungsvollen Kinder der Branche, so betonten die Erwachsenen von der Großindustrie immer wieder, seien die unabhängigen Labels. Im "Labelcamp" in Halle 15.1 stand ihnen erstmals eine kostengünstige Spielwiese mit Wohnwagen, Ölfässern und Tischtennis zur Verfügung. Niemand zückt hier den Montblanc-Füller. Aber eine skurrile Weltschmerzband wie "Riefenstahl" hängt mit ihrem Labelchef Roland Loy, einem Gesangscoach aus Hannover, zufrieden in den Liegestühlen. Den Starsearch-Gewinner Martin Kesici und Thomas D. von den "Fantastischen Vier" haben die Musiker kennengelernt, Karten mit Promotern und Veranstaltern getauscht. Nur für den Toilettengang betritt die Band die Welt jenseits des Zeltlagers. "Sobald du aus der Halle gehst, bekommst du Angst", sagte der Sänger. Und blickt durch blaue Brillengläser. Die Grenzen der Popkultur sind näher gerückt. Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2004, Nr. 231 / Seite 33 |