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Kunststadt Berlin

Unsere Besten Das billige Leben, der fehlende Aufschwung und die Ich-A Gs?: Das amerikanische Nachrichtenmagazin "Newsweek" meint, dass Deutschland das ideale Land für Künstler ist

Das viele in Kultur investierte Geld hat sich offensichtlich gelohnt. In einem internationalen Ranking der aktuellen Newsweek firmiert Deutschland als das Land, in dem es sich als Künstler am besten leben lässt. Jeffrey D. Sachs, Direktor des Earth Institute an der Columbia University in New York, hat den Sommerloch-Special-Report für das Nachrichtenmagazin organisiert. Bestes Land, jung zu sein, ist die Türkei. Bestes Land, um reich zu werden, sind die USA. Bestes Land für Biotechnologen ist Schweden. Bestes Land, Künstler zu sein, wie schon gesagt, ist Deutschland, genauer gesagt, Berlin. Denn Kultur wird in Städten gemacht, nicht in Ländern. Da nun alle jungen Leute am liebsten Künstler werden wollen, lässt sich messerscharf schließen, dass nicht die Türkei, respektive Istanbul, sondern Berlin tatsächlich das beste Land ist, um jung zu sein. Und schaut man sich die Shooting-Stars der hiesigen Szene an, wie Daniel Richter, Christoph Schlingensief oder Ricardo Villalobos, dann ist Berlin das beste Land, nicht nur um jung und Künstler zu sein, sondern dabei auch noch einigermaßen zu Geld zu kommen. Nur die Biotechnologie ist in diesem schönen Schema nicht so recht unterzubringen. Immerhin, so muss aus der Aufmachung des Newsweek-Special-Reports geschlossen werden, ist Künstler ein ebenso zukunftsweisender Beruf wie Biogenetiker oder Ingenieur. Denn das weitere Land, dem eine ganze Doppelseite gewidmet ist, China, ist das beste Land für Ingenieure.

Neben der zwar stetig zurückgefahrenen, vergleichsweise aber immer noch üppigen Förderung durch die öffentliche Hand, ist es interessanterweise vor allem die wirtschaftliche Stagnation, die das Land, besonders aber Berlin, für Künstler so attraktiv macht. Mieten und Lebenshaltungskosten sind günstig bei gleichzeitigem Angebot aller metropolitanen Annehmlichkeiten. In welcher Millionenstadt dieser Welt können Künstler mit ihrem üblicherweise sehr bescheidenen Einkommen schon mitten im Zentrum leben und arbeiten? Dies alles wird aber schnell vorbei sein, wenn der unvermeidliche ökonomische Aufschwung auch in Deutschland einsetzen wird, meint Newsweek und setzt süffisant hinterher, beim gegenwärtigen Tempo, das Deutschland hier vorlegt, dürfte das gute Leben für die Künstler freilich noch eine ganze Weile dauern.

Ausgerechnet also in einem Land, das den Schritt in die Dienstleistungs-, Wissens- und Informationsgesellschaft kaum hinbekommt, so muss eine weitere Schlussfolgerung aus dem Ranking lauten, lässt sich ein geradezu paradigmatisch postindustrieller Lebensentwurf wie der des Künstlers und der Künstlerin auf vertretbare Weise realisieren. Vielleicht aber wurde hier etwas verwechselt. So innovativ, so medienerfahren, stilbewusst, kommunikations-, skandal- und markenfähig der postindustrielle Kreative ist, so politisch machtlos ist er. Die Urheberrechte liegen bei der Medienindustrie oder - im vermeintlich besseren Fall - bei kulturfördernden Stiftungen. Kein Mensch ist ein Künstler, aber jeder eine Ich-AG.

BRIGITTE WERNEBURG

taz Nr. 7423 vom 31.7.2004, Seite 20, 102 Zeilen (TAZ-Bericht), BRIGITTE WERNEBURG http://www.taz.de/pt/2004/07/31/a0266.nf/text

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