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Fussvolk Fun

Das Fußvolk des Fun hat ausgedient

In Berlin-Mitte sponsern Turnschuhvermarkter das Partyvolk - doch dem droht das Feiern zu vergehen

Cool sind sie, die jugendlichen Helden der Nacht. Man erkennt sie daran, dass ihre Namen auf den Gästelisten der wichtigen Clubs stehen. Früher war das anders: In Jugendkulturen wie Punk oder Hip Hop? wurden diese Helden wegen ihres Könnens, den für die Subkultur spezifischen skills bewundert: Sie hatten entweder eine besondere Meisterschaft beim Mercedessterne-Abbrechen entwickelt, Graffities auf Vorortzüge gemalt, konnten singen, rappen, tanzen oder ganz viele Drogen auf einmal nehmen.

In der Szene, die heute (noch) das Nachtleben in Berlin-Mitte prägt, ist das anders. Hier ist neben dem Gästelistenplatz das wesentlichste Distinktionsmerkmal, dass man für seine Turnschuhe und Jeans nichts bezahlt hat. Die Helden von heute, sie werden wie erfolgreiche Sportler gesponsert: Ihr vornehmstes skill ist die Fähigkeit, den eigenen Körper zur Projektionsfläche für Trends zu machen. Die Voraussetzung dafür sind Individualität und Stilbewusstsein, das Training besteht darin, Präsenz in angesagten Clubs zu zeigen. Marketingagenturen überprüfen diese Fähigkeiten und belohnen sie mit Kleidergeschenken. Bewundert werden sollen die Gesponserten dann von den Mitstreitern im Nachtleben, die für das gleiche Ergebnis im Shopping-Dschungel jagen gehen mussten.

Die Clubszene ist schon seit Jahren einer der wichtigsten Standortfaktoren Berlins. Der Ruf der Party lockte nicht nur die notorischen Filmstars, Künstler und Magazinmacher, sondern auch die Musikindustrie in die Stadt: MTV, Universal, Popkomm. Und die Mitte-Jugend, so sie nicht zu den Anhängern der Trendsportart ¸¸Ständig in den nächsten hippen Bezirk umziehen" gehören und entsprechend über die halbe Stadt diffundiert sind, freut sich. Denn anders als früheren Subkultur-Generationen hat ihr von Anfang an der gegenkulturelle Impetus gefehlt, die Anti-Konsum-Haltung.

Drehte sich in der Szene im Berlin der 80er Jahre, wo man sich vor allem in Kreuzberg traf, noch viel um Gesellschaftskritik und Provokation, so bestand die Rebellion der Mitte-Jugend schon seit den frühen Neunzigern vor allem im Feiern. Clubprotagonisten wie Cookie oder der allseits bekannte Türsteher Frank Künster hatten nie eine andere Mission, als Spaß zu produzieren - einer der besten Clubs hat sich konsequenterweise gleich ¸¸Fun" genannt.

Die Geschichte lief immer gleich ab: Ein Netzwerk aus Freunden organisierte leer stehende Räume, beschallte sie mit Techno und verkaufte billige Drinks. Clubs wie das Cookie"s oder das WMF wechselten oft und spontan ihre Standorte, ihr provisorischer Charakter war für sie konstitutiv: Der ständige Ortswechsel wurde mit der Zeit nicht mehr als Odyssee eines von Spießbürgern und Investoren vertriebenen Partyvolks wahrgenommen, sondern als Authentizitätsbeweis für das Neue dieser Clubkultur.

So unstet die Lokalitäten waren, so wichtig war auf der anderen Seite die Beziehung unter den Feierfreudigen. Am Eingang zum Cookie"s steht heute noch: ¸¸Nur für Freunde". Man hilft sich gegenseitig und nutzt seine Kontakte: Du bekommst einen Job an der Bar, dafür bekommt der andere eine billige Wohnung vermittelt. Und so funktioniert Mitte heute wie ein Dorf, konzentriert auf ein paar Straßenzüge um den Hackeschen Markt in der sonst so fladigen Stadt Berlin. Man trifft sich nicht nur nachts in den Clubs und Bars, sondern auch tagsüber beim Einkaufen in der Ackerhalle oder beim Kaffeetrinken auf der Neuen Schönhauserstraße.

Veränderung ist gut, heißt das Motto der Feierfreunde. Als vor ein paar Jahren auch Marketingagenturen nach Mitte zogen, erweiterte sich bloß das Netzwerk. Das Wirtschaftsmagazin Brand eins beschrieb deren Strategie so: Agenturen wie ¸¸Häberlein und Mauerer" sparen sich kostspielige Kampagnen und verteilen statt dessen ¸¸Fetischprodukte" an ¸¸gesellschaftliche Leuchttürme", die heute eben nicht mehr Spitzensportler oder Filmstars sein müssen. In der Mittagspause, die man gemeinsam in Restaurants wie dem ¸¸Monsieur Vuong" verbringt, sorgen die Marketingmanager dafür, dass nun auch Adidas, Levis und Lacoste zum Kreis der Freunde zählen.

Mit der Ankunft des Geldes aber begann die Auflösung des Provisorischen. Heute droht dem Feierort Mitte das Aus, ist das Viertel aufs Nobelste abgerockt. Neben der Starbucks-Filiale haben die Profis des Fun ihren festen Platz gefunden. Die Mitte-Kids sind jetzt ¸¸Opinion-Former" und ¸¸Style-Leader" - das Rumhängen ist zum Beruf geworden, der Exzess dient der Existenzsicherung. Sie haben ihre Jugend professionalisiert, leben von Kontakten und schnorren sich durch die Marketingagenturen. Denn in Berlin ist es wenigstens eine Weile möglich, ein Leben durch eine Sechs-Stunden-Woche hinterm Tresen zu finanzieren.

Doch die Partys werden mit ihren Machern älter, die nächste Generation hat andere Orte und andere Exzesse. Wenn die Turnschuhagenturen beschließen sollten, das Dorf zu verlassen, um andernorts eine andere Subkultur aufzupäppeln, dann müssen die Mitte-Kids erwachsen werden. Einige wenige haben schon vorgesorgt, verdienen so wie der Clubbetreiber Cookie jetzt auch Geld mit Bars für Menschen, die gerne Anzüge tragen, aber nach der Arbeit den Flair des Abseitigen genießen wollen.

Die anderen wachen gerade mit einem gewaltigen Kater auf. Sie waren ¸¸Spähtruppen des Glücks", wie sie Diedrich Diederichsen in seinem Buch ¸¸Der lange Weg nach Mitte" beschrieben hat. Die Mitte-Bohème droht nun endgültig zu stranden: Unter großen Verlusten - statt bürgerlicher Existenz nur freiberufliche Selbstausbeutung, statt Zukunftsplanung bloß die temporäre Definitionsmacht übers Coolsein - haben sie ein paar Jahre der Exzesse für sich erkämpft. Sie haben Mitte mit dem Image ausgestattet, das nun solchen Nachmietern für teures Geld verhökert wird, die ihre Jugend ¸¸vernünftig" gelebt haben und dies heute als rückkaufbares Versäumnis betrachten. Diederichsen: ¸¸Das Glück, die Verkettung, Zufälle, genutzte Chancen bleiben noch eine Weile, lange nachdem die einst Glücklichen schon wieder zu Elenden geworden sind, an der Architektur haften." Das Sponsoring für die Freunde, die all die unvergessliche Feste feierten, übernimmt von nun an die Bundesagentur für Arbeit. Gewohnt wird ab sofort im Wedding.

CORNELIA DURKA / TOBIAS TIMM

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.104, Donnerstag, den 06. Mai 2004 , Seite 17

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