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Die Ausstellung verschieben! Ein offener Brief

Im Streit um die Friedrich Christian Flick Collection pl�diert Dagmar Ottmann, die Schwester des Sammlers, f�r ein Moratorium � bis die Geschichte des Flick-Konzerns aufgearbeitet ist

Sehr geehrter Herr Dr. Korn, sehr geehrter Herr F�rst,

in Ihren �ffentlichen �u�erungen, zuletzt im offenen Brief an den Generaldirektor der Stiftung Preu�ischer Kulturbesitz vom 10.07.2004, kritisieren Sie die bisher als �Flick Collection� bezeichnete Ausstellung in Berlin und die Verweigerungshaltung �der� Familie Flick. Bitte verstehen Sie, dass ich als Schwester des Sammlers Friedrich Christian Flick zu den Aussagen Ihres Briefes nicht schweigen kann, mit denen Sie verallgemeinernd �ber �die Enkel� der Familie Flick � und damit auch �ber mich � urteilen.

Ich teile Ihre Auffassung, dass es ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die auch die Bereitschaft zu materiellen Konsequenzen umfasst, nicht m�glich ist, einer �dunklen Seite eine hellere hinzuzuf�gen�, falls man �berhaupt ein derart problematisches Ziel bef�rworten will. Und ich wei�, dass gerade meine Familie, angefangen bei meinem Gro�vater Friedrich Flick, in dieser Hinsicht jahrzehntelang versagt hat. Aber gerade dieses Wissen hat mich schon vor Jahren � nicht erst im Zusammenhang mit dem aktuellen Streit um die �ffentliche Pr�sentation der Kunstsammlung meines Bruders � veranlasst, einen anderen, eigenen Weg zu gehen, und zwar jenseits aller �ffentlichkeit.

�Ich kann das Ausstellungsprojekt in der jetzigen Form nicht guthei�en�

Nun aber muss ich erkennen, dass mein Weg fernab der Medien dazu f�hrt, dass weiterhin pauschal davon gesprochen wird, die �Vertuschung� seitens der Familie Flick reiche �bis ins dritte Glied�. Eine solche Formulierung, gerade aus dem Munde eines Vertreters der j�dischen Gemeinde in Deutschland, bedr�ckt mich sehr, zumal Sie einen Zusammenhang zwischen der Verweigerung und �den Geschwistern� Flick herstellen, welche � zumindest durch Unterlassungen � die �NS-Vorteile perpetuiert� h�tten.

Offenbar sind auch Sie durch die jahrelange missverst�ndliche Bezeichnung �Flick Collection�, dazu noch in Verbindung mit einer �Familiensammlung�, dem Irrtum erlegen, eine Art �Familienkollektiv� stehe hinter der geplanten Ausstellung und auch hinter deren Zielen. Dies ist jedoch ganz und gar nicht der Fall. Dieser falsche Eindruck hat sich leider so verfestigt, dass die k�rzliche kosmetische �nderung durch Hinzuf�gung des Vornamens meines Bruders keine �ffentliche Meinungs�nderung herbeif�hren kann, wie das Presseecho zeigt. Ich komme daher nicht umhin, Ihnen mitzuteilen, dass ich mit dem Ausstellungsprojekt � ebenso wie auch andere Mitglieder der Familie Flick � nichts zu tun habe und es in der jetzigen Form nicht guthei�e.

Es w�re mir eine gro�e Erleichterung, wenn Sie einen Ansatzpunkt f�r eine differenzierte Betrachtung �der� Familie Flick darin erkennen k�nnten, dass ich Anfang 2001 aus meinem Privatverm�gen einen namhaften Millionenbetrag an den Zwangsarbeiter-Stiftungsfonds geleistet habe. Um meinen Bruder angesichts seiner damals in Z�rich heftig umstrittenen Zahlungsverweigerung nicht �ffentlich blo�zustellen, geschah dies in anonymisierter Form, aber nat�rlich mit seiner Kenntnis. In gleicher Weise habe ich damals schon gegen�ber meiner Familie angek�ndigt, eine unabh�ngige wissenschaftliche Untersuchung der Geschichte der Friedrich Flick KG im 20. Jahrhundert zu erm�glichen. Gegenstand dieser Untersuchung soll nicht nur das Verhalten von Friedrich Flick vor und w�hrend der NS-Periode sein, sondern auch in der Nachkriegszeit, die sich aus heutiger Sicht � auch � als Geschichte der Verdr�ngung und, wie Sie es bezeichnen, der �Entsch�digungsblockade� darstellt. Mittlerweile ist ein entsprechendes historisches Forschungsprojekt am Lehrstuhl von Professor Frei (Bochum) im Gange. Vielleicht k�nnen die Historiker auch die Frage beleuchten, ob Friedrich Flick das aus der NS-Zeit gerettete Verm�gen in besonderem Ma�e durch eine Kontinuit�t von �alten� Mentalit�ten, Verhaltensweisen, Netzwerken und Seilschaften gemehrt und eine Perpetuierung der in der NS-Zeit gezogenen Vorteile bewirkt hat.

Vor diesem Hintergrund h�tte ich � wie Sie � ein Moratorium der Ausstellung begr��t. Wenn �berhaupt, kann man wohl eine Ausstellung unter dem Signum �Flick� erst nach Vorlage der historischen Forschungsergebnisse unbefangen durchf�hren, auch um die Kunst von jeglicher Indienstnahme zu entlasten. Diese Chance ist inzwischen vertan.

Der Zickzackkurs der Preu�en-Stiftung belegt die Unsicherheit im Umgang mit der Flick-Geschichte. Nachdem die Stiftung bisher stets den historischen Hintergrund ausblenden und allenfalls anhand der Kunst als �Mahnmal� aufarbeiten wollte, kommt sie in letzter Minute nun doch zu der Erkenntnis, einen Auftrag zur Erforschung der Familiengeschichte erteilen zu m�ssen � und zwar selbst, nicht etwa durch den Sammler. Zus�tzlich hat das Museum nun �berraschend bekannt gegeben, dass die Diskussion um die Geschichte der Familie Flick als solche �mehr und mehr Teil dieses gro�en Projekts� (i. e. der siebenj�hrigen Ausstellung) sein soll. Wie kann man ernsthaft ohne Vorliegen objektiver, wissenschaftlich fundierter Informationen �berhaupt ein derartiges � ohnehin schon fragw�rdiges � Unterfangen angehen, im Rahmen einer Kunstausstellung jahrelang �ber eine Familiengeschichte zu diskutieren? Im �brigen spricht es f�r sich, dass ein staatliches Museum zur Rettung seines Ausstellungsprojekts die Initiative ergreifen muss, um einer Familie von au�en vorzugeben, wie sie mit einem so heiklen und pers�nlichen Kapitel wie der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen NS-Geschichte umzugehen habe.

Gleicherma�en belastet es mich, in Argumentationen einbezogen zu werden, mit denen �ffentliche Kunstverwalter, aber auch Journalisten, das Ausstellungsprojekt rechtfertigen wollen und es in bedenklicher Weise als Kompensation oder gar Wiedergutmachung f�r begangenes Unrecht hochstilisieren. Gerade angesichts der �ffentlich bekannten � und auch mir pers�nlich durchaus gel�ufigen � Verdr�ngung der NS-Vergangenheit durch einige Mitglieder der Familie Flick wirken diese Legitimationen deplatziert. Im Versuch, nicht vereinbare Intentionen � einerseits Kunstausstellung, andererseits Vergangenheitsbew�ltigung � dennoch vereinbar erscheinen zu lassen, wird auf beinahe unheimliche Weise den Kunstwerken und der Ausstellung ein kompensatorischer Sinn zugesprochen.

So bezeichnete schon 2001 der damalige M�nchner Museumsdirektor Vitali die Zurschaustellung der Sammlung meines Bruders als �eine sinnvolle Entscheidung, um die Art zu tilgen, wie das Verm�gen zustande gekommen ist�. In Berlin wurde dieser Gedanke wieder aufgenommen, etwa mit der Feststellung, dass Mick Flick �genau die Kunst sammelt, zu deren geplanter Vernichtung sein Gro�vater finanziell beigetragen hat�, was �brigens noch nicht einmal in der Sache zutrifft. Sein Vorhaben wird als �neuer Umgang mit Erbe und Verantwortung� gefeiert. In Anspielung auf die Flick-R�stungsgesch�fte in der NS-Zeit wird dem Sammler bescheinigt, er w�rde durch sein Engagement das Unrecht wiedergutmachen, indem er �Schwerter zu Konzeptkunst� forme. �hnliche Untert�ne schwingen mit, wenn wiederholt auf die �Querst�ndigkeit� und �Sperrigkeit� der Kunstwerke als Beweis f�r eine gel�uterte Gesinnung hingewiesen wird. Von h�chster ministerieller Stelle verlautet gar, die Flick-Sammlung �schlie�e in Berlin die Wunde, die die Nazizeit geschlagen� habe. Es verwundert nicht, dass sich im Gefolge dieser �berinterpretationen weitere verungl�ckte Metaphern, Versprecher und Entgleisungen eingestellt haben, die Sie und die Presse zu Recht ger�gt haben.

Genau in diesem Versuch der Umwidmung liegt f�r mich das eigentlich Anst��ige, von welchem man sich nicht energisch genug distanzieren kann. Eine solche Umwertung geht n�mlich �ber den bisherigen Vorwurf hinaus, in Berlin werde die Kunst zur Spiegelung eines Sammlers und zur Aufwertung seines Familiennamens instrumentalisiert, ja �missbraucht�. Anstatt der Geschichte ins Auge zu sehen, wird mit solchen �u�erungen der Blick �ersatzweise� auf die Kunst gerichtet. Damit wird von der eigentlichen Auseinandersetzung mit dem Unrecht und dem Bem�hen um Ausgleich und Genugtuung abgelenkt. Wer die Vergangenheit nicht wirklich wahrnehmen � und das hei�t unter anderem auch dokumentieren � will, verhindert ihr Erkennen und verl�ngert paradoxerweise ihren Schatten. Diese dialektische Wirkung war von vornherein absehbar. Im ohnm�chtigen Versuch, die Vergangenheit mit Kunst zu �berstrahlen, tritt sie nun umso dunkler hervor und macht schon deshalb einen Neuanfang unm�glich. Indem der Sammler den Familiennamen leuchten lassen und damit auch jene Stimmen der Opfer, die dem widersprechen, zum Schweigen bringen will, tr�gt er weder zu deren Anerkennung und Gedenken noch gar zu einem Neubeginn auch der eigenen Familiengeschichte bei.

Die Sammlung meines Bruders ist � wie berichtet wird � gl�nzend genug, dass sie nicht die Voranstellung des symbolbelasteten Familiennamens ben�tigt h�tte, um zu strahlen. In diesem Zusammenhang betr�bt es mich besonders, dass noch nicht einmal den Museumsverantwortlichen ein Wort des Verst�ndnisses f�r die Empfindungen der � noch lebenden � Flick-Opfer �ber die Lippen kommt. Es ist besch�mend, mitansehen zu m�ssen, dass Zwangsarbeiter und deren Angeh�rige ihre Verletzung �ffentlich bekunden m�ssen. Zahlreiche mahnende Briefe aus dem Ausland, auch aus Israel, sollen �berhaupt nicht inhaltlich beantwortet worden sein.

�Den noch lebenden Opfern wird Stimme und Geh�r verweigert�

Aufgrund meiner Besch�ftigung mit der Literatur der Romantik kenne ich die Macht der Symbole und der Erinnerung. Ich kann daher die besondere Sensibilit�t dieser Opfer und ihrer Angeh�rigen gut nachvollziehen, wenn sie durch die Herausstellung des Namens Flick schmerzhaft an ihr Leid erinnert werden. In Ankn�pfung an Gedanken, die anl�sslich des Auschwitz-Prozesses ge�u�ert wurden, wonach es vornehmste Aufgabe der �berlebenden sei, den toten Opfern eine Stimme zu geben, halte ich es f�r ebenso bedeutsam, der Stimme der noch lebenden Opfer mindestens Geh�r zu verleihen. Niemand hat das Recht, ihnen vorzuschreiben, wie sie ihres Leidens gedenken sollen und welche Erinnerungen sie haben d�rfen, wenn ihnen in Berlin eine �Flick�-Sammlung als �Mahnmal� pr�sentiert wird. Ich bin mir sicher: Auch dadurch, dass die Akteure den Stimmen der Opfer das Geh�r verweigern und f�r sieben lange Jahre auf der Verwendung des belasteten Familiennamens bestehen, verl�ngern sie ebenjene Geschichte der Familie, die der Sammler doch unterbrechen m�chte.

F�r mich ist es kaum begreiflich, dass ausgerechnet der Name Flick jetzt Anlass bieten soll, offizielle Repr�sentanten deutscher Juden zu spalten. Dies h�tte ich mir niemals vorgestellt, ebenso wenig den Gedanken, dass demn�chst � wie von Ihnen angedeutet � Flick-Opfer als Menschenketten und Mahnwachen vor dem Museum gegen die Herausstellung des Namens Flick demonstrieren und damit in ihren Protest auch andere Mitglieder dieser Familie einbeziehen. Niemand kann sich w�nschen, dass es zu einem solchen, hoffentlich vermeidbaren, Eklat kommt. Es w�re der Ausdruck eines verzweifelten Versuches, den Opfern doch noch Stimme und Geh�r zu verschaffen. Auf jeden Fall darf ich Ihnen, die als Mahnende in dieser Sache auftreten, versichern, dass das dahinter stehende grunds�tzliche Anliegen nicht nur von den Leidtragenden der NS-Zeit, den Beraubten und Ausgepl�nderten, die heute lediglich um eine moralische Genugtuung bitten, unterst�tzt wird, sondern auch aus dem Kreis der Familie Flick selbst.

Mit freundlichen Gr��en

Dagmar Ottmann

http://www.zeit.de/2004/33/Offener_Brief