Neue Perspektiven

Die Wiedereröffnung der Villa Romana in Florenz

Arkadien oder urbane Wildbahn? Für Max Klinger, Mitbegründer des Deutschen Künstlerbundes, war die Antwort klar: Talentierte Jungkünstler sollten sich in der Stille einer dem Alltag enthobenen Idylle entfalten können. 1905 erwarb Klinger die Florentiner Villa Romana und liess sie zu einer Wirkstätte für die jüngere Künstlergeneration umnutzen. Seither kommen auserwählte Stipendiaten in den Genuss, für mehrere Monate in der Villa Romana zu wohnen und zu arbeiten und sich in der Stadt der Renaissancekunst auf einen gewaltigen Zeitsprung einzulassen.

Die Liste der Gäste und Stipendiaten des Künstlerhauses enthält berühmte Namen: Gustav Klimt, Henry van de Velde, Ernst Barlach, Max Beckmann, Käthe Kollwitz, dann in den sechziger und siebziger Jahren Baselitz, Lüpertz, Kippenberger. Letztgenannter entschied die Frage «Arkadien oder urbane Wildbahn?» entschieden anders als Max Klinger. Martin Kippenberger zog es vor, in das alltägliche Leben der Florentiner einzutauchen und seine Erfahrungen in den Tafelbildern «Uno di Voi. Un Tedesco a Firenze» (1977) künstlerisch umzusetzen. Auch Marko Lehanka, Villa-Romana-Preis-Träger 1993, erinnert sich an eine phantastische Zeit, Land und Leute kennenzulernen und noch ein Atelier zu haben, um aus Pappmaché eine riesige Bacchus-Skulptur zu modellieren; kurz, die Villa sei ein Paradies für dem mediterranen Lebensstil zugeneigte Künstler!

Eine Idylle aber auch, die sich früher oder später dem Funktionswandel stellen musste. Dieser Druck verstärkte sich Ende der neunziger Jahre, gelten doch für Kunstakademie-Absolventen in Zeiten des hochtourigen Kunstbetriebes nicht mehr Dolce-Vita-Schauplätze als Sehnsuchtsorte, sondern Metropolen, wo karriereförderndes «networking» möglich ist. Das verlangt von Institutionen wie der Villa Romana Anpassungsleistungen.

Im November 2006 übernahm Angelika Stepken von Joachim Burmeister die Leitung des Florentiner Künstlerhauses und nahm sich vor, das Tor der Villa weiter als bisher zu öffnen, um den Stipendiaten die Möglichkeit zu bieten, über den Kunstbereich hinaus Kontakte zu knüpfen, auch vor Ort. Freilich braucht es viel Stehvermögen, um den Kulturaustausch mit den für Gegenwartskunst wenig empfänglichen kommunalen Politikern der toskanischen Hauptstadt am Laufen zu halten.

Im Zuge des Wechsels wurde das Gebäude renoviert und bot am 7. September, dem Tag der Wiedereröffnung, das perfekte Bild einer Kunststätte, die den Übergang in eine produktivere Phase eingeleitet hat. Werke von arrivierten Künstlern wie Marijke van Warmerdam und Anatoly Osmolovsky erdeten die Präsentationen der Stipendiaten. Der Documenta-Teilnehmer Osmolovsky nagelte ikonengleiche Brotscheiben aus Holz («Bread», 2007) an die Wand, Marijke van Warmerdam ästhetisiert filmisch Milchtropfen, die in ein Glas fallen («Dream Machine», 2006). Brot und Milch sind lebenswichtige Grundnahrungsmittel; überlebenswichtig für die Villa Romana aber ist ein solides Budget. Der zur Wiedereröffnung aus Berlin eingeflogene Kulturstaatsminister Bernd Neumann betonte, ohne die Langzeitförderung durch die Deutsche Bank wären Gegenwart wie Vergangenheit des traditionsreichen Künstlerhauses kaum denkbar.

Gabriele Detterer

 http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/neue_perspektiven_1.566685.html