HELMUT DRAXLER

LOOS LASSEN!

Institutionell Critique und Design

Die Gegenüberstellung von Kritik und Design ist in verschiedenen Ausformungen ein ständiger Begleiter aller Phasen des Modernismus gewesen. Der Vorwurf des nur Äußerlichen und Oberflächlichen wurde nicht allein von modernen Ideologen wie Adolf Loos mit dem Bild von "Design", von einer tarnenden Gestaltung als Überformung, als Gegenteil des "Wahren" assozüert.

Helmut Draxlers Text weist nun anders als die frühmodernen Dichotomien nicht nur die unumkehrbare Durchdringung jeglicher Kritik an Institutionen mit den Prinzipien, Methoden und Formen des Designs auf. Er hinterlegt dieses Verhältnis auch mit historischen Skizzen, die eine Parallelität der Geschichte des Design und der Geschichte der Institutionskritik vorstellbar werden lässt.

MEHR SPIELRAUM GEGEN DAS VERBRECHEN

In seinem Aufsatz "Design and Crime" von 2002 lässt Hal Foster die kulturkritische These von der zunehmenden Ästhetisierung der Lebenswelt Revue passieren. Vom gesamtkunstwerklichen Anspruch des Jugendstils über die bereits von Jean Baudrillard beklagte "politische Ökonomie des Zeichens", die das Bauhaus zu verantworten habe, bis hin zu den von Bruce Mau gestalteten Büchern, die ein "intellektuelles Medium" in ein Design-Konstrukt verwandelt hätten, regiere Lifestyle die Welt: von Martha Stewart bis Microsoft, von Designerdrogen bis Designerbabys. In Gestalt des Designs nehme schließlich der neoliberale Kapitalismus Rache an der Postmoderne. Dagegen wird noch einmal die Wiener Moderne beschworen, als Adolf Loos und Karl Kraus rigoros für funktionale Unterscheidungen und gegen oberflächliche Behübschungen eintraten. Foster übernimmt sogar Loos' emphatische Gleichsetzung von Ornament und Verbrechen und fordert mit Kraus mehr kulturellen "Spielraum" ein, der in der Fähigkeit begründet liege, eine Urne von einem Nachttopf unterscheiden zu können.

Dass sich Loos' eigene "Designs", insbesondere seine grandiosen Innenraumgestaltungen und Inneneinrichtungen, kaum weniger "totalitär" ausnehmen als die des Jugendstils, mag in diesem großzügig skizzierten Panorama der modernen Welt kaum ins Gewicht fallen. Schwerer dürfte allerdings wiegen, dass viele Künstler und Künstlerinnen, die sich durchaus der kritischen Tradition von Moderne und Avantgarde zurechnen, und speziell jene, die heute unter dem Namen "Institutional Critique" verhandelt werden, ein ganz anderes Verhältnis zum Design aufweisen. Nicht nur arbeiten viele von ihnen berufsmäßig oder künstlerisch als Gestalter/innen von Katalogen oder Ausstellungen, sie thematisieren Layouts und Displays von Informationen, rekonstruieren die historischen Austauschverhältnisse zwischen Kunst und Design und reflektieren die strategischen Implikationen, die das Design als Teil der Popkultur für die gesellschaftliche Situierung der eigenen künstlerischen Arbeit bedeutet. Thesenhaft zugespitzt könnte man formulieren, dass der Bezug auf das Design sogar konstitutiv ist für die Institutional Critique als künsderische Praxis. Während also Künstler und Künstlerinnen seit den sechziger Jahren kontinuierlich den Raum zwischen Kunst und Design auszuleuchten versucht haben, ist die Theorie in den alten modernistischen Oppositionen verfangen, die ein rein negativer Design-Begriff mit sich führt. Noch die entschiedenste Rhetorik hilft nicht über deren argumentative Schwachstellen hinweg.

Die Welt als vom Design verseucht zu begreifen, ist selbst Ausdruck eines totalisierenden Anspruchs, diese Welt eben als Ganze begreifen zu wollen. Der Kapitalismus erscheint hier als Agent dieser Ganzheit und die Ästhetisie-rung als seine schlagendste Waffe. Nicht nur genügt ein Blick auf die längst in den Zentren angekommenen Peripherien dieser Welt, um die These der totalen Ästhetisierung infrage zu stellen. In der Argumentationsstruktur selbst reproduziert sich die alte gnostische Weltsicht von der totalen Verkommenheit der irdischen Welt, die nur in Bezug auf das wahre innere Feuer überwunden werden kann. Gerade darin gehen jedoch jene Spielräume verloren, die Foster inhaltlich einfordert.

"Design and Crime" wirft also eine Menge theoretischer, historischer und letztlich auch kunstkritischer Probleme auf, insbesondere was das Verständnis wichtiger Segmente zeitgenössischer Kunst betrifft.1 Sich so ungebrochen auf Adolf Loos zu berufen ist nicht nur wegen der geschlechterpolitischen Implikationen von dessen Rhetorik problematisch,2 sondern auch, weil diese Rhetorik, nicht anders als die von Louis Sullivan, selbst zutiefst in evolutionistisch-biologistischen Vorstellungen vom puren Funktionieren verstrickt ist. Die funktionsästhetische Argumentation ist generell noch viel zu wenig in ihren sozialdarwinistischen Implikationen erforscht, gerade weil die kritische Tradition es lange versäumt hat, sich mit den historisch gewordenen Voraussetzungen und Implikationen der eigenen Rhetorik auseinander zu setzen. Die Kehrseite der Kritik, jener zuweilen bizarre ideologische Raum, in dessen Namen sie geführt wird, ist nicht mehr auszublenden, will Kritik ihrem Namen heute noch gerecht werden. Peter Bürgers emphatischer Begriff der "Lebenspraxis", den die Avantgarde angeblich anpeilt, wäre ein weiteres Beispiel für solche Vorstellungen, in denen Entdifferenzierung und der Verlust der Spielräume als anstrebenswertes Ziel kritischer Praxis erscheinen.

Auch die historische Genealogie, die Foster im Anschluss an T. J. Clarks "bad dream of modernism" zeichnet, dass sich nämlich alle utopischen Träume der Moderne früher oder später als eine Art Ersatzteillager spätkapitalistischer Akkumulation erwiesen hätten, ist bedenkenswert. Freilich ist das Faktum nicht zu leugnen, dass die historischen Avantgarden zwischen Konstruktivismus und Surrealismus ein Set an visuellen Methoden bereitstellten, von denen Werbung, Mode und Videoclips bis heute zehren. Doch ob sich diese "Fakten" wirklich nur als tendenzieller Verfall künsderischer Integrität, Hand in Hand gehend mit dem institutionellen und kommerziellen Erfolg verstehen ließen, erscheint mir zweifelhaft. Vielleicht sind Integrität und Widerständigkeit immer schon etwas überschätzt worden, entsprechend den idealisierten Selbstbildern der Künstler und Künsderinnen. Und vielleicht waren die originalen Träume selbst schon vielfach problematisch, was die Visionen von geschlossenen Gemeinschaften oder von einem "Neuen Menschen" ebenso betrifft wie diejenigen von absolut spontanen, unmittelbar ablaufenden Gestaltungsprozessen. Die Vorstellung, dass sich solche Ziele mit etwas abstrakter Grafik promoten ließen, war wohl nicht weniger krude. Demgegenüber lässt sich doch in jedem Fall davon ausgehen, dass zwischen dem visuellen Vokabular und dem utopischen Denken letztlich immer schon mehr Differenz im Spiel war, als gemeinhin angenommen. Und gerade diese Differenz verhindert letztlich, die Moderne nicht als eindimensionale Verfallsgeschichte wahrer Gesinnung zu begreifen, sondern als ein vielschichtiges Bild der Durchdringung künstlerischer und ideologischer, ästhetischer und politischer Fragestellungen, die immer wieder neu verhandelt werden und ihr eigenes Historisch-Werden reflektieren müssen. Und wäre eine Kunstgeschichte des Designs nicht genau der Ort, diese Differenzen und Durchdringungen als kulturelle Spielräume zu adressieren?

Dies würde voraussetzen, die Spaltung von Kunst und Design nicht als rigide oppositionellen Dualismus zu denken, sondern als ein bipolares Beziehungsgeflecht,3 in dem sich unterschiedliche Optionen dessen ausdrücken, was innerhalb bürgerlicher Gesellschaften als Kunst gelten kann, und das selbst einen gewissen kulturellen Spielraum definiert, innerhalb dessen zu verhandeln ist, wie zwischen Autonomie und Funktion, Selbstverwirklichung und Auftragsarbeit, Produktion und Kritik differenziert werden kann. Die Unterscheidung sollte also nicht kategorisch zwischen Kunst und Design gefallt werden sondern innerhalb des Kontinuums von Kunst und Design mit seinen jeweiligen politischen und ästhetischen Implikationen. Statt der rigiden Trennung käme es darauf an, subtilere Unterscheidungen einzuführen, was Kunst und Design jeweils zu leisten imstande sind, wo die Differenzen und die Gemeinsamkeiten liegen könnten, was voneinander zu lernen wäre und wie überhaupt historisch ihre Ausdifferenzierung zustande gekommen ist.

REFORMEN DES DESIGNS

Auffallend ist, dass sich erst in den fünfziger Jahren die kategorische Trer nung von Kunst und Design durchgesetzt hat, die bis heute für Verwirrung sorgt Explizit sogar eher von Seiten des Designs, wofür die Hochschule Gestaltung in Ulm ein gutes Beispiel ist, die keine Künstler/innen mehr innerhalb ihres streng wissenschamich-funktionellen Kanons dulden wollte -worin sich gerade in der Negativfolie der Triumph eines substanziellen, vc jeder Handwerklichkeit gereinigten Kunstbegriffs ausdrückt. Demgegenüber waren im Gestaltungsbegriff des Bauhauses oder im Konstruktionsbegriff sowjetischen Produktivismus die Grenzen zwischen Architektur, Kunst und Design extrem durchlässig. Während der Begriff "Design" durch seine Herkunft aus der Kunsttheorie der Renaissance ("disegno") noch auf eine Einheit der Künste verweist, die sich der Zeichnung verdanken, und damit einen Prozess des Entwerfens, Skizzierens oder Formfindens anzeigt, lässt "Gestaltung", angeregt vom Grundkurs des Bauhauses, eher an plastische Herangehensweisen denken, die allerdings mühelos vom spielerischen Umgang mit Formen auf die Handhabung gesellschaftlicher Verhältnisse übertragbar schienen. Die Übergänge zwischen diesen Begriffstraditionen sind äußerst fließend. Für beide, Gestaltung wie Design, sind die generelle Orientierung an der Industrialisierung4 und der sozialreformerische Impetus entscheidend, verbunden mit einer mehr oder minder expliziten Bezugnahme auf die Geschichte der utilitaristischen Ästhetik, dies gegenüber dem Autonomieanspruch der Kunst und ihrer "revolutionären" politischen Rhetorik, für die nicht erst seit Duchamp, sondern bereits seit der Romantik der Aspekt des "Gestaltens" zunehmend an Wert verlor. Vielleicht ließen sich Kunst und Design als komplementäre Größen verstehen, in denen sich unterschiedliche Bedürfnisse oder gar "Regime des Ästhetischen" innerhalb der bürgerlichen Welt ausdrücken.

Der gesellschaftspolitische Reformanspruch des Designs ging nicht ohne inneren Zwiespalt zwischen idealistischem Anspruch und sozialtechnologischer bzw. marktgerechter Wirklichkeit ab. Hinzu kommt, dass sich mit der gleichzeitigen Durchsetzung der postfordistischen Ökonomie, der postmodernen Kultur und der neuen Technologien seit den siebziger Jahren zusehends soziale Zielsetzungen aus den Konzeptionen des Designs verloren. Heute herrscht ein enormer Anpassungsdruck an vermeintlich ökonomische Notwendigkeiten. Gerade der Erfolg des Designs als Leitdisziplin der Dienst-leistungsökonomien hat seine inhärente politische Funktion unterhöhlt. Selbst die Kritik an Marken, Corporate Identities und den neoliberalen Selbst-Designs nimmt heute als "No Logo" oder im Gewand von zugespitzten Theorie-Designs tendenziell markenförmige Gestalt an. Und umgekehrt taucht die Kritik als Guerilla-Marketing in vielen Designkonzepten großer Marken auf. Dabei hat der Design-Begriff selbst weitgehend seine konstitutive Spannung verloren, einen Ausgleich zwischen Auftrag und Autorschaft zu finden bzw. sich als kritische Praxis innerhalb der expandierenden digitalen visuellen Kultur zu behaupten.

Ohne also die inneren Widersprüche der Disziplin auszublenden, kann es doch darum gehen, auf deren Potenziale zwischen Methodik und alltagskultureller Kompetenz hinzuweisen. Die Frage bleibt, ob sich zwischen Medien, Popkultur und der Welt der global agierenden Konzerne noch "kulturelle Spielräume" für das Design finden lassen und inwieweit das interdisziplinäre Modell des Designs und sein historischer, sozialreformerischer Anspruch noch Ausgangspunkt sowohl für ein kritisches als auch für ein künstlerisches Interesse sein können.

INTERDISZIPLINÄR STATT ÜBERSCHREITUNG

Ausgangspunkt einer "Designgeschichte der Institutional Critique" müsste sicherlich Dan Grahams wegweisender Aufsatz "Art as Design, Design as Art" von 1986 sein. Seine Bedeutung für viele jüngere Künstler und Künstlerinnen lag vor allem darin, dass er die Geschichte der Pop Art, die Architektur von Robert Venturi und die Konzeptkunst zwischen On Kawara und John Knight in den Zusammenhang der Kunst-und-Design-Fragestellung stellte, ohne diesen Rahmen allerdings wirklich zu explizieren. Den Titel hatte Graham von Sterling Mc Ilhanys? 1970 in New York erschienenem Buch "Art as Design: Design as Art. A Contemporary Guide" endiehen, das über eine Aufzählung von Berührungspunkten im Gefolge der Pop Art nicht hinausgekommen war. Grahams Aufsatz hingegen lässt einen interdisziplinären Raum wechselseitiger Bezugnahmen aufscheinen, der zumindest implizit deudich von der Überschreitungslogik avantgardistischer Kunst abgegrenzt wird. Interdisziplinarität ist nun sowohl hinsichdich der methodischen Selbstbestimmung des Designs von Bedeutung als auch in Bezug auf das Verständnis von Institutional Critique als einer verschiedene gesellschaftliche Felder und kulturelle Artikulationen verbindenden oder konfrontierenden Praxis.

Was bei Graham allerdings fehlt, ist jene sozialreformerische Geschichte des Designs selbst, die sich in den sechziger/siebziger Jahren im Namen einer "Visuellen Kommunikation" als kritisches Instrumentarium im Umgang mit der zeitgenössischen visuellen Kultur von Neuem zu empfehlen suchte. Als solche ist ihre Beziehung oder auch ihr Einfluss auf die Geschichte der konzeptuellen Kunst noch viel zu wenig untersucht. Denn nicht nur die offensichtlichen Bezüge wie On Kawaras Postkarten oder John Knights "Journal Piece", die Graham diskutiert, sondern ebenso die Streifen Daniel Burens, die Informationstafeln von Hans Haacke und selbst die puristischen Interventionen von Michael Asher lassen sich mit Blick auf diese Geschichte lesen, von der konkreten Poesie, der Mallarme'schen Moderne5 insgesamt und deren "typografischer" Bedeutung etwa für die Arbeit von Marcel Broodthaers einmal abgesehen. Gerade der antiformalistische Impuls der Konzeptkunst hat sie nach "außerkünstlerischen" Quellen für die eigenen Taktiken und Präsentationsformen suchen lassen.

Die formale Frage der Institutional Critique scheint mir daher ohne Bezug auf die Geschichte des Designs gar nicht fassbar. Es handelt sich ja keineswegs um rein ideelle Interventionen, sondern um ein Set an Methoden, die von der didaktischen Anordnung von Informationen über spezifische visuelle Kommunikationsstrategien bis hin zu Identitätsfragen hinsichdich der eigenen Arbeit, etwa als "Dienstleistung" an der einen Projektauftrag vergebenden Institution, reichen. Darin deutet sich bereits an, dass dieser Blick auf das Design sich nicht auf formale Fragen beschränkt, sondern durchaus auch hinsichdich des Autorschaftsmodells, des Status von Kritik, den eine gestalterische oder künsderische Arbeit beanspruchen kann, und sogar für das Verständnis des Institutionellen im Allgemeinen für die Institutional Critique von Interesse sein kann.

Gestaltung als Kunst hat heute schnell den Ruch des Kunstgewerblichen. Nur formale Strenge oder das Kritische gelten als Gewähr dagegen. Doch auch die Kritik muss auf die eine oder andere Art gestaltet sein. Es kann keine reine Dekonstruktion ohne zumindest Elemente von Konstruktion geben. Es geht um die Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Zwecke, der künstlerischen und der politischen Absichten. Auch hier sind keine prinzipiellen Entscheidungen, sondern Balancen gefragt. Von welcher Position aus wird die Kritik geübt und in welchem Namen? Spricht sie für sich selbst oder für andere, und was würde dabei den Unterschied ausmachen? Wie wäre Kritik als Kritik von Kritik als Kunst und diese wiederum als Kritik an anderer Kunst von purer Konkurrenz unter Künstlern und Künstlerinnen abzugrenzen? Gerade die reine kritische Position, die sich außerhalb gesellschaftlicher Bedingungen imaginiert, tendiert leicht ins Idealistische und bleibt obendrein gerade hinsichtlich der Verhältnisse der eigenen Sprechposition äußerst unklar. Das Autorschaftsmodell des Designs, des Films und anderer populärkultureller Bereiche, das darin besteht, sich auf die gegebenen Verhältnisse einzulassen, ohne sich ihnen auszuliefern, ist im Vergleich dazu nicht per se korrupt.6 Denn die Auseinandersetzung um Produktionsmittel, finanzielle Bedingungen, arbeitsteilige Produktionsprozesse, künstlerische Kontrolle und kritische Inhalte gewissermaßen von "innen" her zu führen, scheint mir eher die Voraussetzung von Kunst, Design und kritischem Denken zu sein als deren Ende.

Allerdings kippen nicht nur abstrakte Bilder, sondern auch kritische Kunstpraktiken leicht in den Dekor, und der Grat zwischen einem Sich-Ein-lassen auf die Verhältnisse und einem Sich-ihnen-Ausliefern ist denkbar schmal und selbst historischer Veränderung unterworfen. Doch selbst bei Daniel Buren, wo doch so evident zu sein scheint, wie ein situatives Zeichen, das in den sechziger Jahren nur als Indikator für einen Eingriff fungierte, sich über die Jahrzehnte hinweg mehr und mehr in ein Element von Gestaltung verwandelt hat, wäre eine ausschließlich an der Logik von Ornament und Verbrechen orientierte Lesart voreilig. Immerhin transportieren Burens Streifen ihre eigene Geschichtlichkeit, verweisen in ihrer offensichtlichen Gestaltetheit immer noch auf ein Anderes und benutzen ihr eigenes Dekorativsein zur Herstellung selbstreflexiver Situationen.

Auch die Rede von den "Services", mit der in den frühen neunziger Jahren versucht wurde, die Rolle von Künsdern und Künstlerinnen innerhalb der Institution affirmativ zuzuspitzen, vereindeutigt - als Gegenbegriff zur reinen Kritik - die Sachlage zu sehr. Die unterschiedlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses innerhalb und mit der Institution wurden längst produktiv gewendet, etwa sich den Einladungskarten und Ankündigungen zuzuwenden (Robert Barry), den eigenen Namen aus der Liste der Ausstellungsteilnehmer streichen zu lassen (Christopher D'Arcangelo), kleine Geschenke für die Besucher/innen zu entwerfen (Louise Lawler) oder das Ausstellungs- oder Katalogdesign als eigenen künsderischen Beitrag zu begreifen.7 Das potenzielle Problem all dieser Ansätze liegt nicht im Design, sondern im Selbstverständnis als künstlerische Arbeit, nämlich in diesen Praktiken einfach ein neues Arbeitsfeld oder Genre innerhalb des Kunstbetriebs zu erkennen oder darin eine eindimensionale Service-Funktion ähnlich der der Putzkolonne oder der Aufsicht zu sehen. Hier kommt es leicht zu idealistischen, projektiven Identifizierungen. Was diese Arbeiten andererseits so toll macht, ist gerade das Spannungsverhältnis zwischen institutioneller Logik und künstlerischem Eingriff und nicht das Beziehen einer einmalig als richtig erkannten Position. Nur wo diese Spannung erhalten bleibt, können diese Eingriffe letztlich auch als "Werke" fungieren, was insofern wichtig ist, als auch die Überschreitung des Werks wie der Kunst insgesamt eben immer noch von dem zehrt, das überschritten werden soll, und deshalb nicht wirklich in einem Jenseits davon ankommen kann. Das kann immerhin zum Anlass genommen werden, das Werk zwar nicht mehr als autonome Ganzheit, so doch als Schnittstelle zu betrachten, an der sich Diskurse und Praktiken, institutionelle und gestalterische Initiativen kreuzen.

GESTALTUNG ALS INSTITUTION

Der Begriff "Institutional Critique" beinhaltet eine Unklarheit darüber, auf welches Verständnis von Institution er bezogen ist, ob er mit Institutionen die konkreten Häuser wie Museum, Kino oder Galerie meint und es um deren Auswahl- und Präsentationspolitiken geht oder ob es im Sinne Peter Bürgers gegen die Institution Kunst im gesamten gehe, der die Avantgarde im Namen der Lebenspraxis entgegenträte oder aber im Sinn anarchistischer Politik gegen jede Form von Institution überhaupt. So wie Bakunin sagt, dass er nicht für eine bessere Konstitution sei, sondern für gar keine. Zweifellos ist die Vorstellung eines institutionsfreien Raums, der als das unmittelbare, authentische Leben vor jeder Gesellschaftlichkeit aufgeladen wird, aus biopolitischer Sicht äußerst problematisch. Cornelius Castoriadis hatte schon zu Beginn der siebziger Jahre darauf aufmerksam gemacht, dass die Vorstellung einer sich selbst vollkommen transparenten Gesellschaft keine Utopie, sondern eben gar keine Gesellschaft sei und dass die Kritik an den gesellschaftlichen Institutionen selbst immer schon instituierend wirke.8 Dementsprechend thematisieren die meisten der als "Institutional Critique" beschriebenen Praktiken auch Prozesse zwischen den "Häusern" und dem gesellschaftlichen Feld, in dem diese wirken; zumeist geht es um Innen/Außen-Verhält-nisse, um ein Sichtbarmachen von institutionellen Prozessen (Daniel Buren, Michael Asher), ökonomischen Bedingungen und Verflechtungen (Hans Haacke), um Vorstellungen von Öffendichkeit und Privatheit und den diesen entsprechenden verschiedenen räumlichen Funktionen, aber auch um identitätsbildende Prozesse und die Teilhabe des Publikums an der Institution (bei Andrea Fraser etwa oder in Fareed Armalys "Orphee 1990"). Die Dynamiken zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Feldern, die Ein- und Ausschlusslogiken der Institutionen sind zunehmend ins Rampenlicht der Untersuchungen getreten.

Auch von Seiten des Designs ist der unmittelbar politische Gestaltungsanspruch an die Gesellschaft, wie er von den Anfängen der "Arts and Crafts"-Bewegung bis zur Hochschule für Gestaltung in Ulm prägend war, problematisch geworden. Dass mit etwas Ornament oder mehr Licht und Grünflächen die Gesellschaft nachdrücklich verbessert und letzdich die Revolution vermieden werden könne, klingt heute ziemlich naiv.9 Dennoch bleibt die Frage, wie man Gestaltung verstehen könne, zwischen angepasstem Logodesign einerseits und Fantasien gesellschaftlicher Machbarkeit andererseits, und ob die Reformgeschichte des Designs im Unterschied zur ebenso metaphorischen Revolutionsgeschichte der Kunst nicht zumindest den Vorteil verspräche, den Begriff der Institution anders zu fassen, als instituierende Größe im Sinne von Castoriadis etwa. Das Institutionelle und das Instituierende verschwinden hier nicht als Gegensätze und bleiben doch aufeinander bezogen, als immer zu gestaltender sozialer Raum, der nie einfach vorhanden ist, sondern sich immer zwischen Kritik und Setzung realisieren muss. Das entspräche eher dem interdisziplinären Modell als dem der Überschreitung. Kritik erscheint darin nicht als ein absoluter Werthorizont, sondern als ein produktiver Faktor, der mehr kulturelle Spielräume eröffnet als verschließt.


Anmerkungen

  • 1 Aber auch kunsthistorische Probleme, denn Loos suchte mit seiner apodiktischen Behauptung eine komplexe Auseinandersetzung über das Ornament zu beenden, wie sie zwischen Semper, Riegl und Worringer über das Primat von Technik oder Gestaltung, Abstraktion oder Realismus geführt wurde, und letztlich die Kunstgeschichte als akademische Disziplin begründet hat.
  • 2 Das Ornament ist in Loos' Text "Ornament und Verbrechen" (1908) klar weiblich konnotiert, wie überhaupt die Analogie zu Weinigers "Geschlecht und Charakter" (1903) auffallend ist.
  • 3 Zur Kritik an rigide dualistischen Konzepten aus der Sicht der Psychoanalyse, siehe: Wolfgang Trauth, Zentrale psychische Organisations- und Regulationsprinzipien und das psychoanalytische Verständnis von Abwehr und Regulation, München 1997, bes. S. 64-131.
  • 4 Durchaus auch in Form von Gegenbewegungen.
  • 5 S. dazu: Jean-Francois Chevrier, Art and Utopia. Action Restricted (Ausstellung im MACBA, Barcelona, 2004); das Buch soll demnächst erscheinen.
  • 6 "Künstlerischer Ausverkauf ist Thema in vielen Filmen, wie Billy Wilders "Sunset Boulevard", Antonionis "La Notte" oder Godards "Le Mepris".
  • 7 Judith Barry / Ken Saylor; Julie Ault / Martin Beck, zurückgehend auf Marcel Duchamps Ausstellungsdesigns der dreißiger Jahre, die gleichzeitig die Paradigmen der so genannten "Installationskunst" geworden sind.
  • 8 Vgl. Cornelius Castoriadis, Gesellschaft als imaginäre Institution, Frankfurt/M. 1974.
  • 9 In diesem Sinn: Le Corbusier, Vers une architecture, 1920.