Der Sand, auf dem wir uns fläzen, besteht großteils aus Siliziumdioxiden. Wenn ich mich aufrichte, kann ich das Meer sehen. Es ist ruhig und vernarbt, sein Gefrierpunkt liegt bei -1,9°C. Ich blicke auf eine wässrige Lösung, angereichert mit Sulfiten und anderen Mineralien, sowie atmosphärischen Gasen wie Kohlendioxid und Sauerstoff. Sand und Wasser sind zwei der Komponenten, aus denen die Oberflächentextur dieses Planeten besteht.
Ich strecke meine Hand nach deinem Gesicht aus. Die Haut auf deiner Wange ist straff. Sie reagiert umgehend auf jede meiner Handbewegungen. Berühre ich dich mit der Spitze meines Zeigefingers, richten sich die darin befindlichen Elektronen und die in deiner Epidermis aneinander aus. Du nimmst es wahr, wenn ich meinen Finger auf ihr wandern lasse. Du verortest mich.
Unsere Oberflächen berühren sich und gehen unmerklich ineinander über, nicht unähnlich dem steten Austausch, der zwischen Strand und Meer stattfindet. Kleinste Teile schließen sich der jeweils anderen Materiehäufung an. Die Oberflächen sind gebrochen, von feinen Adern durchzogen.
Vielleicht liegt es an der Sonneneinstrahlung, jedenfalls erscheint mir deine Haut heut so ebenflächig und gläsern. Hier im Sand liegen wir gemeinsam mit ihrem Ursprung. Glas ist eine amorphe Substanz, eine gefrorene, unterkühlte Flüssigkeit. Den Atomen, aus denen die Substanz besteht, wurde die Beweglichkeit geraubt, bevor sie sich zum Kristall anordnen konnten. Deine Haut ist nicht flüssig, nicht fest, auch nicht einfach nur dazwischen. Sie hat ihren eigenen Aggregatzustand.
Ihre Zerbrechlichkeit ist sprichwörtlich.
Nur ganz selten frage ich mich, was sich darunter verbirgt, was in dir vorgeht. Dann suche ich nach einer Antwort in deinen großen, müden Augen. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwas sagt mir, dass sich dort etwas von Bedeutung finden ließe. Die Augen sind die einzigen Organe deines Körpers, die die Fähigkeit besitzen zu spiegeln und so werfen sie mich gnadenlos auf mich selbst zurück, immer wenn ich ihnen zu nahe komme.
Einmal aber konnte ich meinen Blick umlenken auf etwas anderes als mein Zerrbild, etwas leicht versetzt daneben. Vermutlich war mein Blick zu fest, denn sofort zersprang es oder zerfloss und zog sich zurück ins Mesomorphe. Unzählige diskoide, pyramidoide, sanidische, polycatenare und gebogene Moleküle führten einen Tanz auf, um sich nicht ihrer Definition aussetzen zu müssen. Flüssigkristalle als Phasen amorpher Körper.
Ich nannte es Interface.
Da versprach es mir, mich zu führen in den Strukturen in der Tiefe, in denen ich mich auf mich allein gestellt verlieren würde. Das sollte sich als undurchschaubare Allianz erweisen, trat das scharfkantige Agens doch nur unter der Bedingung mit mir in Kontakt, dass die Spiegelwand immer zwischen uns bliebe. Diese Barriere nutzte es um am Rand meiner Wahrnehmung zu flimmern. Scheinbar hatte es mich schon zurückgelassen, nicht aber ohne vorher hier und da krustige Ankerhaken gesetzt zu haben, gerade so viele wie nötig waren, um mich nicht an das wabernde Dickicht (von Zeit zu Zeit eher ein dickichtes Wabern) zu verlieren. In bestimmten Abständen kehrte es zurück in mein Bewusstsein, indem es mein Blickfeld mit einem schleimigem Film überzog. Bald wurde mir schwindelig, meine Sicht wurde schwerfällig und ich schloss die Augen vor Anstrengung.
Nachdem dieser Versuch nun - ich weiß nicht zum wievielten Mal - gescheitert ist, verlagere ich meinen Fokus wieder aufs Ganze deiner Person.
Ich schaue dich an. Und ich merke: Von allem, was du bist, interessiert mich nur das - die Oberfläche.
