Samuel Beckett und Georges Duthuit über Bram van Velde
B Franzose, schießen Sie zuerst!
D Im Zusammenhang mit Tal Coat und Masson erwähnten Sie eine Kunst, die sich nicht nur von ihrer, sondern von jeder anderen bis auf den heutigen Tag geschaffenen Kunst unterscheide. Habe ich recht, wenn ich annehme, daß Sie an Bram van Velde dachten, als Sie diesen radikalen Unterschied machten?
B Ja. Ich glaube, daß er der erste ist, der eine gewisse Lage hinnimmt und in ein gewisses Handeln einwilligt.
D Wäre es zuviel verlangt, wenn ich Sie bäte, noch einmal und so einfach wie möglich Bram van Veldes Lage und Handeln in Ihrer Sicht zu erklären?
B Es ist die Lage eines hilflosen Menschen, der nicht handeln, in diesem Falle nicht malen kann, obgleich er malen muß. Es ist das Handeln eines Menschen, der hilflos, unfähig zu handeln, dennoch handelt, in diesem Falle malt, da er malen muß.
D Warum muß er malen?
B Ich weiß nicht.
D Warum ist er unfähig zu malen?
B Weil es nichts zu malen gibt und nichts, womit man malen kann.
D Und das Ergebnis ist Ihres Erachtens eine neue Art von Kunst?
B Unter denen, die wir große Künstler nennen, wüßte ich keinen, dessen Hauptinteresse nicht seinen expressiven Möglichkeiten, denen seines Mediums und denen der Menschheit, galt. Es ist eine aller Malerei zugrunde liegende Annahme, daß der Bereich des Schaffenden der Bereich des Möglichen ist. Das Viele, was auszudrücken ist, das Wenige, was auszudrücken ist, die Fähigkeit, viel auszudrücken, und die Fähigkeit, wenig auszudrücken, münden in dem allgemeinen Drang, nach Kräften möglichst viel oder möglichst wahr oder möglichst schön auszudrücken, was ...
D Einen Moment! Wollen Sie damit etwa sagen, daß Bram van Veldes Malerei inexpressiv sei?
B (vierzehn Tage später) Ja.
D Ist Ihnen klar, daß diese Behauptung absurd ist?
B Das hoffe ich.
D Was Sie sagen, läuft auf folgendes hinaus: die Ausdrucksform, die unter dem Namen Malerei bekannt ist, da wir aus dunklen Gründen von Malerei sprechen müssen, hatte auf Bram van Velde zu warten, um von dem Irrtum befreit zu werden, in dem sie sich so lange und so wacker abgemüht hatte, dem Irrtum, daß es ihre Aufgabe sei, mittels Farbstoffen etwas auszudrücken.
B Andere haben gemerkt, daß Kunst nicht notwendigerweise Ausdruck ist. Aber die zahlreichen Versuche, die Malerei unabhängig von ihrem Anlaß zu machen, führten nur dazu, ihr Repertoire zu erweitern. Ich möchte sagen, daß Bram van Velde der erste ist, dessen Malerei des Anlasses in jeder Gestalt und Form, sowohl des ideellen als auch des materiellen, beraubt oder, wenn Sie wollen, entledigt ist, und der erste, dessen Hände nicht durch die Gewißheit gebunden sind, daß Ausdrücken eine unmögliche Handlung ist.
D Aber, könnte man nicht, selbst wenn man diese phantastische Theorie gelten ließe, womöglich sagen, daß der Anlaß seiner Malerei gerade sein Dilemma ist, und daß seine Malerei ein Ausdruck der Unmöglichkeit auszudrücken ist?
B Es könnte keine geistreichere Methode ersonnen werden, um ihn heil und gesund an den Busen des Heiligen Lukas zurückzubringen. Aber wir wollen für einmal leichtsinnig genug sein, nicht den Rückzug anzutreten. Alle sind wohlweislich vor der letzten Entäußerung zurückgewichen, zurück zum bloßen Elend, wo notleidende, tugendhafte Mütter für ihre hungernden Bälger Brot stehlen mögen. Es besteht mehr als ein Gradunterschied zwischen Mangel leiden, Mangel an Welt, Mangel an eigenem Ich, und ganz ohne diese geschätzten Artikel sein. Das eine ist ein Dilemma, das andere nicht.
D Aber Sie haben bereits vom Dilemma Bram van Veldes gesprochen.
B Das hätte ich nicht tun sollen.
D Sie neigen mehr zu der reineren Ansicht, daß hier endlich ein Maler ist, der nicht malt, der nicht vorgibt zu malen. Hören Sie mal, mein Lieber, geben Sie irgendeine zusammenhängende Erklärung ab und verschwinden Sie dann.
B Würde es nicht genügen, wenn ich einfach verschwände?
D Nein. Sie haben begonnen. Führen Sie es zu Ende. Beginnen Sie nochmal und fahren Sie fort, bis Sie zu einem Ende gekommen sind. Darin verschwinden Sie. Und versuchen Sie, daran zu denken, daß wir weder über Sie noch über den Sufisten Al-Hagg sprechen, sondern über einen gewissen Holländer namens Bram van Velde, der bisher irrtümlicherweise als artiste peintre bezeichnet wurde.
B Wie wäre es, wenn ich zuerst sagte, was er in meiner Vorstellung vor allem ist und tut, und dann, daß es mehr als wahrscheinlich ist, daß er etwas ganz anderes ist und tut? Wäre das nicht ein sehr guter Ausweg aus all unserer Bedrängnis? Er glücklich, Sie glücklich, ich glücklich, alle drei überschäumend vor Glück.
D Tun Sie, was Sie wollen. Aber werden Sie fertig damit.
B Es gibt viele Arten, auf die vergeblich versucht werden mag zu sagen, was ich vergeblich zu sagen versuche. Ich habe, wie Sie wissen, sowohl öffentlich als auch privat, unter Zwang, aus Kleinmut oder aus Schwachsinn wohl zwei- oder dreihundert probiert. Die pathetische Antithese Besitz-Armut war vielleicht nicht die müßigste. Aber wir werden es leid, nicht wahr? Die Einsicht, daß Kunst immer bourgeois war, ist, obgleich es unseren Schmerz angesichts der Errungenschaften der gesellschaftlich Fortschrittlichen betäuben mag, letztlich von geringem Interesse. Die Analyse der Beziehung zwischen dem Künstler und seinem Anlaß, einer Beziehung, die immer für unerläßlich erachtet wurde, scheint auch nicht sehr ergiebig gewesen zu sein, was vielleicht daran lag, daß sie sich in Erörterungen der Natur des Anlasses verlor. Es ist offensichtlich, daß für den von seiner expressiven Berufung besessenen Künstler alles und jedes dazu verurteilt ist, Anlaß zu werden, selbst, wie es offenbar bis zu einem gewissen Grad bei Masson der Fall ist, die Jagd nach dem Anlaß und die >Jedem-Mann-seine-eigene-Frau<-Experimente des geistigen Kandinsky. Keine Malerei ist praller als die Mondrians. Aber wenn der Anlaß als Bezugspunkt sich als eine veränderliche Größe erweist, so gilt das kaum weniger für den anderen Bezugspunkt, den im Wirrwarr seiner Moden und Haltungen ratlosen Künstler. Die Einwände gegen diese dualistische Betrachtung des schöpferischen Prozesses überzeugen nicht. Allen Stürmen gewachsen sind: einerseits die Nahrung, von Obst in Schalen bis zu niederer Mathematik und Selbstbemitleidung, und andererseits die Art, sie zu genießen. Was uns allein interessieren sollte, ist die zunehmende Unsicherheit der Beziehung selber, die sozusagen mehr und mehr getrübt wird durch unser Gefühl für ihre Gebrechlichkeit, ihre Unzulänglichkeit und ihre Beharrlichkeit, mit der sie auf Kosten all dessen, was sie ausschließt, all dessen, für das sie blind macht, existiert. Die Geschichte der Malerei - da sind wir wieder - ist die Geschichte ihrer Versuche, diesem Gefühl des Scheiterns aufgrund von echteren, umfassenderen und weniger ausschließenden Beziehungen zwischen Darsteller und Dargestelltem zu entgehen, und das kraft einer Art Tropismus auf ein Licht zu, über dessen Wesen die besten Meinungen immer noch auseinandergehen, mit einer Art von pythagoräischem Schrecken, als wäre das Irrationale von pi eine Beleidigung der Gottheit, geschweige denn ihres Geschöpfes. Da ich auf der Anklagebank sitze, plädiere ich dafür, daß Bram van Velde der erste war, der von diesem ästhetisierten Automatismus abließ, der erste, der sich ganz dem unbezwingbaren Fehlen von Beziehung unterwarf, wegen des Fehlens von Bezugspunkten oder, wenn Sie wollen, angesichts nicht verfügbarer Bezugspunkte, der erste, der eingestand, daß Künstler sein in einem Maße scheitern ist, wie kein anderer zu scheitern wagt, daß das Scheitern seine Welt ist und seine Weigerung Desertion, Kunstgewerbe, gute Haushaltsführung, leben. Nein, nein, lassen Sie mich zu Ende kommen. Ich weiß wohl, daß man, um sogar diese schreckliche Sache zu einem annehmbaren Abschluß zu bringen, jetzt nichts anderes zu tun braucht, als aus dieser Unterwerfung, aus dieser Duldung, aus dieser Treue zum Scheitern einen neuen Anlaß zu machen, einen neuen Bezugspunkt und aus diesem unmöglichen und nötigen Handeln ein expressives Handeln, sei es auch nur von sich selber, von seiner Unmöglichkeit, von seiner Nötigkeit. Und da ich nicht soweit gehen kann, weiß ich, daß ich mich und mit mir vielleicht einen Unschuldigen in das versetze, was man, wenn ich mich nicht irre, eine wenig beneidenswerte, Psychiatern wohlvertraute Lage nennt. Was ist eigentlich diese farbige Fläche, die vorher nicht da war? Ich weiß nicht, was es ist, da ich nie etwas Ähnliches vorher gesehen habe. Es sieht jedenfalls so aus, als ob es nichts mit Kunst zu tun hat, wenn ich mich recht erinnere. (Will verschwinden.)
D Haben Sie nicht etwas vergessen?
B Das ist doch wohl genug?
D Ich dachte, daß Ihre Nummer zwei Teile haben sollte. Der erste sollte darin bestehen, daß Sie sagten, was Sie ... öh ... denken. Daß Sie das getan haben, will ich gern glauben. Der zweite ...
B (sich erinnernd, warmherzig) Ja, ja, ich bin im Irrtum, ich bin im Irrtum.