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22. November 2004, 03:15, Neue Zürcher Zeitung Possen und Intrigen Berliner Kulturpolitik entlang alter Gräben Seit der Wende war das zusammenwachsende Berlin ein Symbol für den Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Fünfzehn Jahre nach der Öffnung der Mauer zeigt sich an einem provinziell anmutenden Ost-West-Streit in der Kulturszene, dass die Identitätssuche ebenso schwierig ist wie der Versuch, eine ganz normale Stadt zu werden. Mit dem Slogan «Mir geht's Berlin» warben die hauptstädtischen Vermarkter vor einiger Zeit in ganz Deutschland für ihre Kapitale. Was sich andernorts wie schlichter Unsinn liest, umreisst an der Spree den ganzen Bewusstseinswandel von der Mauerfall-Euphorie bis zur Ernüchterung fünfzehn Jahre danach. «Mir geht's Berlin» - das beginnt mit dem tiefen Atemholen einer Metropolenwerdung und endet mit jenem so bedauernden wie erleichterten kleinen Seufzer, wenn man sich nach grosser Reise wieder im Kiez begrüsst. Denn in der Berliner Gemütsmelange machen Selbstgenügsamkeit und Widerwille gegen Veränderung nicht den geringsten Anteil aus. Vorbei die Zeit, in der sich für Berlin in der Rolle eines Vorzeigemodells der Wiedervereinigung die nationale Höchstleistung von selbst ergab. Der deutsch-deutsche Graben hat sich in den letzten Monaten weiträumiger aufgetan als zwischen zwei Stadtteilen. Zumal Ost- und Westberliner - bei aller Ungleichheit, die man sich mittlerweile offen zugesteht - im Alltag den Umgang miteinander pragmatischer gestalten müssen als anderswo. Selbst im Palast der Republik finden seit einigen Monaten Veranstaltungen statt, ohne dass damit gleich wieder alte Ressentiments oder Polemiken gegen das DDR-Volkshaus entflammen. Berliner «Miljöhs» Über ein Jahrhundert war man ständig irgendetwas Bedeutungsvolles: Stadt der goldenen zwanziger Jahre, Frontstadt, Laboratorium für die deutsche Wiedervereinigung, Tummelplatz für neue Architektur, Bühne fürs deutsch-deutsche Theater, Mekka der Popliteratur und Russendisko zwischen New York und Irkutsk. Nun erkennen die Bürger, dass Berlin auch bloss eine Stadt ist und der Regierende Bürgermeister nur der Kopf einer Kommunalverwaltung, die holprige Werbesprüche in Auftrag gibt. Aber natürlich wird Berlin immer etwas Besonderes sein. Mit der Finanzmisere wurde zudem offenkundig, dass die Kultur einen der wenigen übrig gebliebenen Pluspunkte der Stadt darstellt und dass ihr in Zukunft noch verstärkt eine tragende Rolle bei der Berliner Identitätssuche zukommen muss. Wo Kulturpolitik sich andernorts eher auf langweilige Verwaltungsarbeit beschränkt, schwingt sie sich hier - zwischen Ost und West, Bundeshauptstadt und Kommune, Off-Szene und bildungsbürgerlichen Einrichtungen, kulturellem Anziehungspunkt und berühmt- berüchtigtem Armenhaus - zum symbolischen Kampf um die Deutungshoheit verschiedener «Miljöhs» auf. Pünktlich zum fünfzehnten Jahrestag des Mauerfalls kam es über der Suche nach einem Generaldirektor für die Berliner Opernstiftung zum Eklat in der Kulturszene. Der - mittlerweile von seiner Position zurückgetretene - Feuilletonchef einer Lokalzeitung intrigierte gemeinsam mit dem Kultursenator, um einen missliebigen Kandidaten für den Posten aus dem Rennen zu werfen und dem erklärten Favoriten des Kultursenators, Michael Schindhelm, ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Abgesehen von der hier nicht zum ersten Mal offenkundig werdenden politischen Unbedarftheit Flierls, war die Aktion umso pikanter, weil der Journalist, der mit dem Senator aus dem ehemaligen realsozialistischen Osten kungelte, dem bürgerlichen Westberliner «Tagesspiegel» angehört. Dieser versucht wie auch die aus dem Osten stammende «Berliner Zeitung» mit professioneller Stimmungsmache das dualistische System in der einst geteilten Stadt zu konservieren. Während das eine Blatt, kaum war das Intendantenkarussell angelaufen, sich daran zu erinnern beeilte, dass die Theater Ostberlins nach der Wende «zielstrebig verwestdeutscht» worden seien, sah das andere nach der Ernennung des Ostdeutschen Christoph Hein zum Intendanten des Deutschen Theaters schon das «Phantom des Ostens» in die Stadt einfallen. Weniger die Frage nach den fachlichen Qualitäten von Hein oder Schindhelm steht derzeit im lokalen Blätterwald zur Debatte als deren DDR- Herkunft. Berlin diente in den Jahren seit der Wende in vielem als Symbol fürs Ganze. In dem jüngsten westöstlichen Berliner Hickhack aber schon ein Zeichen für einen deutsch-deutschen Kulturkampf zu sehen, schiesst weit übers Ziel hinaus. Thomas Flierl verwies kürzlich in einem Interview darauf, dass Ost-West-Differenzen grundsätzlich zwar keine Rolle mehr spielen sollten, aber wenn die Wahl dann auf einen Ostler falle, werde dies gleich wieder auf die Ost-Biografie des Senators zurückgeführt. Westöstlicher Komödienstadel Fast zeitgleich ereignete sich auf einem anderen symbolischen Feld eine zweite Provinzposse. Am Checkpoint Charlie, dem einst berühmtesten Grenzübergang der Welt, machte eine Museumsleiterin auf einen anderen Berliner Missstand aufmerksam. Ein von ihr initiiertes, in seiner platten Bildhaftigkeit unsägliches Feld aus Kreuzen inmitten des örtlichen heruntergekommenen touristischen Jahrmarktes führt Besuchern aus aller Welt vor, dass die Berliner es in fünfzehn Jahren nicht geschafft haben, im Zentrum der Stadt eine angemessene Erinnerungsstätte für die Maueropfer zu konzipieren. Der Regierende Bürgermeister und Sozialdemokrat Klaus Wowereit, der sich lieber als Fremdenführer für Filmstars betätigt, als sich mit der Vergangenheit seiner Stadt zu beschäftigen, verkündete umgehend, Berlin brauche neben der von vielen als missraten empfundenen Mauergedenkstätte an der Bernauer Strasse keine weitere Einrichtung dieser Art. Flierl droht seinerseits mit rechtlichen Schritten gegen die Installation, ein eigenes Konzept hat auch er nicht. Bezeichnenderweise haben nun einige Bundestagsabgeordnete die Initiative für eine Mahnstätte an die Hand genommen. Nach der Bildung der rot-roten Koalition in Berlin und der Ernennung des ehemaligen Mitte- Baustadtrates Flierl zum Kultursenator vor knapp drei Jahren fragte man sich weit über die Stadtgrenzen hinaus, was die neue Liaison zwischen der PDS und der Kultur für Berlin bedeuten könnte. Ein ideologischer Rückfall ist nicht zu verzeichnen, aber unliebsame Themen werden verdrängt. Daraus folgt eine zunehmende Kluft zwischen einer symbolischen, vom Bund getragenen nationalen Hauptstadtkultur mit Jüdischem Museum, Holocaust-Mahnmal oder Filmfestspielen und den Inszenierungen berlinisch-nachbarschaftlicher Klientel-Politik, die oft die Züge eines westöstlichen Komödienstadels annimmt. Derzeit konzentriert sich allerdings das Berliner Wettrüsten in Ost und West einmütig auf das vorweihnachtliche Schmücken der Hausfassaden, so dass manche Balkone unter ihrer bunt blinkenden Last wie jedes Jahr beinahe abzubrechen drohen. Denn im Winter ist Berlin besonders unfreundlich, grau und kalt. So werden manche Christbaumkerzen bis Anfang März leuchten. Bis dahin geht's uns Berlin. Claudia Schwartz |