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provinziell anmutende Selbstbezogenheit - künstlerische Dokumentation einer enttäuschten Hoffnung Schwitzen im OberseminarDie dritte Berliner Kunst-Biennale Mit ihrer dritten Ausgabe, die an diesem Wochenende eröffnet wurde, ist die Berliner Kunst-Biennale bei einer museumswürdigen Inszenierung angekommen. Die Veranstaltung gibt sich sozialkritisch engagiert und legt viel Wert darauf, ihre Inhalte gut zu vermitteln - dabei ist aber die Ausstellung selbst wohl allzu freudlos geworden. Berlin ist wie das Leben. Erst scheint uns die Welt ja eine gigantische Möglichkeitsform. Und also warten wir viele Jahre lang darauf, dass wir endlich erwachsen werden, endlich reif, dass das Leben endlich richtig beginnen möge - und von einem Tag auf den nächsten stellen wir fest, dass wir heimlich alt geworden sind. Auch für Berlin, so scheint es, haben sich die grossen Hoffnungen nicht erfüllt. Nach dem Fall der Mauer durfte man hier das Unverschämte erwarten: Hier, am Schnittpunkt von Ost und West, am Checkpoint Charlie des Kalten Krieges, sollte aus dem Schmelztiegel der Kulturen das Modell für die Metropole des nächsten Jahrtausends gegossen werden. Die Revolution ist ausgeblieben Daran haben vor fünfzehn Jahren fast alle geglaubt - namentlich auch die Künstler und Galeristen aus aller Welt, die sich nach dem Fall der Mauer in den oft morschen Löchern des ehemaligen Ostteils eingenistet haben. Aus den ärmlichen Behausungen sind elegante Lofts geworden, und mancher Kunstunternehmer hat sich international etabliert - die Revolution der Kultur aber ist ausgeblieben, und eine fast schon etwas provinziell anmutende Selbstbezogenheit hat sich stattdessen breit gemacht. Diese Entwicklung lässt sich auch am Beispiel der Berliner Kunst-Biennale nachvollziehen. Vor sechs Jahren versuchte Klaus Biesenbach, Initiator und Leiter der Kunst-Werke, zusammen mit Hans-Ulrich Obrist und Nancy Spector, das transdisziplinäre Schaffen aus den Berliner Hinterhöfen in eine Veranstaltung zu packen, der er den Titel «Biennale» gab: Rotzig und etwas selbstverliebt trat da die Berliner Kunstszene Arm in Arm mit der Welt von Mode und Design in Erscheinung. Drei Jahre später brachte die Kuratorin Saskia Bos anlässlich der zweiten Kunst- Biennale die fröhliche Wohlfühl-Kunst nach Berlin, die damals international den Ton angab: Da wurde thailändisch massiert, deutsch Bier ausgeschenkt und chinesisch-amerikanisch gekocht. Zu jener Zeit schien die Berliner Veranstaltung auf dem besten Weg, sich einen festen Platz im internationalen Biennale-Kanon zu erobern. Dann aber folgte der 11. September - und danach war alles anders, auch in der Kunst. Plötzlich schien nun allzu oberflächlich, was eben noch als neue Leichtigkeit gefeiert wurde. Hatten die neunziger Jahre versucht, das Publikum zu verführen und auch ein wenig zu amüsieren, so setzte man in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts auf eine ganz andere Karte: Nun galt es, den Betrachter zu erziehen, ihm den Blick für politische oder soziale Zusammenhänge zu öffnen usw. Und niemand fragte, ob die Kunst wohl wirklich geeignet sei, zur soziokulturellen Anstalt zu mutieren. Denn dieser Paradigmenwechsel wurde allgemein mit einer gewissen Erleichterung aufgenommen. Die Kuratoren konnten nun endlich wieder gewichtige Inhalte vermitteln, und auch die Kritik, die sich angesichts der Fröhlichkeiten der neunziger Jahre immer ein wenig überflüssig gefühlt hatte, bekam plötzlich wieder Bedeutung, ihr Wort moralisches Gewicht. Die dritte Berliner Kunst-Biennale nun könnte geradezu als der Beweis angeführt werden, dass dieser Wechsel tatsächlich stattgefunden hat. Bewusst verzichtet die Veranstaltung auf den internationalen Touch, den sie sich noch vor drei Jahren durchaus zu geben versuchte: «Die Berliner Biennale ist dem Standort verpflichtet», räumte die Kuratorin Ute Meta Bauer anlässlich der Eröffnung ein - und also wurden Beiträge ausgewählt, die «in Zusammenhang mit der aktuellen Topographie Berlins stehen und sich zu dieser explizit, historisch oder durch einen analogen eigenen Kontext in Beziehung setzen». Dokumentierte Enttäuschung Wen erstaunt es da, dass die Veranstaltung ziemlich trocken geworden ist - meint doch auch Ute Meta Bauer, dass das «Versprechen Berlin nicht ganz eingelöst» worden ist. Diese dritte Berliner Kunst-Biennale präsentiert sich also gewissermassen als die künstlerische Dokumentation einer enttäuschten Hoffnung. Aufbruchstimmung ist da fern, dafür aber ist der moralische Zeigefinger immer wieder mal bedrohlich nahe - auf jeden Fall wird uns hier eine Sache klar gemacht: Das Leben ist kein Zuckerschlecken. Bojan Šarevi zum Beispiel präsentiert sorgsam zusammengefaltete Kleidungsstücke, die allesamt mehr oder weniger stark verschmutzt sind. Der Künstler aus Belgrad hat echte Arbeiter gebeten, einen Tag lang in ihrer liebsten Kleidung ihrer echten Arbeit nachzugehen. Die Wiener Künstlergruppe «a room of one's own» demonstriert, dass «feministische Forderungen tragbar sind»: Sie schreibt engagierte Sprüche auf Schürzen oder Transparente und wandelt damit durch die Strassen. Erwin Cavuolu führt uns in einem dunklen Raum vor sechs Videoprojektionen, auf denen Spielzeughelikopter mit Scheinwerfern die Nacht absuchen. «Ein Gefühl der Beklommenheit umgibt uns, während wir versuchen, dieses Lexikon der intensiven ästhetischen Einflüsse zu lesen», erklärt der Katalog. Nach dem Gefühl der Beklommenheit suchen wir allerdings ebenso vergeblich wie nach einem Lexikon der ästhetischen Einflüsse. Zum Glück allerdings gelingt es einigen Künstlern, ihr sozialkritisches Anliegen zumindest in recht überzeugende Bilder zu packen. So porträtiert die Finnin Fanni Niemi-Junkola sehr einfühlsam einen Trabrennfahrer mit Vorfahren unter den rumänischen Sinti und Roma. Melik Ohanian nimmt uns mit auf eine suggestive Kamerafahrt durch die verlassenen Docklands von Liverpool. Maria Bustnes verführt uns mit dem schönsten Stück der Rolling Stones sogar dazu, die Nöte und Hoffnungen einer Girl-Band aus Lund recht aufmerksam zu verfolgen. «Paint it black» könnte auch das Motto von Willie Doherty gewesen sein, der im Jahr 2000 ein überaus dunkles und deprimierend einsames Berlin fotografiert hat. Sie verstehe Kunst als eine «Möglichkeitsform zur Auseinandersetzung» mit gesellschaftspolitischen Fragen, erklärte Ute Meta Bauer. Wohl um das zu verdeutlichen, hat sie fünf sogenannte «Hubs» eingerichtet, von eigenen Kuratoren betreute «Knotenpunkte», an denen vorrangig für die Stadt relevante Themen wie Migration oder «Urbane Konditionen» behandelt werden. Gibt es schon in der übrigen Ausstellung einiges zu lesen und viele Stunden Film zu betrachten, so bilden diese «Hubs» veritable Stauzonen der Theorie: Stundenlang könnte man hier Videos ansehen, Statistiken vergleichen, in Bergen von Fotokopien blättern usw. Zum Glück gibt es auch einige Arbeiten, die etwas verführerischer daherkommen. Judith Barry etwa beschreibt mit ihrer Doppelprojektion «Voice Off» nicht nur die Schwierigkeiten einer Visualisierung des Tones, sie schafft auch das charismatische Bild für einen Ort der Fiktion. Und Isaac Julien verwickelt uns mit seiner kinematographischen Installation «Baltimore» in eine Art Museumsduell zwischen einem bärtigen Alten und einer kybernetischen Schönheit. Musealisiertes Mittelmass Derart sinnliche Momente sind allerdings eher selten auf dieser dritten Berliner Biennale. Und also fühlt man sich immer wieder mal wie in einem Oberseminar, wo man schwitzend auf die nächste Prüfungssituation wartet. Allerdings muss man einräumen, dass die Kuratorin und die Organisatoren ihre Arbeit sichtlich ernst genommen haben und sich Mühe gaben, die Inhalte gut zu vermitteln. So gibt es etwa einen Kurzführer, ganz im Stil der Documenta, der zu jeder gezeigten Arbeit die für das Verständnis nötigen Informationen liefert. Um das in dieser kurzen Zeit zu ermöglichen (Bauer wurde erst im letzten Frühling als Kuratorin der Biennale berufen), brauchte es wohl einiges Organisationsgeschick. In dieses Bild der Sorgfalt passt auch der respektvolle Umgang mit den einzelnen Werken: Fast alle Künstler haben eigene Kojen bekommen - entweder in den Kunst-Werken oder aber in den eleganten Museumsräumen des Martin-Gropius-Baus. Ute Meta Bauer meint es ernst - und was sie hier vorführt, wirkt ehrlich und engagiert. Es wirkt aber auch etwas lustlos, ganz als sei ein diffuses Pflichtgefühl das Leitmotiv am Horizont dieser Biennale gewesen. Freudlosigkeit allein ist aber wohl noch kein Garant für Relevanz. Dass das Leben auch in Berlin mitunter eine Tendenz hat, eher mittelmässig zu sein, ist das eine. Heisst das nun aber auch, dass man dieses Mittelmass durch eine solche Veranstaltung musealisieren muss? Samuel Herzog 3. Berlin-Biennale für zeitgenössische Kunst. Kunst-Werke Institute for Contemporary Art und Martin-Gropius-Bau. Bis 18. April. Katalog Euro 15.-; Publikation «komplex berlin» Euro 38.-. |