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Reichlich Potenzial Berlins Kunstbiennale folgt der Logik der BörsianerVon Hanno Rauterberg Fortaleza hat eine, Echigo-Tsumari und Sharjah ebenfalls. Selbst in Berlin gibt es, nach stotterndem Anfang, eine Biennale für zeitgenössische Kunst. Überall, in Provinznestern und in Megametropolen, im asiatischen wie im arabischen Raum, baut man auf die Künstler der Gegenwart und richtet ihnen im Zwei-Jahres-Turnus große Ausstellungen ein. Allerdings weiß man nirgends so recht, warum eigentlich und wozu – auch in Berlin nicht. Dort ließ man auf der ersten Biennale vor sechs Jahren dem Spieltrieb vollen Lauf und zeigte, was immer an bunten Gewächsen zu finden war. Die zweite tat sich schwerer und wich aus in internationale Spaßigkeiten. Nun, auf der dritten Biennale, die seit vorigem Wochenende läuft, ist die Sinnkrise nicht länger zu verhehlen: Ungeniert verfällt die Ausstellung in quengelnde Melancholie. Und blickt zurück auf eine Zeit, als das Gekünstlere noch geholfen hat. Vor allem das Berlin der achtziger Jahre wird auf vielfältige Weise bestaunt und verklärt – als eine Epoche, in der Punk und Feminismus und Subkultur und Häuserkampf und Gesellschaftskritik noch alle Kraft hatten. Lauter Memorabilia tapezieren die Wände in den Kunst-Werken, einem der Ausstellungsorte der Biennale. Zu sehen gibt es popfreche Plattencover, Zeichnungen aus dem spanischen Bürgerkrieg oder fein gefaltete Arbeiterhosen mit original-proletarischen Schmutzflecken, dargeboten wie Reliquien einer untergegangenen Arbeiterkultur. Nur selten einmal wird der heilige Ernst ins angenehm Abstruse gewendet, etwa von der Künstlergruppe aroom of one’s own, die eine Art Wickelrock mit aufgedruckten Politparolen entworfen hat – damit das Demo-Transparent stets griffbereit ist. Meistens allerdings tut diese Biennale nur eines: Sie klopft die eigenen Vorurteile fest. Sissel Tolaas aus Norwegen zum Beispiel hat Berlin ihre Duftmarken aufgedrückt. Sie sprach mit Leuten im Hochhausviertel Reinickendorf über ihre Sucht nach Solarien und Mc Donald?’s; dann fuhr sie ins gehobene Charlottenburg und ließ sich von Kaschmir und neuer Bürgerlichkeit erzählen. Anschließend mischte sie die passenden Parfums, das eine riecht nach Tankstelle, das andere nach Maiglöckchen. Klischeebeladener Trübsinn begegnet einem auch im Gropius-Bau, der erstmals für die Biennale geöffnet wurde: runtergekommene Hochhausschluchten, Hafenquartiere und Denkmäler, viele Pappkartonhütten von Obdachlosen, verwilderte Gärtchen vor Betonburgen in Schweinerosa. Es sind Bilder, die ihre Bedeutung und Anklage gewichtig vor sich her tragen – und die uns doch nicht erreichen, weil sie nur unsere inneren Bilder verdoppeln. Die Biennale klebt auf kümmerliche Weise am Vertrauten, umso erleichterter ist der Besucher über alles, was sich ins Verfremdete vorwagt, so wie Willie Doherty mit seinen Schwarzweiß-Fotos, auf denen Berlin undurchdringliche Schwärze ist, viel dunkler als die Stadt jemals sein kann. Die Nacht saugt an Neonröhren und leuchtenden Fenstern, schluckt alles Sichtbare – und lässt uns so wieder sehen. Der Kopf beginnt, die Schwärze mit eigenen Bildern zu füllen. Ansonsten überwiegt das Vorzeigbare, eine Kunst, die sich der Mode oder dem Film nähert, die sich dem Recherchieren und Dokumentieren weiht, weil sie meint, nützlich sein zu müssen. Ob beabsichtigt oder nicht, folgt sie einer kapitalistischen Wertschöpfungslogik, und wohl nicht zufällig redet Ute Meta Bauer, die Ausstellungschefin, mitunter wie eine verkappte Börsenmaklerin. Osteuropäische Künstler hätten großes „Potenzial“, sagt sie; die Kunstszene sei „sehr dynamisch“; nur leider verbuche die Stadt Berlin „ihr künstlerisches Kapital nicht auf der Habenseite“; dabei sei Kunst „es wert, dass man Zeit in sie investiert“. Dann sagt sie noch: „Mich beschäftigt das Reale, aber eine Ausstellung ist nicht das reale Leben“ – und plötzlich versteht man, warum diese Biennale nichts taugt. Bauer hat offensichtlich den falschen Beruf ergriffen. Sie träumt vom Aktionismus, von tätiger Veränderung, von authentischer Arbeit, und Ausstellungen sind ihr nur etwas Entfremdetes. Das „reale Leben“ spielt irgendwo anders, nur nicht in der Kunst. Und wer dennoch meint, sich mit ihr befassen zu müssen, der wird voll gestopft mit Geschichtszeugnissen und Aufklärungsfotos, auf dass er die Lust verliere und endlich aufbreche ins Reale. Die Biennale ist ein Dokument des Verunsicherung. Die Ausstellungsmacher und Künstler trauen dem Eigensinn der Kunst nicht. Und sie trauen dem Besucher nicht, diesem ach so Ahnungslosen, und wollen ihn dringend höherer Erkenntnis zuführen. Sie leiden unter der Ohnmacht der anderen – und vor allem an sich selbst. Bis 18. April; der Kurzführer kostet 12 Euro, der weitgehend unbrauchbare Katalog 30 Euro (c) DIE ZEIT 19.02.2004 Nr.9 ZUM ARTIKELANFANG |