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Traunstein South Central

Die Straßen von Berlin-Zehlendorf: Die Berliner Ausstellung "Hip Hop Immortals II" im Café Moskau präsentiert Ghetto-Chic für den gehobenen Geschmack VON GUNNAR LUETZOW

Berlin - das stellt man sich außerhalb und im Sommer gerne als immerwährenden Karneval der Kulturen vor. Dabei gibt es vor Ort einen Haufen Dinge, die schlichtweg problematisch und abzuschaffen sind. Dazu gehört beispielsweise der Alltagsrassismus gegenüber Migranten und allen, die Gefahr laufen, von öffentlich beauftragten und selbst ernannten Ordnungshütern für solche gehalten zu werden. Staatlicherseits gilt an den ominösen "gefährlichen Orten", zu denen auch Teile der U-Bahnlinien 7 und 8 gehören, Generalverdacht, weswegen nach Untersuchungen des FU-Politologen Volcker Eick die betreffenden U-Bahn-Züge von "Sondereinsatzzügen" der Polizei betreut werden. Weiterhin auf dem Radar des konservativen Berlin sind freiwillige Angehörige von Jugend- und Subkulturen und das weite Feld der jugendlichen Marginalisierten, die im veröffentlichten Bewusstsein eine größere Gefahr für die Zukunft der Hauptstadt darzustellen scheinen als die Folgen des Bankenskandals. Von daher wäre zu erwarten, dass ausgerechnet Rap, Graffiti und Verwandte derzeit besonders kontrovers seien - doch unter bestimmten Bedingungen ist auch das genaue Gegenteil der Fall.

Jenny from the Platte

So erlebt die Hauptstadt derzeit einen wahren "Streetart"-Boom: Im mittleren Osten des Stadtkerns beispielsweise versuchen derzeit ein Kurator, zwei öffentlich-rechtliche Hörfunkautoren und diverse Mitglieder der schreibenden Zunft die Frage zu klären, wer die Figur Linda ist, warum es "Lindas Exfreund", der einen ganzen Stadtteil mit Collagen zupflastert, so dreckig geht und wie viele Leute eigentlich noch mit dieser Geschichte ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. Ebenfalls im Blickfeld: "Jenny from the Platte", "Roboter", "TOWER" und "Isidor Rauchenberger". Die parallel dazu schriftlich in dem vor den Toren des "Lovelite"-Clubs plakatierten "Wall Street Journal" geführten Diskussionen über situationistische Praxis in der Postmoderne, Selbstausbeutung in der Kulturindustrie und deren Strukturwandel des öffentlichen Raums erreichen inzwischen akademische Höhen und eine gewisse Sophistication ist den aktuellen grafischen Ausdrucksformen auch nicht mehr abzusprechen. Im Frühjahr traf man sich bereits zum "Rebel Art?"-Festival und zum Standarderlebnis in der Stadtmitte gehören inzwischen Street-Artisten, die jedes Aufgeklebtsein ihrer Aufkleber gleich mit einer schicken Digitalkamera fotografieren - weswegen sich bei genauerer Betrachtung das Phänomen in seinem Wesen auch als mehr oder weniger Mittelschicht-geprägter Flirt mit einem sachte subversiven Outsiderstatus erweist, der sich in der Bewerbunsgmappe zum Head of Multimediadesign sogar ganz gut machen könnte.

Hiphop-Inszenierung

Dass Hip Hop? längst kein Underground-Phänomen mehr ist, hält seine Protagonisten nicht davon ab, ständig ihre Gangster-Herkunft zu beschwören. Gerade bei Jugendlichen der wohlhabenden weißen Mittelschicht löst das noch Faszination aus - und führt zu seltsamen Bourgeoisie-Homeboys.

Komplizierter ist es mit Rap und anderen Spielarten so genannter "schwarzer" Musik, deren performative Praxis im öffentlichen Raum man vor allem da erlebt, wo man sie angesichts der Songtexte - die in der Regel von Ausgrenzung und deren meist imaginierter Überwindung durch geschicktes Agieren auf semilegalen bis schwerkriminellen Geschäftsfeldern handeln - am wenigsten vermuten würde: Das perfekte Hip Hop?-Styling betreiben im vergleichsweise wohlhabenden Südwesten der Stadt die Kinder vom Bahnhof Zehlendorf.

Bereits Bernd Begemann fragte korrekt: "Streetwear-Klamotten für achthundert Mark - wer auf der Straße hat so viel Geld?" Mit einem gewissen Vergnügen erinnert man sich dann an der Spree auch an Gestalten, die sich in der Vergangenheit als knallharte Homeboyz gerierten: Der auf Public Enemy abonnierte Erbe eines auf Oberklassekarossen spezialisierten Münchner Autohauses beispielsweise, der sich bereits als Journalistenschüler Unter den Linden einmietete. Oder jener Kollege, der damals in der Maria am Ostbahnhof seine Hornbrille mit den Worten kommentierte, er sei "der weiße Malcolm X". Und je höher das eigene Herkunftsmaterial ist, desto "reiner" wird in jenen besseren Kreisen der edle Stoff aus dem Ghetto geschätzt. Während sich so der gesamte Mainstream auf die Reime des "superintelligenten Drogenopfers" SIDO aus dem Märkischen Viertel einigen kann, dessen Ansprechpartner "Du in Deinem Einfamilienhaus" bist, steht man ein bis zwei Etagen drüber auf echtes Elend.

Unterhaltungssektor Ghetto

Die Veranstalter der "Soul Explosion" beispielsweise haben es einfach, das Gefühl für die feinen Unterschiede: "Der Funk, den wir spielen, entstand 1966 bis 72, bevor Disco alles in billige Scheiße verwandelte. Der Höhepunkt der Periode waren die späten 60er um '68 und '69, in dieser Zeitspanne entstanden die besten Tracks, eine wilde, explosive Mischung aus Gospel, Soul und Rhythm & Blues. Manche Bands hielten noch länger als bis '72 am ursprünglichen, rauen und puren Funk-Sound fest, aber spätestens nach '74 war dann wirklich überall der Ofen aus. Der harte, emotionale und kraftvolle Funk wich stupiden Discorhythmen, zu denen sich auch die ungelenke weiße Mittelschicht in ihren schlechtsitzenden Anzügen auf die Tanzfläche traute." Weshalb man auch am liebsten Bands wie die Ghetto Brothers spielt, die der Legende nach als echte Ghettobrüder auch in einer echten Ghettogang waren.

Die aktuelle Auflage dieser fragwürdigen Inszenierungsform ist seit Mittwoch in der Ausstellung "Hip Hop Immortals II" im Berliner Café Moskau zu besichtigen, das als eine der DDR-"Sonderbauten" zu den heutigen Hotspots der hauptstädtischen Jeunesse dorée zählt.

"Das Ghetto zählt heute zum Unterhaltungssektor. Es ist Western, Science Fiction, Horror, Krimi und Dschungelabenteuer zugleich," stellte bereits Günther Jacob 1993 fest - und als Werbefaktor taucht es offensichtlich auch: Präsentiert wird die von der Londoner Proud Gallery organisierte Verkaufsshow von nicht ganz zweihundert Abzügen mehr oder weniger legendärer Hiphop-Aufnahmen nämlich von einem Mobiltelefonhersteller aus Traunstein, was bisweilen komische Züge annimmt: Man wolle mit den Values der Hiphop-Community connecten, heißt es - schließlich ließen sich mit dem neuen Hi-Tech-Telefon, das auch als Walkie-Talkie funktioniert, auch klasse globale Beat-Box-Jamsessions machen.

Nun ja: Streetwear-Handies für 400 Euro - wer auf der Straße hat so viel Geld? Und ob irgendwer aus der Szene über zweitausend Euro für einen C-Print von DMX übrig hat? Wohl kaum. Wahrscheinlich reicht es bei den meisten Hip Hoppern? einmal für die hundert Euro teure superlimitierte Special Edition des Katalogs, der in die Kategorie "Coffee Table Book" gehört.

Vor Ort zu sehen sind dann die verschiedensten Formen von Blax- und Rapsploitation: Harte Jungs aus South Central mit Uzi und Crew, harte Jungs mit dicken Muskeln, ein harter Junge in der tiefer gelegten Limo, harte Jungs mit spärlich bekleideten Mädels, spärlich bekleidete Mädels allein unter der Dusche oder allein unter einem Zentner Schminke. Bonz Malone, Rap-Fan und -Kenner, beschreibt den Kontext im Katalog mit folgenden Worten: "Es war einmal in einem fernen, fernen Land, zu der Zeit (...) als die Namen der Gefallenen die Hallen der Ungerechtigkeit bedeckten, da tauchte ein König auf, der die Macht hatte, Gewalt in Mut zu verwandeln. Wie süße Musik eroberte sein Traum von Straßensolidarität die Gedanken und Herzen seiner Todfeinde, die bald zu treuen und edlen Rittern seiner runden Ideologie wurden. Gemeinsam lehrten sie den gesellschaftlich Geächteten eine Alternative zum Krieg und verwandelten sie in (...) Ghetto-Superhelden für eine, wie es damals schien, schöne neue Welt." Wovon in der Ausstellung wenig sichtbar ist.

Tätowierte Kampfnamen und AK-47

Statt dessen: Kapitalistisches Kunstgewerbe in Reinkultur mit bisweilen rührend kitschigen Momenten. Interessanter als die immergleichen Posen sind die wenigen Aufnahmen, in denen die Glamourisierung der Survival-of-the-Fittest-Ideologie nicht funktioniert und sich auch keine Retro-Nostalgie einstellt, sondern tatsächlich ein Anflug von Dokumentation sichtbar wird.

Da wäre beispielsweise Dizzie Razcal, aufgenommen vor den tristen Hochhäusern seiner Ostlondoner Heimat. Da wäre der amateurhaft tätowierte Bauch von jemandem mit dem Kampfnamen "C-Murder". Da wäre auch Marly Marl, eher verlegen vor einem "Merc" posierend in einer Gegend, die wie "The Royal Borough of Kensington and Chelsea" aussieht. Und da wäre auch Dr.Dre im Studio, der nicht etwa mit der AK-47 und seinen Jungs durch die Hood cruist, sondern schlicht nach getaner Arbeit ein Ich-hab-jetzt-Feierabend-Gesicht aufsetzt. Das so etwas allerdings die Zielgruppe interessiert, ist zu bezweifeln - die interessiert schließlich nicht mal der Alltag in Berlin.

[ document info ] Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004 Dokument erstellt am 09.08.2004 um 16:44:07 Uhr Erscheinungsdatum 10.08.2004

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