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Kommentar Zerfall einer Familie 05. August 2004 "Aufgrund meiner Beschäftigung mit der Literatur der Romantik kenne ich die Macht der Symbole und der Erinnerung. Ich kann daher die besondere Sensibilität dieser Opfer und ihrer Angehörigen gut nachvollziehen, wenn sie durch die Herausstellung des Namens Flick schmerzhaft an ihr Leid erinnert werden." So heißt es in einem offenen Brief, den Dagmar Ottmann, die Schwester des Kunstsammlers Friedrich Christian Flick, in der "Zeit" publiziert hat. Als Adressaten firmieren Salomon Korn und Michael Fürst, die gegen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Vorwurf erheben, sie leiste, wenn sie die "Flick Collection" in Berlin ausstelle, Beihilfe zur Blutgeldwäsche. Frau Ottmann macht sich diesen Vorwurf zu eigen und ist von Korn postwendend gerühmt worden für ihr "Einfühlungsvermögen den von ihrem Großvater Friedrich Flick gnadenlos ausgebeuteten Zwangs- und Sklavenarbeitern gegenüber". Es irritiert allerdings, daß sie ihre Fähigkeit zum Mitleiden auf ihre literaturhistorischen Studien zurückführt. Man muß keine Doktorarbeit über Ludwig Tieck verfaßt haben, um sich vorzustellen, daß es überlebende Zwangsarbeiter schmerzen wird, wenn der Name ihres Zwingherrn über einer schicken Kunstausstellung prangt. Hier drängt sich ein Privates in den öffentlichen Brief - die Dame protestiert zu sehr und erklärt zuviel. Im Bann welches Vergessenszwangs muß eine Jugend gestanden haben, so könnte man fragen, wenn jemandem die Macht der Erinnerung erst durch ein Studium der Germanistik offenbar geworden ist? Zu dieser Spekulation regt Frau Ottmann selbst an mit der Mitteilung, daß mit ihrem Geld am Bochumer Lehrstuhl von Norbert Frei nun eine Geschichte der Friedrich Flick KG erarbeitet wird, die sich die Spenderin ausdrücklich "als Geschichte der Verdrängung" entworfen wünscht. Unter Rückgriff auf derzeit gängige Topoi führt sie aus: "Vielleicht können die Historiker auch die Frage beleuchten, ob Friedrich Flick das aus der NS-Zeit gerettete Vermögen in besonderem Maße durch eine Kontinuität von ,alten' Mentalitäten, Verhaltensweisen, Netzwerken und Seilschaften gemehrt und eine Perpetuierung der in der NS-Zeit gezogenen Vorteile bewirkt hat." Ja, vielleicht können sie das, obwohl in der personengeschichtlichen Empirie der Nachweis der ominösen Netzwerkarbeit oft schwieriger ist, als es sich die verschwörungstheoretische Phantasie der Nachgeborenen ausmalt. Keiner Forschung bedarf es, um die Tatsache festzustellen, daß es noch eine Perpetuierung der Vorteile gibt, die Friedrich Flick in und aus der Hitlerzeit zog - in Gestalt des von ihm vererbten Vermögens. Alle Netze lassen sich auftrennen, nur in die Familie bleibt man verstrickt. Deshalb hat jeder öffentliche Familienstreit etwas Peinliches. Das Geschwisterverhältnis unterliegt einer elementaren Dynamik, die sich mit den im öffentlichen Leben wirksamen Kräften nicht verrechnen läßt. Eine Familie, die über ihre Vergangenheit zerfällt, unterscheidet sich insofern von einer Firma oder Partei: Hier gibt es keinen Richtungsstreit, der für den Diskurs anschlußfähig wäre. Welche Motive eine Schwester leiten, die ihrem Bruder die einfachste moralische Empfindung abspricht, entzieht sich öffentlicher Erörterung. Die Opfer sind jedenfalls nicht darauf angewiesen, daß ihnen die reiche Erbin eines verurteilten Kriegsverbrechers ihre Stimme leiht. pba. Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.08.2004, Nr. 181 / Seite 35 |