01 Freie Klasse Dokumentation
02
Im Sommer 1988 wird Prof. E. Strautmanis im Fachbereich 1, Bildende Kunst, entlassen. Gegen den Willen der Studenten erfolgt die Berufung von Volker Stelzmann. Nach erfolglosen Bemühungen der Studenten und auch einiger Professoren, diese Berufung rückgängig zu machen, beschließen die Studenten der ehemaligen Strautmanis Klasse gemeinsam, selbstständig weiter als Klasse zu arbeiten. Sie fordern den ehemaligen Klassenraum 202 als Arbeitsraum und die Betreuung durch Professoren ihrer eigenen Wahl. Ein halbes Jahr lässt man die Klasse so gewähren, bis Prof. Stelzmann diesen Klassenraum für sich beansprucht. Den Studenten wird ein Ultimatum gestellt, bis wann sie den Raum zu verlassen haben, und es wird ihnen angetragen, sich auf andere Fachklassen zu verteilen. Ab Oktober 1988 wird an den Berliner Universitäten gestreikt, die HdK schließt sich im Dezember 1988 dem Streik an.
Am Fachbereich 1 schließen sich Studenten der ehemaligen Strautmanis Klasse, der Klasse Hrdlicka und der Klasse Tajiri zusammen, um im Februar 1989 die „Freie Klasse“ zu gründen. Als Arbeitsräume für die „Freie Klasse“ werden die Räume der ehemaligen Strautmanis Klasse und der Klasse Hrdlicka besetzt, dem Ultimatum der HdK zuwiderhandelnd. Mit dem Streik im Rücken und nach langen Kämpfen kann wenigstens durchgesetzt werden, dass die „Freie Klasse“ die Arbeitsräume der Hrdlicka-Klasse, eine Fabriketage in der Obentrautstrasse, als Atelierraum erhält. Prof. Hrdlicka wird auf die Initiative seiner Studenten hin aus dem Amt entlassen, da er seit seiner Berufung nahezu kein Interesse an seinen Studenten zeigt. Die „Freie Klasse“ wird als interdisziplinäres, studentisches Projekt von der HdK anerkannt und aus dem Topf für autonome studentische Projekte bezahlt.
Peter Knoch, Reprint Interflugs Dokumentation,1994
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Die Freie Klasse wird von da an mehrmals umziehen, von der Obentrautstraße in die Schwedenstraße und schließlich zurück in die Hardenbergstraße. Der „Modellversuch Freie Klasse“ ist innerhalb der HdK immer wieder hart umkämpft, wird aber außerhalb zum Vorbild ähnlicher selbstorganisierter Klassen in vielen anderen Städten: Wien, Braunschweig, Dublin und Kopenhagen haben eine Freie Klasse. In Berlin mischen sich die StudentInnen in den Diskurs um künstlerische Selbstorganisation ein und knüpfen Kontakte mit der alternativen Szene Berlins. Die Freie Klasse ist ein Treffpunkt für diejenigen, die eine alternative Form des Studierens suchen. Neben den Einladungen von KünstlerInnen zu Arbeitsgesprächen veranstalten Mitglieder der Freien Klasse 1993 ein Symposium mit verschiedenen Kunstzeitschriften oder organisieren programmatische Ausstellungen wie „win with“ in der Querhalle der Hardenbergstrasse. Die Teilnahme an der Sommerakademie 1994 im Münchner Kunstverein und Einladungen zu Kongressen und Treffen in anderen Städten schaffen Verbindungen zwischen dem akademischen HdK Kontext und einem Teil der Kunstszene, die zu dieser Zeit für selbstorganisierte Projekte besonders aufmerksam ist.
Als die verhärteten Strukturen an der HdK in den späten Neunziger Jahren ein wenig aufbrechen und die reguläre Lehre mit zeitgenössischen Impulsen aufgefrischt wird, verliert die Freie Klasse das Monopol, die einzige Alternative zu sein. Die fehlende Betreuung durch einen Professor beginnt sich, in einer Situation verschärfter Absolventenprüfungen, negativ auszuwirken. Neue Studenten scheuen das Risiko in die Klasse zu gehen. 1999 studieren nur 4 StudentInnen in der Freien Klasse: Zuwenig, befindet der Fakultätsrat und fordert die Freie Klasse auf, ihren Raum in der Hardenbergstrasse aufzugeben. Nach einem relativ stillen Protest, einer versäumten Fakultätsratssitzung und dem Beschluss einiger Professoren, der „Modellversuch“ sei beendet, löst sich die Freie Klasse auf.
Der Etat, der Computer und ein Tutor bleiben paradoxerweise unberührt und werden unter dem Dach von Interflugs integriert. Dort steht bei vielen Treffen die Frage nach den Resten der Freien Klasse unbeantwortet im Raum.
Was tun?
04
Gespräch mit Rainer Kamlah, Student in der Freien Klasse bis 1999, und interessierten Studierenden während des Workshops „Rumwursteln an den Alternativen...“
Freie Klasse:
Wann bist Du denn zur Freien Klasse gekommen?
Rainer Kamlah:
1997. Das war damals eine Art Tiefpunkt, weil das so ein heterogener Haufen war.
Damals gab es an der HdK viele neue Sachen, die über die Sieverding Klasse liefen oder über den Gender-Topf. Biesenbach hatte diese Vortragsreihe “Never mind the Nineties” gemacht und war dann Assistent geworden. Das war natürlich eine andere Atmosphäre, als wenn das Studenten gemacht hätten. Das hat ein ziemliches Begehren ausgelöst, da dabei zu sein. Damit waren wir halt nicht mehr die einzige Alternative.
FK:
Wurde das bei euch diskutiert: “Was machen wir, wenn unsere Inhalte der regulären Lehre immer ähnlicher werden?”, beziehungsweise: “Was ist anders, wenn wir das selber organisieren?”
Rainer:
In Bezug auf diese inhaltliche Diskussion hatten wir wirkliche Probleme, uns positiv abzugrenzen. Das war ja nicht nur Biesenbach, da kamen dann auch Sabeth Buchmann und Jutta Koether. Da gab es wirklich nicht mehr so riesen Unterschiede zu dem was wir gemacht haben. Eigentlich hätten wir uns das schon fragen müssen: “Was macht den Unterschied, wenn wir das selber organisieren, im Gegensatz dazu, wenn das bezahlte Profis sind, die Inhalte in die Hochschule tragen?“ Wir haben uns stattdessen immer mehr strukturell definiert. Wir wollten nicht so eine Situation, in der alles fixiert wird auf eine Professorenfigur, unabhängig von den Inhalten.
Damals war es auch so, dass zum ersten Mal die Absolventenprüfung Gewicht bekam, weil zum ersten Mal Leute nicht zum Meisterschülerstudium zugelassen wurden. Vorher waren die Prüfungen ja ´ne Farce, bei der alle durchgewunken wurden. Durch diese Situation bekamen die Professoren noch mal mehr Macht gegenüber den Studierenden, und der Druck auf uns wurde größer: Denn das wurde natürlich auch ein Motiv, nicht in die Freie Klasse zu gehen. Da war man ja, was die Prüfungen anging, auf total verlorenem Posten.
1999 waren dann die Fakultätsratssitzungen, bei denen die versucht haben uns abzusägen. Es ging eigentlich eher um die Raumverteilung im Haus. Damals sollte herausgefunden werden, wie viele Studenten in den einzelnen Klassen studieren. Zu dem Zeitpunkt waren aber nur noch vier Leute in der Freien Klasse eingeschrieben. Von denen waren drei schon fertig. Da gab es natürlich ein Problem, unseren Raumanspruch zu legitimieren.
Uns wurde dann der große Raum weggenommen und wir mussten uns auf einen Kompromiss einlassen, dass wir einen kleineren Raum bekommen. Der wurde dann so lang gehalten, bis alle, die unter Freie Klasse liefen, mit dem Studium abgeschlossen hatten.
FK:
An wen habt ihr euch in diesem Konflikt gewendet. An den Asta, an Interflugs?
Rainer:
Es gab ganz schön viele Krisengespräche mit Interflugs. Von denen kamen aber auch Vorwürfe an uns. Wir hatten nämlich eine wichtige Sitzung verpennt: den Fakultätsrat, in dem unsere Situation besprochen wurde. Wir haben uns damals einfach nicht darum gekümmert; wir sind nie zu irgendwelchen Sitzungen gegangen. Irgendwie hatten wir die Illusion, dass wir uns in einem geschützten Raum befinden. Wir hatten den Eindruck, dass Held (FN: Professor Held war zu der Zeit Dekan der Fakultät Bildende Kunst. Beim Dekan bekam man eine Unterschrift für das offizielle Studium in der Freien Klasse) und der Präsident und ein paar andere uns unterstützen…
FK:
Hättet ihr nicht neue Leute für eure Klasse gewinnen können?
Rainer:
Das war schwierig wegen der verschärften Situation bei der Absolventenprüfung. Es gab auch zu der Zeit einfach kein grundsätzliches Aufbegehren, im Sinne “irgendwas läuft hier schief…”
Ich denke so ein Bereich wie die Freie Klasse muss sich auch nach den realen Bedürfnissen richten. Das war zu dem Zeitpunkt nicht unbedingt gegeben. Natürlich ist das traurig, dass damit die Möglichkeit so zu studieren, weggefallen ist.
FK:
Vielleicht ist das nicht nur schade: Es gab ja seit dem Verlust des Raumes bei Interflugs ewige Diskussionen, ob die Überreste der Freien Klasse abgeschafft werden. Aber irgendwie wäre es absurd gewesen, den Tutor und das Geld zurückzugeben und der Verwaltung zu sagen: “Das brauchen wir nicht mehr, das könnt ihr wiederhaben.“ Dadurch gab es eine Scheindiskussion: Eigentlich hatten wir den Eindruck, die Freie Klasse müsste man wieder aufbauen, und eigentlich müsste sie wieder unabhängig von Interflugs sein. Aber keiner hatte die Kraft oder die Ideen, das zu machen. Also haben wir lieber drumrum diskutiert und nichts unternommen.
Auf der anderen Seite sind wir aber auch, wenn das Bedürfnis wieder da ist eine Freie Klasse zu organisieren, in der Lage, ganz schnell die Ressourcen zu haben: Es kann sich also ganz schnell wieder entwickeln.
Denn es wurde ja komischerweise der Raum, nicht aber der Etat weggenommen.
Rainer:
Dass der Raum weggefallen ist, also quasi das Territorium der Feien Klasse verloren gegangen ist, hat ja vielleicht auch eine ganz interessante neue Situation geschaffen:
Ihr seid jetzt erst in der Position diesen Begriff ganz neu füllen zu können, weil ihr ja gar keiner Agenda folgen müsst: Ihr müsst keinen Raum verteidigen und ihr müsst den Namen nicht gegenüber der Hochschule durchsetzen.
Es ist vielleicht gerade so was wie ein Punkt null...
FK:
Wie ist denn dann das mit dem Namen. Würdest du den beibehalten?
Rainer:
Ich glaube, das ist eine rein strategische Frage. Ich glaube, dass das in der Arbeit nach außen ganz gut ist. Uns hat das ja schon fast genervt, wie die Leute draußen reflexhaft zustimmen: “Freie Klasse, das ist ja cool.” Und innen gab es dann diese reflexhafte Ablehnung. Eigentlich war das eine total schizophrene Situation. Die Leute außen hatten da ja nichts mit den Kämpfen zu tun. Für die war das ein Label.
FK:
Wie habt ihr euch eigentlich in dem damaligen Klima bewegt, in dem es viel Diskussion über Selbstorganisation gab: Über Künstlergruppen, Kollektive, alternative Kunstpraxen...?
Rainer:
Es gab halt diese ganzen Reader, die damals rauskamen, und wir haben die Leute dann eingeladen und die haben uns dann auch eingeladen. Wir haben ein Seminar zur Geschichte der Selbstorganisation mit Andreas Siekmann und Alice Creischer gemacht, was total interessant war. Denn wir haben natürlich immer das Gefühl gehabt, Teil dieser Geschichte zu sein, andererseits war es aber nicht unsere persönliche Geschichte. Wir waren ja erst später dazugekommen. Das war ein bisschen komisch, weil wir von außen ganz klar in dieser Ecke gesehen wurden, aber eigentlich das gar nicht das war, wo wir herkamen. Wir sind da einfach so reingeraten. Zu dieser Zeit sind wir auch gar nicht mehr in diesem Diskurs sichtbar gewesen: Das waren eigentlich eher unsere Vorgänger, die da aktiv waren...
Ich denke, man muss sich heute nicht mehr auf diesen Diskurs damals beziehen, das ist halt ein Teil gewesen.
Man kann den Begriff Freie Klasse jetzt wieder neu definieren. Das Gute an dem Begriff ist, dass er diese starke Tradition hat und nach außen die Leute schnell was damit verbinden. Darauf kann man dann aufbauen.
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Es entsteht ein Gespenst: Viele StudentInnen glauben, dass die Freie Klasse irgendwo in der HdK herumwerkelt: Hin und wieder taucht der Name auf einem Plakat der KünstlerInnengespräche auf. Mit den KünstlerInnengesprächen arbeitet die Freie Klasse immer enger zusammen. Eine interflugsinterne Operation, die von den StudentInnen nicht wahrgenommen wird. Bei Interflugs selbst wird regelmäßig ergebnislos über die Auflösung oder eine Vereinsgründung diskutiert. Was ist die Freie Klasse? Was war die Freie Klasse? Was kann die Freie Klasse sein? Der Respekt vor der Freien Klasse der Neunziger ist riesig, die Initiative etwas Neues zu entwickeln eher klein.
Es herrscht Lähmung, es gibt einige halbherzige Versuche, die Situation zu lösen, und viel Streit.
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Die „Freie Klasse“ ist keine Klasse, sie ist ein Gedankenmodell:
Autonomes Studieren, Lernen, Diskutieren; Unabhängige Kunstproduktion; Abwechslung und Vielfalt der Lehre; Kritik an den patriarchalischen und autoritären Strukturen der Akademie/Hochschule/Universität; Forderung nach Transparenz und politischer, inhaltlicher und struktureller Mitsprache; Gerechtere Verteilung der Produktionsmittel; Freie Meinungsäußerung; Kontroverse Haltungen.
Gemeinsam arbeiten; Gemeinsam politisch handeln; Kollektiv Entscheidungen treffen; Freiräume schaffen; Gegenräume vorschlagen; Kritik an der Selbstinszenierung des Künstlers als geniales Subjekt formulieren; Fächerübergreifend arbeiten und diskutieren; Disziplinen und Expertentum aufbrechen; Recherchieren und forschen; Wissen aneignen und verteilen, alternative Formen von Wissen produzieren und darstellen; Widersprüche erzeugen und aushalten.
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Club zwei, 2001
Gespräch mit Isabella Kossina und Birgitta Wehner, Organisatorinnen des „Club zwei“ der Freien Klasse 2001 und Johannes Raether, Freie Klasse 2004
Johannes:
Wie kam es zu eurer Diskussionsveranstaltung „Club zwei“?
Isabella:
Es ging darum, nochmal Leute zu mobilisieren und zu fragen: “Was wird aus der Freien Klasse?“ Denn die Gelder gab es ja noch nachdem der Raum weg war.
Meine Idee war es, einen Verein zu gründen, um diesen Zustand zu institutionalisieren: Es gibt keinen Raum mehr, aber es gibt uns trotzdem noch. Und da gab`s dann wieder irre viele Debatten: „Aber was soll das denn dann?“
Der Knackpunkt war, die Freie Klasse mal inhaltlich zu beschreiben.
Birgitta:
Für mich war die Freie Klasse vor allem eine Plattform, auf der man Leute zusammenbringt und grundlegende Dinge diskutiert. Ich hatte damals das Gefühl, dass das, was an der Hochschule passiert, auch gerade außerhalb passiert und dass man versuchen muss, Orte zu schaffen, in denen diese gesellschaftlichen Entwicklungen diskutiert werden können. Orte, die mobil sind. So wie der „Club zwei“ mobil war und sich in verschiedenen Räumen abgespielt hat, wie zum Beispiel in der Querhalle der Hardenbergstrasse.
Das war ja auch gedacht als Knotenpunkt. Wir setzen uns da mitten rein und diskutieren und bringen aber unsere eigenen Möbel mit.
Johannes:
Warum habt ihr die Diskussion „Club zwei“ genannt?
Isabella:
Das war eine Anknüpfung an den Wiener „Club zwei“, eine Diskussionsrunde, die jahrelang im ORF lief. Es ging da weniger um konkrete Inhalte, sondern es wurden Leute zusammengesetzt, die sich eigentlich wirklich nichts zu sagen haben. Also zum Beispiel die Nina Hagen mit ´nem kleinen Nazi. Die Frage war dabei: „Wie können die kommunizieren?“
Birgitta:
Genau die Fronten eben, die nach meinem Empfinden damals an der Hochschule auch sehr stark waren. Das hat mich geärgert, denn eine Hochschule ist doch für die Studierenden da und nicht für die Politiker, den Präsidenten oder die Gremien.
Isabella:
Ich hatte halt die Idee, mal ein bisschen Unruhe in diese ganze Sache zu bringen.
Und da war der Plan eine Diskussionsrunde zu machen, die konträre Positionen zusammenbringt und vom Stil her so eine Art Studio ist. Wir hatten da eine Bühne aufgebaut, und es gab Beleuchtung. Dann hatten wir noch Accessoires, und die Idee war eigentlich, die Diskussion im Offenen Kanal Berlin zu übertragen.
In der Vorbereitung, also auch beim Einladen der Gäste, wurde ich immer gefragt, worum es uns konkret geht. –Die wollten keine wirklichen Debatten: Wenn man sich schon an einen Tisch setzt, dann muss man sich auch verstehen. Das wäre dann eher so eine Art Plenum geworden. Ich wollte aber kein Plenum. Ich wollte, dass die sich da hinsetzen und dann mal sehen was passiert...
Birgitta:
Das war nicht auf ein Fazit angelegt, sondern erstmal auf eine Konfrontation.
Isabella:
Oder auch als Frage an die Studierenden: Wir bei Interflugs sind halt da und stellen da was auf die Beine: Aber wie geht es den anderen 99 Prozent? Hier gibt es ein schwer autoritäres System; hier kriegt man beigebracht, dass man sich möglichst extrovertiert und möglichst arrogant zu verhalten hat. Das war der Hauptgrund den „Club zwei“ zu machen; so ein bisschen in die autoritären Strukturen reinzuclashen. Und die anderen fragen: Wie findet ihr das?
Oder einfach eine Möglichkeit zur Aussprache zu geben.
Johannes:
Aber hätte man diese Fragen nach der Hochschulstruktur, nach Demokratie und Transparenz nicht mehrfach stellen können? Was war denn, nachdem die Veranstaltung vorbei war und sich jeder einmal ausgekotzt hatte? Wäre es nicht möglich gewesen aus einer solchen Situation eine Gruppe außerhalb von Interflugs zu initiieren, die diese Fragen wiederholt stellt und damit in die Öffentlichkeit geht?
Isabella:
Die Frage stand ja schon bei der Veranstaltung im Raum: „Ja Juhu, jetzt war´s hier ganz lustig, aber was passiert jetzt?“ Für mich war es ein großer Wunsch, das zu machen:“Mal sehen, ob es auch das Anliegen von anderen gibt, sich zu organisieren.“ Und das gab´s halt einfach nicht. Der „Club zwei“ sollte eine Initialzündung sein und dann muss man halt sehen, was kommt. Und es kam nichts.
Vielleicht haben wir das aber auch nicht klar genug gesagt. Danach fing ja gleich Angie Reed zu spielen an und wir haben einen auf Party gemacht.
Birgitta:
Ich denke halt schon, dass der Verlust des Raumes ein Problem war. Veranstaltungen sind vielleicht gar nicht so wichtig, wenn man einen Fixpunkt hat, wo sich Leute treffen, um miteinander zu sprechen und gemeinsam Sachen zu erproben. Und den gab es halt nicht mehr. Ich habe lange gebraucht bis ich verstanden habe, dass dahinter politisches Kalkül steht: Geldmangel und Raummangel an der Hochschule. Hier hat jeder, insbesondere die Leitenden, ein so starkes Eigeninteresse an seiner Karriere, dass für die Kunst oder für die Dinge, um die es eigentlich geht, kein Raum mehr bleibt. Ich weiß nicht, was man da hätte machen müssen: Vielleicht besetzen oder ein Haus bauen oder so.
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Die Freie Klasse wird ohne festen Raum und ohne interessierte Studierende zur Hülle: Den „Aufgabenbereich“ einer Freien Klasse genau zu definieren, scheint innerhalb eines institutionalisierten, studentischen Gremiums, wie es Interflugs geworden ist, sehr schwierig: dem Etat steht kein Service entgegen. Kein Gerät muss repariert werden und kein Vortrag organisiert werden. Die Freie Kasse bildet einen Möglichkeitsraum, der in den Neunziger Jahren erschlossen wurde und für den es jetzt keine Notwendigkeit zu geben scheint.
So offen und einzigartig dieser Raum ist, wenn er genutzt wird, so sehr produziert er Ratlosigkeit und Verwirrung, wenn das Interesse und die Energie fehlt, ihn immer wieder neu einzurichten.
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Eruption die, Geowissenschaften: Ausbruch, besonders eines Vulkans.
oder
Völlig unaufgeregt kommen seine Fleischklopse daher, so, als wäre ihr Maler zu phlegmatisch für jede Eruption. (Quelle: Berliner Zeitung 1996)
Aus den Diskussionen innerhalb von Interflugs, oder auch einfach aus dem Gefühl heraus, den Möglichkeitsraum Freie Klasse nicht leer stehen zu lassen, entstehen seit dem Verlust eines festen Raumes immer wieder Ausbrüche von Energie, die von einzelnen TutorInnen und anderen Interessierten in die Freie Klasse investiert werden. Die Ergebnisse sind so unterschiedlich wie die Menschen, die eine solche Eruption organisieren:
Kritik an der Hochschule und an den Bedingungen des Studierens; der Versuch eine Alternative dazu aufzubauen, Räume zu schaffen, die anders sind; Diskussionen und Ideenaustausch zu initiieren:
die „all time classics“ der Freien Klasse.
Der Verlauf dieser Projekte ist ähnlich und legt rückblickend den Begriff von Eruptionen nahe: Wut und Unzufriedenheit oder einfach Tatendrang und Lust, was anders zu machen, stauen sich auf und entladen sich in einem Projekt für ein Semester. Danach ist die Energie verpufft und die Initiative verläuft sich, denn zwei bis drei Leute können die Freie Klasse nicht neu definieren und eine breite Unterstützung der Studierenden, ein alternatives Modell für das Studieren mitzugestalten, ist nicht in Sicht.
Wie Perlen an der Schnur reihen sich diese Eruptionen seit 2000 zu einem neuen Modellversuch auf: Projektplattform Freie Klasse?
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Die Nachtakademie, die im Frühjahr 2002 entsteht, ist heute so faszinierend, weil sie gewissermaßen den Gedanken der Freien Klasse symbolisiert und in einer Art kondensierten Form vorführt; gleichzeitig aber klarmacht auf welcher Basis Solidarisierung an einer Kunsthochschule/Universität zu dieser Zeit am besten funktioniert: Die StudentInnen politisieren sich, wenn ihre Privilegien in Gefahr sind.
Die Nachtakademie entsteht 2002 als spontaner Ausbruch studentischen Protestes im Gebäude Hardenbergstr. 33.
Die Universitätsverwaltung hatte angeordnet, die durchgängige Nachtöffnung, ein einmaliges Privileg des Gebäudes, abzuschaffen. Noch in den Semesterferien formt sich eine Protestbewegung, die sich zum Ziel setzt, die ohnehin vorhandenen kulturellen Aktivitäten, die vor allem abends stattfinden und die von der Nachtschließung betroffen wären, zu bündeln und sichtbar zu machen.
Während der 2-wöchigen Proteste werden abends selbstorganisierte und von StudentInnen und DozentInnen gleichermaßen gehaltene Seminare, Workshops und Technikkurse gehalten. Es scheint, als ob jedeR sein eigenes Potenzial, so verrückt oder verschroben es auch sei, aktiviert und anderen zur Verfügung stellt. Viele der Kurse finden an öffentlichen Orten der Universität statt: in der Halle, auf den Gängen und im Garten. Es gibt Abwegiges, wie Regenschirmgolfen durch die Gänge, und Handfestes, wie Kameraeinführung, Videoschnittkurs und HTML-Workshop.
In der Halle ist ein Raum eingerichtet, der als Protestzentrale, Treffpunkt und Informationswand funktioniert.
Es entsteht für kurze Zeit eine selbstorganisierte, selbstverwaltete Akademie innerhalb der Universität, die lediglich die Architektur und die Ressourcen der Lehranstalt braucht. Für einen kurzen Moment entsteht eine Realisierung des Modellversuchs Freie Klasse auf breiter studentischer Basis: für einen kurzen Moment entsteht „Jede Klasse, Freie Klasse“. Es ist bezeichnend, dass in diesem Moment von eigentlich vorhandenen Strukturen der Freien Klasse nichts zu sehen ist. Die Koordination, die Büros, die Technik und das Geld des Protests kommt aus dem Interflugsbüro, das in diesem Moment die „Aufgaben“ der Freien Klasse übernimmt.
Als der Präsident den Protesten nachgibt und die weitere Nachtöffnung des Gebäudes verspricht, ebbt der Protest ab. Die Nachtakademie verschwindet schneller als sie aufgebaut wurde.
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Waiting for the Revolution
How is it that "the world turned upside-down" always manages to right itself? Why does reaction always follow revolution, like seasons in hell?
Uprising, or the Latin form insurrection, are words used by historians to label failed revolutions - movements which do not match the expected curve, the consensus-approved trajectory: revolution, reaction, betrayal, the founding of a stronger and even more oppressive state - the turning of the wheel, the return of history again and again to its highest form: jackboot on the face of humanity forever.
By failing to follow this curve, the up-rising suggests the possibility of a movement outside and beyond the Hegelian spiral of that "progress" which is secretly nothing more than a vicious circle (...)
If History is "time", as it claims to be, then the uprising is a moment that springs up and out of time, violates the "law" of History. If the state is history, as it claims to be, then the insurrection is the forbidden moment, an unforgivable denial of the dialectic -shimmying up the pole and out of the smokehole, a shaman's maneuver carried out at an "impossible angle" to the universe. History says the revolution attains "permanence", or at least duration, while the uprising is "temporary", In this sense an uprising is like a "peak experience" as opposed to the standard of "ordinary" consciousness and experience. Like festivals, uprisings cannot happen every day - otherwise they would not be "non-ordinary". But such moments of intensity give shape and meaning to the entirety of a life. The shaman returns -you can't stay up on the roof forever- but things have changed, shifts and integrations have occurred -a difference is made.
Hakim Bey, The Temporary Autonomous Zone, (Jahreszahl)
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Bikini Haus 2003
Gespräch mit Ulrike Heise und Thorbjørn Christiansen, verantwortlich für das Bikinihaus, den Raum der Freien Klasse 2003, und Jan Molzberger und Johannes Raether, Freie Klasse 2004
Ulrike:
Als ich mich beworben habe, hat man mir gesagt, dass man möchte, dass die Freie Klasse wieder an einem Ort außerhalb der Hochschule stattfinden soll. Also in so einem ‘Satelliten’.
Dann habe ich mich halt rangesetzt und überlegt: Welchen Raum? Ich hatte privat seit längerem das Bikinihaus in Betracht gezogen und hab’ die Hausverwaltung angesprochen.
Und dann ruft mich eines Tages diese Frau an und sagt, ich soll kommen. Und dann komm’ ich da hin und sie sagt: “Ich kann Ihnen nur auf Handschlag irgendwas geben und es wird nichts unterzeichnet“. – und das war’s dann. Dann hatten wir den Raum eben für drei Monate.
Johannes:
War es so geplant, dass eine Gruppe von Leuten, die sich dann Freie Klasse nennt, diesen Raum organisiert, bespielt und unter Umständen auch an andere weitergibt?
Ulrike:
Mir war klar, dass ich das nicht alles alleine organisieren kann. Dieser Raum war einfach noch nicht in dem Zustand, dass man da z.B. KünstlerInnengespräche machen konnte. Wir wollten den Raum ja irgendwie bekannt machen, und es war klar, dass dafür mindestens eine Bekanntmachungsveranstaltung stattfinden muss.
Da muss man Hilfe haben. Dann habe ich Leute angesprochen, hauptsächlich meine Freunde. Ich dachte, krass, wir haben den Raum und ich muss irgendwas vorbereiten. Und das was ich vorbereitet habe, war Leute anzusprechen, die Bock haben ihre Zeit dafür einzusetzen.
Tobi:
Meine Vorstellung war, dass man einen Raum für die Studierenden der UdK schafft, in dem kollektives Arbeiten ermöglicht und gefördert wird. Wir wollten auch die KünstlerInnengespräche mit ihren Produktions- und Arbeitsmittel in einen Raum außerhalb des UdK Gebäudes einbringen, so dass man nicht mehr unbedingt in diesem hierarchisch strukturierten und überwachten Rahmen arbeiten muss. Wir wollten einen Raum, der sich nur durch Studierende unabhängig und selbstbestimmt organisiert.
Jan:
Und was passierte, als ihr den Raum für andere geöffnet habt?
Ulrike:
Dann entstehen Probleme und Irritationen, irgendwelche Abgrenzungsmanöver und so...
Oder aber die Leute verlieren das Interesse, weil sie nicht mehr überblicken können, was jetzt eigentlich geschieht und was eigentlich dabei herauskommen soll.
Tobi:
Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass ganz verschiedene Vorstellungen existierten, die sich zum Teil nicht miteinander vertragen haben. Das ganze Projekt hat sich deshalb dahin entwickelt, dass es eigentlich keinen gemeinsamen Gestaltungs- und Entscheidungsprozess gegeben hat, sondern dass Einzelne ihren ganz individuellen Interessen nachgegangen sind.
Ulrike:
Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass ich das Konzept auf Zuschauerkontakt und auf 'ne Öffnung auf die Straße hin angelegt hatte.
Das ist nicht wirklich entstanden, außer auf der letzten Party, bei der Leute von der Straße einfach so hochgekommen sind. Das Umfeld vom Bikinihaus am Zoo ist ja ein ziemlicher sozialer Brennpunkt. Da sind Leute, die den größten Teil ihrer Zeit auf der Straße leben. Mit denen was zu machen fand ich interessant.
Johannes:
Das war ein Ausgangspunkt für den Raum?
Ulrike:
Dass die Leute einfach so hochkommen, weil sie eh schon am Breitscheidtplatz herumhängen. Dass die bei uns einfach mal vorbeikommen. Ich hab’ die unten auch angesprochen und dann sind sie auch zum Teil gekommen. Da gab es so einen Straßenkünstler, Eddy. Ich hab’ ihn auch angesprochen, ob er nicht irgendwas machen will und ich hätte ihn auch bezahlt. Aber das war nicht das was er machen will. Der macht immer nur das, wozu er gerade Lust hat und das heißt dann vor’m Wertheim oder vor’m Benetton stehen und manchmal so’n Schraubenzieher hochzuheben, einmal in der Stunde oder so.
Jan:
War es dein Wunsch, einen Austausch zu schaffen zwischen akademischem UdK Kontext und den Leuten, die in unmittelbarer Nachbarschaft sind?
Ulrike:
Also das war halt ‘ne Utopie: Ich wollt’ halt gucken, ob man die ansprechen kann. Wir haben unsere Veranstaltungen dann dort plakatiert und unten immer Schilder aufgehängt. Ich wollte sehen, ob nicht irgendwie diese Membran durchlässiger werden kann.
Das war auch der Grund, warum wir mit den Fenstern gearbeitet haben.
Tobi hat einen Workshop mit dem Künstler Andreas Schlaegel gemacht, in Zusammenarbeit mit der Straßenzeitung „Strassenfeger“, sodass manche Sachen sich ganz gut ergänzt haben.
Ein Spezialgebiet war halt, Parties zu organisieren und da kamen auch irgendwie ganz gut Leute. Diese Parties haben viel Energie und Zeit aufgefressen und dann war keine Zeit mehr für andere Sachen. Wir haben ziemlich oft einen auf den Deckel gekriegt von der Hausverwaltung, weil wir zu laut waren, akustisch. Es ging darum, so ‘ne Grenze aufzumachen. Die Grenze zwischen dem festen Gebäude und der Umgebung irgendwie abzuschaffen.
Johannes:
Glaubst du, dass der Versuch, die Grenzen zwischen verschiedenen sozialen Realitäten durchlässiger zu machen funktioniert hat, oder war das zum Scheitern verurteilt?
Ulrike:
Bei einigen Veranstaltungen habe ich schon gemerkt, dass das Leute sind, die von der Straße gekommen sind und zum Teil gab’s da Auseinandersetzungen: Die wollten dann halt nicht mehr gehen. Ich hab da nicht weiter gedacht, ich wollte einfach nur, dass dieser Raum da ist und dass es da einen umfangreicheren Austausch gibt. Ich wollte da nicht nur die Mailinglistenspezialisten und die Institutionstheoretiker aus unserem Verteiler. Deswegen habe ich es auch immer Treffpunkt genannt- so heißen ja auch häufig die sozialen Einrichtungen. Also irgendwie etwas, was so ‘ner Art Jugendclub ähnlich ist.
Jan:
Inwiefern glaubst Du, dass die Studenten, also die, die jetzt hier studieren, so einem Konzept folgen können?
Ulrike:
Also ich finde, man sollte so einen Austausch fördern, weil die Beziehungen, die entstehen, wenn man Leute trifft, die Probleme haben sich einzugliedern, wichtig sind. Ich finde es gut, wenn ein Raum es hergibt, dass diese Kontakte erst einmal geknüpft werden können.
Johannes:
Aber was ist, wenn die Leute aus der Uni das einfach nicht mitmachen? Wenn das nicht deren Vorstellungen entspricht? Wie kommuniziert man das zurück in die Institution? Wie macht man die StudentInnen dafür aufmerksam?
-
Tobi:
Aus meiner Sicht ist das ein großes Problem gewesen: Ich finde, dass die Studierenden in die Planung und Vergabe des Raums nicht genug miteinbezogen wurden. Ich habe den Eindruck, dass dieser Raum zum Teil gar nicht mehr für die Studierenden der UdK gemacht war und dass einige Leute das als ihr persönliches Territorium begriffen haben. Das war eher eine Freie Clique als eine Freie Klasse. In dieser Hinsicht ist das ganze Projekt für mich gescheitert.
Ulrike:
Man muss dazu sagen, dass wenn der Raum noch ein paar Monate länger gegangen wäre und man noch ein bisschen mehr Zeit aufgebracht hätte, wäre es echt gut geworden. Dann wären auch wirklich Gespräche zustande gekommen, bei denen Leute, die einfach nur so reingeschaut haben, auch gesagt hätten: „Ich hab’ voll Bock, was zu machen“, Dann hätte man sich länger unterhalten können, was dann auch eine eigene Dynamik bekommen hätte. Mir hat es den Anschein gemacht, dass das drin gewesen wäre, denn der Raum ist dafür gut positioniert gewesen.
Das Wichtige ist, glaube ich, auch wenn das jetzt banal klingt: Man kann gar nichts falsch machen, oder zu viel ähnliche Räume initiieren, weil die Sachen leise und klein entstehen.
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Im Winter 2003 gehen alle großen Berliner Universitäten in den Streik gegen Studiengebühren. Die Studierenden der UdK ringen lange mit sich, bis sie sich spät dem Streik anschließen. Der Raum 9 wird als Basis für Streikende genutzt und bildet zusammen mit der neu entstandenen Volksküche eine Situation, in der Gespräche über die einzelnen Klassen hinaus geführt werden. Allerdings verläuft sich die politische Energie des Streikes an der UdK wieder einmal unter dem Weihnachtsbaum. Das führt zu dem Versuch einer Gruppe von Studierenden, nach den konkreten Bedürfnissen der StudentInnen zu fragen und das Gespräch über hochschulpolitische Zusammenhänge in Gang zu halten. Dafür wird im Sommer ein Haus in den Garten des Gebäudes in der Hardenbergstraße gebaut.
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Haus Selba
Gespräch mit den OrganisatorInnen des Haus Selba, Freie Klasse 2004 und Ralo Mayer, von der Manoa Free University, Wien
Ralo:
Wie kam es dazu, ein Haus im Garten zu bauen?
Kathrin:
Dass wir uns mit der Freien Klasse beschäftigen, kam aus dem Studentenstreik im Wintersemester 03/04. Der hat ausgelöst, dass wir gesagt haben, wir wollen was machen. Wir probieren das noch mal aus, was da dran ist, an der Freien Klasse.
Jan:
Wir haben vor allem darüber nachgedacht, inwieweit man nach dem Streik weitermachen kann. Wie wir wieder einen Kristallisationspunkt schaffen können, für die Bewegung, die im Streik entstanden ist. Wir waren uns einig, dass wir um keinen regulären Raum in der Universität betteln wollten und dass dieser Raum, indem wir arbeiten, anders als die ihn umgebende Institution sein sollte: So einen Raum, dachten wir dann, muss man halt selba bauen.
Ralo:
Wart ihr schon vor dem Streik in ähnliche Projekte involviert? Gibt es so ein Haus jedes Jahr?
Sophie:
Naja, es gab jedes Jahr ein Freie Klasse Projekt, seitdem die Freie Klasse keinen festen Raum mehr hat.
Aber die Projekte sind innerhalb der Universität nicht so sehr sichtbar geworden, weil sie entweder sehr kurz waren oder außerhalb der Uni. Wir haben uns gedacht, dass es gut wäre, mal wieder eine größere Sache innerhalb der Universität zu machen.
Johannes:
Es ist uns erst langsam klar geworden, welches Vokabular notwendig ist, um überhaupt mit so was wie der Freien Klasse was anfangen zu können und gegenüber anderen davon zu reden.
In den letzten Jahren hatte die Freie Klasse nicht genug Leute, die eine neue Idee für die Freie Klasse entwickelt haben und damit den Sinn einer solchen Versuchsanordnung deutlich gemacht hätten.
Damit wurde die Freie Klasse ein relativ schwammiger Begriff. Unserer Meinung nach geht es aber gerade darum, dass man die äußere Hülle oder die Struktur eines solchen Bereiches erhalten und stärken muss. Das Innere, also die Inhalte und die Aktionen sollten dann aber offen, flüssig und modifizierbar gehalten werden. Das ist wie ein Haus zu haben, in das immer jemand anders einziehen kann, in dem man aber nicht vorgibt, dass drinnen diese oder jene Möbel sein müssen.
Es war wichtig zu verstehen, dass man diese Offenheit gegenüber einer strukturell relativ linearen Geschichte wie Interflugs wieder vermitteln muss.
Jan:
Wir haben in unserer Recherche, was die Freie Klasse bis jetzt war und weiterhin sein könnte, Interviews mit Leuten gemacht, die in der Freien Klasse gearbeitet haben. Das ist ein ganz wichtiger Teil des Hausprojektes. Wir versuchen die verschiedenen Stadien der Entwicklung auszuloten. Sozusagen eine Historie der Freien Klasse zu erstellen. Manche werden das sicher problematisch finden, weil es die Einsicht ist, dass man jetzt institutionalisiert ist und somit beginnen kann, sich am eigenen Archiv aufzugeilen. Auf der anderen Seite lernt man unheimlich viel über die Ideen und Motivationen, die dieses Gesamtprojekt kennzeichnen und damit ein Stück weit auch über sich selbst.
Es ist einfach spannend zu entdecken, dass es diese Probleme, Fragen und Antworten gibt, die sich durchziehen. Die werden von allen immer wieder formuliert, egal ob die das 2004 gemacht haben, 2001 oder 1997; und wahrscheinlich auch noch 2010.
Johannes:
Oft ist es ja so, dass so ein Projekt in großer Frustration für die Beteiligten endet, so dass sie beim nächsten Projekt gar nicht mehr dabei sein wollen. Auf die Weise wird dann auch das Wissen, das die produziert haben, nicht vermittelt, weil die sich völlig zurückziehen. Wir wollten gerne an dieses Wissen und die Erfahrungen rankommen und in unser Projekt einfließen lassen.
Ralo: Wenn es um das Vermitteln von Wissen geht, warum war das Projekt dann nicht länger gedacht?
Kathrin:
Das war gut, das Projekt so durchzuziehen. Denn wenn wir gedacht hätten, dass sich das länger tragen sollte, dann hätten wir das ganz anders anlegen müssen. Dann hätten wir das Haus nicht so schnell aus dem Boden gestampft und auch nicht so viele Veranstaltungen stattfinden lassen. Wir haben diesen Gedanken, dass es eine Eruption sein sollte, ja zusammen entwickelt. Da war auch klar, dass man eine Menge Energie reinsteckt, sonst explodiert es auch nicht.
Johannes:
Es war unser Wunsch, mit einem kurzen intensiven Projekt zu zeigen, dass die Freie Klasse auf- und wieder abbaubar sein kann, in relativ kurzer Zeit: Es gibt also keine Freie Klasse. Es gibt auch keine feste Gruppe mit Aufnahmeregeln, einer Agenda und den dazugehörigen Ausschlussmechanismen. Sondern es gibt eine Plattform der Möglichkeiten, die von immer anderen immer anders gestaltet werden kann. Aufeinanderfolgend bilden die einzelnen Eruptionen dann einen diversen und lebendigen Komplex, der dann meinetwegen auch Freie Klasse heißen kann. Mit diesem Hintergedanken haben wir von Eruption gesprochen, also dem plötzlichen, zeitlich begrenzten Ausbruch von Energie innerhalb eines vorhandenen Systems.
Ralo: Das ist ja eigentlich ein ganz schöner Begriff...
Nina:
Wir sind sowieso bald weg von hier, und vielleicht sehen das ja irgendwelche Leute, die im ersten oder zweiten Semester sind und denken: „mmh das ist ja lustig. Ich weiß zwar noch nicht, was das alles bedeutet, aber...“ Und dieses „aber..“ ist dann deren Aufgabe. Denn vielleicht wollen und brauchen die ja was ganz anderes. Zumindest ist so ein Haus eine Referenz, an der man erklären kann: „so, oder anders könnt ihr das machen...“
Sophie:
Viele von solchen Gedanken, haben wir in diesen Interviewgesprächen entwickelt.
Es war gut zu sehen, dass in den späteren Gesprächen, wie zum Beispiel mit Stephan Geene, es gar nicht mehr so viel um die alte Freie Klasse ging, sondern eigentlich um das Hausprojekt. Wir hatten dann interessante Rückkopplungen von den Leuten, die die Freie Klasse damals gesehen haben und jetzt unsere Arbeit. Stephan war es zum Beispiel, der angemerkt hat, dass das Projekt als Ganzes eher einer Recherche gleicht: einer Befragung des Kontextes und der spezifischen sozialen Realität, in die wir uns begeben haben. Dass wir eben keine These und kein politisches Programm haben. Dass es hier eher darum geht was herauszufinden, statt was zu behaupten.
Eine Untersuchung der Möglichkeiten von Selbstorganisation heute.
Kathrin:
In dem Gespräch zeigte sich auch, dass es nicht genug ist, einfach nur Möglichkeiten zu bieten:
Das ist so als wenn man jemanden ein Mikrophon ins Gesicht hält und sagt: „Sag doch mal was.“ Dann sind die Leute auch nicht in der Lage sich zu äußern. Wir wollten einen Raum schaffen, der nicht nur auf die Eigeninitiative von den Studierenden setzt, sondern auch aktiv einlädt und mobilisiert. Und vor allem einen Raum, in dem die Leute in einer Situation sind, in der sie sich äußern können.
Johannes:
Davon ausgehend war es interessant herauszufinden, dass wir unbewusst drei verschiedene Räume innerhalb dieses Hauses versammelt hatten: einmal einen offenen Raum, der keine Wände und keine Türen hat und der ohne Zugangsberechtigung funktioniert. Also einen „Open-source-Raum“, an dem jeder nach Möglichkeit was anbringen oder mitnehmen kann.
Dann gab es eine Art Möglichkeitsraum, in den wir die Studierenden eingeladen haben, Workshops, Veranstaltungen, Konzerte, andere experimentelle Sachen zu machen. Und einen weiteren Raum für unsere Arbeit, für Veranstaltungen und Ideen, die wir als Gruppe anbieten wollten, um eigene Inhalte zu formulieren und zu vermitteln.
Jan:
Vor allem sollte es ein Kommunikationsraum sein, der sich durch Teilnahme und nicht durch Abgrenzung definiert:
Es ist oft so, dass es innerhalb einer Institution nicht um das gegenseitige Austauschen von Argumenten oder um ein diskutieren von gegensätzlichen Meinungen geht. Das würde ja auch immer ein Aufbrechen der Positionen und ein Erweitern des eigenen Horizontes bedeuten: Es geht hier leider vielmehr um Ideen wie Professionalisierung, Effizienz, und sich gegenüber den Anderen zu behaupten.
Ausserdem hatten wir den Eindruck, dass die vorherigen Projekte oft heftige Ausschlüsse produziert haben und ihren ganz eigenen Film gefahren haben. Wir wollten, dass das bei uns weniger stark ist.
Ralo:
Das Wissen, das ihr hier produziert, ist ja eigentlich auch eine Professionalisierung. Selbstorganisation ist ja auch eine Forderung der Eliteuniversität an ihre Studierenden...
Johannes:
Das haben wir auch gemeinsam während des Mikrokongresses (Der Mikrokongress war ein Treffen unterschiedlicher selbstorganisierter Gruppen aus Hamburg, Dresden, München, Wien und Berlin im Haus Selba im Juni 2004) diskutiert: Dass das Künstlersubjekt, als individualisierter, hochflexibler, kommunikationsfreudiger, sozial kompetenter, kulturell und kreativ gebildeter Nomade, ein Vorbild für die Protagonisten der neuen Arbeitswelt darstellt. Und dass man als ein solches Vorbild von der falschen Seite benutzt wird. Trotzdem müssen diese Räume, in denen eine etwas freiere Wissensproduktion stattfinden kann immer wieder gemacht werden, auch wenn man sich dabei tief in Widersprüche verstrickt.
Ralo:
Es ist halt ganz wichtig, dass man anfängt diese Widersprüche, gleichzeitig effizient und unangepasst zu sein, zurückträgt. Die werden viel zu sehr ins eigene Subjekt getragen, wo sie nicht hingehören. Zum Beispiel der Widerspruch zwischen schnellem Studieren und lebenslangem Lernen. Das ist ja offensichtlich ein völlig idiotisches Konzept.
Außerdem glaube ich, dass man für Selbstorganisation eine neue Begrifflichkeit finden muss, weil der Begriff einfach keine politische Richtung mehr bietet. Selbstorganisiert ist nicht selbstbestimmt, du kannst dich auch nach anderen Prinzipien selbstorganisieren, so wie jede Firma das macht.
Jan:
Wir haben den Begriff in einem Workshop mal in „Sandorganisationskasten“ umgewandelt.
So wie in den Wikis (Wiki ist eine Software, mit der im Internet kollektiv an Inhalten gearbeitet werden kann), in denen man auch die „Sandbox“ zum Ausprobieren hat.
Sophie:
Dieses Haus sollte ja auch so etwas wie eine Rückübersetzung dieser Fragen in die Institution sein. Dass wir das hier in die Mitte gebaut haben, sollte ja auch ein sichtbares Zeichen für die Möglichkeit sein, sich autonom zu organisieren und unabhängig zu Handeln.
Genauso wie das Übereinanderlagern von verschiedenen Namen für das Haus eine symbolische Haltung war, sich nicht so stringent zu benennen. (Das Haus hatte verschiedene Namen. Nacheinander oder auch übereinander: Götterschule der ertragreichen Stadt, Büro roh, Haus Selba, Haus Rungholdt, Villa Selba)
Ralo:
Das ist ja auch eine interessante Frage: Wie war eure Diskussion um den Namen der Freien Klasse?
Kathrin: Oh Gott, da gab es echt viele Diskussionen.
Jan:
Die Namensdiskussion gab es, weil wir verschiedener Meinung waren, wie wir mit diesem starken Begriff der Freien Klasse umgehen. Es wäre schön gewesen, das ganz namensfrei zu machen, oder zumindest diese Bennenung zu unterlaufen, indem man ganz viele Namen übereinander klebt.
Und dann kam halt von Seite der Studierenden ein ziemlicher Druck, jetzt doch mal einen Namen zu finden.
Johannes:
Das ganze hat als Freie Klasse Projekt begonnen. Es schien damals klar, dass es jetzt wieder Freie Klasse geben wird. Die Schwierigkeit mit diesem Bezug haben wir richtig verstanden, als wir mit Katharina Sieverding diskutiert haben: Sie war der Meinung, dass der Begriff der Freien Klasse völlig obsolet ist, und dass wir jetzt andere Probleme haben (Elitisierung, Bachelor/Master). Wir haben dann realisiert, dass mit dem Begriff einfach was viel zu Spezifisches verbunden wird. Es wurde ja nicht gesagt, dass Selbstorganisation an sich nicht mehr notwendig ist, sondern nur dass die Agenda der alten Freien Klasse veraltet ist. Da wurde uns klar, dass der Name einfach übercodiert ist, vielleicht sogar positiv, aber auf jeden Fall nicht mehr einfach so ungebrochen nutzbar.
Jan:
Diese Diskussion lief die ganze Zeit parallel. Das war eher ein abstrakter Diskurs, der für etwas anderes stand: für ein generelles Überlegen, wie strukturiert sich so eine Gruppe, wie findet man rein und wieder raus aus so einer Gruppe? Wie helfen diese Namen, Sichtbarkeiten zu schaffen und kulturelles Kapital anzuhäufen?
Außerdem war für uns die Frage welche Mechanismen wir eigentlich unterbewusst reproduzieren, wenn wir so eng mit der Institution arbeiten. Das haben wir alles anhand des Begriffes „Freie Klasse“ diskutiert.
Sophie:
Wenn man die Freie Klasse heute neu definiert und den Namen bewusst benutzt besteht aber auch die Chance, dass sich der Begriff von dem ablöst, was es in den Neunziger Jahren war und sich mit dem verbindet, was heute gedacht und gemacht wird. Wir stehen halt in manchen Dingen in der Tradition der Freien Klasse, genauso wie wir in manchen Dingen überhaupt nicht in der Tradition stehen.
Jan:
Es war einfach ganz gut, dass wir am Anfang diesen Namen wieder aktiviert haben und damit eine Art Gespenst, das mit dem Namen der Freien Klasse durch die Uni gespukt ist, beschworen haben. Erstmal hat das viele Leute angezogen und dann haben wir angefangen das weiterzuentwickeln und in der neuen Gruppe neue Kriterien zu diskutieren, was das denn heute sein könnte, so eine Freie Klasse. Das war so, als wenn man einen verwilderten Garten findet. Die Leute die dann kamen und uns gefragt haben, was wir denn da machen, die haben wir dann auch immer konfrontiert mit diesem Gespenst der Freien Klasse. Wir wollten damit zum Nachdenken anregen, in dem Sinne, dass wir versucht haben, die Leute selber überlegen zu lassen, was das sein könnte, statt zu behaupten, was es ist.
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Ich glaube, es wäre hilfreich wenn man den Begriff "Akademie" etwas differenziert betrachtet. Zum einen bedeuten Universität und Akademie zwei unterschiedliche Vermittlungs- und Aneignungsformen von Wissen. Die Universität hat sich aus der Scholastik heraus entwickelt und da ging es erst einmal um Archivierung beziehungsweise Reproduktion des archivierten Wissens. Seit Humboldt geht es dann um das Schaffen neuen Wissens und ganz aktuell diskutiert man eine neue Funktion der Universität, nämlich "creating communities around knowledge".
Nun, über Letzteres kann man vielleicht schmunzeln, aber genau das steckt eigentlich ganz zentral im ursprünglichen Begriff 'Akademie' und der hat seine Wurzeln natürlich bei Plato, ist also eher dieses 'selbstorganisierte' Zusammen-im-Wald-Sitzen. Unsere Akademien haben aber dann in einem Plato Revival in der Renaissance ihren Anfang genommen. Es gab da alle möglichen Formen der Akademie, religiöse Akademien, Kriegsakademien, astrologische Geheimzirkel usw., jedenfalls bedeutete es immer ein zeitlich beschränktes, informelles Zusammenkommen verschiedener Leute aus unterschiedlichen Kontexten zum Austausch von Informationen und Meinungen, zur Selbst-Bildung durch Disput.
Diese sogenannten "Gelehrten-Gesellschaften von Dilettanten und Amateuren" waren aber nur Übergangsformen, denn durch ihren zunehmenden Einfluss "professionalisierten" und institutionalisierten sie sich. Die institutionelle Akademie wurde zur Ständevertretung der Künstler und beanspruchte Geschmacks- und Diskurshoheit für die Kunst. Dadurch wurden die Gilden der Schildermaler (die ja auch Altäre und Bilder malten) zu bloßen Handwerkern degradiert. Zudem wurden zum Erhalt und zur Kontrolle der Diskurshoheit in Sachen Kunst an die institutionelle "Akademie der Professionellen" eine Erziehungsanstalt angegliedert, das wäre die heutige Kunstakademie. Schöner ist das alles nachzulesen bei Nikolaus Pevsner oder im Akademiebuch.
Aber es ist keine Frage, dass ich die selbstorganisierte "Akademie der Dilettanten" favorisiere: Akademie ist keine Institution, sondern eine Form der Kommunikation. Akademie muss immer wieder hergestellt werden, ist zeitlich begrenzt, unhierarchisch, interdisziplinär, insofern es Leute mit unterschiedlichen Kenntnissen zusammenführt. Akademie schafft einen Kommunikationszusammenhang.
Dass diese Kommunikationszusammenhänge seit etwa 1994 begehrenswerte Ausstellungsobjekte geworden sind, das kann ja sein; Und es ist sicher so, dass das ermüdet: Aber das ändert ja nichts daran, dass es diese Kommunikationszusammenhänge weiterhin gibt und notwendigerweise geben muss.
Es ist auch egal, ob man diese Akademien, beziehungsweise Kommunikationszusammenhänge, innerhalb oder außerhalb der Institution herstellt, denn das kann man überall dort machen, wo mehr als zwei, drei Leute zusammen kommen und sich austauschen. Das kann in einem Club sein, das kann in einem Kellerloch sein, oder das kann in einer Akademie sein. Egal.
Stephan Dillemuth beim Mikrokongress im Haus Selba, Berlin 2004
Interviews und Text Johannes Raether