Kind spielen, Terrorist sein

Die malenden Realisten und ihre falschen Väter: „Lieber Maler, male mir“ – Eine Schau in der Frankfurter Schirn


Seit den neunziger Jahren hat sie wieder Konjunktur: die figurative Malerei. 1997 zeigte das MoMA in New York eine erste Ausstellung zum Thema: John Currin, Elizabeth Peyton und Luc Tuymans stehen seither für diese Strömung der zeitgenössischen Malerei ein, die dennoch nicht immer gut beleumundet wird. Die Künstler jedenfalls fühlen sich schlecht behandelt: „Das Malen ist eine armselige Praxis geworden und wird intellektuell nicht geschätzt“, schimpft John Currin, „die intellektuelle Elite sieht in der Malerei eine Geste für rechte Reiche.“ Auch seine New Yorker Kollegin Peyton berichtet von kühler Ablehnung mit der man auf ihre Arbeiten reagierte: „Mit Schönheit was am Hut zu haben war Pfui.“

Schon merkwürdig: Ausgerechnet diejenigen, die sich in ihrer Arbeit auf eine Kunstform zurückbesinnen, die als lange vorbei, essentiell traditionell, konservativ, anti-avantgardistisch und reaktionär gilt, geben sich nun als Tabubrecher und Rebellen und inszenieren sich als Unterdrückte eines elitären linken Kunstdiskurses. Die Frankfurter Schirn zeigt ab kommendem Dienstag eine große, zusammen mit dem Pariser Centre Pompidou und der Kunsthalle Wien realisierte Schau solcherart aktueller, realistischer Malerei. „Lieber Maler, male mir“, der Titel der Schau, ist ein Zitat: 1981 hat der Künstler Martin Kippenberger seine erste Personale in Berlin so genannt, weil er anstelle eigener Arbeiten bei einem Kinoplakatmaler in Auftrag gegebene, hyperrealistische Gemälde ausstellte. Den Ausstellungsmachern geht es darum, den jungen Realisten eine künstlerische Familienherkunft zu verpassen, einen kunsthistorischen Bezugsrahmen. Als zweite Vaterfigur wird der französische Avantgardist Francis Picabia genannt. Er nahm Anfang der vierziger Jahre Erotikmagazine als Vorlage und malte aus ihnen nackte Frauen in aufreizenden Posen ab. In einer Zeit, wo realistische Menschendarstellung vor allem als faschistische oder sozialistische Staatskunst gepflegt wurde, ging es Picabia aber weder um den kontroversen Dialog mit arischen Blondinen noch um stalinistische Arbeiterporträts – sondern um die Arbeit sehnsuchtsvoller Träume, die verwandt ist mit der Übersetzung schäbiger Schwarz-Weiß- Fotografien in bunte und großformatige Gemälde.

Nach Vorlagen aus den Massenmedien arbeiten, das Banale nicht fürchten und seine Verlegenheiten als absichtsvolle Ironie verkaufen, all das mag tatsächlich die Alten und die Jungen verbinden, aber nicht auf Augenhöhe. Der heimliche Grund für die zahlreich vertretenen Arbeiten der Väter, zu denen neben Kippenberger und Picabia auch Bernard Buffet, Sigmar Polke und Alex Katz erklärt werden, scheint darin zu liegen, dass sie ästhetisch einfach überzeugender aussehen. Das lebensgroße Cary-Grant-Portrait des 35-jährigen Amerikaners Kurt Kauper würde man an einem anderern Ort vielleicht für ein albernes Poster oder einen Scherzartikel halten. Man sieht Cary Grant, wie er etwa lässig am Kamin lehnt, professionell in Richtung Kamera blickt, allerdings nichts anhat. Der Schauspieler steht einfach da, lächelt gentlemanlike wie immer – als hätte er das Malheur noch nicht bemerkt. Kunst kommt hier nicht von Können: Nicht dass es Cary Grant wirklich ähnlich sieht, sei die künstlerische Leistung des Bildes, sondern, darüber informiert der Katalog, dass Kauper mit dem nackten Grant humorvoll das Klischee der von Hollywood produzierten Männlichkeit zerstöre. Stimmt das denn? Natürlich nicht. Hollywood lässt sich von Kurt Kauper nicht beeindrucken und Trilliarden klischeehungriger weiblicher Fans auch nicht.

Auch die Arbeiten der anderen Künstler fügen sich letztlich bruchlos ein in jene Bilderwelt der massenmedialen Kulturindustrie, die sie eigentlich bearbeiten wollen. Ein Realismus ohne Reales, der kaum jemals thematisiert, was wir unser Leben nennen, sondern das Fernsehprogramm und die Magazine, in denen wir geblättert haben und dessen Werke auch problemlos wieder dort abgedruckt werden könnten, ohne größeres Aufsehen zu erregen. Das ist das Enttäuschende an dieser Kunst: dass sie keinen Unterschied macht und nichts will, was jenseits des Persönlichen läge. Elizabeth Peyton malt Kurt Cobain, weil sie irgendwie verliebt ist, Sophie von Hellermann will mit Farben und Pinsel „Kinder spielen, durchprobieren, wie es ist, den Mount Everest zu besteigen und Terrorist zu sein“, und Glenn Brown bekennt, beim Malen intensive Erfahrungen gemacht zu haben: „da will man dann nie mehr etwas anderes tun“. Schön für ihn, aber was hat das mit dem Rest der Welt zu tun?

Als „Spaßfeier in Zeiten grimmiger Weltverbesserungskunst“ hat man diese Malerei bezeichnet. Doch beim Gang durch die Ausstellung schlägt einem allenthalben die schmutzige Farbigkeit englischer Fernsehserien entgegen. Eine Ausnahme bilden vielleicht die sparsamen Comic-haften Bilder von Brian Calvin aus Los Angeles. Dünne Gestalten mit langen schwarzen Haaren, die eine Treppe steigen, an eine verschlossene Tür klopfen, mit dem Finger eine unbestimmte Geste ausführen. Viel braun, violett, grün, schwarz – die Farben der Melancholie, von der seine Bilder erzählen. Sie fordern eine Betrachter, der sie ansieht wie etwas Bekanntes, als hätte er das alles schon hundertmal gesehen. In der Wiederholung liegt das Wesen der Moderne – Brian Calvin hat sie nicht ins Zitieren von Kunst und Kultur, sondern ins Hinschauen gelegt. Mal überlegen, ob man sich das aufhängen würde, endlich mal diese Ecke verschönern, im Wohnzimmer, die immer ein wenig im Dunkeln liegt.

EVA MARZ

Von 15. Januar bis 6. April.