Swetlana Heger über Werbung

Sie wohnen in einer seltsamen Gegend.

Warum?

Es sieht aus wie ein Architekturmuseum. Grandiose Plätze und Straßen, aber keine Menschen. Überall Apotheken. Orthopädische Fachgeschäfte.

Ja. Und viele Reisebüros. 15 Stück in Gehweite.

Die Leute wollen weg hier.

Kaum. Das mit den Reisebüros ist eine Spätfolge der Maueröffnung. Die meisten werden wieder schließen müssen.

Warum?

Die Menschen hier sind alt. Außer ein paar schwulen Pärchen und einigen Philosophen.

Und mittendrin Sie.

Ja.

Es geht Ihnen gut?

Danke. Ging nie besser.

Sie hätten Immobilienmaklerin werden sollen.

Hm. Sagen wir lieber, ich kenne mich aus im Interior Design.

Darüber möchte ich gern mit Ihnen sprechen.

Über Design?

Weniger. Über Werbung. Luxus, Mode, Markenzeichen.

Ah ja.

Sie haben sich selbst als Markenzeichen positioniert. Sie verkaufen sich an weltweit agierende Unternehmen, um Ihre Kunst zu finanzieren. Nicht gerade populär unter Künstlern, oder?

Die alte Sache: Über Geld spricht man nicht. Aber was ich mache, entsprang der blanken Not. Von was lebt man als Künstler? Das gilt ja hierzulande nicht einmal als richtiger Beruf. Intellektuelle Arbeit wird schlecht bezahlt. Ich stamme aus Tschechien, habe in Wien fünf Jahre lang Kunst studiert. Als ich in Berlin ein Konto eröffnen wollte und meinen Beruf angeben sollte, hieß es: „,Künstler´ steht nicht auf der Liste.“ ,Journalist´ stand auf der Liste. Ich habe immerhin ein Diplom!

Ihr Weg aus der Misere: Sie arbeiten als Model für Hermès, Adidas, Levi´s, Marlboro Classics ...

Nein. Ich bin Künstlerin, kein Model. Ich stelle mein Image zur Verfügung und zeige dadurch die Abhängigkeiten auf, in die Künstler sowieso verstrickt sind. Von irgendwoher muss das Geld für die künstlerische Arbeit ja kommen. Immer mehr Museen brauchen Sponsoren, immer mehr Künstler Mäzene. Ich importiere in meiner Arbeit ökonomische Strukturen aus der Privatwirtschaft in die Welt der Kunst. Ich mache sichtbar, wie der Kunstmarkt funktioniert.

Möglich. Andererseits: Ihr Konterfei hängt mit einem Firmenlabel geschmückt in Schaufenstern. Kürzlich waren Sie mit blankem Busen abgelichtet im Hermès-Store in der Münchner Maximilianstraße zu sehen. Für wen wurde da geworben?

Wichtig ist, dass ich auf Hermès zugegangen bin, nicht umgekehrt. Die Rolle des Künstlers ist heute nicht mehr die eines willenlosen Opfers, das im Kämmerchen immerfort schafft und schafft. Er muss auch über Manager- Qualitäten verfügen. Ich sollte vielleicht von vorne anfangen. Von 1996 bis 2000 habe ich mit dem Künstler Plamen Dejanov zusammengearbeitet. In diese Zeit fiel die Ausstellung „Dream City“ im Münchner Kunstverein...

... wo Sie beide 1999 einen Skandal produziert haben.

In der Ausstellung ging es um München als Traumstadt. Wir haben uns gefragt: Was dominiert München? Womit wirbt die Stadt? Wir kamen ganz logisch auf die Autos, auf BMW. Das Unternehmen hat Anteil am Wohlstand der Stadt. So haben wir unsere Ausstellungsfläche an BMW verkauft.

Wieviel kostet so eine Fläche?

Im Kunstverein waren es damals etwa 62000 Mark für 120 Quadratmeter. Über die gesamte Ausstellungsdauer gerechnet. BMW baute dort einen Verkaufsstand auf, einen echten.

Die Geschichte ist bekannt: Es hagelte Proteste, der Kurator Dirk Snauwaert distanzierte sich, der Stand musste noch vor Ausstellungsbeginn abgebaut werden. Und Sie waren um einen BMW Z3 Roadster reicher.

Ja. Viele fanden das brutal. Aber normalerweise bekommen Künstler gar nichts, wenn ein Museum sie einlädt, eine Arbeit zu gestalten. Das haben wir geändert. Und der Punkt ist: Die Ausstellung wurde vom Siemens-Kulturprogramm finanziert. Alle beteiligten Künstler waren abhängig von dieser Geldstruktur. Wir waren nur etwas offensiver und provokativer als die anderen. Manche sagten uns: Hättet Ihr doch mit einem kleinen, unauffälligeren Unternehmen zusammengearbeitet. Der Fingerzeig war ihnen zu deutlich.

Den Roadster haben Sie verkauft ...

Ja, an das Wiener Museum für Angewandte Kunst. Als unsere Arbeit.

Ohne jetzt klassenkämpferisch werden zu wollen: Kennen Sie das Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters?“ von Bert Brecht?

Es geht nicht um das Produkt selbst. Das haben Fabrikarbeiter geschaffen, nicht wir. Klar. Es geht um ökonomische Strukturen, in denen jeder Künstler steckt. Meine künstlerische Arbeit ist ein wirtschaftliches Gut, und ich mache das transparent. Durch Vermietung, Vermarktung, Verkauf. Ich akkumuliere Kapital, betreibe Wertsteigerung. Als Kunst.

Und als Sie ein Ausstellungsbudget dafür verwendet haben, nach L.A. zu fliegen und im Chateau Marmont zu residieren? Ging es da auch darum, Strukturen deutlich zu machen?

Natürlich. Das war 2001, in Wien.

Warum sollen Künstler nie Urlaub machen dürfen und immer in den schlechten Hotels wohnen? Alles andere gilt

ja geradezu als unanständig. Die drei Tage im Chateau Marmont waren mein Ausstellungsbeitrag, genauer gesagt: die Rechnung dieser Reise. Im Hotel traf ich andere Künstler: Robert de

Niro, Michael Stipe, Michel Comte. Jim Morrison hat sich hier vom Balkon gestürzt, James Dean und Nathalie Wood waren da.

Hört sich nach Luxus an, nach dem guten Leben.

Ja, aber: Warum existieren in anderen künstlerischen Berufen eigentlich professionellere Finanzstrukturen als bei bildenden Künstlern? Darin lag mein

Interesse. Das Ding mit brotloser Kunst, mit Genie und Wahnsinn ist doch vorbei. Es hat mich mal eine renommierte Kuratorin für zeitgenössische Kunst im Atelier besucht. Sie war enttäuscht, dass es bei mir nicht nach armem Osten aussah. Mir geht es um etwas ganz anderes. In Los Angeles wollte ich als Künstlerin das Leben eines „Bobos“, eines Bohemian Bourgeois imitieren.

Und? Sind Sie heute einer von denen?

Eine Geschichte dazu. Vor einigen Jahren haben Plamen und ich noch unsere eigene Arbeitskraft in Ausstellungen angeboten, 1997 in Luzern etwa. Künstler besitzen ja keine definierten Fertigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Also haben wir alles gemacht: kellnern, in einer Hotelküche arbeiten, in einer Bar oder in einem Blumengeschäft. Von den Erlösen kauften wir Kunst und Designklassiker, die dann im Museum ausgestellt wurden: Objekte von Charles und Ray Eames, ein Fernseher von Richard Sapper, künstlerische Arbeiten von Elizabeth Peyton, Jorge Pardo, Sharon Lockhart.

Das Prinzip der Wertsteigerung.

Ja. Als wir das Peyton-Bild kauften, war es 5000 Mark wert. Heute schätzt man es auf 80 000 Dollar. Manchmal blieben wir aber auch arbeitslos. Und die Plattformen, auf denen die Objekte ausgestellt werden sollten, blieben dann zwangsläufig leer. Wir haben auch unser Scheitern ausgestellt. Ganz so, wie es dem realen Wertschöpfungsprozess entsprach. Die Schweizer hatten anfangs sogar Angst, wir würden den Einheimischen Arbeitsplätze wegnehmen. Später waren sie begeistert. Heute geht das alles nicht mehr. Wenn ich in ein Museum komme und höre: Du brauchst gar nichts mehr tun, wir haben schon zehn Jobs für dich, dann weiß ich: Ich werde zum Sozialclown. Dann muss ich etwas anderes versuchen.

Wie zum Beispiel die Idee, Swetlana Heger als Markenzeichen, als Brand neu zu erschaffen?

Genau. Es hatte auch mit der beruflichen Trennung von Plamen zu tun. Vorher waren wir eine Art Kollektiv, es ging auch darum, die Idee vom Einzelgenie zu unterlaufen. Anlässlich der Ausstellung „Art & Economy“ in den Hamburger Deichtorhallen 2002 habe ich dann eine Marketingfirma gebeten, ein neues Image für mich zu kreieren. Sie erstellten für mich ein Profil, und daraufhin haben wir begonnen, verschiedene Unternehmen anzusprechen, ob sie mich sozusagen als Plattform bespielen wollen. Entweder als Sponsor oder als Partner im ästhetischen Prozess.

Als Plattform bespielen ... da ist wirklich nicht mehr viel vom Stallgeruch der Ateliers.

Das war der Anfang. Der zweite Schritt war dann die „Playtime“-Serie, in der die Darstellung meiner Person im Mittelpunkt steht. Hier habe ich jeweils mit einem Modefotografen zusammengearbeitet. Der erste Partner war Adidas. Danach kam ein Auftrag des Schweizer Juweliers Bucherer ...

Sie wälzen sich in den Aufnahmen in blauem Schlamm, tragen ein Collier . ..

Es war Joghurt mit blauem Pigment. Die Aktion war sehr wild und erotisch und erinnert ein wenig an Yves Klein, der Frauen blau bemalte und sie dann über Leinwände zog.

Die Firma Bucherer bekommt also, was sie will, und Sie ebenfalls. Trotzdem ... zieht die Werbeindustrie Sie da nicht über den Tisch? Das Ergebnis der Kooperation ist ja auch sehr ... werbemäßig.

Das sieht schon sehr perfekt aus, ja. Ich würde eher es als Crossover bezeichnen. In Bereichen wie der Musik oder dem Film ist das ja viel geläufiger. Und ich kann denen immer sagen, was ich will. Und was ich nicht will. Ich würde aber auch nicht gegen das Unternehmen arbeiten, das wäre kontraproduktiv. Grundsätzlich bin ich für alle Partner offen.

Und die Partner sind offen für Sie. Weil Sie gut aussehen, zum Beispiel.

Beide Seiten wollen etwas. Für die Unternehmen ist es eine Image-Frage. Sie wollen modern und progressiv sein und unterstützen daher auch junge Künstler. BMW hat uns übrigens auch nach dem Skandal unterstützt. Wir dachten, sie springen ab. Es ging ihnen also auch um die künstlerischen Ideen. Wenn ein Fotograf ein Porträt so inszenieren würde, das man mich kaum oder gar nicht sähe, wäre das auch in Ordnung.

Nun sind Sie aber bisweilen sehr deutlich zu sehen, in den Hermès- Fotografien etwa. Da posieren Sie auf einem Fahrrad mit Pferdesattel, als Lulu- Kopie in ein Plaid gehüllt oder mit angelegtem Halsband. Das funktioniert doch vor allem über Ihre Schönheit.

Was soll ich sagen? Ja, vielleicht ist es so. Aber das gilt auch nur für unseren Kulturkreis. Ich kam nach dem Studium über ein Postgraduiertenstipendium nach Japan. Naja, vor allem habe ich dort viel und ausgiebig gelebt. Und festgestellt, dass dort viel Werbung mit europäischen Menschen geschaltet wird. Überwiegend Menschen, die wir als außergewöhnlich hässlich ansehen würden und die hier keine Chance hätten. Werbung muss nicht zwangsläufig mit Schönheit verbunden sein.

In der Münchner Maximilianstraße schon.

Also, ich will noch etwas zu meiner Zusammenarbeit mit Hermès sagen. Es war nicht einfach, dieses Traditionsunternehmen von der Aktion „Playtime“ zu überzeugen. Hermès wurde mit Pferdezeug berühmt, sie besitzen eine gewichtige Sammlung Alter Meister. Hauptsächlich Pferdemotive. Zuerst nahm ich schriftlich Kontakt auf, mit einem Portfolio. Danach kam ein persönliches Gespräch. Sie waren dann sehr an etwas Neuem interessiert. Diese Arbeit wurde übrigens an zwei unterschiedlichen Orten gezeigt: in den Kunst-Werken in Berlin und in den Schaufenstern der Hermès-Stores. Das Kunstpublikum nahm sie ganz anders wahr als die Hermès-Kunden. Darum ging es mir.

Wenn ein Label die Kunst für Werbung benutzt, wird dann nicht die Kunst auch zum Label? Oder zu einem Teil von ihm?

Das ist sie doch auch so schon. Obwohl man Kunst als das ultimative Luxusprodukt nicht bewerben muss, weil sie eigentlich überflüssig ist, aber trotzdem gesammelt wird, besitzt jeder anerkannte Künstler ein Label im Sinne eines Wiedererkennungseffekts. Nicht jeder gibt es zu, aber so ist es.

Gibt es Neid? Aggressionen gegen Ihre Arbeit?

Das kommt schon vor. Hierzulande ist die Trennung von High und Low Art, von Kunst und Werbung und Artverwandtem, immer noch sehr starr. In den USA geht man lockerer mit Werbung, privaten Geldgebern und Fundraising um. Und in England ist die Kunst viel stärker in die Massenkultur integriert. Denken Sie an die ganzen Yellow-Press-Geschichten über die Young British Artists. Jedes Künstlerbesäufnis auf der Titelseite! Kürzlich warb die Künstlerin Sam Taylor-Wood sogar auf großen Bill-

boards für die BBC. Wo gibt es so etwas hierzulande? Es hängt auch mit der mangelnden Anerkennung der zeitgenössischen Kunst zusammen.

Alles richtig. Und trotzdem kritisiert man Ihre Arbeit: zu nah am Geld. Zu nah am Markenzeichen.

Ich verhandle in meiner Kunst keine globalen Probleme, sondern meine eigenen. Das stört viele. Aber dass Geld fehlt, betrifft doch alle! Alle regen sich auf, keiner tut was. Ich spiele damit. Das gilt dann als frivol. Komisch, nicht? Und was die meisten vergessen: Markenzeichen sind sehr fragil. Sind sie zu eindimensional, scheitern sie. Man muss sich erst einmal auf dem Markt behaupten können.