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aus A. Grohmann "Die Vegetarier-Ansiedlung in Ascona"
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Wir kommen jetzt zur Firma Carl Jenny Graeser, u. a. auch Bienenzüchter, doch die Bienen sind schon fast alle todt.
Carl, der ältere Bruder der beiden letztgenannten, ein früherer österreichischer Officier, 30 J., ist auch in der Ansiedlung, und auf eigenem Grund und Boden. Er ist der Theoretiker, Dogmatiker und Philosoph in der Gruppe der Externen. Er definirt und formulirt gerne. Er hat seine Ansichten in ein Notizbuch niedergelegt für Jeden, der sie näher kennen lernen will. Form und Energie, Seele, Infusionsthierchen, Concentration der Kräfte, Natursystem, Unlustgefühle, Lebensreize, Erscheinungsformen der Kraftäusserung etc., werden da abgehandelt. Er empfiehlt im Uebrigen: „Kleid
ung möglichst kleidlos' und er handelt darnach. Origineil, gut und schön sind die Rustikamöbel, die er herstellt. Sehr reformlustig und originell ist er in der Architektur, wo er aber schon einige Sünden begeht. Ausnutzung der Erdwärme nach der Theorie vom Winterschlaf der Thiere z. B. und andererseits wieder luftig gegen oben hin, ergeben die Grundlagen für die ausgedachten, zum Theil schon ausgeführten Constructionen. Waghalsig ist er in der Mechanik. Doch dies alles sind Dinge, die für die Aufgabe, die er sich gestellt hat, von wenig Bedeutung sind.
In der äussern Erscheinung ist er ein verrosteter und bemooster Pfahlbauer und ebensowenig Salonmensch wie sein Bruder Gusti. Er ist ein sehr armer Mann, und er will es sein und immer mehr werden. Er erklärte mir, er und seine Frau seien jetzt noch in einer peinlichen Lage, in einer Uebergangsperiode, abhängig und gedrückt durch den Zwang, den jeglicher Besitz von Geld mit sich bringe. Das wird bald anders. Unser Geld ist im Ausgehen begriffen und wohl nächstes Jahr schon wird es zu Ende gehen. Wir werden dann einfacher, freier dastehen, unbeirrt, und in der richtigen Wechselwirkung der Kräfte. Das bildet sich nur in allmählicher Entwicklung, die zwar durch den Wunsch und den Willen unterstützt w ird, aber natürlich und ohne Zwang, von selbst vor sich gehen und zum Durchbruch kommen muss. Der gute Wille ist bei den beiden durchaus vorhanden. Kürzlich noch schrieb mir die Frau, dass sie im ruhigen Werden begriffen seien urid dass sie seit meinem Besuche im vorigen Jahr schon viel einfacher, freier, leichter beweglich geworden seien. „Es wird noch sehr schön werden.' Die Beiden stellen — es ist seit ihrer Ansiedlung ihr erster kleiner, erfolgreicher Versuch im verdienen
— Fruchtpasten her, die sie im Tauschhandel in Locarno verkaufen.
Dort haben einige Kaufleute sich und ihr Ladenpersonal auf diese uralte und doch so neue Form des Handels eingeübt. Da kann man für Conserven etwa Seife beliommen, herausgegeben wird mit Zündhölzern u. dgl. und keine Geldeinheit wird dabei auch nur genannt.
Seine Frau, die Jenny , ungefähr 40 Jahre alt. Concertsängerin von Beruf, ist eine liebenswürdige Dame — ich nenne sie eine perfect ladv i n ihren Gesinnungen -- ist allgemein beliebt und geachtet, ein Muster von natürlicher Offenheit. Gegen moralische Unsauberkeiten ist sie sehr empfindlich; aber sie belhält es für sich — man muss ausdrücklich fragen, um aus ihr herauszubekommen, z. B.: daran hat er selbst genug zu schleppen. Ihre Ehe ist eine musterhafte, sehr glückliche, und die Beiden stehen sich in schönster Weise bei: Freude und Wohlergehen des Andern ist jedem von ihnen das Höchste. Beide haben bei manchen Gelegenheiten gezeigt, dass sie das Herz auf dem rechten Fleck haben und bei ihnen kommts immer zum Handeln, nicht nur zum Fühlen in Dingen des Mitleids. Die Frau, die selbst so dürftig lebt und angestrengt arbeitet, gab im letzten Winter in Locarno vor dem grossen Hotelpublilkum ein Gesangsconcert — Carl musste die Noten wenden — „and that concert of the naturals was splendid" — den Ertrag von mehreren hundert Franken schenkte sie einer benachbarten Familie mit vielen Kindern, denen der Vater gestorben war.
Dieses grosse Kind hat die Leiistung, zuwegegebracht, einen praktischen Arzt, der sein regelmässigs „landesübliches Quantum" Wein trank, zum Abstinenten zu machen — so verkehrt tann es zugehen in der Welt. Sie und ihren Mann traf ich einst weinend über den Tod ihrer Katze, der sie innig zugethan gewesen waren, und von deren Leben, Leiden und Ende sie mir nun erzählten. Es war ein Bild aus Paul und Virginie. Ihren Esel haben die Beiden so lieb, dass sie vorziehen, ihre Mahlzeiten dort einzunehmen, wo ihr grauer Freund gerade steht. Der reibt dann während ihres Essens seinen grossen Schädel an ihren Schultern. Diesem Genossen haben sie einen Namen gegeben der sich aus vier Buchstäben zusammensetzt, die die Anfangsbuchstaben der Namen von vier Ansiedlern sind, die zur Zeit der Einführung des Esels einen besonders intimen Freundschaftsbund bildeten. Des Breitesten werden solche Geschichten erzählt und es ist zum Wiederjungwerden, was man da alles anhört.
Anfang dieses Winters waren sie daran, sich für eine Reise nach Sicilien vorzubereiten, und nach den Auslagen, die sie auf anderen Touren hatten, dürfte ihnen diese Wintersaison ungefähr 20 bis 30 Franken insgesammt kosten. Kleine Dienstleistungen gegen Brot, Fallobst um das sie bitten, Nachtquartier in Ställen etc., kommt da vor und sie-halten sich für glücklich, dass sie nicht den Beengungen ausgesetzt sind, die die andern Ansiedler in ihrer opulenteren Art des Reisens zu erdulden haben, uneins mit der complicirten Welt und doch durch Bedürfnisse an sie gebunden. Oft werden sie von Neugierigen eingeladen. Auf einige Reisen hatten sie ein Zelt oder auch ihren Esel mitgenommen. In allen diesen Dingen sind sie noch Im Ausprobiren der besten Mittel und der Weg geht dabei meist ins Einfachere und nicht ins Complicirtere. Diese Reise nach Sicilien war schon einrnal geplant und ich war dazu eingeladen. Als meine wahrscheinlichen Kosten nannten sie 40 Franken, da ich noch complicirt sei. Das Fleischessen werde sich bei mir so am Wege verlieren, nach und nach. Sie hatten schon die Rollen vorgesehen: Abends beim Ankommen in einem Dorf fouragirt die Frau, der Mann macht Feuer irgendwo am Marktplatz oder wo es eben geht und ich spanne das Zelt auf. Vielleicht werben meine Zeilen eine jüngere Kraft für das Spannen der Seile und den weiten Weg und dann werde ich mir Bericht erbitten.
Einmal hörte ich in Ascona von meinem Zimmer aus eine bekannte Stimme meinen Namen auf der Strasse rufen. „Schon zu Bett!" rufe ich und „Wir kommen!" schallt es zurück. Der Oesterreicher und seine Frau kamen, die Stühle waren besetzt, die Beiden setzen sich zu mir auf den Bettrand und berichten, sie hätten sich schon den ganzen Tag darauf gefreut, mir eine Sache vorzuschlagen, die sie sich ausgedacht hätten. Wir drei und der Gusti (der damals aus der Gefangenschaft in Oesterreich erwartet wurde), also zu viert, sollten wir ein Boot bauen, den Lago Maggiore durchfahren, durch cen Kanal in den Po und den Fluss hinab ins Meer. Dann fahren wir rund um Italien heru?n, fahren überall ?n die Häfen hinein, die uns gefallen, und schauen uns Alles an. In Genua verkaufen wir das Boot und kommen zu Fuss hierher zurück.—Meine navigationstechnischen Bedenken sind anerkannt worden. Zehn Minuten später war die Sache zu den Acten gelegt.
Als sie meinen Brief über die vorliegende Arbeit empfangen hatten, schrieben sie: Mit dem was Sie bei, mit mir, uns, erlebt haben, thun Sie wie und was Sie wollen, es gehört ganz Ihnen.
Carl Jenny Graeser.
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