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Unser Bauernhof

FARM-FIEBER IM FERNSEHEN


"Musst du kotzen? Dann geh' raus!"

Von Christian Stöcker

Deutsche TV-Sender haben das Landleben entdeckt. Haufenweise entstehen Sendungen, in denen es um die Suche nach dem Leben im Einklang mit Natur und Kosmos geht. Gestern startete bei Kabel 1 die Doku-Soap "Unser Bauernhof". Darin werden in Stilettos Entscheidungen über Leben und Tod gefällt.

"Ist alles Wunder! Mit tiefer Ehrfurcht, Schau ich die Schöpfung an!", dichtete Friedrich Gottlieb Klopstock 1759 unter der Überschrift "Das Landleben". Ebenso enthusiastisch wendet sich die Nation heute wieder dem gleichen Thema zu. Die Programmgestalter deutscher Fernsehanstalten streben hinaus, ins Grüne, zurück - man wagt es kaum zu sagen - zur Natur.

Die ARD machte schon vor zwei Jahren den Anfang: Im "Schwarzwaldhaus" sollte eine Familie leben wie vor hundert Jahren, dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag entsprechend mit einer schön pädagogischen "Da seht ihr mal, wie gut's euch geht"-Botschaft. Dafür gab es dann auch einen Grimme-Preis. Das ZDF schickte deutsche Familien nicht bloß auf den Bauernhof, sondern in "Sternflüstern" bis nach Sibirien. Gleiche Botschaft, und dazu noch ein paar lehrreiche Erkenntnisse für das Überleben nach der Klimakatastrophe: Fenster abdichten üben für den "Day After Tomorrow".


Inzwischen hatte man auch in den USA mitbekommen, dass Rustikales schwer im Kommen ist, und die Amerikaner wussten natürlich, wie man das richtig, also quotenträchtig, macht: Mit zwei blonden Luxuszicken, die man auf die bedauernswerte Landbevölkerung loslässt. Nicht mehr Mensch gegen Natur, sondern Mascara gegen Melkfett.

Funktioniert hat "The Simple Life", das inzwischen auch bei ProSieben mit Erfolg läuft, wohl vor allem deshalb, weil Hotel-Erbin Paris Hilton und ihre Freundin Nicole Ritchie so eine schöne Projektionsfläche für männliche Phantasien abgeben: Gummistiefel, Heu und Dreck an weich gecremter Luxushaut. Pflichtschuldig wurde den Dorftölpeln der Kopf verdreht und sich ansonsten recht dumm angestellt.


US-Vorbild "The Simple Life" und bei "uns" die Bauernhof-Neulinge Patty (r.) und Melanie Ryan: Glamour aus Wuppertal...
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zum Vergleich der Bauer Eyberg und Familie
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Weil das ganze Landleben so gut lief, sind die Fernsehredaktionen jetzt jedenfalls im Agrar-Fieber. RTL plant "The Farm", Pro Sieben "Die Alm". Kabel 1 ist seit gestern, 20.15 Uhr, schon am Start mit "Unser Bauernhof - Hilfe, die Großstädter kommen!". Darin treten zwei Familien gegen- und miteinander an, um zehn Tage lang den Hof der Familie Eyberg im Bergischen Land zu bewirtschaften. Die darf dafür in der Zwischenzeit in ein Wellness-Hotel. Bauer Eyberg wird sich aber wohl in der Sauna mehr um seine Rinder gesorgt als entspannt haben, nachdem er seine Urlaubsvertretung kennen und angelernt hatte.

Familie Kleps kommt aus Hamm, er ist Kraftfahrer, sie Fleischfachverkäuferin, die beiden haben zwei Jungs: Christian, 13, und Florian, 17. Diese Leute machen den Eindruck, als ob sie dem Kühefüttern, Gänsehegen und Schweinestallausmisten gewachsen sein könnten. Dann aber kommen die Ryans. Papa Kirk, 62, ist "Manager" und "sein Leben ein ständiger Wettlauf gegen die Zeit", Tochter Melanie, 19, ist sehr blond und fürchtet, dass ihre Bekannten denken, "die kann sich ja bloß schminken". Treibende Kraft hinter der Selbsterfahrung im Stall ist offenbar Patty Ryan, 42, "Sängerin", auch sehr blond und laut Kabel 1 "Glamour pur".

Die Ryans stammen aus dem glamourösen Wuppertal und sind wohl in erster Linie auf dem Lande, um Pattys Karriere noch einen letzten Schubs zu geben, der sie aus Ballermann-Compilations und Auftritten in Halbzeitpausen heraus in die Charts bringen könnte.

Die Familie reist im offenen Cadillac an, Kirk trägt Anzug und Ledersohle, Patty und Melanie Minirock und Stilettos. Mit diesem grotesk inszenierten Auftritt und der anschließenden Führung, nicht ohne Gequietsche und Beinahe-Umknicken auf der Weide, füllt man bei Kabel 1 schon fast die halbe Sendung. Dazwischen sitzen Mitglieder beider Familien allein oder zu zweit auf dem Sofa in der guten Stube, sprechen über die anderen und bestätigen der Kamera, dass so weit alle Klischees funktionieren. Unterlegt ist all das mit einem nervtötenden Dauer-Soundtrack von HipHop bis Nu Metal.

Am nächsten Morgen weckt Bauer Eyberg und schickt Vater Kleps, Sohn Christian und Glamour-Königin Patty in den Stall zum Ausmisten, und, siehe da, es stinkt. "Euch, wunderbare Lüfte, Sendet der Herr! Der Unendliche!", dichtet Klopstock, und "Echt, musst du kotzen? Dann geh' raus!" sagt Patty. "Aber itzt werden sie still; kaum atmen sie!"

Der Landwirt fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle des strengen Herbergsvaters, der seine Schützlinge mit den Härten des echten Lebens vertraut macht. Ein Rind muss zur Schlachtung ausgewählt werden während seiner Abwesenheit, und als er sagt, "Ihr müsst über Leben und Tod bestimmen", klingt es, als sei ihm das selbst eingefallen.

Kirk bleibt derweil im Bett liegen und will dann gleich abreisen, weil die Tochter so laut die Tür auf und zu macht im gemeinsamen Zimmer. Patty muss schlichten, Marianne Kleps fängt an, sich Sorgen zu machen, Christian schwant, "das könnte noch viel Ärger geben". Ja, bitte, möglichst viel, denken sich dabei wohl die Redakteure. Als die Bauersleute schließlich abreisen, sind alle wieder versöhnt, und Kirk hat sich als Zeichen seines guten Willens einen Cowboyhut aufgesetzt. In der nächsten Folge, verspricht der Teaser, gibt es Streit beim Frühstück.

Es ist, das muss man den Machern von "Unser Bauernhof" lassen, im Grunde nur folgerichtig: Warum die unter der Überschrift "Reality" oder "Doku" firmierenden Selbstdemütigungsformate nicht konsequent zu Ende denken? Die Kombattanten nicht nur metaphorisch im Dreck waten lassen? Zu hoffen ist, dass das Vieh der Familie Eyberg den Angriff der Dilettanten schadlos überstanden hat. Und dass sich diesen Mist möglichst niemand ansieht. "Und ich weine? Vergib, vergib dem Endlichen/ Auch diese Thränen."


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