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Babeuf
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ZWEITER TEIL
1. Ursprünge des Sozialismus: Babeufs Verteidigung
In den Jahren der Entspannung unter dem Direktorium, die dem Sturz Robespierres
folgten, erregte die Tätigkeit eines Mannes namens Gracchus Babeuf Aufsehen.
Mit dem Direktorium war die Französische Revolution in die Periode der Reaktion
eingetreten, die die Herrschaft Bonapartes möglich machen sollte. Der große Aufschwung
der Bourgeoisie, die mit der Enteignung des Adels und des Klerus aus den feudalen
Formen der Monarchie ausgebrochen war und sich der Gesellschaft als eine Befreiungsbewegung
empfohlen hatte, endete damit, daß der Reichtum sich in den Händen einer vergleichsweise
kleinen Zahl von Menschen konzentrierte und ein neuer Klassenkonflikt entstand.
Die Reaktion gegen den Terror verdrängte die Ideale der Revolution. Die fünf Politiker
des Direktoriums sowie die Kaufleute und Finanziers, die mit ihnen im Bunde standen,
spekulierten m beschlagnahmtem Eigentum, profitierten am Armeenachschub, entwerteten
rücksichtslos die Währung und spielten mit dem fallenden Louisdor. Und in der
Zwischenzeit, während des Winter 1795/96, starben die arbeitenden Menschen von
Paris vor Hunger und Kälte auf den Straßen.
Babeuf war der Sohn eines Protestanten, den die Calvinisten ins Ausland geschickt
hatten, damit er über eine Union mit den Lutheranern verhandle, und der draußen
geblieben war, um als Major in der Armee Maria Theresias zu dienen und später
als Hauslehrer bei deren Kindern zu sein. Nach der Rückkehr nach Frankreich war
er dem Elend verfallen, und der Sohn hatte das Abc, so sagte er, aus den Zeitungen
lernen müssen, die er auf der Straße aufsammelte. Sein Vater lehrte ihn Lateinisch
und Mathematik. Auf seinem Sterbebett gab ihm der alte Herr den Plutarch und sagte,
er selbst hätte sich gewünscht, die Rolle eines Gracchus zu spielen. Er ließ den
Jungen bei seinem Degen schwören, daß er bis zum Tode die Interessen des Volkes
verteidigen werde.
Das war im Jahre 1780. Als die Revolution ausbrach, war Babeuf neunundzwanzig
Jahre alt. Er war beim Sturm auf die Bastille dabei. Als Schreiber war er beim
Registrator für die Rechte des Landadels in der kleinen Stadt Roye an der Somme
beschäftigt gewesen, und nun verbrannte er die Akten über die Landedelleute. Danach
warf er sich als Journalist und Beamter mit einer Ernsthaftigkeit auf die revolutionäre
Tätigkeit, die ihn ständig mitten in der Hitze des Gefechts halten sollte. Er
stachelte die Wirtshausbesitzer der Somme dazu an, gegen die Zahlung der alten
Weinsteuer zu rebellieren, die die Verfassunggebende Versammlung aufgehoben hatte,
er verkaufte den enteigneten Landbesitz sämtlich und teilte das Gemeindeland unter
die Armen auf. Babeuf ging für die Maßstäbe seiner Provinz zu schnell voran. Die
Gutsherren und die örtlichen Behörden ließen ihn immer wieder ins Gefängnis werfen.
Schließlich erhielt er 1793 in Paris eine Stellung im Büro für Armenunterstützung.
Die Verarmung in Paris war schrecklich, und Babeuf fand, daß die Bestände des
Amtes nicht ausreichten. Er kam zu dem Schluß, daß die Behörden absichtlich eine
Hungersnot herbeiführten, um die Forderung nach Nahrungsmitteln ausnutzen zu können,
und ließ eine Untersuchungskommission ernennen. Die Regierung unterdrückte die
Kommission, und Babeuf fand sich bald einer Verfolgung wegen augenscheinlich konstruierter
Betrugsanschuldigungen im Zusammenhang mit seiner Verwaltung in den Provinzen
ausgesetzt.
Nach dem Thermidor sammelte er jene Elemente der Revolution um sich, die versuchten,
an den ursprünglichen Zielen festzuhalten. In seiner Zeitung >Der Volkstribun<
erteilte er der neuen Verfassung von 1795, die das allgemeine Wahlrecht abgeschafft
und einen Vermögenszensus eingeführt hatte, eine Absage. Er verlangte nicht lediglich
politische, sondern auch wirtschaftliche Gleichheit. Er erklärte, er selbst ziehe
den Bürgerkrieg »dieser schrecklichen Regelung, die die Hungrigen abwürgt«,
vor. Aber die Männer, die den Adel und die Kirche enteignet hatten, blieben dem
Prinzip des Besitzers treu. >Der Volkstribun< mußte sein Erscheinen
einstellen, Babeuf und seine Anhänger wurden ins Gefängnis gesteckt.
Während Babeuf in Haft saß, starb seine siebenjährige Tochter am Hunger. Er brachte
es fertig, sein ganzes Leben hindurch arm zu bleiben. Seine Volkstümlichkeit bestand
immer nur bei den Armen. Seine öffentlichen Ämter hatten ihm nur Kummer gebracht.
Nun machte er sich, sobald er wieder frei war, daran, einen politischen Klub zu
gründen, der sich dem politischen Kurs des Direktoriums entgegenstellte und allmählich
als Gesellschaft der Gleichen bekannt wurde. In einem Manifest der Gleichen<
(das jedoch zu dieser Zeit nicht veröffentlicht wurde) verlangten die Klubmitglieder,
es solle »kein individuelles Eigentum an Ländereien mehr geben, das Land
gehört niemandem... Wir erklären, daß wir mit der großen Mehrheit aller Menschen
nicht länger Strapazen und Schweiß im Dienste und zum Nutzen einer kleinen Minderheit
auf uns nehmen wollen. Es hat jetzt lange genug, ja zu lange gedauert, daß weniger
als eine Million Menschen über das verfügte, was mehr als zwanzig Millionen ihresgleichen
gehört... Nie ist ein umfassenderer Plan erdacht oder zur Ausführung gebracht
worden. Männer von .Genie, große Weise, haben mit leiser und zitternder Stimme
davon gesprochen. Nicht einer hat den Mut gehabt, die ganze Wahrheit zu sagen...
Volk von Frankreich! öffne deine Augen und dein Herz der Fülle des Glücks. Proklamiere
mit uns die Republik der Gleichen!«.
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Die Gesellschaft der Gleichen wurde unterdrückt, Bonaparte selbst schloß den Klub.
Aber nachdem die Klubmitglieder in den Untergrund getrieben waren, sannen sie
auf eine Erhebung; sie schlugen vor, ein neues Direktorium zu gründen. Sie entwarfen
eine Verfassung, die »eine große nationale Gütergemeinschaft« vorsah,
und arbeiteten mit einer gewissen Präzision die Mechanik einer geplanten Gesellschaft
aus. Die Städte sollten ausgedünnt und die Bevölkerung sollte auf die Dörfer verteilt
werden. Der Staat sollte »sich der Neugeborenen annehmen, ihre ersten Augenblicke
überwachen, die Versorgung mit Milch garantieren, für die Mutter sorgen und die
Kinder in einer Maison nationale (Nationale Erziehungsstätte) aufziehen,
wo sie die Tugenden und die Aufklärung eines wahren Staatsbürgers erwerben«.
Allen wird die gleiche Erziehung zuteil. Alle körperlich intakten Menschen arbeiten,
und die Arbeit, die unangenehm oder anstrengend ist, wird von allen erledigt,
so daß jeder der Reihe nach herangezogen wird. Die Lebensmittel werden von der
Regierung gestellt, und die Menschen essen an gemeinsamen Tischen. Die Regierung
kontrolliert den Außenhandel, und die Verbreitung von Druckschriften liegt in
ihrer Hand.
In der Zwischenzeit war der Wert des Papiergeldes fast auf den Nullpunkt gesunken.
Das Direktorium versuchte die Situation dadurch zu retten, daß es die Währung
in Landanrechtscheine umwandelte, die bei einem Diskont von 82 Prozent für den
Tag galten, an dem sie ausgegeben wurden, in der Öffentlichkeit war man allgemein
des Glaubens, die Regierung sei bankrott. Allein in Paris bedurften einige 500000
Menschen der Fürsorge. Die Babeuvisten beklebten die Wände mit einem Manifest
von historischer Bedeutung, sie erklärten, daß die Natur jedem Menschen ein gleiches
Recht zum Genuß aller irdischen Güter gegeben habe, und es sei der Zweck der Gesellschaft,
jenes Recht zu verteidigen, die Natur habe jedem Menschen den Zwang zur Arbeit
auferlegt, und keiner könne diesem Zwang ausweichen, ohne ein Verbrechen zu begehen,
in »einer wahren Gesellschaft« gebe es weder reich noch arm, das Ziel
der Revolution sei es gewesen, jede Ungleichheit zu zerstören und das Wohlergehen
aller zu begründen, die Revolution sei daher »nicht beendet«, und
alle jene, die die Verfassung von 1793 beseitigt hätten, seien der lese majesté
(Majestätsbeleidigung - d. Übers.) am Volke schuldig.
In den Cafés sangen sie ein Lied, das ein Mitglied der Gesellschaft komponiert
hatte: »Sie sterben vor Hunger, sie sterben vor Frost, das Volk ist beraubt
jeden Rechtes... Neue verschlingen das Gold, sie gaben nicht Rat, nicht Tat und
legen die Hand auf den Honig, du aber, schmachtendes Volk, ißt Eisen wie der Vogel
Strauß... Ein einfältiger doppelter Rat, fünf feige Direktoren, der Soldat verhätschelt,
gemästet, der Demokrat geschlagen: Voilà la République!«
Babeufs »Aufstandsausschuß« hatte bei der Armee und der Polizei Agenten,
sie leisteten so wirkungsvolle Arbeit, daß die Regierung ihre Truppen aus Paris
hinausverlegte und sie, als sie den Gehorsam verweigerten, auflöste. Während der
ersten Tage des Mai 1796 wurden die »Gleichen« am Vorabend der geplanten
Erhebung durch einen Lockspitzel verraten, ihre Führer wurden verhaftet und ins
Gefängnis gesteckt. Die Anhänger Babeufs machten einen Versuch, eine ihnen wohlwollend
gesinnte Polizeischwadron um sich zu sammeln, wurden aber durch ein neues Wachbataillon
niedergemacht, das eigens aus diesem Anlaß zum Dienst gepreßt worden war.
An Babeuf wurde ein Exempel statuiert, indem man ihn in einem Käfig zum Vendôme
brachte - eine Entwürdigung, die nicht lange zuvor die Pariser erregt hatte, als
die Österreicher sie einem Franzosen antaten.
Seine Verteidigung, die über sechs Gerichtssitzungen hin andauerte und mehr als
300 Seiten füllt, ist ein eindrucksvolles und bewegendes Dokument. Babeuf wußte
wohl, daß er den Tod zu gewärtigen hatte und daß die Revolution mißglückt war.
Die Franzosen waren schließlich erschöpft von den Geburtswehen der sieben Jahre,
die seit dem Sturm auf die Bastille vergangen waren. Alle Inbrunst, zu der sie
sich noch in der Lage sahen, kam der Revolutionsarmee zugute, die in diesem Frühjahr
von Bonaparte im italienischen Feldzug von Sieg zu Sieg geführt wurde. Zu Hause
scheuten sie seit der Zeit des Terrors vor jedem Gewaltakt zurück. Babeuf hatte
sich mit den Letzten der Jakobiner vereinigt, und von ihnen hatte das Volk
genug. Die Wirkung kompromißloser Prinzipien und die Guillotine waren unauslöschlich
in der Erinnerung der Menschen haftengeblieben, sie waren froh, wieder frei leben
zu können; eine Zeit der Frivolität war angebrochen. Der bürgerliche Eigentumsinstinkt
wurde schon zum überhandnehmenden Motiv, das an die Stelle anderer Instinkte und
Ideale trat: alle jene, denen es gelungen war, etwas zu bekommen, klebten daran
mit verzweifelter Zähigkeit, die Idee der Neuverteilung erschreckte sie zu Tode.
Und die Armen waren nicht länger bereit zu kämpfen. Babeuf wußte das, und seine
Verteidigung zeugte von einem Realismus und einer Nüchternheit, die viele spätere
Phasen des Sozialismus schon andeuten. Es ist nicht mehr die Rhetorik der Revolution,
grandios, leidenschaftlich und verwirrend. Zu einer Zeit, da die Menschen im allgemeinen
nur an die Gegenwart denken konnten, blickte Babeuf sowohl vorwärts wie rückwärts.
In einem Augenblick, da eine Gesellschaft, die noch immer die Sprache der Revolution
von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit sprach, vollständig in die Hände einer
neuen besitzenden Klasse mit deren neuen Privilegien, Ungerechtigkeiten und Zwangsformen
übergegangen war, konnte Babeuf mit großem Mut und großem Weitblick die zweideutige
Situation analysieren. Seine Verteidigung wirkt wie eine Zusammenfassung der nicht
verwirklichten Ideen der Aufklärung und wie eine Rechtfertigung ihrer Notwendigkeit.
Sie hat Momente der Größe, die mit der >Apologie< des Sokrates zu
vergleichen sind.
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Der wirkliche Streitfall ist hier, sagte Babeuf, weniger die Frage der Verschwörung
gegen die Regierung als vielmehr die Verbreitung gewisser Ideen, die gegenüber
der herrschenden Klasse subversiv sind. Er hat, so sagt er, unter dem Direktorium
gesehen, wie die Volkssouveränität mißachtet wurde und das aktive und passive
Wahlrecht gewissen Kasten vorbehalten blieb. Er hat gesehen, wie neue Privilegien
eingeführt wurden. Er hat gesehen, wie das Volk der Presse- und Versammlungsfreiheit,
des Rechtes auf Petition und zum Tragen von Waffen beraubt wurde. Er hat auch
gesehen, wie sogar das Recht, Gesetze zu ratifizieren, den Bürgern entzogen und
auf die Zweite Kammer übertragen wurde. Er hat gesehen, wie eine Exekutive errichtet
wurde, die außerhalb der Reichweite des Volkes steht und nicht von dessen Kontrolle
abhängt. Er hat gesehen, wie Fürsorge und Erziehung vergessen wurden. Und schließlich
hat er gesehen, wie die Verfassung von 1793, die mit fast fünf Millionen Stimmen
gebilligt worden und von echter Popularität getragen war, durch eine unvolkstümliche
Verfassung ersetzt und von kaum einer Million zweifelhafter Stimmen in Kraft gesetzt
wurde. Daher hatte er gegen eine ungesetzliche Autorität konspiriert, wenn es
wahr wäre, daß er konspiriert hatte (es traf zu, obwohl er es während des Prozesses
leugnete).
Die Ursache der Revolutionen ist eine Überspannung der menschlichen Triebfedern
der Gesellschaft. Die Menschen rebellierten gegen den Druck, und sie hatten recht,
denn Ziel der Gesellschaft ist das Gute für die größte Zahl. Wenn sich das Volk
weiter überbeansprucht fühlt, kommt es nicht darauf an, was die Herrscher sagen:
die Revolution ist noch nicht vorüber. Oder wenn sie doch vorüber ist, dann haben
die Herrscher ein Verbrechen begangen.
Das Glück ist eine neue Idee in Europa. Aber heute wissen wir, daß die Unglücklichen
die wirklich bedeutende Macht in der Welt darstellen, sie haben Recht zu sprechen
als die wahren Herren der Regierungen, von denen sie vernachlässigt wurden. Wir
wissen, daß jeder Mensch ein gleiches Recht auf den Genuß aller Glücksgüter hat
und daß es der wahre Zweck jeder Gesellschaft ist, jenes Recht zu verteidigen
und den gemeinsamen Nutzen zu steigern. Arbeit und Genuß sollten von allen geteilt
werden. Es ist Naturgesetz, daß wir alle arbeiten müssen: es ist ein Verbrechen,
dieser Pflicht auszuweichen. Es ist ein Verbrechen, auf Kosten anderer Menschen
die Erzeugnisse des Bodens oder der Industrie für sich selbst zu beanspruchen.
In einer Gesellschaft, die wirklich gesund wäre, gäbe es weder arm noch reich.
Es gäbe kein Eigentumssystem wie das unsere. Unsere Gesetze über Erbrecht und
Unveräußerlichkeit sind »menschenmörderische« Einrichtungen. Das Monopol
einzelner am Landbesitz, ihr Besitztitel auf dessen Erzeugnisse - über die natürlichen
Bedürfnisse hinaus ist nicht mehr und nicht weniger als Diebstahl, und all unsere
bürgerlich-rechtlichen Einrichtungen, unsere einfachen geschäftlichen Transaktionen
sind eitel Räuberei, sanktioniert durch barbarische Gesetze.
Aber ihr sagt, so fährt er fort, es seien meine Ideen, die die Gesellschaft in
die Barbarei zurückversetzen. Die großen Philosophen des Jahrhunderts dachten
nicht so, ihr Schüler bin ich. Man sollte die Monarchie dafür zur Rechenschaft
ziehen, daß sie sich um so viel weniger inquisitorisch gezeigt hat als die Regierung
unserer gegenwärtigen Republik. Man sollte sie dafür zur Rechenschaft ziehen,
daß sie mich nicht davon abgehalten hat, der verderblichen Bücher eines Mably,
Helvétius, Diderot oder Jean-Jacques habhaft zu werden. Ihr Menschenfreunde von
heute! wäre es nicht wegen des Giftes dieser älteren Menschenfreunde, so könnte
ich eure moralischen Grundsätze teilen und eure Tugenden anerkennen: ich wäre
vielleicht, von drängender Sorge um die Minderheit der Mächtigen dieser Welt bewegt,
für die Leiden der Masse fühllos gewesen. Wußten Sie nicht, daß Sie einen 1758
geschriebenen Absatz in Ihre Anklage einbezogen haben, den ich nach Rousseau
zitiert hatte? Er hatte von Menschen gesprochen, die »so abscheulich sind,
daß sie es wagen, mehr als genug zu haben, während andere Menschen Hungers sterben«.
Ich zögere nicht, diese Enthüllung zu machen, da ich mich nicht davor furchte,
diesen neuen Verschwörer preiszugeben: er ist außerhalb der Jurisdiktion Ihres
Tribunals. Und Mably, der Volkstümliche, der Feinfühlige, der Menschliche, war
er nicht ein wenn möglich noch gefährlicherer Verschwörer? »Wenn ihr der
Kette menschlicher Laster folgt«, sagte er, »werdet ihr finden, daß
das erste Glied an der ungleichen Verteilung des Reichtums befestigt ist.«
Das Manifest der »Gleichen«, das niemals aus der verstaubten Schublade
herausgenommen wurde, wohin wir es gelegt hatten, und von dem so viel Aufhebens
gemacht worden ist, ging in keinem Punkte weiter als Mably und Rousseau. Und Diderot,
der sagte, vom Zepter bis zum Bischofsstab werde die Menschheit vom Interesse
regiert, persönliches Interesse aber wachse aus dem Eigentum, und es sei müßig
für die Philosophen, über die bestmögliche Form der Regierung zu streiten, solange
nicht die Axt an die Wurzeln des Eigentums selbst gelegt sei - Diderot, der fragte,
ob die Instabilität, die periodischen Wechselfälle der Reiche, möglich wären,
wenn alle Güter gemeinsam verwaltet würden, der behauptete, jeder Bürger solle
vom Gemeinwesen nehmen, was er brauche, und dem Gemeinwesen geben, was er könne,
und jeder, der versuchen sollte, das verwerfliche Prinzip des Eigentums wieder
einzuführen, sei einzusperren als ein Menschenfeind und gefährlicher Geisteskranker!
- Bürger, eben einen »gefährlichen Geisteskranken« haben Sie mich
wegen des Versuchs genannt, die Gleichheit einzuführen!
Und Tallien und Armand de la Meuse, die jetzt im Direktorium der Legislative sitzen
- warum sind sie nicht vor die Schranken des Gerichts gerufen worden? Tallien
sagte uns erst vor wenigen Jahren,
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als er den »Freund der Sansculottes< herausgab, daß >die Anarchie
aufhören würde, sobald der Reichtum geringer wäre<. Und Armand de la Meuse
versicherte dem Konvent, >jede lautere Person muß zugeben, daß politische Gleichheit
ohne wirkliche Gleichheit nur eine quälende Illusion ist< und daß der >grausamste
Irrtum der Revolutionsgremien deren Unterlassung war, die Grenze der Eigentumsrechte
und den Verzicht des Volkes auf diese Rechte gegen die habgierigen Spekulationen
der Reichen zu sichern<.
Christus hat uns geheißen, unseren Nächsten zu lieben und so zu handeln, wie wir
wünschen, daß uns selbst geschieht, aber ich gebe zu, daß der Gleichheitskodex
Christi zu dessen eigener Verfolgung als Verschwörer führte.
Der Weg, den die Dinge nahmen, wäre mir vor Augen geführt worden, und zwar selbst
dann, wenn ich sie nicht gesehen hätte. Als ich wegen meiner Schriften ins Gefängnis
gesteckt wurde, ließ ich meine Frau und meine drei unglücklichen Kinder hilflos
während der schrecklichen Hungersnot zurück. Mein kleines siebenjähriges Mädchen
starb, als die Brotzuteilung auf zwei Unzen (etwa 56 Gramm -d. Übers.) herabgesetzt
wurde, und die anderen wurden so dünn, daß ich sie kaum wiedererkennen konnte,
als ich sie wiedersah. Und wir waren nur eine unter Tausenden von Familien - in
Wahrheit der größere Teil von Paris -, deren Gesichter von der Hungersnot verbrannt
waren, die beim Gehen schwankten.
Wenn ich für sie ein besseres System gewünscht habe, so habe ich nicht beabsichtigt,
es gewaltsam einzuführen. Alles, was ich wünsche, ist, daß das Volk aufgeklärt
sei und von seiner eigenen Allmacht, von der Unverletzlichkeit seiner Rechte überzeugt
werde und daß ihm - falls nötig - der Weg gezeigt werde, wie es diese Rechte fordern
kann; zudem will ich nichts, es sei denn, mit Zustimmung des Volkes.
Wo aber Mably, Diderot, Rousseau und Helvétius versagt haben, wie hätte ich hoffen
sollen, zum Erfolg zu kommen? Ich bin ihr mittelmäßiger Schüler, und die Republik
ist weniger duldsam als die Monarchie.«
Er erinnerte das Gericht an die Tatsache, daß die Royalisten der Vendémiaire-Verschwörung
alle amnestiert und auf freien Fuß gesetzt wurden und daß die Partei des Präsidenten
offen gesagt habe, die neue Verfassung passe ihr gut, wenn es statt fünf Direktoren
nur einen gäbe. Die Gesellschaft der Gleichen hatte Grund zu glauben, daß ein
Blutbad gegen sie vorbereitet wurde, ähnlich den Blutbädern an den Republikanern
in der Midi, und Babeuf setzte dazu an, ein so herausforderndes Bild von der Jagd
auf die Republikaner durch die Kräfte der Reaktion zu zeichnen, daß die Richter
ihn in seiner Rede unterbrachen und ihn erst am nächsten Tage fortfahren lassen
wollten.
Babeuf erklärte zum Schluß, daß ihn die Todesstrafe nicht überraschen und nicht
schrecken könne. Er sei im Laufe seiner revolutionären Tätigkeit an die Haft und
an gewaltsamen Tod gewöhnt worden. Es sei ein überwältigender Trost, sagte er,
daß sich seine eigene Frau und seine Kinder und ebenso die seiner Anhänger nie
dessen geschämt hätten, was ihren Männern und Vätern geschehen sei, daß sie vielmehr
in den Gerichtssaal gekommen seien, um ihnen beizustehen.
»Aber, oh, meine Kinder«, schloß er, »euch gegenüber habe ich
von meinem Platz über diesen Bänken - dem einzigen Platz, von dem aus meine Stimme
euch erreichen kann, nachdem es mir gegen Recht und Gesetz sogar unmöglich gemacht
wurde euch zu sehen -nur eins zu bedauern: obgleich ich so sehr gewünscht habe,
euch jene Freiheit als Erbe zu hinterlassen, die die Quelle alles Guten ist, sehe
ich für die Zukunft nur Sklaverei voraus, und ich lasse euch als Beute eines jeden
Übels zurück; ich habe nichts, was ich euch geben könnte. Ich möchte euch nicht
einmal meine staatsbürgerlichen Tugenden, meinen grundlegenden Haß gegen die Tyrannei,
meine heiße Hingabe an die Sache der Freiheit und Gleichheit, meine leidenschaftliche
Liebe zum Volk hinterlassen. Ich würde euch gegenwärtig nur jedem Mißgeschick
ausliefern. Was würdet ihr damit unter der monarchischen Unterdrückung anfangen,
die unfehlbar im Begriffe ist, auf euch herabzusinken? Ich lasse euch als Sklaven
zurück, und dieser Gedanke allein wird meine Seele in ihren letzten Augenblicken
quälen. Ich sollte euch in dieser Situation einen Rat geben, wie ihr die Ketten
geduldiger tragen könnt, aber ich sehe mich nicht dazu fähig.«
Das Urteil fiel nach einer gewissen Uneinigkeit unter den Richtern gegen Babeuf.
Einer seiner Söhne hatte ihm einen Zinndolch aus einem Kerzenständer zugeschmuggelt,
und als er das Urteil vernahm, stach er sich damit nach Art der Römer in die Brust,
verwundete sich aber nur entsetzlich, ohne zu sterben. Am nächsten Morgen (27.
Mai 1797) ging er zur Guillotine. Von seinen Anhängern wurden dreißig hingerichtet
und viele zur Zwangsarbeit oder Deportation verurteilt.
Bevor er starb, hatte Babeuf an einen Freund geschrieben, dem er seine Frau und
seine Kinder anvertraut hatte: »Ich glaube, daß einst der Tag kommen wird,
da die Menschen wieder darüber nachdenken werden, wie der Menschheit jenes Glück
beschert werden kann, das wir ihr in Aussicht gestellt haben.«
Seine Verteidigung erreichte die Welt erst nach fast hundert Jahren. Die Zeitungen
berichteten nur einen Teil davon, und der volle Text wurde erst 1884 veröffentlicht.
Sein Name blieb jahrzehntelang eine Drohung.
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MORE ABOUT BABEUF:
http://www.marxists.org/archive/bax/1911/babeuf/index.htm
Manifesto of the equals
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