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Vereint im Leid
OLIVER FUCHS
Generation Bankrott
Vereint im Leid: Die 30-Jährigen als Gemeinschaft wider Willen
Die Einschläge kommen näher. Ein Freund aus Berlin ruft an und sagt, er sei bankrott. Er fragt, ob man von einem Job wüsste, „das kann irgendwas sein: Kopieren, Korrekturlesen oder meinetwegen auch Kaffeekochen“. Für solche Tätigkeiten ist der Freund überqualifiziert, er hat Philosophie studiert, mit einer glänzenden Arbeit über Deleuze abgeschlossen, er hat bei einem Marktforschungsinstitut gejobbt, er hat Filme gedreht, als Jugendpädagoge gearbeitet und Literaturkritiken geschrieben und im Wissen um seine vielen Talente eine feste Stelle stets abgelehnt. Irgendwas geht immer, dachte er, und jetzt merkt er plötzlich, dass nichts mehr geht. Man verspricht natürlich zu helfen, hat aber so seine Zweifel, ob das funktioniert.
Seltsam, denkt man nach dem Gespräch, dass die große Krise jetzt auch die Überlebenskünstler erreicht hat, die immer Geld hatten, ohne viel zu verdienen. Wir 30-Jährigen gelten seit zehn Jahren als Trendgeneration, und haben doch die ganze Zeit nie gewusst, was das sein soll, eine „Generation“, und wie sich das anfühlt: Teil davon zu sein. Jetzt, da die Wirtschaft am Boden liegt und der Sozialstaat aus dem letzten Loch pfeift, wird dieser Haufen aus atomisierten, höchst individualistischen Individuen zum ersten Mal als Verbund sichtbar. Das Band, das die 30-Jährigen verbindet, besteht aus Angst: Verarmungsangst. Es scheint, als ob es uns nun gemeinsam an den Kragen geht. Der neueste Trend heißt: Keine Kohle.
An trendigen Generations-Konstruktionen bestand kein Mangel, ganze Sixpacks von Sinn- und Identifikationsangeboten wurden schon ausgegossen über die, die heute unter der Rubrik „Die 30-Jährigen“ existieren – und perlten meist ab. Los ging es Anfang der neunziger Jahre, die „30-Jährigen“ waren damals zwanzig und hießen „Slacker“. Der Hype kam aus den USA herübergeweht, wo Soziologen gerade eine eigenartige gesellschaftliche Gruppe entdeckt hatten: Jugendliche, die ständig redeten, aber nichts mitzuteilen hatten, sympathisch schlaffe, ungewaschene junge Menschen, die nichts so recht wussten – nur in einem Punkt bestand absolute Gewissheit: Dass es ihnen später nicht, wie den Generationen davor, besser gehen würde als ihren Eltern, sondern deutlich schlechter. Die miesen Zukunftsaussichten nahmen die Slacker als Vorwand, um an Tankstellen herumzuhängen, enigmatische Rockbands zu gründen und sich sinnlos zu verlieben.
Bin das wirklich ich?
Zugegeben: Das war ein reizvolles role model, es hat Spaß gemacht, eine Zeit lang Angehöriger der „Generation X“ zu sein. Auch der Freund, der jetzt pleite ist, ließ sich damals einen Ziegenbart wachsen und wurde oft im Umkreis von Tankstellen gesichtet – doch je länger das so ging, desto stärker fing er an zu zweifeln: Bin das wirklich ich? In seinen schwachen Momenten kam es ihm so vor, als würde er bloß am Bodensee nachspielen, wie amerikanische Jugendliche in Los Angeles Armut simulieren. Denn dass Slackertum ein Mittelklasse-Zeitvertreib war, ein Kokettieren mit dem Elend, schien irgendwann völlig klar.
„Ich war nie ein Slacker“, bekannte der Sänger Beck, angeblich eine Ikone der Generation X. „Keine Zeit. Ich musste arbeiten. Geschirr spülen, Toiletten putzen.“ Ziemlich desillusionierend. Doch es ging munter weiter im Etikettier-Spiel: Führende Style-Magazine riefen das „Girlie“ aus und damit die Losung: Sei feministisch und hab’ Spaß dabei! Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie erfand die „89-er“, die Mauerfall-Generation. Wieder waren die Jahrgänge 1965 bis 1975 gemeint, die sich auch dieses Konstrukt überzogen wie ein Hemd, das ein wenig zu groß war, aber weil man es geschenkt bekommen hatte, wollte man mal nicht so sein. Dann die wirkmächtigste aller Definitionen: Florian Illies mit der „Generation Golf“, und, runderneuert, „Generation Golf Zwei“. Im ersten Teil firmierte das samstagabendliche „Wetten, dass . . .?“-Ritual als generationsstiftendes Moment, in der Fortsetzung sollte es laut Illies irgendwie darum gehen, dass 9/11 zum politisierenden Erweckungserlebnis seiner bislang doch so unpolitischen Generation wird, wie „die Studentenunruhen für die 68er und die Anti-Atom-Bewegung für die Generation danach“ – interessante Theorie, dachten wir beim Lesen, aber was hat das mit unserem Leben zu tun?
Wahrscheinlich wurde, abgesehen von den „68-ern“, noch über keine Generation so intensiv nachgedacht wie über die „30-jährigen“. So wuchsen wir wohlbehütet auf, umsorgt von Zeitungen und Magazinen, die sich liebevoll in uns einfühlten. Der Blick in die Presse als Blick in den Spiegel: Hey, interessant seh’ ich heute wieder aus! Und irgendwann waren wir alt genug, selber Zeitungen und Magazine und ganze Bücher vollzuschreiben, uns in uns selbst einzufühlen, uns selbst zu erklären, wie wir gerade sind.
Die Flut der Generations-Traktate reißt nicht ab. Vor kurzem sind erschienen: „Fünfunddreißig“ ein Erfahrungsbericht von Rolf Dobelli, Volker Marquardts Survival-Handbuch „Das Wissen der 35-Jährigen“, und das Kursbuch Nummer 154 zum Thema „Die 30-Jährigen“. Im Auftakt-Essay des Kursbuchs beschreibt Stefanie Flamm, Ex-Redakteurin bei den Ex-„Berliner Seiten“ der FAZ, voll Anteilnahme „Meine erste Entlassung“. Es ist natürlich langweilig, den Altersgenossen dauernd vorzuwerfen, sie würden nur um sich selbst kreisen, aber man staunt immer wieder, zu welch zartem Mitgefühl sie fähig sind, wenn es ums eigene Schicksal geht.
Das Gemeinschaftsgefühl, das in all diesen Texten beschworen wird, verflüchtigt sich so schnell wie der Geruch von frischer Druckerschwärze. Je mächtiger der Diskurs anschwillt, desto schwächer werden die Konturen dieser Generation. Trotz Mauerfall, trotz 9/11, trotz des Endes der Harald-Schmidt-Show: Was den 30-Jährigen fehlt, ist ein funktionierender Gründungsmythos, eine große Erzählung. Vielleicht hat aber auch das Konzept Generationenfolge insgesamt ausgedient. Bis in die achtziger Jahre schien es intakt, immer waren da machtsatte Alte, die von machthungrigen Jungen attackiert wurden, bis die Jugend irgendwann selbst die Macht übernahm – die nachwachsende Generation als Garant und Motor gesellschaftlichen Fortschritts.
Der typische 30-Jährige hat schon deshalb Schwierigkeiten, sich in dieses Modell einzufügen, weil er, statt Gemeinsamkeiten zu betonen, eher darauf aus ist, sich von den Gleichaltrigen zu unterscheiden. Er besteht auf sozialer Ungleichheit, auf Glamour-Differenzen, ihm liegt daran, ein Coolness-Gefälle aufrecht zu erhalten. Und so kämpften die 30-Jährigen lieber untereinander um kulturelles und tatsächliches Kapital, der Krieg gegen die Vorgänger-Generation blieb aus. Erst die große Wirtschaftskrise hat diesem Bürgerkrieg ein Ende bereitet. Im Moment sieht es wirklich ganz danach aus, als ob aus diesem Haufen atomisierter, höchst individualistischer Individuen doch noch eine Generation mit echtem Zusammenhalt entstehen würde, eine Solidargemeinschaft der Leidensgeprüften. Ein Lied zur Lage gibt es auch schon. Es stammt ironischerweise von einem Techno-Schönling, (früher hätte man gesagt: Popper), von Christian Kreuz, und der singt: „Erst wenn wir alle pleite sind, sind wir nicht mehr allein“.
Das musste mal gesagt werden. Und jetzt, da das klar ist, können wir die 30-Jährigen in Frieden altern lassen und uns endlich der nachwachsenden Generation Y zuwenden. Die ist noch ärmer dran als die Generation X: Keiner erforscht ihr Kaufverhalten, niemand ergründet ihr Seelenleben. Ist es ein Wunder, dass die Jugend sich übel vernachlässigt fühlt?
17.12.2003 http://www.sueddeutsche.de/sz/feuilleton/red-artikel536/
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