IMPROVISATIONEN
A
UF  DEM  FAGOTT

- Proklamationen aus einer neuen Zeit -
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Werner von Delmont,
ein Gespräch mit seinem Sohn Hans-Dieter
im Jahre 2033
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Letzter Akt

 


Delmont: Dunkle Truppen treibt es derweil durch die Wälder. Blut und Schmutz ihrer Überfälle bleiben in unserer Gesellschaft verpönt. Wahllose Willkür!

Plötzlich brennt es. Salutschüsse für jedermann, Maschinenpistolen nur zum Spaß, Patronengurte im Unterkleid. Posen sind polnische, ....äh Posen sind politische Sprache, eine Zersetzung der Meinung.

Argumente nie, Logik immer. Schrecken verblaßt. Heilslehren für den Rest der Welt, aber nicht für uns, letztes Sterben im Gras, dann Filmwechsel.

Demnächst: Göttliche Komödie.

Bedürfnisse überall, die Polizei überwacht das Nehmen. Das Politische, das Politische starb mit der Politik, der Rest, das sind wir. Der Überschuß des Lebens. Die Aufklärung flackert wild, Drogensucht die Romantik, Vormärz, Alkoholiker, das junge Deutschland: Geister Schiffe, die Besatzung hingestreckt und der Käpten an den Mast genagelt.

Denn unser Fürst ist tot und wir sind vogelfrei. Wir bekämpfen die Macht, wie es uns gefällt.


Hans-Dieter:
Ja, ja ...schon gut Dad... das kannst Du ja machen wie Du willst... Jedenfalls bist Du jetzt im falschen Film... Ihr habt also gekämpft, JA? Gegen die kulturelle Privatisierung die damals vollzogen wurde? ...JA?

Delmont:
Von welcher Privatisierung sprichst Du überhaupt?

Hans-Dieter:
Dad.... die 90er, der Kapitalismus, die Globalisierung, die absolute MÜNZE ... Deine Lieblingsthemen!!

Delmont:
Ach ja! ...die Nationalstaaten werden zu Verwaltungseinheiten des ‘Global Player’ ...sie zerfallen in konkurrierende Standorte, weltweit... und so weiter...

Hans-Dieter:
Wettbewerb, Wettbewerb, das war meine Kindheit ...heit

Delmont:
Innovation, Innovation, die Restauration, die kennst Du schon schon!

Hans-Dieter:
Revolution, Revolution, die Motivation zur Exekution!

Delmont:
Die Phänomene einer globalen Ökonomie, die unglaublichen Veränderun-gen des ausgehenden 20. Jahrhunderts bilden sich nur im Unterbewußten ab: Nervosität, Massenhysterie, Streß, Ambience, Jugendkult, Rokoko und Surrealismus, indische parfümierte Speisen, Bedeutungswahn...

Hans-Dieter:
Sind das die neuen Kollektionen?

Delmont:
Die Übertragung der bürgerlichen Werte des Wahren, Guten und Schönen auf die Corporations.

Hans-Dieter:
... Schöne, gute, Waren...

Delmont:
Blinder Glaube, Fatalismus!

Hans-Dieter:
Das 20ste Jahrhundert, die Made im Speck der Zeit!

Delmont:
Die Moderne brauchte zwei Weltkriege bis alles modern war. Dann kam POP! POP, der immer mehr zu einem kreativen Motor der kulturellen und wirtschaftlichen Globalisierung wurde. POP, dieser Judas des Underground, dieser Verräter aller Strategien, der alles verfügbar, alles vermarktbar gemacht.
POP hat die Gleichung Ware=Kultur, Kultur=Ware in jede Pore dieser Erde hinein geprügelt. POP hat sich damit selbst erfüllt. Es gab nichts auf dieser Welt, das nicht POP ist. Planet POP, der alte Stil....

Hans-Dieter:
...Standort-Rock, Hofkunst Blues... Kauf-House-Musik, Tam-Tam & Base...

Delmont:
...heute nur noch entpolitisierte Armenkultur, Opium für die Massen der Dienstleistungsknechte.

Hans-Dieter:
... Fanatismus! Oh Gott, wie verrückt.... Aber... wie habt ihr das damals bekämpft?

Delmont:
Das hat sich selbst abgeschafft... Jugendkultur heute nur noch für die Alten. .... und die Jugend: JETZT MEIN SCHAUSPIEL!!! Weiß gekalkte, rissige Gesichter, Narben und Tätowierungen, die wie Falten schmücken, Allonge Perücken, Breeches, Schnabelschuhe. Reifröcke und Korsetts, Krücken, Stöcke, Gehwerkzeuge aller Art... und diese herrlichen, lang geschwungenen Tabaks-Pfeifen!

Hans-Dieter:
...jetzt sind doch die kurzen, weißen Tonpfeifen wieder subaltern! Doch damals hattest Du die Ehre, den CORPORATEN ROCOCO in die Gesellschaft einzuführen?

Delmont:

Corporate, ich liebe dich,
Corporate, mag Du auch mich,
Corporate, so sammle bitte,
Meine Kunst, denn aus der Mitte,
Kommt sie auch...
Aus dem Herzen, aus dem Bauch.

Hans-Dieter:

Ich lieb’ dich Corporate wie nie,
Komm süßer Corporate mal her und sieh
Wie Kunst und corporate Form
Von Innen kommt das ist enorm.

Delmont:

Corporate, mein Fürst und Herr,
Corporate Du hilfst mir sehr,
Corporate, gib Du mir Geld,
Wenn meine Kunst Dir gut gefällt.
Denn voller Demut wächst mein Glück Dir zu...

Hans-Dieter:.

Corporate, mein Prinz, mein corporater Lord, Corporate, ich höre immer auf Dein Wort,
N ur Du mein Herr, Du kannst mein Schicksal wenden und ich versprech, zu tragen Dich auf Händen.

Delmont: Nicht schlecht, mein Lieber... aber...
das ist heute ein so schrecklicher Stil! Seine weitere Durchsetzung muß unter allen Umständen verhindert werden! Anfangs wollte ich ja die Gesellschaft verändern.... doch heute kann ich diese alten Bein-Kleider einfach nicht mehr sehen.

Hans-Dieter:
Aber eine veränderte politische und ökonomische Struktur, die im Kern ein Absolutismus ist, muß auch dem entsprechende, repräsentative Formen hervorbringen...

Delmont:
Deswegen sind die Künstler am Hof ja auch so gern gesehen. Und das ist gut so, denn die prunkvollen Ringe der virtuellen MÜNZE, die Verträge unserer dummen Herzen, zu durchbrechen ...gilt es.

Hans-Dieter:

Du mußt es glauben...
dann zerfällt Dein Phantasus,
gelbes Mittel,
Du Versprechen!

Delmont: Denn immer ist Kunst, wie jede öffentliche Äußerung, eine Einflußnahme auf den Geschmack und die Köpfe anderer.... und deshalb per se eben auch politisch. Denn was man auch tut - was man sagt und wie man es sagt - steht auch, immer in einem Verhältnis zur Macht. Ob man also will, oder nicht, Kunst ist eben auch Strategie und Einflußnahme:

CRITICAL ROCOCO!

Hans-Dieter: Und doch die Frage ist: Für was?!

Delmont:
Es galt die Zeitenwende zu nutzen und eine neue Souveränität der Subjekte gegen die von Corporations dominierten Öffentlichkeiten zu behaupten und eine neue Leichtigkeit im Kampf für eine selbstbestimmte Heiterkeit des Politischen und Ästhetischen zu entwickeln. Gerade da hätte ich eine Möglichkeit gesehen, einen tollen anarchischen Spaß zu entwickeln. Mit den verschiedenen Künstlerbildern, Popstar, romantisches Genie, Sozial-Onkel und Medien-Tante konnte man ja spielen...

Hans-Dieter:
Künstlerischer Widerstand gegen die Kulturalisierung des Lebens?

Delmont:
Gewiß... alles ist nur THEAterrr, Auf-Gabe des Selbst, goetthliches Spiel!

Hans-Dieter:
Bürgerknast, Bürgerknast, ha, ha, ha!

Delmont:
Denn unsere Fürsten sind tot... und die verschiedenen selbstbestimmten fraktalen Gesellschaften, der Clubs, Tribes und GenossInnenschaften, funktionieren heute... (einigermaßen).
Es hat fast 30 Jahre gedauert, bis der Totalitarismus des Global Player gebrochen wurde und eine neue Souveränität der Subjekte und ihr Anspruch auf Autonomie und eigene Ökonomie gegen die Vorherrschaft der Höfe der Corporations durchgesetzt war. Doch weiterhin müssen die gewählten Abgesandten der Fraktale jederzeit rückgekoppelt, kontrolliert und gegebenenfalls auch ausgeschaltet werden können.

Hans-Dieter:
Mutter erzählte mir einmal, Du hättest dich beim Sterne-Deuten etwas weit aus dem Fenster gelehnt und einen Zukunftsroman ‘Futurismus von Öffentlichkeit’ geschrieben?

Delmont:
Oh Gott, das ist mir jetzt aber wirklich peinlich... ich wollte Dir das nie erzählen...

Hans-Dieter:
Ooh Vati, das ist schon OK, ich hab es eh heimlich gelesen und da können wir ja jetzt mal kontrollieren... was davon so alles eingetroffen ist!

Delmont:
Nee Jong... das Spiel bleibt ja doch immer nur dasselbe. Mach, daß Du raus kommst in die Welt und studiere sie! Dann entscheide, welchem Herren Du dienen willst. Aber bedenke: jeder stirbt für sich allein und auch ich muß jetzt gehen.

Ich danke Dir und all meinen Freunden für ihre Liebe, doch besonders Deiner verehrten Mutter, der ich nun bald nachfolgen werde...
Hier, Hans-Dieter, mein Letztes... Gedicht... für Dich...

Hans-Dieter:
Früh schläft der Reif eines kalten Jahrtausends im Tal. Langsam erweicht die Nacht. Wir lachen leise. Und kichernd fällt uns der Frost aus den Gliedern.

Da leckt die erste Sonne den staubigen Rock und küßt die zarte Haut der Dunkelheit. Wie welk und weich die nun zerfällt... Oh, daß mein Spinnennetz erwacht!

Das Fest beginnt! Voll blöder Erwartung balgen die Amseln, Lerchen wirbeln in der Luft. Ein großer Akkord, milder denn Mairegen, Kinderküsse, Rosen Duft... Und die Blüten tragen jetzt Tautropfen im Haar, so, als seien das kristallerne Perlen einer strahlenden und neuen Zeit.

Also jauchzt das Gewürm und die Erdkugel brummt, es knackt der Geist im weiten Rund.

Die morsche Brust saugt diesen frischen Morgen tief. Der kalte Rauch zerfließt in seinen feinen Adern. Die Feuer der Mutigen sind ausgehaucht. Tief träumt die Glut unter der Asche, welk dampft ihr Geist ins strenge All.

Die Leichen sind ausgeblutet und doch... Die rote Morgenstunde ruft: Kräfte sammeln, Schuß- und Stichverletzungen reinigen und die Wunden schließen. Die Bewaffnung komplettieren, Übungen am Florett, Patronenhülsen füllen, Bleikugeln rollen...

Ich begrüße den neuen Morgen mit Dank! Dieses Gefühl wollen wir für den jungen Tag hochrüsten. Klar und kalt und voll froher Gewißheit.

Wenige sind schon wach unter den Apfelbäumen, auch Freunde schlafen noch im Rausch.

Unsere Väter sind jetzt tot, und wir sind vogelfrei.

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