. Alice Ohneland .
. Berlin . Paris . Genf .

An die
Brecht & Cruikshank Shnitzel Shanke,
Jazz- und Ratingerhof-Keller, Originalimbiß- und Spagettihaus
London

Sehr geehrter Herr Impresario,
ich bedanke mich sehr für Ihr Entgegenkommen, daß Sie sich bereit erklärten, das folgende Schreiben Herrn von Delmont zukommen und verbleibe

Hochachtungsvoll

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Sehr geehrter Herr von Delmont,
der Zufall spielte mir bei meinen gegenwärtigen Recherchen im Institut für post- und protofaschistische Wirtschaftsgeschichte in Ludwigsburg (Abteilung Bund Deutscher Industrie, vorm. Reichsindustriebund / Archivkennzeichen. BDI / kult. Managm.Strat. / 90-99) eine Akte in die Hände, die eine abgebrochene Aufzeichnung Ihrer Rede in den neueröffneten Messehallen in Leipzig 1995 mit BDI-Kunst beinhaltete. Diese wurde - wie es in der Aktennotiz hieß - durch das Unwohlsein von Frau Ötker abrupt beendet. Auch fand ich in den weiteren Archivbänden unter der Rubrik Zensur, einen nicht veröffentlichten Beitrag von Ihnen, der Thesen zum neuen weltweiten Absolutismus enthielt, die ich für meine gegenwärtigen kulturhistorischen Überlegungen außerordentlich inspirierend fand. Während der Lektüre drängten sich mir so viele Fragen auf, daß ich beschloß, Ihre gegenwärtige Adresse unbedingt eruieren zu müssen, um mit Ihnen in Korrespondenz zu treten. Ich bemühte meine ehemaligen Kontakte zur klandestinen Polit-Kunst-Szene und wurde bald fündig. Wer kann die gespannte Freude beschreiben, mit der ich nun einer Korrespondenz entgegensehe. Bitte enttäuschen Sie mich nicht!

Mit den besten Grüßen

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PS: Es folgt hier eine Beschreibung meines Vorhabens:

Ich arbeite zur Zeit an einem größeren malerischen Prospekt, ein Resümee von 7 Jahren meines Lebens in dieser Berliner Republik. Es soll die zentrale Manifestation in einem von mir gestellten Gegenpavillon anläßlich der kommenden Weltausstellung werden, die - wie Sie sich denken können - alle Formen der Globalisierungseuphorie beinhaltet.

Der Affekt meines Anliegens wird jedoch von einer Ennui überschattet, die Sie - das entnehme ich den mir vorliegenden Manuskripten - durchaus nachvollziehen können müßten. Denn die Befindlichkeit der Korrspondierenden ist eine, die sich den Auswirkungen der allgegenwärtigen Restauration nicht entziehen kann. Permanent scheine ich bei der Ausübung meiner kulturellen Artikulationsbemühungen gezwungen zu sein, entweder privat oder subaltern zu werden. Und Sie werden verstehen, welcher Verlust an Stirnbieterei, Vergnügen, Leichtigkeit und Abenteuer - kurz an Sinn - in beiden Fällen damit verbunden ist.

Das mag den gegenwärtigen Zuständen liegen. "Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hatte vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce", schrieb Marx zum 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Welche Potenzierungen hat diese bürgerliche Farce am Ende des 20. Jahrhunderts erreicht! Die Feierlichkeiten zur sogenannte Revolution, eine Jubilatorik, die nur schlecht und billig die Okkupation des Großkapitals und die Rückübertragung des Großgrundbesitzes an Adelszombies kaschiert. Und was die Tragödie betrifft, die als Farce wiederkehrt, so feiert sie ihr Widergängertum in kriegerischen Entents, deren moralisches Bündnis in einer simplen Übertragungsleistung bestehen, die die eigenen Kontinuitäten durch Projektion auf ein anderes Territorium auslöschen. Wir waren also Zeuge eines Initiationsritus in eine militärische Machthabe, die so funktionierte, wie der "Anfänger, der eine neue Sprache erlernt hat, sie immer zurück in die Muttersprache" übersetzt.

Noch mehr zur Kommödien-Epoche. Was alle immer schon sowohl gewußt wie verschwiegen haben, nämlich, wie und wann das gesamte moderne westliche Kapital seine ursprüngliche Akkumulation bewerkstelligte, wird jetzt an einzelnen Fällen entrüstet nacherzählt, um die übrigen im Schatten des Scheinwerferlichtes der öffentlichen Empörung auszublenden. Man will Exempel statuieren und dann das endgültige Vergessen einleiten. Selbst einer meiner Hauptfinanziers ist nun mit seinen Akkumulationsursprüngen an die Öffentlichkeit, wie an eine Börse, gegangen; meine andere Finanziers ducken sich wie die berühmten Häschen in der Grube und hoffen, daß sie nicht vom kathartischen Wirbelwind erfaßt werden. Nun wird eine Farce von Entschädigungsverhandlungen inszeniert, deren Langwierigkeits- und Verzögerungsstrategien noch im aufrichtigsten Wiedergutmachungstimbre das allmähliche Ableben der gealterten Opfer mit einkalkuliert. "Ein Narr der Böses dabei denkt.'

Ihr vorzüglicher Abriß der künstlerischen Entwicklungen in der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts endet fatal. Ich darf Sie zitieren: "Denn seit den 1970er entstand wohl aus Angst vor den aufbrechenden Utopien die schon erwähnte rückwärts gerichtete Umkehr- oder Wendepolitik und in demselben Zuge ein kulturkonservativer Historizismus ... Mir schien egal, ob man sich als Maler noch einmal am Informel versuchte, als Sozialkünstler Kunst als Kommunikation betreibt oder als Politkünstler Aktionen in der Fußgängerzone macht ... denn was einst aus einer Geschichtslinie als Lösungsversuch resultierte, wurde jetzt durch Wiederholung zum verfügbaren Muster." Mündet diese Verfügbarkeit für Sie in der gänzlichen Inkorporationsbereitschaft aller kultureller Äußerungen? Ich habe mir oft überlegt, was nach der überflüssig gewordenen repressiven Toleranz folgt. Wie kompensiert sich die Obsoletheit dieser repressiven Toleranz? Welche Repräsentationslogik baut sich das Subjekt, das unabhängig sein will, nun nach den Liberalitätsbeweisen, vorausgesetzt, daß Repräsentation sich immer mit dem Schein von Unabhängigkeit inszenieren muß, da sie sonst ihre Effekte - die Vortäuschung von Wahrheit - verliert?

Wir ersparen uns die Nennung von konkrete Beispielen (>> würde ich drin lassen! WvD)- die Dümmlichkeit der Postkonzeptualisten, die Dienstleistungsbereitschaft der Institutionskritiker, die Seichtigkeit und der Einrichter, der Partizipationsdarwinismus der interventiven Praxis, die Altmännerphantasien der neuen, zugerichteten puerilen Subjektivitäten.Warum aber - das frage ich mich selbst und Sie - noch diese langwierigen und äußerst kunstvollen Verabschiedungen? Von welcher Leidenschaft werden sie bewegt? Als ob man dazu verdammt wäre, an der Reling zu stehen und andauernd das Taschentuch zu schwenken, dumpf grollen schon die Dieselmotoren im Schiffsrumpf; aber der Ozeandampfer bewegt sich nicht einen Meter aus dem so verhaßten und doch so leidenschaftlich verteidigten Hafen. Ist es, weil der einmal geglaubte und nun in Mißkredit geratene Sinn dann wenigstens noch in seiner Negation weiter dämmern kann, oder weil es erträglicher ist, ein schwarzes Bild zu malen als ein leeres?

Angesichts der hier angerissenen Zustände fällt es mir schwer, eine Autonomie meiner Arbeit und meiner Person zu behaupten. Ich denke an eine Autonomie, die sich in der Situation quasi entbunden von den Bedingtheiten ihrer Herstellung darstellt - eine Art Bühnenautonomie, einer Lüge, deren Pirouetten so kunstvoll sein sollen, daß sie den Teil der Welt, die ich hasse, ins Gesicht schlägt, und daß sie sich dem Teil der Welt, die ich liebe, wie ein Mantel zu den Füßen legt, ein Mantel, ausgebreitet über eine kolossale Pfütze, damit sie, die Welt, ohne nasse Füße darüber schreiten kann.
Lassen Sie es mich schlichter fassen, Autonomie müßte substanzlos aufgefasst werden, ein Abglanz des Rechtes einer jeden Person auf Souveränität, der gelegentlich in den kompromittierensten Situationen erscheint, in denen - weit vor dem Anspruch auf politische Stringenz - eine gewisse Zivilcourage gezeigt wird.

'So klein werden die Ansprüche?', denken Sie nun gewiss, und bevor ich Sie bitten werde, als Zeuge und Berichterstatter einer solchen Zivilcouragiertheit aufzutreten, fühle ich mich deswegen aufgefordert, auch noch die Miniaturisierung meiner Ansprüche zu erklären.

In meiner Melancholie dachte ich oft: Wenn ich sie nicht bessern kann, so kann ich ihr möglicherweise eine angemessene Expression verleihen. Ich dachte an die Techniken des Skandals und der Blamage. Ich knüpfte damit an das Selbstverständnis der Kunstkritik in der Frühromantik an - ein Ihnen nicht unbekannte Materie. Und wenn die Substanzlosigkeit der kritischen Position ein ihr inhärenter Widerspruch sei, und wenn dieser Widerspruch auf ein klassisches Ungenügen - einen Mangel an Sein - verweise, der sozusagen konstituierend für die Arbeit sei - das Unbrauchbare, Nur-Referenz sein... eine Dysfunktionalität schwebte mir vor, die stets kontraproduktiv gegenüber den Auftraggebern verhält. Aber ich beginne zu phantasieren, sei es aus Trotz oder aus Ekel gegenüber der nüchternen Realität meiner eigenen Vorhaben.

Kommen wir zurück zum Grund des Schreibens. Endlich möchte ich Sie nach den Motiven Ihres Freundes D. fragen, der damals inmitten der Hofschranzen des Kleinstaates K. einen Salon führte, dessen selbständige Position sehr wohl als eine vorgebliche reflektiert wurde, woraus eine erstaunliche Fragilität der Behauptungen resultierte. Bitte erzählen Sie mir von den Erwägungen, dem Entstehen, dem Verlauf und dem Ende dieses Salons.
Ebenso möchte ich gerne von Ihnen mehr über die Motive der letzten Präsentation Ihres Freundes D. in K. erfahren, an denen Sie, wie mir zugetragen wurde, einen beträchtlichen Anteil hatten und deren Kollisionen mit den verschiedensten Parteien des dortigen Hofes mich damals außerordentlich erheiterte. Welche Erwägungen, welche Interessen trieben ihn zu diesem glänzenden Coup. Gab es Konsequenzen, was sind die weiteren Pläne?
Und noch eine Frage, was war der Grund für das Unwohlsein von Frau Ötker?

Heute ist der 2. November, es ist kaum hell geworden, ich stehe am Fenster und starre mit schmerzhaften Neid auf die fahl gelblichen Straßenlaternen und das zuckende Geräusch der sich am Asphalt abnützenden Autoreifen.
'Die Mauern stehen sprachlos und kalt. Im Winde klirren die Fahnen.'


In der Hoffnung auf Baldige Antwort

Ihre a.o.l.

 

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Reply_________Ref: Ihr Faksimile vom 3-11-99

Sehr geehrte 'Alice noLand'

Ihren Brief haben wir erhalten und mit heutigem Datum an den Herrn Delmont expediert. Allerdings erhalten wir aus seinem Sekretariat die Nachricht er sei dieser Tage ab und nach Übersee. Wir erwarten seine Rückkehr jedoch gegen Monatsende, zum großen Kölntreff:
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mit dem Überraschungsrelease der neuen Riddle-Gypsy-Wurst-Mizzler-Scheibe 'In die Mitte, bittebitte', eine Performance des 'Deutschen Jünglings' und eine Tombola mit Auflageobjekten unbekannter Herkunft.

Es grüßt!

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An
Alice Nolandé
Berlin~Paris~Genf&Cie


Werte Frau Nolandé

bei meiner Rückkehr aus Übersee vor wenigen Tagen und bei der Durchsicht der für mich verwahrten Post rührte ein Schreiben mein Gemüth, das von Ihrer Hand und vom traurigen Schicksal des künstlerischen Opposition in den 90er Jahren gezeichnet ist.
Was wollen Sie, mit Verlaub, an morschen Ästen rütteln, wenn nur Schnee, kaltes Laub oder tote Nester, den Gesetzen Newtons folgend, Ihren und meinen Mantel beschmutzen? Ihre Beschreibungen der deutschen Jubel- und Mittepolitik ist nichts anderes und ich habe hier gewiß besseres zu tun als eine Nation zu bedauern, die sich anschickt das Trauerspiel der eigenen Geschichte nun als Klamotte zu feiern.

Jetzt sind Sie aber dann abgehoben vom diesem alltäglichen Rest und haben mir ihre Skrupel gebeichtet und sie mir wie einen dicht gewebten Mantel vor die Füße geworfen, als wie um die ein oder andere Pfütze begehbar zu machen, welche Sie Autonomie nennen? Nur sachte, gute Frau!
Blicken wir durch den Frühnebel Ihrer Moraldämmerung auf den AutonomieTeich und erkennen wir, daß dieser, wie so viele Weiher unserer Lande, eine rein zufällige Bezeichnung trägt: Autonomie!!! Verwegen wie es klingt und... HEISSA!.... VIVAT! ....möcht' ich rufen, denn das wollte viel bedeuten! Doch bedenken Sie, wie sich dieser See aus den Krokodilstränen der Konzerne speist und für die mit den mit frisch gewaschenen Tugendhemdchen zur Besegelung freigegeben wird. Morgen heißt die Pfütze anders und da läßt man wieder eine neue Parade abfahren.
Je nun, Sie müssen ran, und das ist auch besser als einen Subaltern mehr auf den goldenen Teller zu heben. Und dann stellen Sie sich hin, vor den Hof und sein Publikum, und geben Sie, was immer Sie zu sagen haben, zum Besten. Seien Sie gewiß, daß der Hof einige Frechheiten ertragen kann, solange sie mit Haltung und ohne Stottern vorgetragen werden.
In der Haute Couture schätzt man, wie in der mondänen Welt, die selbstbewußte und überraschende Form höher als den Inhalt, denn der, nu, der ist fürs Volk .
Doch, welch schöner Casus!!
Die Autonomie, die ich meine, die sagt: Nehmen Sie sich alle Freiheit die Sie brauchen! Denn sehen Sie nicht, wie man Ihnen das Thema wie einen Mühlstein an den Hals hängt und Sie dann auf das Theater zerrt um sich an ihrem Ächzen, Stöhnen und Wehklagen zu ergötzen? Ihre Moralkugeln, Ihre Angst- und Schweißperlen werden die Abendroben der Herrschaften zieren wie die Informationen das Internet, wie die Aktienkurse die Fassaden der Fitnesscenter, wie die Versprechungen der Politiker das Krankenbett des Volkes.

....aber, na, hören Sie mal! Jetzt zitieren Sie aus meinen Schriften und ziehen daraus eine angebliche Verfügbarkeit von Allem und eine gänzliche Inkorporationsbereitschaft von Jedem heraus. Nun, das mag noch angehen, und dann... hallo! ...dann fragen Sie nach einem Sinn und nach meinen Interna, gerade so, als hätte es da Momente einer Autonomie, Identität oder Sinnstiftung gegeben und dann soll ich Ihnen noch die Begebenheiten letzten 10 Jahre nacherzählen...
Mein gutes Kind! Was verlangen Sie da von mir, wo sollte ich denn da anfangen?
Aber lassen Sie es mich kurz noch einmal so versuchen: Nehmen wir einmal an, wir lebten bereits im Corporaten Rokoko und es würde jede Information, jede Politik und jede künstlerische oder culturelle Äußerung zur zierlichen Geste, zum ziselierten Roccaille, kurz, zu einem Ornament der Macht gerinnen? Gut, dann versuchen Sie eben einmal, sich vom Hofe fern zu halten und ihr Leben und ihre Produktion unter der Bettdecke des Privaten oder im Bündel irgendeines Sozialen zu verstecken.
Nun, ist das die Autonomie, die Sie meinen? Nein? Das schrieben Sie ja bereits, daß Sie die Autonomie lieber substanzlos auffassen... 'als Abglanz des Rechtes jeder Person auf Souveränität...'. Das klingt natürlich hübsch, sehr hübsch sogar, aber das ist nur die Grundausstattung, die Grundausstattung sozusagen eines jeden Künstlers: Haltung, Frechheit, Freiheit.
Wir wissen, kurz sind die Jahreszeiten und die Moden dieser Welt sind noch kürzer. Wie viele Sterne sah ich schon am Himmel vergehn! Ja, gute Spieler, mit Ernst, Eifer und Esprit, vertraute jeder seinem Pinsel... und wir lachten einen Sommer lang.
Ha! Und wie gewinnen wir das herrlichste Schauspiel? Sehen Sie den Bohnenkönig im Olymp achon thronen? Da wächst mit dem Ansehen der herrschende Geist! ...Aber der Hof der ist's schnell überdrüssig und die Helden müssen mit ihrem Genie alleine untern Tisch. Traurige Anzüge, doch gut gewagt.

Nun, Gnädigste, ich deliriere.... aber dort drüben ist das Theater, nicht? Dort kommen Sie hin! Heute geben wir Autonomie, morgen wieder Kotzebue. Doch... wo wohnen sie? Was tun sie dort? Haben sie Gesellschafter? Sägen und hämmern Sie da? Ja? Das ist gut, das ist sogar sehr gut, solange Sie das nicht für Ihre Autonomie halten.
Auch hier verbinde ich mich mit dem bereits gesagten. Sie können versuchen Ihre Produktion zu kontrollieren und genau deswegen werden Sie ...wollen Sie das nicht den Dummen überlassen oder der Stichwortgeber für die Hofmeister werden... den Marsch zum Hofe selber antreten und Sie müssen, so gut wie Sie das nur irgendwie können, handeln.
Über das 'gut' unterhalten wir uns später, aber seien Sie sicher, daß dies nicht vom Hofe allein befunden wird, das ist maßgeblich durch Sie selber bestimmt. Aber bleiben wir noch einen Moment bei der Ubiquität und der anscheinenden Sinnentleertheit der Repräsentanz unserer Bemühungen.
Soll es eine sinnvolle Repräsentanz des Sinnes am Hof überhaupt geben?
Wenn es so ist, daß es trotz, oder wegen der verschiedenen Öffentlichkeiten im Absolutismus der Münze erst einmal kein Außerhalb gibt, dann müssen wir spielen und wir müssen das Spiel und seine verschiedenen Regeln als Herausforderung begreifen. Das ist schon einmal ein Sinn. Jetzt kommt es darauf an, wie man spielt, wo man spielt und wo man was spielt. Eine Scharade vielleicht, um hier und da doch noch ein Sinnchen zu machen?
Sinn ist Sinnsuche. Sinn ist, gefundenen Sinn in den Wettstreit anderer Sinne zu stellen, kommunizieren, modifizieren, expandieren. Jetzt geht es los in Richtung Gesellschaft, Macht, Ideologie. Das macht für viele Sinn, da wollen sie hin, für andere nicht, die suchen Licht.
Hier kommt Nummer drei: destruieren und Sinn vier: regenerieren, von vorne anfangen.
Ich sehe schon, Sie raufen sich die Haare! Ich vergallopüpier' mich noch beim Sinn.

Sie fragten nach der Geschichte eines früheren Freundes von mir... dafür ist die Zeit nicht mehr! Wir haben heute Abend eine Aufführung und ich bin immer noch im Rock.

Ergebenst Ihr

Werner v Delmont

 


. Alice Ohneland .
. Berlin . Paris . Genf .

An die
Brecht & Cruikshank Shnitzel Shanke,
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London

Sehr geehrter Delmont,
ich verwahre mich ausdrücklich davor, mein Schreiben an Sie als eine Bitte an apostolische Sendbriefe verstanden zu wissen, muß jedoch eingestehen, daß dieser Eindruck aufgrund meiner Galle entstehen konnte, die mir an dem Tag der Briefverfassung besonders zu schaffen machte.
Genug von Sinn und Autonomie und den anderen Begrifflichkeiten, die Sie ja doch sehr treffend in ihren konjunkturellen Bewegungen erfaßt haben, was uns jedoch nicht uninvolviert vor der Brandung stehen läßt, sondern wir befinden uns in unserem Luftkissenboot mitten drin.
Genau dies war der Grund für mein Verlangen nach einer Erzählung, wohlgemerkt einer Erzählung, weil ich der Anleitungen und meiner eignen Anleitungsverfasserei so müde bin, und weil Erzählungen die Schlüsse so frei lassen.

Aber kurz zu Ihren Fragen. Zur Zeit halte ich mich in B. auf, im Ostteil der Stadt, in der nun die rückübertragenen Häuser eine starke Tönung tragen, die man kritische Rekonstruktion oder Sanierung nennt. Der Landschaft wird so oft abgebildet, daß sich in mir selbst oft ein Kulissenschwindel einstellt, wenn ich durch die Straßen gehe. Neben der Ateliertätigkeit bin ich involviert in die Gesellschaften der Jahreszeiten, der Familien und der Denkmalskorrekturen. Doch das soll vorerst Andeutung genug sein. Wir sägen und hämmern wieder vermehrt. Es riecht nach Eingliederung in ordentliche Handwerkerei, was mir zuwider ist, weil es einsam, unterwürfig und mit sich selbst identisch macht.

So weit so gut für heute.

Ich hoffe auf Ihre baldige Antwort

Alice Ohneland

 


. Alice Ohneland .
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Berlin, den 18. Dezember

An die
Brecht & Cruikshank Shnitzel Shanke,
Jazz- und Ratingerhof-Keller, Originalimbiß- und Spagettihaus
London


Werter Delmont,
Sie haben mir immer noch nicht geantwortert und ich kann Ihnen heute nur einen kurzen Brief schreiben. Dieser beginnt - das scheint nun comme il faut zu werden - mit einem Katzenjammer ganz besonderer Art.
Ich berichtete Ihnen im ersten Brief über das Tableau-Vorhaben, das ich nun begonnen habe. Es war eigentlich alles gut vorbereitet, die Geldgeber waren angefragt, nur mich, mich selbst, stach der Hafer, und zwar nach... nach was eigentlich...
Oder war mir etwa eine grundsätzliche konzeptionelle Schwäche unterlaufen? Vorab sollte bemerkt werden, daß ich mir immer durch einen sehr tief verinnerlichten Nihilismus gegenüber der künstlerischen Arbeit einen gewisse Unabhängkrit erhalten hatte, die mich ziemlich unbeschwert durch die einzelnen Vorhaben segeln ließ, was so viel heißen könnte, daß dies ein gewisser luftiger Narzissmus war, der sich jetzt aber bei diesem Vorhaben zu einer klebrigen Masse ausgewachsen hat. Das mag an der Vorlage liegen, versuche ich mich zu beruhigen: dieses breitbeinig sitzende, dümmlich für sich hin malende Künstlerding, devot begleitet von seiner Muse - grauenhaft!!
Und dann der Aufbau, die Funktionäre und Feinde auf der einer, die Freunde auf der anderen Seite, das ist so unerträglich wie ein expressionistischer Holzschnitt und verursacht beim Betrachten das blankes Entsetzen.
Sicherlich, sicherlich geschichtlich gesehen ist die Vorlage ein großartiges Beispiel von behaupteter künstlerischer Autonomie (sic!), von der Souveränität des 'absolute Bourgeois'. Nur jetzt JETZT entstehen bei der Beschwörung dieses absolute Bourgeois wahre Monster, Monster der neuen Mitte ist man versucht zu sagen.

Jetzt wissen Sie den Grund für mein langes Schweigen. Die Frage, ob Sie ähnliche Alpträume teilen können, erübrigt sich fast. Dennoch wäre ich gespannt, davon zu hören.
Sind Sie über die Feiertage in London? Vielleicht erreicht Sie dieser Brief ja doch. Ich wünsche Ihnen jedenfalls, falls wir nichts mehr voneinander hören, ... nein, ich wünsche Ihnen nichts, oh dieses gräßliche Millenium.

Ihre Alice Ohneland

 

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Reply_____Ref: Ihr Faksimile vom 18-12-99

Sehr geehrte 'Alice Noland'

Herr Delmont hat uns gebeten den beigehefteten Brief an sie zu übermitteln.
Dies haben wir hiermit erledigt, ich muss eilen, die Proben warten....

Es grüßt!
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ATTach: RE:FanpostAOL1.doc


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An
Alice Nolandé
Berlin~Paris~Genf&Cie


Werte Dame,

Ihre beiden Briefe habe ich erhalten und mit einer gewissen Befremdung gelesen.

Denn sehen Sie, als Künstler sind mir natürlich die von Ihnen benannten Probleme, Ängste und Spannungszustände allzu vertraute Teufel. Ja, leider sind diese notwendige und unliebsame Begleiterscheinungen unserer Produktion... aber sind diese Klippen denn das Ziel unserer Reise? Denn ist es nicht so, daß, je mehr Spiegel Sie von zu Hause auf die Bühne tragen, die Sache damit auch wahrer oder komplexer würde.

Zwar ist die Autonomie, die Freiheit die Sie sich auf der Bühne nehmen, ein Statement, doch was wäre damit bewiesen? Ab einem bestimmten Bewußtsein für Probleme, ... und das haben Sie, muß die individuelle Freiheitsdemonstration, damit sie nicht zum Selbstzweck gerinne, in einem Verhältnis zur Macht befindlich gezeigt werden.

Doch ist es hier an der Zeit meine Verschlingungen mit den Gemeinplätzen nun ebenfalls zu entschuldigen. Sind Sie nicht mit einem gewissen historischen Interesse an mich heran getreten das jenseits der Schilderung eigener Nöte siedelte?

Sollten Sie an einer Aufrechterhaltung unseres Briefwechsels interessiert sein, dann senden Sie mir doch bitte einige konkrete Frage zur Geschichte von der Sie hören wollen.

Ich muß zu Hofe, ergebenst

W.v.Delmont


 

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London


Berlin, den 30. Dezember 1999

Wertester Delmont,

wie ich hörte, sind Sie nun doch damit beschäftigt, meiner Ihnen zugemuteten Wissbegierde nachzukommen. Meine Fragen kommen mir nun im Nachhinein so vage vor, daß ich denke, daß sie dem Befragten noch mehr die Mühsal der von mir unterlassenen Präzisierungen aufbürdet.
So möchte ich hier einige Anmerkungen hinzufügen, die Sie jedoch auch als gegenstandslos betrachten können, falls diese vollkommen verquer in Ihren möglicherweise schon fortgeschrittenen Schreibprozess intervenieren. Ich habe einige Textstellen aus alten Zeitschriften eingefügt, um die Fragen zu explizieren.

"Der F-Raum ist aber auch kein neutraler Raum, weil dort aus am Rand der allgemeinen Öffentlichkeit stehenden "anderen" Ressourcen die Nachrichten gesammelt wurden, die in ihr (der Öffentlichkeit) unterblieben sind. F-Raum erweckt daraus einen Geist allbekannter, geschichtlich bankrotter möchtegern-bedeutungsvoller Vorstellungen von Austausch und Verteilung ... Man findet in diesem Raum Reste dieser Vorstellungen wieder, die aber durch die Möglichkeit der anderen Eigenschaft seines Gebrauchswertes verschoben werden."

Galt diese "Definition" auch für die anderen Unternehmungen des von Ihren Freunden S. und D. betriebenen Etablissements?
Welche Motivation und welche "bankrotten Vorstellungen von Austausch und Verteilung eine Rolle" standen hinter dieser Unternehmung?

Cabaret Voltaire oder Republikanische Clubs? Ihr Freund D. kommt des öfteren auf Diskussionen zurück, die Ende des 18. und im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert. geführt wurden. Ich fand eine Pressemitteilung zur Ausstellung Ihres Freundes D. in Köln, aus der ich wie folgt zitieren möchte: "Während damals die kulturellen Phänomene zwischen 1789 und 1848 dazu dienten, um das Künstlerselbstverständnis heute danach zu befragen, ob das "Romantische" politisch oder das "Politische" romantisch sei, so dienen nun ein `Genie`(Richard Wagner) und dessen `Rezeption` (im Kulturbürgertum des ausgehenden 19. Jhds.) als Vorwände, um das antagonistische Verhältnis einer rein ästhetischen und einer nur politisch motivierten Kunst auf die Bühne zu stellen." Können Sie die Parallelen dieses Verlaufs zur gegenwärtigen künstlerischen Selbstverständnissen näher erklären?

Wie unterschied sich das oben erwähnte Etablissement von anderen "selbstorganisierten Räumen", die im allgemeinen Wohlgefallen der gutgemeinten Beliebigkeit aufgehen, (Ich persönlich nenne letzteres immer substanzielle Läden, und finde die "Substanzlosigkeit" Ihres Lokals oben vortrefflich beschrieben.) Ich würde "Substanzlosigkeit" - d.h. nicht festlegbar auf eine Methode, eine soziale Gruppe etc. sein . - immer als notwendige Voraussetzung sehen, bankrotte Vorstellungen trotzdem aufzunehmen. Wie sehen Sie das?

Können Sie sich vorstellen, jetzt einen solchen Raum aufmachen. Warum geht das eventuell nicht mehr?
(Das ist eine ziemlich dumme Frage. Ich würde mir selbst darauf ebenso lapidar antworten: weil jetzt irgendwie nicht mehr die Zeit dafür ist? Aber das führt uns vielleicht zu der diffusen, aber auch Grübelei anregenden Frage führt, ab wann die Zeit reif oder nicht reif für solche Unternehmungen ist. Na ja...)

Ab wann wurde für Ihre Freunde dieses Lokal sinnlos, was eine Unterstellung ist, vielleicht wurde das auch nicht sinnlos, sondern nur anders distribuiert?

Damals wurden gerade Leuten, die "selbstorganisiert" arbeiteten, von Leuten, die das nicht taten, mit Argusaugen observiert, wann denn eine "Vereinnahmung" eintritt. Es gibt sicherlich einiges zur Motivation dieser Observierung und auch Selbstobservierung zu sagen.

Wo sahen Sie selbst "Vereinnahmungsgefahren" - z.B. zum Label für trendy-Stadtteil-Kultur werden?

Ich beende diesen Katalog mit der Beschreibung der letzten Ausstellung Ihres Freundes in Köln, die ich zufälligerweise in einer Wiener Kunstzeitschrift fand. Ich denke, sie faßt einiges von dem zusammen, was wir den Status quo eines derzeitigen Bewegungssterbens und der möglichen Perspektiven nennen könnten. Vielleicht möchten Sie dieser Beschreibung noch etwas hinzufügen:

"Das aktuelle Video lief einen Tag vor der Ausstellung: Reminiszenzen zu den Verstrickungen zwischen exrevolutionären Komponisten und Auftragebern, Industrialisierung und Reaktion, der Übergang von politischer Enttäuschung zu totalitärer Subjektivität, die Ignoranz gegenüber der Vereinnahmbarkeit oder den Verwandtschaften zu reaktionärer oder faschistischer Politik. Film und Ausstellung wurden von den diversen betroffenen Kontexten so rezipiert, als seien in den historischen Bewegungsaufzeichnungen von Frühromantik zu Wagnerianismus Bezüge zu der Entwicklung der eigenen Situation zu sehen. Aber die Kritik richtete sich viel grundsätzlicher an eine Hermetik der persönlichen, gruppenspezifischen und kontextuellen Gegenrezepturen zu der neoliberalen Ideologieträgerschaft, zu der der Kunstbereich umeffektiviert werden soll. Denn möglicherweise bewirkt diese Hermetik (Entsolidarisierung und Selbstbezogenheit) der Kontexte untereinander eine Ohnmacht (und Vereinahmungsbereitschaft), die sich in politische Ignoranz und szenenspezifische Blindheit / Provinzialität äußern kann. So scheint die Ausstellung ein eigenes kontextuelles Resümee zu sein, das sich jedoch vor dem Fatalismus rettet durch seine Methode: der Hermetik der Bühne kann man durch die Betrachtung der Bühne entkommen. Damit ist die Möglichkeit zur Selbstdistanzierung - zur Ironie - verbunden, zu einer Behauptung von Freiheitsvermögen, die Möglichkeit zum Handeln läßt. Der Ort der Galerie liegt genau an dem Ring der Stadt Köln, an dem jährlich zur Popkom die Stadt ihren Außenraum an die Bühnen der verschiedenen Medienkonzerne verkauft."

Das Bild macht dank des intensiven Consultings und der Mitwirkung meiner flexibilisierten Profimaler - Siekmann & Schmidt - Fortschritte. Siekmann hat gar possierlich die Künstlerin, die Muse, den Freund C. und eine finstere Politkergruppe gemalt, Schmidt beschäftigt sich zur Zeit mit den Konterfeis des Reaktionärs Walser und der Freundin S. Ich selbst habe mich lange Zeit am Hintergrund gütlich getan und an der Montage der übrigen Gruppen. Ich habe es mir aber nicht nehmen lassen, Ihre Person und meine Freundin I., persönlich zu malen.- ...-
- ...-
Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen und wünsche Ihnen nun endlich ein gutes Überstehen des Mega-Sylvester-Eventkultur

Ihre A.O.L.

 

Coversheet

Die Brecht and Cruickshank Shnitzelshanke
Jazz- und Ratingerhof Keller, Original Imbiß und Spaghetti Haus

+ + + + + + + + + + + + + Das Preisparadies! + + + + + + + + + + + + +
Pizzas, die wir nicht verstehen!
'Hallo Albert' von jeder verzehrten Pizza gehen 20 £ auf das Hallo-Albert-Grußkartenkonto . . . . . . . . . . . . . . . . . 5800 £
'Hallo Pizza' von Alberts Lieblingspizza wandern 10% zur Studienstiftung der Akademie Isotrop . . . . . . . . 6400 £
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Alle Preise verstehen sich inklusive Dienstleistungspauschale, Inflationsabgabe, Mehrwertsteuer, VAT. Kurschwankungen von mehr als +/- 10% Aktienindex werden zur Korrektur des Tagespreises herangezogen. Tradekarten der fraktalen Ökonomien sind als Valuta liquid, lei-der müssen wir eine Bearbeitungsgebühr von 2% berechnen. Kennen sie den? Kommt ein Skelett zum Arzt. Fragt der Arzt: "Warum so spät?"
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Der Verwöhn-Tip im Juli... gönnen Sie sich was, Pizza oder Spaghetti, egal, genießen Sie die Qual der Wahl!
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Reply_____________________Ref: Ihr Faksimile vom 30.12.99

Sehr geehrte 'Alice de noLande'

Herr Delmont schickt Ihnen beste Wünsche und den beigehefteten Brief.

Auch wir wünschen Ihnen ein erfolgreiches Neues Jahr,
schauen Sie doch ganz einfach mal vorbei!


Es grüßt!
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(DB&CSS)______________________________End
ATTach: RE:FanAOL2.doc


Anzeige! + + + + + + + + + +Cheerleader zur Ästhetik + + + + + + + + + + + + TZÄ News Ticker:
%%%%%% Innit, be out or be in it! Offenes Haus für offene Menschen, jeden Mittwoch um halb Acht %%%%%% Cultural Studies Contemplated: Onkel POP, mit 40.000 Schallplatten unterwegs zur Visual Culture. %%%%%%% Was macht denn eigentlich... Vincent van Gogh? %%%%%%%%% Das Kolonialhemd jetzt bei B_books!! XXL für schlappe 52,50 %%%%%%%%% TOLL! Das Jonathan Meese Begriffslexikon: Zehn Begriffe, in 1500 Seiten auf den Punkt gebracht. %%%%%%% Unsere Editionen: Eine Fotokopie von Albrecht Dürers 'Melencholia', eigentlich unsigniert, aber dafür limitiert %%%%%%%% Shortcuts im Juli: Carsten Höller Kontrovers,171ste Folge! Kunstwerke als Unterhaltungsindustrie, wo bleibt da eigentlich die Aura? %
%%%% "Hallo HUO! - Endlich fällt die Mauer!" Zitate aus der Begrüßungsansprache des Berlin Senators Becker %%%%% "Improvisationen im falsch gemalten Schatten" Was passiert eigentlich wenn sekundäre Strategien auf Platz Eins landen? %%%% "Autonomie, die wir nicht verstehen" Frau Dr Creischer kritisiert die Dingwelt %%%%%%Die fröhliche Wallfahrt: Zur Cosimaanbetung nach Köln, oder, wie der ungläubige Thomas das Laufen lernte. %%%% Spendenaufruf in eigener Sache: Unser Vorrat an 'nämlich' und 'eigentlich' geht zur Neige. Um Ihnen weiterhin den gewohnten Stil gewährleisten zu können bitten wir unsere Leser um Zusendung dieser Worte. Das Porto zahlt nämlich der Empfänger, äh, eigentlich.%%%
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Heute voll im Bild, Kontext wieder später + + + + + + + + + + + + + + + + + +

 

An
Alice Nolandé
Berlin~Paris~Genf&Cie

Sehr geehrte Madame de Nolandé,

Ich sehe, Sie haben sich nicht lumpen lassen und die Archive gewälzt, um mir am Vorabend des Jahres, das sie das Millennium nennen, noch ein paar Hausaufgaben zu verpassen. Voilà, Madame, das habe ich mir selbst eingebrockt!
Die Zeit, sagen Sie bereits, die drängt, und das ist mir gerade recht. Zum einen fangen die verschiedenen Bier- und Champagner Empfänge an diesem Abend zeitiger an und zum anderen gilt es, alte Geschichten heute noch abzuschließen, um den Morgen mit frischem Mute begrüßen zu können. Ich will denn gleich in 'medias res'.
Wenn wir uns vorstellen, daß das bevorstehende Jahr mit seinen drei Nullen ein Container von Möglichkeiten und neuen Anfängen sein könnte, dann ist er dennoch kein neutraler (Zeit-) Raum. In ihn hinein ragen die Schlingen der 'zeitgenössischen' Bedeutungsgeflechte, die Stufen am Eingang sind steil und vom Historismus Gejubel der Höflinge noch schlüpfrig.
Das war vor etwa 10 Jahren nicht anders und für den Beginn des von Ihnen erwähnten F-Space war es notwendig, daß er sich als leerer Raum auf den Gipfel der Müllhalde der Zeit setzte. Aus dieser relativ einfachen Behauptung resultierte dann Mehreres: Ein stärkeres Interesse für jene Schichten des Müllberges die durch die oberste Kruste verborgen und im allgemeinen Kanon der Geschichtsschreibung noch nicht zu Tode gekommen waren. 'Anschlußfähigkeit' und 'Austausch' dieser Untersuchungen mit Gleichgesinnten bedeutete eine Neubewertung der damals obsoleten Werte, Kommunikation, Distribution, Aufbau von Netzwerken. Heute wieder Stichworte des Grauens.
Gut, soweit war die Undefiniertheit einer solchen Unternehmung Neugier, Veränderungswille, Alles-(Andere)-Wollen, nur die zähe Zeitgenossenschaft nicht. Dann: Experimente, Archivieren statt Produzieren, mangelnde Systematik, Form- und Sinnsuche, und ab und zu... Finden. Alles eher Prozesse denn Resultate, eher Pubertät oder Entwicklungsroman denn Tagebuch eines Individualisten. Meine Freunde sahen den F-Space in einem historischen Zusammenhang mit Vorläufermodellen und wollten ihn zu einem ähnlichen Modell entwickeln, das an verschiedenen Orten, den jeweiligen Bedingungen entsprechend funktionieren könnte.
War es möglich in unterschiedlichen Situationen einen Kondensationskern zu bilden um den herum ein Debatte entsteht? Und wenn das möglich wäre, in welches Verhältnis setzt sich diese Diskussion zu all den anderen Geschichten der Gegenwart? Und ein solcher Versuch, ein Verhältnis zu den Verhältnissen zu entwickeln, ist natürlich immer ein politischer und ästhetischer, er führt zu Parallel-Entwicklungen und Verflechtungen, zu Differenz, Kritik und Tat.
Da ist auch noch zu erwähnen, daß sich das alles natürlich nur am Rande ereignete, am Rande eines Definitionsbereiches Kunst, ja, wenn Sie das wollen können wir auch sagen, in einem kleinen 'autonomen Bereich kultureller Selbstbestimmung'. Sie bemerken die Anführungszeichen, Sie bemerken, daß die Sache nun zu kippen beginnt, Sie bemerken, daß eine Produktion die inhaltlich außerhalb der kulturellen Wertmäßigkeit lag, nun bald einen kulturellen und damit kapitalistischen Wert erhalten wird.
Die Attraktivität die dieser marginale und differenzierte Diskussions-Zusammenhang entwickelte bedeutete Zulauf und mit dem Wachsen kam Entdifferenzierung. Die Kritik kultureller Werte hatte neue kulturelle Werte geschaffen, das kam als Überraschung, doch ist nichts Neues. Die dadurch notwendig gewordenen Differenzen führten in verschiedene Lager.
Ich will über 'Erfolg' hier nicht streiten, aber die Ironie der Ereignisse gewährte natürlich denjenigen das übliche Paket an Münze-Macht-Einfluss, die den versprengten Truppen die Parolen ablauschten und sie bei den Feiern der Standorte raunend verkauften. Die Zeremonien des 'Corporate Rokoko' haben jetzt prachtvollen Rahmen, auf dem die nun leeren Schalen, Muscheln und Schneckenhäuser der politischen und ästhetischen 'cultures of dissent' zu einem gefälligen Muster gerinnen.Und diese Intarsien und Inkrustationen zieren die jeweiligen Standorte. Und das allgemeine kulturellen Geprotze im internationalen Wettbewerb geht Hand in Hand mit dem Abbau des Gemeinwohls, weil man gerade diejenigen anlocken will, die man früher als Ausbeuter nannte. Denn nicht der Einmarsch, sondern der Auszug, das Fernbleiben der Münze erscheint dem Nationalstaat als Gefahr. Kultur wird ist Köder, der Einzug des Global Player wird von den Cheerleadern zur Kunst begleitet, Zeremonienmeister des Neo-Kolonialismus.

Gut, vielen Dank, das wissen Sie selbst. Doch, stehen Sie außerhalb dieser Prozesse? Ist ein Außerhalb vorstellbar, das, sollte es über begehrliche Ressourcen oder neue Erfindungen verfügen, nicht kolonialisiert werden würde? Wenn wir also annehmen, daß außerhalb dieses Theaters erst einmal nichts möglich ist (?)... dann können und müssen wir, so denke ich, immer wieder zwischen dem Zuschauerraum und der Bühne wechseln und, wenn nötig, in verschiedenen Rollen und Masken, mitspielen um dem Stück eine andere Richtung zu geben. Die Reflexionen auf das Stück und sein Theater, werden zu einem Bestandteil des Spiels auf dem Theater.

Zu dieser oben nur kurz geschilderten Entwicklung ersann der Freund, an dessen Geschicke Sie, wie wenige nur, Anteil nehmen, einmal eine heitere Allegorie, oder soll ich Komödie sagen...

Der Vorwand dafür lieferte die Gründerzeit und das Fin de Siecle vor etwa 100 Jahren, eine Zeit also, die ähnlich den 1980ern und 1990ern ein zutiefst reaktionäre und kulturbürgerliche war.
In seinem dumpfen Nationalismus bejubelte das Bürgertum einen jungen Kaiser und die industriellen und wirtschaftlichen Erfolge seiner Kolonial-Politik. Und vor diesem Hintergrund erfolgte die Konstruktion des Künstlerbildes 'Richard Wagner' durch die Schar seiner Anhänger: Es erfolgte die Aufrüstung vom Revolutionär und Gemeinschuldner zu König Ludwigs Hofkünstler und zum vergötterten Meister eines neureichen Bildungsbürgertums.
Meinte zuerst der Idealismus einer gemeinsamen Sache die Bedeutungslosigkeit des Subjektes, dann war die Produktion keine individualistische sondern eine gemeinschaftliche und das 'Produkt' war die Qualität des Austausches der diese Gemeinschaft gestaltete.
Nach der gescheiterten Revolution zielte der Idealismus wieder auf das KunstWerk, das ein Container aller philosophischen, politischen und ästhetischen Qualitäten sein sollte. Der Glam der Aura bekleidete nun nicht mehr die progressive Gemeinschaft sondern das einzelne Individuum und das von ihm geschaffene Kunstwerk. Das war für viele angenehmer.
Doch zurück zur Ausstellung. Die zeigte nun einige Bühnen und Bilder, man konnte als Beobachter verschiedene Perspektiven auf diverse Theatermodelle entwickeln, man konnte sich im Galerieraum auf einer Bühne stehend und beobachtend begreifen und war also Mitspieler im Spiel der Konstruktionen um Bedeutungen und Künstlerbilder. Im Nebenraum gab es, halb verdeckt hinter einem Vorhang, einen Protestzug gegen dieses Stück.

Ich will hier, der Einfachheit halber und weil die Zeit drängt, meinen Freund aus einem seiner letzten Briefe zitieren. Da ich seinen momentanen Aufenthalt nicht kenne setzte ich sein Einverständnis stillschweigend voraus.

Mon cher ami,
Es ist sechs Uhr Morgens und ich kann nicht mehr schlafen, nach drei-einhalb Jahren ist es nun endlich so weit!!
Die Ausstellung steht wie ein feiner, scharf geschliffener Kristall, auf blanken Oberflächen. Keiner wird sich darin entdecken, so selbstverständlich wird es sein in diesen Spiegel zu blicken. Erst dann, wenn das Bild springt und sich der Betrachter selbst als Mitwirkender auf dieser (kulturellen) Bühne begreift, wird er die vielfältigen Perspektiven wahrnehmen können, aus denen er auf das Theater, und sich selbst darin, blicken kann.
Gewisse Teile sind ihm entäußert und vor ihn, auf die verschiedenen Bühnen gestellt: zur Parodie geronnen, als Arabeske erstarrt, als Komödie sehr ernst gesetzt und nur durch die Einladung belebt, seiner Rolle im Beobachteten gewahr zu werden. Die Schönheit der Ausstellung schöpft aus vielen Quellen, souverän und ohne zu schwärmen. Zum Beispiel hängt die Baumwurzel nicht dort, weil das Material im Innersten so schön wäre, sondern weil sie die Insignien derer beschreibt, die sich ein pittoresk egozentrisches Stammes- und Naturbild konstruieren, ohne sich dessen Implikationen bewußt werden zu wollen.
Aber mehr als diese Insider-Details ist es gelungen die vielen heterogenen Herangehensweisen zu verschmelzen und sie als eine Oberfläche ganz seltsamen Gepräges zu präsentieren, (dies ist sozusagen meine Identitätsleistung), die resultierend aus der Vielzahl von Bezügen wahrscheinlich erst einmal Verwirrung herstellt.
Natürlich bietet das hehre Wagnerthema viel zu beißen und das ist auch gut so, um die Kritik von ihrem historischen und kulturellen Hintergrund her zu projizieren, auch um von dort Argumente und Werkzeuge zu leihen und lustige Vorwände für Erzählungen, die nur unter einem bestimmten Blickwinkel ins Dreidimensionale fluchten. Dabei sind die Ebenen leicht zu benennen: Der historische Hintergrund für die Phase der bürgerlichen Kulturalisierung und Restauration in der wir gerade, wieder einmal und an der Jahrhundertwende leben und darin die Rolle einer künstlerischen Avantgarde, die ihre ästhetischen Vorlieben dezidiert unkritisch auslebt. Begleitet von einem journalistisch-kritischen Apparat, der zunehmend bereit ist, seine Ideen, Theorien und 'politischen' Vorstellungen auf diese innovativ-konservative Kunst zu projizieren.
Dennoch ist das Spiel offen und für mich ist dies deshalb ein schöner Abgang ins künstlerische Nichts und Irgendwo weil in dieser Ausstellung Lösungen gefunden wurden, die, so hoffe ich, aus diesem engen traditionalistischen Kunstverständnis weiter heraus führen und die Kunst heiter fliegen läßt und lachen über sich selbst sich selbst: Tja, mit 'ewigem' Ernst.

Ich verstehe, daß Du wegen der Proben zum neuen Programm keine Ruhe hast. Aber bitte komme, sobald es Deine Zeit erlaubt, auch nach der Eröffnung. Ich bin auf Deine Meinung gespannt!
Jetzt muß ich auf und weg!
Adieu, mein Bester! S.D.

Der Brief, Sie verstehen, das macht mich traurig. Es bleibt hier wenig mehr anzumerken als einige Worte über die Rezeption der Ausstellung...
Denn nach der Komödie begann das Trauerspiel, eine rechte Schande, aber doch recht vorhersehbar.
Denn, erstens, wer konfrontiert sich gerne mit dem dermatologischen Realismus eines Rasierspiegels? Doch zweitens, mehr noch, wer möchte sich selbst schon als Mitspieler eines Stückes wissen, zu dem man endlich nur den Claqueur abgiebt? Zu sehr glaubt man in unserem Gewerbe doch an seine eigene Radikalität und es fehlt jenes Darüber-Stehen und Nicht-Ernst-Nehmen, nicht einmal, bzw, gerade nicht der eigenen Person...
Das Lachen über... also eine von der Ausstellung vorgeschlagene, spielerische Überprüfung eigener Positionen im Räderwerk des Globalismus, oder im Gewebe eines (wie auch immer gearteten) Kunstbetriebs... fand nicht statt.

Statt dessen, heimliche Empörung, peinliches Geflüster hinter'm Rücken, Stillschweigen. Weder die Ausstellung, noch das dort erstmals vorgestellte Buch, noch das einstündige Video über den 'Fall Wagner', noch die in Köln erstmals vorgestellte CD fanden je einen eigenen Rezensenten.

Doch genug des Gejammers! Wer spielt, der muß verlieren können und wenn ich seine letzten Zeilen gar noch einmal lese, dann frage ich mich, ob er den Bruch seiner Biografie wohl vorausgesehen hat oder ob er sich diese Rolle etwa selbst geschrieben? Jedenfalls ist er dann freiwillig in die Verbannung vom Hofe, irgendwelchen Kindern das Rechnen zu lehren, so hört ich.

Sie wollten mehr in die Details? Hier muß ich Sie enttäuschen. Lassen wir Altes vergehen!
Heute ist der Tag an dem wir gespannt in die Zukunft blicken, schon hör' ich die ersten Kanonenschläge.
Ein Jubelruf wie Donnerhall, die Welle um den Globus wallt.
Nächster Akt, ich muß mich sputen.

Ich wünsche Ihrer Mission einen frischen Auftritt!
Leben Sie wohl,

aufrichtig ergeben

W.v.D.

 

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