Akademien
haben viele Freunde:
"Gerade in diesem Augenblick, wo die deutsche Nation nach so
großen Ereignissen ihre Einheit gefunden hat, gibt es keinen anderen
Platz als Berlin, die Hauptstadt des neuen Reiches, wo auch die Kunst
ihren gesicherten Ehrenplatz finden muß, und wo Garantien geboten
werden
müssen, daß in zusammenhängender Weise vom Meister zum
Schüler die Kunst ihrem höchsten Ziel zugeführt werde."
Dr. Rudolf Virchow, Januar 1874
und Gegner:
"Die schauerlichste Seite des künstlerischen Elends zeigen
die sogenannten Kunsthochschulen, die mit dem klangvollen Namen "Akademie"
die gesamte Öffentlichkeit aufs Kreuz legen. Mit diesem Namen werden
Regierungen, Ministerien, Bürgermeister und Stadträte, werden
Kritiker und Zeitungs-leser, Eltern und Erzieher betrogen und belogen,
und unter diesem Namen werden Studienbewerber verführt und Studierende
verbogen und verbildet, daß sie sich nur in Außenahmefällen
davon erholen können.
Wir haben mehr als ein Dutzend solcher "Hochschulen" in der
Bundes-republik, an denen die schlechtesten aller Künstler als
Parasiten hausen und ihr Beisammensein zu einem System von Unzucht und
Langweiligkeit aufblasen. Diese sogenannten Künstler, die sich
nicht das Salz in der Suppe verdienen könnten, werden dort zu Professoren
ernannt, also mit Prestige, Geld und Ateliers ausgestattet. Sie können
dort nicht nur ihren Schwachsinn kultivieren und verbreiten und die
Studenten damit zu besudeln. Sie sind auch in der Lage, alles daran
zu setzen, daß jeder Student und jeder neu zu berufende Kollege
unter ihrem Tiefst- Niveau bleibt, damit sie selbst ungefährdet
in ihrem trüben Mief bestehen bleiben können.
(Und geradezu klassisch läuft dieser Mechanismus ab: Je aufwendiger
solche "Professoren" ihr reales Unvermögen, ihre offensichtliche
Wirkungs-losigkeit vertuschen und verdrängen müssen, desto
skrupeloser versuchen sie Macht auszuüben, wo sie nur können
- bei den Studenten in der direkten Form der Bevormundung, bei den Kollegen
in der indirekten, der Intrige.)
Das so ein System eine Wurzel des kulturellen Elends der Gesellschaft
ist, steht genauso außer Zweifel, wie die Notwendigkeit, dies
Akademien radikal abzuspecken."
Gerhard Richter, Notizen 1983, aus: G.R., Text, Schriften und Interviews,
Hrsg. Hans Ulrich Obrist, Ffm. 1993, S. 96f
Oder:
Das romantische Künstlerbild des späten 19. Jahrhunderts beschwört
den letzten Helden der Weltgeschichte, der sich rollenfixiert und selbstversessen
der "hohen Kunst" verschreibt. Als "Meister" führt
er seine Schüler dem hehren Ziel zu, die Reichsideologie in ein historisches
und naturalistisches Gewand zu kleiden, zumindest aber nationale Identität
zu stiften. Dieses Künstlerbild hat das Klassensystem an den Akademien
gegen alle vorherigen Versuche zur Reorganisation und Umstrukturierung
aufrechterhalten und schreibt damit feudale Muster bis in die Gegenwart
fort.
***
Die Vorzeichen haben sich freilich gewandelt. Der Romantizismus des
alten Künstlerbildes besteht einerseits ungebrochen fort, er hat
aber künstlerische Ansätze der 60er Jahre, die eigentlich den
Anspruch auf radikale Systemveränderung erhoben in sich aufgesogen.
Diese inzwischen längst domestizierte Geschichte dient nunmehr zur
Untermauerung eines scheinbaren totalen Freiraums an den Akademien. Gleichzeitig
nährt sich der feudale Status der Meister (und es ist kein Zufall,
daß in diesen Positionen Männer heute wie damals unter sich
sind) aus der gesellschaftlich vermittelten Mythologie von der Freiheit
der Kunst.
***
Künstlern einen Freiraum "außerhalb" der Gesellschaft
zuzubilligen, impliziert die Forderung, daß sie nicht entscheidend
in gesellschaftliche Zusammenhänge eingreifen. Von Künstlern
wird geradezu erwartet, daß sie irgendwie anders sind. Die Identifikationsmodelle
reichen vom eigenbrödlerischen Sonderling bis hin zum Nächte
durchsaufenden Outlaw. Künstler-sein spielt sich irgendwo zwischen
Autismus und Ekstase ab. Die Gesellschaft projeziert Alltagsdefizite auf
die Künstler und weist ihnen dadurch eine Spielecke zu. Dieser einzigartige
Ort der "Phantasie" und "Kreativität", diese
scheinbare Insel nicht entfremdeter Arbeit dient der Gesellschaft zur
Entlastung von der eigenen Verdinglichung.
***
Akademiestudenten können grundsätzlich tun und lassen was
sie wollen, sie werden mit einer a priori behaupteten, künstlerischen
Freiheit konfrontiert und erfahren das Nicht-ausfüllen-können
derselben als persönliches Versagen. Die an sie gebundenen Bohème-Phantasien
werden als Aktivismus eingefordert, gleichzeitig wird von einer Nicht-Lehrbarkeit
von Kunst ausgegangen, was theoretische und diskursive Auseinandersetzungen
weitgehend verhindert. Die Studenten werden in Produktionsmechanismen
und Anerkennungskämpfe verwickelt, während die soziale und historische
Verortung der Akademie weitgehend unreflektiert bleibt. Der soziale Typus
des tragischen Helden und Einzelkämpfers treibt die Studenten in
einen Konkurrenzkampf, in dem der am stärksten ist, der das "feel
for game" hat, also die richtige Mischung aus Freiheit und Unterwerfung
am besten beherrscht. Oft verkörpern gerade diejenigen, die die Akademie
im Namen der realen Freiheit des Marktes am heftigsten bekämpfen,
diesen Typus.
***
Der Freiraum ist gleichzeitig ein rechtsfreier Raum, in dem sich archaische
und patriarchale Strukturen herausbilden. Von den Studenten wird erwartet,
daß sie in eine Art Liebesverhältnis zu ihrem Professor treten
(vor allem Studentinnen müssen auch immer dem Mann im Professor gerecht
werden) und dessen Machtkämpfe loyal mittragen. Verweigert einer
die Gefolgschaft, kann er problemlos aus der Klasse entfernt werden, bzw.
muß mit Liebesentzug und ausbleibender Förderung rechnen. Im
Freiraum Akademie muß nichts begründet werden und vieles läuft
so subtil ab, daß es sich ohnehin nicht nachweisen läßt.
Man kann aber nicht allein den Professoren einen Vorwurf machen - viele
Studenten, die ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen, tragen
das System bereitwillig mit.
***
Die Mischung aus autoritären und libertären Strukturen läßt
die Protestformen meistens stumm bleiben, weil einerseits konkrete Angriffsflächen
fehlen, andereseits "lautes" Verhalten, eben als domestizierte
Protestform akzeptiert und absorbiert wird. Daß es ein Protestpotential
gibt, zeigt sich z.B. daran, daß Veranstaltungen, wie die Gastvorträge
von Künstlern und Theoretikern an der Münchener Akademie (die
ja von den Studenten organisiert sind und von den Professoren konsequent
gemieden, zum Teil sogar offen angegriffen werden) sehr gut besucht sind,
ebenso wie an den vielen Abwanderungen an andere Akademien. Solch stummer
Protest bleibt aber wirkungslos, weil er von denen, die ihre Interessen
im bestehenden System ungestört durchsetzen können, nicht einmal
wahrgenommen werden muß.
***
Vermutlich wird das Unbehagen vieler Studenten auch von einigen Professoren
geteilt, aber auch wenn sie das Spiel nicht mitspielen, stören sie
es nicht. In direkter Konfrontation mit den Autoritäten würde
sich jeder Protest schnell erschöpfen und der Komplexität der
Problematik nicht gerecht werden. Auch die Berufung einer Alibifrau geht
nicht weit genug, eher müßte geklärt werden, warum so
wenige Frauen bereit sind oder die Möglichkeit sehen, so ein System
zu repräsentieren. Das Konstruiertsein von Künstlerbildern und
das historische und soziale Selbstverständnis von Akademien müssen
hinterfragt werden. Das kann am ehesten auf dem Terrain, auf dem die Studenten
ohnehin schon Eigenverantwortung für ihre Ausbildung übernommen
haben, stattfinden. Auf diese Weise können und sollten die Studenten
sich dem bestehenden System entziehen und dessen Hinfälligkeit um
so deutlicher werden lassen.
[
societyofcontrol |
akademie | forschen | kommentieren | close
window]
|