| INTERVIEW: 
       
 
 Unbekannter: Nach meinen Zivildienst habe ich mich gefragt, was 
        jetzt? Wirste Journalist. Ich habe ein Praktikum bei einer Zeitung angefangen. 
        Lokalredaktion, man fängt immer unten an. Ich bin von einem Kuhfest 
        zum anderen, um kleine Artikelchen zu schreiben. Fand das alles unheimlich 
        wichtig, habe irgendwie 20 Stunden für 2 Mark 50 gearbeitet.
 Bettina: Mit welcher Intention hast du das betrieben?
 
 Unbekannter: Ich wollte einfach erstmal Artikel schreiben lernen. 
        Die Geschichten waren thematisch größtenteils belanglos, irgendwelche 
        Pfarrfeste oder Kaninchenzüchtervereine, weiß der Henker. Man 
        hat sich mit den Leuten unterhalten, ein bißchen recherchiert, und 
        hat die Stories abgeliefert. Dann bin ich nach Bonn, weil ich jemanden 
        da kannte. Ich dachte, du brauchst ein solides Studium. Ich habe angefangen. 
        Geschichte, Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre zu studieren 
        ...
 
 Bettina: Warum hast du nicht Journalismus studiert?
 
 Unbekannter: Ich hab' mich vorher unterhalten, unter anderem mit 
        diesem Chefredakteur von der Lokalzeitung und der hat mir geraten, mich 
        auf ein Gebiet zu spezialisieren und darauf aufzubauen. Journalistik, 
        Publizistik ist nichts Handfestes und ich dachte, wenn du ein Geschichtsstudium 
        hast, haste eine fundierte Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten. 
        Hat eine Zeit gedauert, bis ich gemerkt habe, daß ich kein Mensch 
        bin, der dieses wissenschaftliche Arbeiten so umsetzen kann. Ich kam mir 
        so mickrig vor. Ich kam in diese Universität und es gab tausend Leute, 
        die irgendwie so perfekt schienen. Ich lebte direkt neben einer, die in 
        zwei oder drei Semestern ihr Grundstudium schon abgeschlossen hatte.
 
 Bettina: War das Dein Ziel, das auch so zu machen?
 
 Unbekannter: Ich hatte schon den Anspruch, was Besonderes zu sein
 
 Bettina: Also nicht einfach so zu studieren.
 
 Unbekannter: Ich hatte Ehrgeiz und den konnte ich nicht befriedigen. 
        Das driftete immer weiter ab. Ich fragte mich, was sein würde, wenn 
        ich mal irgendwann in fünf Jahren fertig sein würde. Ich denke, 
        was mich bewogen hat, abzubrechen, waren Existenzängste und eine 
        ganze Reihe von Defiziten, die mir aufgefallen sind ...
 
 Bettina: Zum Beispiel?
 
 Unbekannter: Die ganze Form-Geschichte, die mir einfach nicht liegt.
 
 Bettina: Würdest du sagen, es wäre für dich anders 
        gelaufen, würden diese Form-Sachen keine solche Rolle spielen?
 
 Unbekannter: Ja, ich glaube schon. Man muß sich irgendwie 
        reinknieen, man muß so ein paar Grundlagen gecheckt haben.
 
 Bettina: Wie meinst du das?
 
 Unbekannter: Ich verkaufe zum Beispiel im Moment Bücher, da 
        muß ich halt verschiedene Verlage kennen, die Profile. Ich muß 
        Grundlagen haben.
 
 Bettina: Also bist Du dafür, daß an der Uni die Grundlagen 
        gelehrt werden?
 
         ***  Unbekannter: Man muß wissen, wo man's hernimmt. Und das 
        lernste in der Praxis und nicht an der Uni.
 Bettina: Was könnte das für dich heißen, eine "freie 
        Akademie"?
 
 Unbekannter: Ich stell' mir das so vor: 20 oder 30 Leute setzen 
        sich zusammen. Jeder erklärt erstmal, warum er sich für was 
        interessiert. Es muß eine Person geben, die Bescheid weiß. 
        Dann fängt man einfach irgendwo an. Das muß nicht chronologisch 
        abgehen. Also, eine freie Akademie mit dem Fach Philosophie, wäre 
        eine Sache, die mich wirklich herausfordern würde, insofern ich die 
        Fragen einbringe, die mich im Moment beschäftigen. Fragen wie: Warum 
        bin ich überhaupt hier, Wie erlebe ich mein Leben? oder Was bedeutet 
        "Freiheit". Über solche Schlagworte könnte man sich 
        einander nähren.
 
 Bettina: Bringst Du den Karrieregedanken im Zusammenhang mit einer 
        freien Akademie in Verbindung?
 
 Unbekannter: Karrieremachen bedeutet für mich, daß ich 
        die Ziele, die ich mir selber setze, umsetze. Dazu gehört natürlich 
        auch soziale Anerkennung. So einen gewissen Wohlstand, aber eben auch 
        so eine Befriedigung aus der Beschäftigung heraus, der man nachgeht. 
        Daß man sich nicht unterfordert fühlt, aber das man auch nicht 
        unter so einem permanenten Überforderungsstress leidet.
 
 Bettina: Meinst Du damit Leistungsdruck?
 
 Unbekannter: Ja. Leistungsdruck bedeutet, daß du permanent 
        zuviel Arbeit hast, der du nicht nachkommen kannst. Beispielsweise wenn 
        du am Tag in einer Buchhandlung soundsoviel Aufnahmen machen mußt, 
        aber du jeden Tag eine nicht schaffst, so daß du am Ende der Woche 
        sieben über hast.
 
 Bettina: Aber warst Du in der Uni nicht unter einem viel höheren 
        Leistungsdruck, weil Du den Anforderungen nicht gerecht werden konntest?
 
 Unbekannter: Ja. Leistungsdruck ist ein Machtmittel. Für diejenigen, 
        die die Normen bewerten, sind sie lächerlich einfach. Für diejenigen, 
        die sie erfüllen müssen, sind sie schwierig. Und dadurch erwächst 
        eine Diskrepanz zwischen denen, die die Normen prüfen, für die 
        da nur eine Nummer hintersteht und zwischen denen, die die Normen erfüllen, 
        die aber wiederum nur Nummern sind. Es gibt einen unheimlichen Leistungsdruck, 
        der daraus erwächst, daß die Leute versuchen, aus dieser Anonymität 
        hervorzustechen. Beispielsweise bei einem Professor, bei dem du deine 
        Hausarbeit schreibst. Leute mit einem starken Charakter bleiben davon 
        vielleicht unbeeindruckt, - aber ich denke, das ist die Minderzahl.
 
 Bettina: Meinst du, daß du an der Uni eher Karriere machen 
        kannst, wenn du deine Persönlichkeit zurückstellst?
 
 Unbekannter: Zunächst einmal stichst du an der Uni heraus, 
        wenn du die Leistung in einem Zeitraum erbringst, der unter dem Durchschnitt 
        liegt. Du mußt gewisse Dinge einfach hinter dich bringen. Du mußt 
        unheimlich viel Zeit opfern, du mußt dein Privatleben hintenan stellen. 
        Wenn du an der Uni Karriere machen willst, dann mußt du dich irgendwie 
        durchboxen.
 
 Bettina: Was ist mit der "Akademie außerhalb der Akademie"? 
        Man kann ja auch eine Kneipe oder ähnliches als "Akademie" 
        bezeichnen.
 
 Unbekannter: Ja, wenn man das ganze als "Leben" oder 
        "Lebenserfahrung" bezeichnet. Du begibst dich in eine Situation. 
        Du sagst "ich mache das jetzt". Du fängst an, dich einzubringen, 
        eine Position einzunehmen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo du sagst: "Das 
        befriedigt mich". Und dann hast du diese Position, du ziehst noch 
        was raus, du lernst noch was dazu. Und du trägst Verantwortung.
 
 Bettina: Du würdest praktisch nur dann Teil der "Akademie 
        außerhalb der Akademie" sein, wenn Du mit dem kommerziellen 
        Dingen auch was zu tun hast.
 
 Unbekannter: Man muß halt leben, irgendwie seine Brote zahlen. 
        Das läßt sich nicht weg leugnen. Auf der anderen Seite, wenn 
        es einen Weg geben würde, ein weniger anonymes Zusammenleben zu führen... 
        Was mich im Moment beschäftigt, ist die Frage, ob dieses alleine 
        vor sich hin brasseln sinnvoll ist, oder ob es eine Alternative dazu gibt. 
        Was ich damit sagen will: Ich denke, daß man im Leben Entscheidungen 
        fällt. Es gibt die Entscheidung, Künstler zu sein. Oder sich 
        für Kunst zu interessieren. Ich fange an einem Punkt an, dann entwickele 
        ich mich, treffe weitere Entscheidungen.
 
 Bettina: Was für Entscheidungen?
 
 Unbekannter: Ich denke, daß jeder Mensch Talente hat. Die 
        einen sind faul, die anderen weniger. Der eine kann gut schreiben, der 
        andere kann gut malen, ein anderer ist musikalisch begabt. Es gibt Leute, 
        die sich nicht entscheiden, die alles auf sich zukommen lassen und die 
        irgendwann in Situationen geraten, aus denen sie nicht mehr rauskommen. 
        Nehmen wir mal Familie, Kinder. Natürlich kannst du auch deine Frau 
        mit den Kindern sitzenlassen, aber irgendwann biste so gefangen in deinen 
        Umständen, daß du gar nicht mehr ohne weiteres da rauskommst. 
        Es gibt aber auch Leute, die Musik machen, Bilder malen und ihre Talente 
        ausleben.
 
 Bettina: Würdest Du von Dir auch sagen, daß Du gefangen 
        bist in Deinen Umständen?
 
 Unbekannter: Ich bin bequem und das nervt mich manchmal, weil ich 
        denke, daß ich meine Talente irgendwie nicht ausnutze oder ausreize. 
        Daß ich zu schnell zufrieden bin. Aber irgendwann kommt der Punkt, 
        wo du sagt, ich kann nicht alles zufriedenstellend für mich machen. 
        Ich kann nicht gleichzeitig ein guter Musiker und ein guter Maler oder 
        Künstler sein.
 
 Bettina: Warum nicht?
 
 Unbekannter: Weil du nur eine gewisse Zeit zur Verfügung hast. 
        Entscheiden heißt Verzicht üben. Deswegen entscheidest du dich 
        für das, was dir im Moment sinnvoller erscheint. Du sagst, ich bin 
        eher ein Künstler als ein Musiker. Und das ist irgendwie das, was 
        ich von einer Akademie erwarte, die einen anderen Weg geht. Den Leuten 
        Entscheidungsmöglichkeiten bieten.
 
 Bettina: Entscheidungshilfen ...
 
 Unbekannter: Ja, Entscheidungshilfen. Ich denke, der künstlerische, 
        musische Bereich ist sehr wichtig. Er wird heute zu sehr vernachlässigt, 
        weil das Kaufmännische vielen wichtiger ist. Aber vielleicht wird 
        sich das irgendwann wieder umkehren.
 
 
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