Frauen
und Akademien
"Intellectual arguments don't dismantle institutions."
(Homi Bhabha)
1. Genese eines Themas
Viele Frauen, die sich als Feministinnen bezeichnen, arbeiten
heute im universitären Bereich.
[1] Neben den Problemen, die die Institutionalisierung dem skeptischen,
institutionskritischen Individuum ohnehin bereitet (Gewißenskonflikte,
Leiden an der zugeschriebenen Autorität), hat sich das Phänomen institutionalisierter
Feminismus zu einem Thema entwickelt, mit dem sich diejenigen feministischen
Theoretikerinnen befassen, die akademisch arbeiten und an einer kämpferischen
Orientierung des Feminismus [2] festhalten. Gerade in letzter Zeit betont eine Gruppe von feministischen
Intellektuellen, daß die Abschaffung des
Patriachats und eine Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen weiterhin
Ziel von feministischer Arbeit sein müsse.
Ich glaube, daß sich diese Rückbesinnung auf Sinn und Zweck des
Feminismus mit seiner Akademisierung und Theoretisierung erklären läßt.
Frauen, die selbst daran mitgearbeitet haben, daß sich Feminismus primär
als Theorie abspielt, versuchen nun, an seine politischen Aufgaben zu
erinnern. Schon Ende der 80er stellte Michele Barrett eine "Hinwendung
des Feminismus zur Kultur" fest, die zur Vernachlässigung der Dinge
zugunsten der Wörter geführt habe. [3] Barrett gehört allerdings zu den wenigen (meist
englischen) feministischen Wissenschaftlerinnen, die sich als Marxistinnen
verstehen und sich mit den aktuellen Bedingungen der Unterdrückung von
Frauen befassen. [4]
Letztes Jahr ist auch ein Reader mit dem Titel "Materialist Feminism"
erschienen. Die Herausgeberinnen Toril Moi und Janice Radway kündigen
im Vorwort an, eine "konkrete historische und kulturelle Analyse"
in Angriff nehmen zu wollen.
Ganz ähnlich zieht sich durch die Texte von "Gender Killer"
(1994) die Forderung, daß die "sozio-ökonomischen Realitäten"
oder "sozialen Verhältnisse" von feministischer Forschung einbezogen
werden müßten. Während es bei den Autorinnen von "Gender Killer"
bei diesem Aufruf bleibt, bemüht sich Nancy Fraser in ihrem Buch "Widerspenstige
Praktiken" (1994) um das, was sie eine "soziopolitische Analyse"
nennt. Alles deutet darauf hin, daß sich über die vorherrschenden Definitionen
von Feminismus Unmut ausbreitet. Ein Buchtitel wie "dekonstruktiver
Feminismus" (1992) stand exemplarisch dafür, wie Dekonstruktionen
oder semantische Reflexionen schon den Anspruch erheben konnten,
feministisch zu sein. Der akademische Feminismus hatte sich "von
der Gesellschaftskritik zur Wissenschaftskritik entwickelt" (Grimm,
94).
Darüber erregen sich heute interessanterweise sowohl die Frauen, die auf
eine aktivistische Vergangenheit zurückblicken und zur Theorie überwechselten,
als auch jene, die niemals aktiv in der Frauenbewegung waren und den Feminismus
als Theorie kennenlernten. Beide Seiten entwickelten Strategien, um die
feministische Handlung strenger zu fassen und einzugrenzen. Entweder wurde,
wie in "Gender Killer", eine Gleichsetzung von "feministisch"
mit "weiblich" festgestellt und kritisiert, oder man nahm gleich
die Neudefinition der Zuschreibung "feministisch" in Angriff.
Erklärt man den eigenen Feminismus als "materialistisch", dann
besteht man auf seiner realpolitischen und gesellschaftskritischen Funktion.
Im Rahmen eines materialistischen Feminismus kann nicht jede Textexegese
und individuelle Überschreitung schon feministisch sein. Für Toril Moi
ist eine Arbeit nur dann mit dem Attribut des Feministischen zu versehen,
wenn sie Unterdrückung analysiert und aufzuheben versucht.
Inwieweit hängen nun diese Versuche, Feminismus zu definieren, und an
sein kämpferisches Potential anzuknüpfen, damit zusammen, daß sich der
Feminismus heute hauptsächlich "im Seminar" abspielt? [5] Ein Zustand, der meiner Meinung
nach nicht bedauert werden muß. Statt rhetorisch zum Verlassen des Seminars
aufzufordern, sollte man sich eher fragen, warum das Seminar so viel Attraktivität
besitzt.
Ich bin z.B. über die Theorie zum Feminismus gekommen, habe mich der Masse
des feministischen Gedankenguts in dem Moment (Ende der 80er Jahre) angenähert,
als "das intellektuelle Kapital über das aktivistische triumphierte". [6] Vielleicht hing meine Begeisterung
für feministische Theorien auch damit zusammen, daß ich mich außerhalb
von akademischer Forschung befand. Jedenfalls besaßen die zirkulären Debatten
unter (meist anglo-amerikanischen) feministischen Intellektuellen für
mich eine große Attraktivität. Durch die Lektüre wurde es möglich, an
eine feministische Gemeinschaft angeschlossen zu sein, die Shoshana Felman
sehr treffend als Lesegemeinschaft ("bond of reading") beschreibt. [7]
Festzuhalten bleibt, daß die Idee "Feminismus" erst dann wieder
auf ein breiteres Interesse stieß, als sich mit ihr nicht primär die Frauenbewegung
verband. Konnte das Thema Feminismus also erst in dem Moment populär werden,
als es sich als hippe Theorie präsentierte? Der Wunsch, einer aufgeklärten,
anti-sexistischen Theoriefraktion anzugehören, mag für die Beschäftigung
mit Feminismus ausschlaggebend gewesen sein.
Nur: Was mit modischer Theorie anfängt, hört oft mit Politisierung auf.
Jedes Gespräch mit einem Theorie-Rezipienten zeigt, daß Lesen nicht ohne
Auswirkungen bleibt. Vom Vokabular bis zum Habitus können sich Selbstverständnisse
und Umgangsformen ändern. Mit Modeströmungen allein läßt sich der Theorieboom
der späten 80er nicht erklären.
Die vielen Männer und Frauen in meinem Bekanntenkreis, die sich seither
verstärkt mit feministischen Theorien auseinandersetzen, tun dies auch
deshalb, weil sie ihnen Instrumente in die Hand geben, mit denen sich
sexuelle Diskriminierungen, Geschlechterverhältnisse, subtile Sexismen
und Ungleichheiten besser analysieren und eventuell verändern lassen.
Könnte man nicht durch Judith Butlers "Gender trouble" den Einstieg
finden, ohne mit der Geschichte der Frauenbewegung vertraut zu sein? Ich
kam z.B. zuerst mit dem Komplex "Repräsentation von Frau" in
Berührung, ging dann zu den "gender studies" über und lernte
die Prinzipien der Frauenbewegung erst durch deren kritische Auseinandersetzung
mit ihnen kennen.
2. Institutionalisierter Feminismus
Ein Großteil der feministischen Theorien wird in Universitäten
von ehemaligen feministischen Aktivistinnen produziert. Viele von ihnen
haben Probleme damit, einem Staat verpflichtet zu sein, dessen Grundpfeiler
(Geschlechterdifferenz) sie doch attackieren. Kann man verbeamtet sein
und gleichzeitig radikal denken? Und können Maßnahmen, die in einer Institution
entstehen, überhaupt verändernd wirken? Wozu haben z.B. unzählige "Gleichstellungsstellen"
und "Frauenbeauftragte" in den Institutionen geführt?
Im Gegensatz zu vielen Feministinnen, die sich als Radikale verstehen,
würde ich die Arbeit des institutionalisierten Feminismus nicht durchweg
für gescheitert erklären oder auf eine Funktion der Entpolitisierung reduzieren. [8] Wenn, dann muß man Kritik daran üben, wie z.B.
die Frauenforschung der Frauenpolitik die Stichworte liefert oder wie
Frauenpolitikerinnen strukturelle und institutionelle Unterdrückungsprozesse
zu individuellen Frauenproblemen machen. Ich finde es aber überheblich
und unangemessen, sich von den Errungenschaften eines institutionellen
Feminismus (wie z.B. Frauenministerium, Frauenbeauftragte) vollkommen
zu distanzieren. [9]
Gesellschaftliche Forderungen, die von Institutionen aufgegriffen werden,
müssen nicht zwangsläufig entschärft und konfliktbereinigt sein. Wer offizielle
Frauenpolitik und institutionalisierten Feminismus (zu Recht) kritisiert,
der übersieht schnell, daß seine Kritik mit zwei Verkennungen einhergeht.
Zum einen läßt sich Kritik an dem "weiblichen Lebenslauf", den
eine Frauenpolitik unterstellt, nur aus einer Position heraus formulieren,
die sich dem klassisch weiblichen Lebenslauf (Mutterschaft, Familie) verwehrt
bzw. die intellektuellen und emotionalen Ressourcen dazu besitzt. Zum
anderen kann auch eine Frauenpolitik, der biologistische Annahmen über
Frauen unterliegen, die sich als Familienpolitik versteht und Mutterschaft
naturalisiert, zu punktuellen Verbesserungen und sozialen Erleichterungen
führen. Eine frauenpolitische Maßnahme ist nicht deshalb total zu verwerfen,
weil ihr ein Glaube an "Weiblickeit" zugrundeliegt. Natürlich
muß man untersuchen, welche Frauenbilder (und Schicksale) Fürsorge und
Sozialhilfe generieren. Nur frage ich mich manchmal, warum sich feministische
Akademikerinnen (wie z.B. Nancy Fraser) dazu aufgerufen fühlen, sich mit
der Bedürfnispolitik des Wohlfahrtstaates auseinanderzusetzen. Will man
diesem auf die Sprünge helfen? Vielleicht ist es auch einfach naheliegend,
daß man sich aus einer institutionellen Perspektive heraus mit anderen
Institutionen befaßt.
Anders ausgedrückt: Die akademische Form des Feminismus macht seine Hinwendung
zur offiziellen Frauenpolitik naheliegend. Denn es gibt keine Bewegung,
deren theoretische Schwächen zu kommentieren wären. An ihre Stelle ist
der Staatsfeminismus getreten. Je mehr der Bezugspunkt "Frauenbewegung"
verblaßt, desto vehementer scheint das Bedürfnis vieler feministischer
Akademikerinnen, sich zur Bewegung in ein Verhältnis zu setzen.
Bei Nancy Fraser kann man eine "Apologie für akademische Radikale"
finden. Mehrfach weist sie auf ihre aktivistische Vergangenheit hin. Das
letzte Buch von Gayatri Chakravorty Spivak hieß "Outside In The Teaching
Machine": Sie cerwandte ein ganzes Kapitel darauf, über die Folgen
der Institutionalisierung von Differenz nachzudenken. Auch Judith Butler
hat es sich zur Pflicht gemacht, ihre Position der Sprecherin nicht einfach
hinzunehmen, sondern die institutionellen Prozesse zu reflektieren, die
sie in eine Position brachten, während anderen diese Position vorenthalten
blieb. Während Butler die Gelegenheit des Vortrags gerne für Positionsbestimmungen
nutzt, macht Sandrine Garcia gleich zu Beginn ihres Textes über die französische
Frauenbewegung klar, daß sie nicht zu den kämpfenden Frauen gehöre. Sie
sei Wissenschaftlerin und wäre deshalb von frauenbewegten Frauen oft angegriffen
worden.
Mit Selbstreflexion allein sind diese Rechtfertigungsversuche nicht zu
erklären. Die verbeamteten Theoretikerinnen scheint sich gegenüber der
Praxis immer in der Defensive zu wähnen. Zumindest versuchen sie, ihre
weniger riskante, institutionell abgesicherte Arbeit zu legitimieren.
Das mag an der traditionellen Umstrittenheit der Institutionalisierung
liegen. An der Frage der Institutionen haben sich viele soziale Bewegungen
zerrieben. Debatten über Autonomie oder Institutionalisierung hat es z.B.
auch in der deutschen Frauenbewegung gegeben. Die französische Frauenbewegung
spaltete sich in zwei unversöhnliche Lager: Auf der einen Seite in diejenigen,
die mit den Institutionen zu kollaborieren bereit waren, und auf der anderen
Seite in die Verächterinnen eines reformistischen Kurses. Auch wenn dieser
Gegensatz heute theoretisch aufgelöst wurde.
[10] Mit dem Unterschied zwischen dem populären Feminismus, der in
der "celebrity zone" stattfände, und dem akademischen Feminismus
könne man die Abwesenheit von politisch brisanten Themen im akademischen
Feminismus erklären. Zum Beispiel würde die Pornographie derzeit von Berühmtheitsfeministinnen
wie Camille Paglia verhandelt, was die Zurückhaltung der Akademikerinnen
bei diesem Thema erklärt, von denen sich viele einem Legitimationsdruck
ausgesetzt sehen. Ihren zahlreichen Selbstbezichtigungen liegt nicht nur
ein Hang zur Selbstreflexion zu Grunde, sondern auch die Vorstellung,
daß es einen Primat des Kampfes gäbe, daß die Aktivistin der Intellektuellen
moralisch überlegen sei und daß die Feministin, die das Engagement scheut,
keine wirkliche sein könne. Demgegenüber hat Sandrine Garcia zu Bedenken
gegeben, daß nicht alle Frauen die Mittel oder das Bedürfnis hätten, gegen
die männliche Herrschaft zu kämpfen. Emanzipation und Aktivismus würden
mit sozialen Kosten einhergehen, die sozial benachteiligte Frauen nicht
tragen könnten.
Es gibt Frauen, die den Kompromiß oder ein individuelles Arrangement und
streckenweise Unterdrückung in Kauf nehmen, weil sie sich Resistenz, die
ihnen mehr Schwierigkeiten bereiten würde, als die Fortsetzung ihrer Abhängigkeiten,
nicht erlauben können. In diesem Sinne
haben sich vielleicht auch Wissenschaftlerinnen für die soziologische
Untersuchung und gegen die Demonstration auf der Straße entschieden, weil
sie den Preis eines Lebens als Aktivistin nicht zu zahlen bereit sind
oder glauben, als Wissenschaftlerin effizienter zu sein und ein Leben
führen zu können, das ihnen mehr entspricht. Akademikerinnen verfügen
nämlich über Zeit, ein geregeltes Einkommen und (unter Umständen) ein
stimulierendes bzw. ähnlich gesinntes soziales Milieu. So ein Leben scheinen
derzeit viele Feministinnen den Risiken des Daseins als illegitime Intellektuelle
oder als aktivistische Kämpferin vorzuziehen.
3. Quotierung
In Deutschland setzen sich heute bereits konservative Parteien
(die CDU) für eine Quotierung von Frauen ein. Wegen der sich abzeichnenden
"Überalterung der Gesellschaft" (Möllemann) haben Politiker
ein Interesse an Frauenförderung. Die Quotenregelung - ein gesetzlich
verankerter Frauenanteil - entspricht dem Interesse von Parteien und der
Logik des Spätkapitalismus. [11] Kann man sich unter diesen Umständen überhaupt
noch dafür einsetzen, daß es einen gesetzlichen Anteil von Frauen in Firmen
oder Institutionen gibt?
Ich halte es für wichtig, mit einem künstlichen Mittel gegen eine Diskriminierung
anzugehen, die sich immer natürlich gab, auch wenn sie auf einer ideologischen
Übereinkunft basierte. [12]
Ein Beharren auf Quotierung ist dann durchaus angebracht, wenn sie
in männerdominierten Bereichen auf Ablehnung stößt.
In Kunstakdemien löst das Thema Quotierung z.B. immer noch Abwehr aus.
Diejenigen, die sich für die Einstellung von Frauen einsetzen sollten,
geben sich allerdings nicht mit der formalen Besetzung durch eine Frau
zufrieden. Problematisch ist z.B. das Verlangen nach einer quantitativen
Frauenpräsenz, wie sie sich in dem Slogan "Eine Professorin ist nicht
genug" [13] ausdrückt.
Durch die Betonung von Quantität geraten die entscheidenden Instanzen
in Vergessenheit (Schule, Familie, Gesetze, auch Kunstakademien), die
nach wie vor eine Benachteiligung von Frauen produzieren. Außerdem wird
suggeriert, daß die Besetzung der Position durch eine Frau schon für Veränderung
garantiere. Die eine Frau, die einen höheren Posten erhielt, wird immer
auch als Beispiel dienen, wenn es darum geht zu beweisen, daß es ja keine
Diskriminierung gäbe und daß es Frauen doch ohne weiteres schaffen könnten.
4. Professionalisierung/Pauperisierung
Es gibt noch einen anderen Zusammenhang zwischen den wenigen
Frauen, die gut bezahlte Jobs haben, und den vielen unterbezahlten Hilfskräften.
So haben neue feministische Studien aus Italien ergeben, daß die Professionalisierung
einiger Italienerinnen auf dem Rücken philippinischer Migrantinnen stattfindet:
"Der Reproduktionsbereich, in diesem Fall die Hausarbeit, wird Philippinas
zugewiesen. Die klassische Trennung zwischen männlichen und weiblichen
Tätigkeiten verschiebt sich in diesem Zusammenhang, sie vollzieht sich
hier nicht mehr primär zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Frauen
unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit und Herkunft."
[14] Der Zusammenhang, den es zwischen Professionalisierung und Verarmung
von Frauen gibt, läßt sich zwar nicht als ein kausaler beschreiben, aber
die ökonomische Situation einer Person ist kein isoliertes Phänomen.
Ohne den Typus Karrierefrau jetzt für schuldig zu erklären, kann man schlicht
feststellen, daß der totale Einsatz und Zeitaufwand der berufstätigen
Frau oft von der Arbeit einer anderen Frau abhängt, die ihr den Haushalt
macht. Beziehungen dieser Art sind typisch für das kapitalistische System.
In Kunstakademien ist ein ähnliches Zusammenspiel zu finden. Falls es
in ihnen eine "Ausnahmefrau" geben sollte, die eine "Meisterklasse"
übernimmt, dann wäre damit auch die Möglichkeit gegeben, daß die meisten
Frauen derselben Institution im Mittelbau verbleiben, wo sie über weniger
Stimmrechte und Einkommen verfügen.
5. Subtile Sexismen
Heute dominiert nicht mehr der Sexismus, der an der natürlichen
Unterlegenheit der Frau festhält. Er wurde von einem "Neo-Sexismus"
abgelöst, der auf Differenz und Andersartigkeit besteht. Insofern kann
die Glorifizierung von "weiblichen Eigenschaften" durch linke
Männer genauso subtil sexistisch sein, wie die achselzuckende Feststellung
eines Berufungsgremiums, daß ihm einfach keine "gute" Frau einfalle.
Subtiler Sexismus ist auch dann im Spiel, wenn der Betrachter das Bild
einer Frau dafür lobt, daß es weiblich oder gar nicht weiblich aussehe.
Derartige Glaubenssätze darüber, wie die Frauen oder ihre Produkte seien,
haben eine zähe Beständigkeit. Die Kunstakademie ist wie eine Laborsituation,
wo derartige Überzeugungen genährt und reproduziert werden. Wenn ich die
Kunstakademie mit einer Laborsituation vergleiche, dann möchte ich damit
nicht ihre Abgeschlossenheit suggerieren. Es ist eine Fiktion zu glauben,
daß gesellschaftliche Daten oder der Kunstmarkt ganz aus ihr herauszuhalten
seien: Sozio-ökonomische Realitäten, Gesetzestexte und Ausländerpolitiken
dringen in sie ein. Genausowenig gibt es außerinstitutionelle Bereiche,
die frei von akademischen Zuständen wären. Auch die Gruppen, die sich
gegen Institutionen definieren, stellen einen Bezug zu ihnen her. Und
lose Vereinigungen, die sich spontan ergeben, nehmen schnell institutionelle
Züge an.
Faktisch macht es aber doch einen Unterschied, ob man von der Institution
angestellt oder ein illegitimer Intellektueller ist. Das fängt bei materiellen
Sicherheiten, regelmäßigem Einkommen und anderem Status an und endet bei
Pflichtveranstaltungen, die von den Angestellten der Institution zu geben
sind. Ganz abgesehen von den mentalen Auswirkungen, die Institutionen
auf ihre Vertreter haben. Der Lehrbeauftragte wird mit einer Funktion
und Autorität ausgestattet, deren Effekte nicht negierbar sind.
6. Lehrtätigkeit und ihre formalen Probleme
Die Autorität, die dem Professor oder Lehrveranstalter strukturbedingt
zugeschrieben wird, läßt sich nicht dadurch mindern, daß man sie thematisiert,
auf ihre Willkür hinweist oder sie nicht in Anspruch nimmt. Die institutionelle
Logik ist machtvoller als jede individuelle Zurückweisung von ihr. Auch
der Lehrer, der nichts zu wissen vorgibt, oder wie Lawrence Weiner bei
seinem Vortrag an der Akademie in München (Dezember 1994) den Studentinnen
"leider nicht helfen" kann, hat Macht und Autorität nicht abgestreift. [15] Auf ihn richten sich Hoffnungen und Enttäuschungen
- seine Verhältnisse zu den StudentInnen sind durch Identifikationen und
Projektionen charakterisiert. Selbst wenn er die Rolle des "Leiters"
nicht anzunehmen bereit ist, nichts zu bieten hat oder schweigt, wird
er die positive oder negative Fixierung auf seine Person nicht brechen
können. Jedenfalls machte ich diese Erfahrung, daß meine Versuche, die
Funktion der Lehrenden zurückzuweisen, schon an dem Akademiegebäude, den
Lehrplänen, der Inneneinrichtung der Seminarräume scheiterte. Die Situation
eines Vortrags führt - auch wenn sie mit Diskussionen einhergeht - unweigerlich
zu einem Autoritäts-und Machtgefälle. StudentInnen mögen ihren Professoren
jegliche Kompetenz absprechen - es bleibt bei deren formaler Autorität.
Ein klassisches Mittel gegen institutionsbedingte Hierarchien ist die
Gruppenarbeit. Sie wird mittlerweile euphorisch von Kunstinstitutionen
(wie z.B. der Shedhalle) als Antipode zum individuellen Künstler propagiert.
Gruppenarbeit allein garantiert aber für nichts und ist auch keine Qualität,
die sich von selbst versteht.
Möglicherweise kommt es durch Gruppenarbeit zu einer gleichberechtigteren
Zusammenarbeit. Dafür muß es gelingen, gemeinsam Denkprozesse zu durchlaufen
statt StudentInnen mit fertigen Thesen zu bombardieren. Bei Fragen oder
Unwissenheiten sollte man andere konsultieren, Fachleute oder Personen
aus anderen Bereichen, die eingeladen werden. Dieses Vorgehen läuft auch
dem gerade bei Kunststudenten verbreiteten Grundsatz zuwider, daß man
sich nur auf sich selbst verlassen sollte.
Akademien leisten diesem individualistischen Denken dadurch Vorschub,
daß in ihnen einzelne Lehrerpersönlichkeiten singulären KünstlerInnen
gegenübertreten, die in gesonderten Klassen in einem ihnen zugeteilten
Raum arbeiten. Viele StudentInnen, die ich kennenlernte, sprachen von
ihren "eigenen" Problemen und Projekten und hielten ihre künstlerische
Arbeit für das Wichtigste. Unter Beibehaltung dieses individualistischen
Prinzips machten sie die Institution allein für Defizite verantwortlich.
Gegen die Akademie wurde Anklage erhoben, so wie man ein Individuum losgelöst
von seinen sozialen Bedingungen für schuldig erklärt. Daß eigene und institutionelle
Existenzen sich gegenseitig bedingen und als soziale funktionieren, wurde
selten erwähnt.
Der Status Student scheint wie eine Verpflichtung zu sein, die Lehranstalt
isoliert anzugreifen. Eine Angewohnheit, die StudentInnen mit Professoren
und Dozenten teilen. Die Lehrer gingen zwar vertraglich ein Abhängigkeitsverhältnis
und eine theoretische Loyalitätsverpflichtung zur Institution ein. Ihr
Verhältnis zu ihr kann aber genauso ambivalent oder von Unzufriedenheit
gekennzeichnet sein wie das der StudentInnen. Während die StudentInnen
nur vorübergehend in der Akademie verbleiben, rechnet der Lehrkörper mit
einem langfristigen Aufenthalt in ihr. Daraus ergeben sich Unterschiede,
was den Status, das Einkommen und die psychische Verfassung betrifft.
Die Lehrer befinden sich in einer Lebensphase der Konsolidierung, während
sich die StudentInnen noch am Anfang wähnen. Jeder Angriff des Lehrers
auf Akademie und Kapitalismus vermag nichts daran zu ändern, daß er zu
Reproduktion dieses gesellschaftlichen Systems beiträgt. Mit den StudentInnen
verbindet ihn dann wieder das Gefühl, daß die institutionelle Realität
als einzige nicht ausreicht.
Jedenfalls hat es sich gerade bei feministischen Akademikerinnen gezeigt,
daß ihre institutionelle Rolle für sie problematisch bleibt. Das hängt
mit dem Bezugspunkt "Frauenbewegung" zusammen, der für die akademische
Feministin eine ähnlich zentrale Rolle spielt, wie der "Kunstbetrieb"
für die Mitglieder der Kunstakademie.
Viele Akademien haben sich in letzter Zeit darum bemüht, die Realitäten
dieses Betriebs zu integrieren.
[16] Oft wird der Irrglaube vermittelt, daß schon ein gewitzter Umgang
mit der Kunstwelt für Erfolg garantiere. Dennoch haben diese Neuorientierungen
gezeigt, daß der Kunstmarkt und erfolgreiche Künstler von Akademien nicht
unbemerkt bleiben.
Die Rolle, die der freie, erfolgreiche Künstler und der Kunstbetrieb
in den Augen vieler AkademiestudentInnen spielen, ist mit dem Druck zu
vergleichen, den das Bild der grass-root-Aktivistin und der engagierten
Feministin auf akademische Feministinnen ausübt.
_______
Fußnoten:
[1] Sabine Grimm stellte in ihrem Text "über
feministische Intellektuelle" in "Gender Killer" fest,
daß die feministische Diskussion heute in erster Linie eine Angelegenheit
von professionellen Intellektuellen sei. Sie geht so weit, von der "Usurpation
des Feminismus durch
feministische Intellektuelle" zu sprechen. Damit drückt sie ihr Unbehagen
an einer Situation aus, die sie selbst und die AutorInnen von "Gender
Killer" auch fortschreiben.
[2] Auch wenn der Duden vorgibt, daß es sich beim
Feminismus um eine Richtung der Frauenbewegung handele, die eine grundlegende
Veränderung der gesellschaftlichen Normen und der patriachalischen Kultur
anstrebt, glaube ich nicht, daß sich die Gesamtheit der feministischen
Theoretikerinnen auf diese Definition bezieht. Es besteht keine Einigkeit
über den Gehalt von "feministisch", und in der Vergangenheit
ist großzügig mit diesem Prädikat eher umgegangen worden. Wodurch sich
die neuerlichen Bemühungen um eine Definition des Feministischen erklären.
[3] In: Destabilizing Theory, Contemporary Feminist
Debates, edited by Michele Barrett and Anne Philips, 1992.
[4] Siehe auch: Michele Barrett, Women's Opression
today, the marxist feminist encounter, 1980.
[5] Sabine Grimm, Über feministische Intellektuelle,
in: "Gender Killer", 1994.
[6] Sandrine Garcia, Project for a symbolic revolution:
The Rise and Fall of the women's movement in France, in: Materialist Feminism,
1994.
[7] Shoshana Felman, What does Woman Want?, 1993.
[8] So geschehen in dem Aufsatz "Aufstieg und
Fall der Frauenbewegung" von Antje Hagel und Antje Schumann in "Gender
Killer". Ihrer Meinung nach sind Gleichstellungsstellen und Frauenbeauftragte
dazu da, "um gesellschaftliche Konflikte in und durch die Institution
zu befrieden, um damit zur Entpolitisierung des Sozialen beizutragen".
[9] In "Gender Killer" sprechen viele AutorInnen
nur abfällig vom Staatsfeminismus.
[10] Durch die vielen Überlegungen zu den Verknüpfungen
von Theorie und Praxis, die nicht getrennt und nur als Verknüpfung gedacht
werden dürfen. Jennifer Wicke hat den Vorschlag gemacht, den Gegensatz
zwischen Aktivistischem und akademischen Feminismus durch einen anderen
zu ersetzen, den sie für viel auschlaggebender hält.
[11] Bietet man den Frauen die Option Teilzeitarbeit,
dann schafft man damit eine Grundlage, die u.a. den Nachwuchs oder die
Bereitschaft zum Nachwuchs fördert. In Zeiten der erbitterten Lohnrunden,
die den Abbau des Sozialstaates signalisieren, gibt es einen Bedarf nach
erwerbstätigen Frauen, die sich mit Teilzeitarbeit und fehlenden sozialen
Sicherheiten einverstanden erklären.
[12] Mit Diskriminierungen, die sich natürlich geben,
meine ich z.B. die Erklärung von Akademiedirektoren, daß es eben keine
"guten" Frauen für Professuren gäbe oder daß sich keine Frauen
bewerben würden. Ein soziales Problem wird zu einer individuellen Schuldzuweisung
umformuliert.
[13] Mit diesem Slogan haben StudentInnen der Kunstakademie
München im Januar 1995 eine gleichnamige Veranstaltung benannt.
[14] In: Wir, die Seiltänzerinnen, in: "Gender
Killer", Texte zu Feminismus und Politik, 1994.
[15] Im Falle von Lawrence Weiner wurde ihm Kompetenz
nicht durch die Institution, sondern durch den freien Kunstmarkt verliehen,
in dem er reussierte. Mit seinem Status des erfolgreichen Künstlers konnte
er mehr überzeugen, als es der Lehrer vermag, für den die Institution
einsteht. Eine Berufung ist keine Garantie für Respekt. Auch wenn ein
Professor formale Autorität besitzt, können seine Seminare leer sein und
seine Worte ungehört bleiben.
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