Vom Gasthörer zum Guestprofessor



Im zarten Alter von 16 Jahren attestierte mir ein Schweizer Berufsberater eine kreative Ader aufgrund eines graphologischen Gutachtens. Er warnte jedoch vor zu frühzeitiger Festlegung.

1977 besuchte ich als Zwanzigjähriger vor Antritt der "RS" (17 Wochen dauernde Grundausbildung zum Schweizer Soldaten) für eine Woche die Dokumenta in Kassel. Ich hatte im Vorfeld eine Fernsehreportage gesehen mit Beuys, Paik und Charlotte Moorman mit dem TV-Bra, Cello-spielend; ich war schwer beeindruckt.

Während meiner graphischen Tätigkeit für Schweizer Verlage besuchte ich an Wochenenden Kunstveranstaltungen der F + F (Farbe und Form)-Schule in Zürich. Manchmal vertrat ich den Kursleiter des sehr Körper- und Aktionsorientierten Kurses.

Mit 25 Jahren hatte ich genügend Selbstbewußtsein um mich ganz auf eine Ausbildung zum freien Künstler einzulassen. Wichtig war dabei der anerkannte Status der F + F, um von staatlichen Stipendien leben zu können.

Meines Wissens war die F + F die einzige Möglichkeit, um in der Schweiz mit nicht angewandter Kunst in Berührung zu kommen. Nur in Basel gab es eine klassische Malerklasse bei Fedier an der Kunstgewerbeschule. Der im Gegensatz dazu sehr prozesshafte Unterricht an der F + F sagte mir mehr zu. Die Leiter hatten sich im Nach-68er Umfeld von der konservativen Züricher Kunstgewerbeschule abgespalten. Wichtige Idole waren dabei Künstler wie Vito Acconci, Chris Burden, Valie Export und Vertreter der Land-Art. In meiner verschwommenen Erinnerung an meine F + F -Zeit (1982 - 84) spielen performanceartige Körperaktionen eine wichtige Rolle. Im sehr praxisorientierten Unterricht war der Montag beispielsweise ganz dem Training des eigenen Körpers gewidmet. Getreu dem Motto: Lerne Deinen Körper zu gebrauchen wie ein Werkzeug.

Im Theorieblock erhielten wir eine Schnellbleiche in zeitgenössischer Philosophie. Mehrmals im Jahr wurden Gäste für jeweils eine Woche Unterricht eingeladen. So versuchten wir, mit Oswald Wiener Denkprozesse zu analysieren, mit Florian Neusüss Photographie bewußter einzusetzen, und mit Bill T. Jones und Arnie Zane endete die Woche mit einer minimalistischen Tanzperformance auf der Züricher Bahnhofstrasse. Das "Machen" in der Gruppe, was mich anfangs sehr beeindruckte, verlor nach einem Jahr seine Faszination. Ich vermißte Selbstkritik, Korrektur in der Gruppe und praktische Schlußfolgerungen für die eigene Produktion.

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Von Freunden hörte ich von anderen Möglichkeiten der Kunstausbildung. Ich machte mich auf den Weg und sah mich um in Berlin, Hamburg und Düsseldorf. New York kam wegen des hohen Schulgeldes nicht in Frage. Meine Wahl fiel auf die Kunstakademie in Düsseldorf. Den Ausschlag gaben Schweizer Freunde und die wohlklingenden Namen der Professoren. Schwieriger wurde es, sich für eine Klasse zu entscheiden. Im Gegensatz zu der F + F in Zürich wurde der Unterricht viel mehr durch die Persönlichkeit des einzelnen Professors/ Meisters bestimmt. Zudem gab es nur die Wahl zwischen Malerei und Bildhauerei (Ausnahmen waren die Becher-Klasse für Fotografie und die Paik-Klasse für Video).

Nach zwei Jahren F + F versuchte ich den einjährigen O(rientierungs)-Bereich in Düsseldorf zu umgehen. Jürgen Partenheimer akzeptierte mich schlußendlich als Gasthörer. Er wurde selber jüngster Professor, der vom O-Bereich überwechselnd einen in den Ruhestand getretenen Professor ersetzte. Seine Beschäftigung mit dem Künstlerbuch war die Öffnung, in die ich mit meinen eigenen Publikationen paßte. In meinem Partenheimer-Jahr zeichnete ich, dem Vorbild des Meisters folgend, fast ausschließlich. In derselben Zeit beschäftigte ich mich mit einem mir wichtigen Projekt des neuen Wohnortes Düsseldorf-Rath. Nach meiner Anlaufphase schien mir die Klasse von Fritz Schwegler die größte künstlerische Offenheit zu gewähren. Nach längeren Gesprächen wurde ich endlich als ordentlicher Student in Düsseldorf von Schwegler bestätigt. Als nächster, wichtiger Schritt galt es, sich in den kompakten Klassenkörper zu integrieren. Jeder Studierende hatte sich, im Gegensatz zu meiner F + F -Erfahrung, bereits vollkommen auf einen Stil und eine Technik eingelassen. Fleiß und Ausdauer waren die höchsten Werte in dieser Zeit. Einmal wöchentlich wurden die Arbeiten vor der Klasse besprochen. Diese Veranstaltungen folgten immer einer Routine, die keinen Enthusiasmus aufkommen ließ. Ich kann mich nicht an theoretische Diskussionen erinnern, die über die eigentlichen Studentenarbeiten hinaus gingen.

1985 trat Kasper König seinen Lehrstuhl für "Kunst im öffentlichen Raum" an. Diese Lehrtätigkeit war nicht einmal mit der Formierung einer Klasse verbunden. In seinen Veranstaltungen trafen sich einmal wöchentlich Studenten aus den unterschiedlichsten Klassen. Bald kristallisierte sich ein kleiner, harter Kern von regelmäßigen Seminarteilnehmern heraus. Ich wurde zum Tutor/ Assistenten ernannt. Rund zwei Jahre arbeiteten wir an unseren Beiträgen zu einer Publikation im groben Rahmen von "Kunst im öffentlichen Raum". In der selben Zeit bereitete König die Ausstellung "Skulptur Projekte Münster 1987" vor. Die Parallelität vereinfachte seinen "Unterricht" und machte ihn gleichzeitig zur nachvollziehbaren Fallstudie. Viele Künstler, die sich zur Vorbereitung der Ausstellung in Münster umsahen und bei König in Köln logierten, wurden uns Studenten in Düsseldorf zwischendurch präsentiert. Diese praxisbezogene Herangehensweise beeindruckte uns fast immer. Mit der Zeit stellten sich allerdings Ermüdungs-erscheinungen ein, da uns der nötige theoretische Unterbau nicht mitgeliefert wurde. So versuchten wir, ohne Anleitung die uns vorenthaltene Theorie aufzuspüren. Mein eigenes Interesse für Architektur und Geschichte blieb an der Akademie unbefriedigt. Während des ganzen Jahres wurde alle Energie der Studierenden in die Produktion möglichst perfekter Präsentationen von neuen Arbeiten während des "Rundganges" investiert. In dieser Ausstellungswoche strömten Eltern, Freunde und manchmal selbst hochangesehene Galeristen durch die offene Akademie. Es gab kein anderes Ziel als zu gefallen und durch makellose Ausführung zu überzeugen. Ein alternatives Modell künstlerischer Praxis schien es nicht zu geben. Düsseldorf war die Welt. Nach einigen Jahren konnte man mit der formlosen Auszeichnung "Meisterschüler" bedacht werden. Weder Prüfung noch Ausstellung waren notwendig um den Titel auf Akademiepapier zu erhalten, mit dem man in die Realität entlassen wurde.

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Nach meiner Biennalebeteiligung in Venedig 1993 erhielt ich aufgrund einer Empfehlung von Hans Haacke das Angebot einer Gastprofessur für Skulptur an der Cooper Union in New York. Ich unterrichtete im ersten Halbjahr 1994 jeweils vier Stunden pro Woche.

Die Studenten werden angehalten, bis zum Ende ihres Studiums (vier Jahre bis zur "Undergraduate-Stufe") eine große Spannbreite von Fächern zu belegen. Eine Spezialisierung auf Malerei/ Skulptur/ Photographie/ Video/ etc. wird versucht zu vermeiden. Die Ausbildung ist kostenlos (eine seltene Ausnahme in den USA), deshalb wird von den Studenten ein großes Engagement erwartet. Es werden Absenzlisten geführt und Noten werden verteilt.

Es ist allgemein bekannt, daß Cooper-StudentInnen sehr gut informiert sind. Von Beginn an wird sehr viel über künstlerische Produktion nachgedacht. Die Lehrenden machen es den StudentInnen nicht leicht, "kopflos" kreativ zu sein. Die sechs StudentInnen, die sich zum harten Kern meines Kurses entwickelten, beklagten sich zu Beginn über die "Kopflastigkeit" an der Cooper. Sie fühlten sich von ihren Lehrern gezwungen, kritisch zu arbeiten. Die Spannbreite des Studienangebots von "Kalligraphie" bis "Politischer Aktivismus" wurde von allen sehr begrüßt, trug aber meiner Meinung nach zur allgemeinen Konfusion der StudentInnen bei.

Laut Gesprächen mit StudentInnen unterschied sich mein Kurs vom Rest des Angebotes. Erwartet wurde von mir, die künstlerische Produktion der Klasse im Unterricht zu kritisieren. Meine StudentInnen haßten das stundenlange Diskutieren (Zerreden) in anderen Klassen, waren aber davon befangen.

Ich versuchte, mit den Studierenden über ihre Erwartungshaltung meinem Unterricht gegenüber zu sprechen. Mein Wunsch war es, über die Zeit nach der Ausbildung als Künstler zu reden. Wie ich es selber in

Zürich und Düsseldorf beobachtet hatte, waren die StudentInnen auch in New York ganz von der hermetischen Atmosphäre der eigenen Schule eingenommen. Im Unterschied zur Akademie in Düsseldorf ist die Cooper-Union nicht die letzte Etappe einer künstlerischen Ausbildung. (Mit Ausnahme der großen Zahl der Abgänger, die direkt danach in der

attraktiven Werbeszene unterkommen und keine künstlerische Laufbahn mehr anstreben.)

Wo und wie kann die Arbeit von jungen KünstlerInnen zuerst sichtbar werden?

Als Aufgabenstellung und Fallstudie diente die Möglichkeit, eine Doppelseite in einem Magazin (Einladung zu einem Insert) zu gestalten. Ich wollte die SeminarteilnehmerInnen dazu bringen, eine Auswahl aus ihrer eigenen, sehr vielfältigen Produktion zu treffen. Die Auswahl der Zeitschrift sollte im Einklang mit der Arbeit getroffen werden. Als Beispiele betrachteten wir Inserts in "Parkett", "Artforum", mein Sammlerinterview für "Cash Flow" und "Standard", sowie einen aktuellen, sechsseitigen Beitrag von Barbara Kruger für "Harpers Bazaar" (Feb 94).

Während die StudentInnen noch vor wenigen Jahren politisch sehr aktiv waren und u.a. durch Douglas Crimp und Doug Ashford unterstützt wurden, setzte niemand von meinen StudentInnen seinen Platz in den Medien für ein Anliegen außerhalb der eigenen Produktion ein.

Die Studierenden hatten kein klares Berufsbild vor Augen. Die Mode- und Musikszene bieten attraktivere Identifikationsmodelle in den 90er Jahren als der Kunstbetrieb. In meinem Unterricht versuchte ich Themen anzusprechen, die ich selber als Student vermisst hatte. Mein gut gemeinter Ansatz stieß nicht auf allgemeines Interesse. Erst nach dem Kennenlernen der einzelnen StudentInnen konnte ich versuchen, die verschiedenen Ansätze unter einen sehr weiten, Hut zu bringen. Die Vermittlung von Kunstgeschichte mit den Grundpfeilern Duchamp und Broodthaers und die Hinweise auf laufende Ausstellungen u.a. von Robert Smithson, Robert Morris, Dan Graham und deren Texte stieß auf taube Ohren. Die StudentInnen besuchten keine der großen Ausstellungen. Erst nach der Formulierung eines Wunsches der Klasse nach einem gemeinsamen Projekt unter dem Thema "Survival" kamen wichtige Gespräche in Gang. Am praktischen Beispiel unserer kleinen Zusammenarbeit stießen wir auf die grundlegenden Fragestellungen wie: Autorenschaft, Produktion, Copyright, Wert, Distribution, Zielgruppen. Sehr spielerisch näherten wir uns den unzähligen, verbleibenden Motiven für eine aktive Beschäftigung mit Kunst.

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Was meiner Meinung nach die bestehenden Ausbildungsmodelle im Kunstbetrieb nicht erfüllen, ist die Formulierung von Berufsbildern, die über "Selbstverwirklichung" hinausgehen. Vielleicht ist diese Publikation ein wichtiger Schritt in eine neue Richtung. Mit der grundsätzlichen Änderung des Kunstmarktes und dem verminderten Stellenwert von "Kultur" in der aktuellen politischen Situation ist es an der Zeit, sich über den eigenen Status Gedanken zu machen.

Bevor wir über bestehende und alternative Ausbildungsmodelle sprechen, müssen wir das Berufsbild "KünstlerIn" neu formulieren. Welche Möglichkeiten gibt es für KünstlerInnen, sich mit Tätigkeiten innerhalb seines/ ihres Feldes den Lebensunterhalt befriedigend und mit Ausbauchancen zu bestreiten? Die bestehenden Akademien produzieren Phantome. Der Nomadismus zeitgenössischer Kulturschaffender könnte als Bereicherung der derzeitigen Ausbildungsstätten umgesetzt werden. Den Dialog zwischen verschiedenen "Vertretern/ Überlebern" sehe ich als die größte, realisierbare Verbesserung für alle Beteiligten.

KünstlerInnen, die zum Aufbau einer Ausstellung anreisen, könnten während dieses Arbeitsaufenthaltes die Gelegenheit benützen, die lokalen Schulen zu besuchen. So könnten Reisekosten zwischen den Institutionen aufgeteilt werden. Nicht nur für die Studierenden wäre ein Kontakt eine Bereicherung zusätzlich zum Besuch der Ausstellungen, auch die KünstlerInnen könnten sich im Gegenzug ein Bild machen von der lokalen Situation. Persönliche Berichte aus den unterschiedlichen Produktionsorten könnten die Projektion der Medien entzerren. Direkte Kommunikation ohne Filter finde ich erstrebenswert. Noch idealer wäre es, wenn Studierende die Möglichkeit hätten, mit ihrem festen Lehrkörper Gegenbesuche bei den KünstlerInnen zu machen.



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